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Aktueller Online-Flyer vom 13. Dezember 2024  

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Literatur
Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (14)
"Götter-Ohren" an Soldaten-Herzen
Von Harry Popow

Im Juli 1964 schreibt Henry: Nicht zum ersten Mal haben wir den Eindruck, dass man Menschlichkeit im Umgang miteinander besonders in den oberen Etagen antrifft. Jüngstens waren beispielsweise Mitarbeiter des Zentralkomitees der SED in unserem Regiment in Stahnsdorf im Einsatz. Was mich besonders freut: Nach einer Übung sind die Genossen vom ZK nicht allein zufrieden damit, dass die Soldaten gut geschossen haben, nein, sie wollen herausfinden, wie die jungen Leute denken und was deren Herz sagt. Und sie beraten sich mit uns Offizieren, wie man die Rechte der Soldaten noch besser sichern muss, wie man im Gespräch zu ihrem Inneren findet. Das ZK kritisiert u.a. jene Vorgesetzten, die die Nöte und Sorgen der Soldaten zu wenig kennen und dann manche Fehlentscheidungen treffen. Unter Feuer werden vor allem die mancherorts anzutreffende Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit gegenüber den Unterstellten genommen, (siehe z.B. Willkür bei den Festlegungen zum Urlaub und Ausgang und zur Freizeitgestaltung). Nur ein Beispiel: Warum lässt man die Sonnabend-Ausgänger erst um 17 Uhr raus? Außerdem: Oft wissen die Soldaten nicht, wer am Wochenende Wache stehen muss, demzufolge sind auch Urlaub und Ausgang unklar. Oder: Waffenreinigen eine Stunde, am nächsten Tag zwei Stunden, ohne sie benutzt zu haben! Da greift sich doch jeder an den Kopf. Sinnlosigkeiten lassen Gleichgültigkeit aufkommen und ersticken jeden guten Willen. Aber: Wie leicht fällt es den Genossen von „oben“, zu bemängeln, sie ziehen ja wieder ab, und der Druck auf die Regimentsangehörigen, all die Termine, die Forderungen der höheren Stäbe – sie bleiben und halten sich zäh wie Teer in der Truppe. Man kann sich jedoch auf diese Genossen mit den mitfühlenden Herzen beziehen, das gibt ein wenig Halt.

Gleichgesinnte – das ist oft nur der Schein. Die Geister scheiden sich, wenn es um kulturelle und Erziehungsfragen geht. Kurt, der Parteisekretär in der Einheit, hält Henry auf der Kasernenstraße an. „Ganz schön, so ein Schallplattenabend für die Soldaten, aber das bringt uns noch keinen Kandidaten. Persönliche Gespräche, die sind das wichtigste ...“ Zustimmend nickt Henry. Aber sein Gegenüber fügt eine sehr merkwürdige Bemerkung hinzu: Politische Arbeit sei auch, wenn man die Soldaten aufmerksam macht auf ihren schlechten Haarschnitt, ihre schmutzige Waffe usw. Henry ist wie erschlagen, er entgegnet scharf: „Wie soll ich mit jemanden ins Gespräch kommen, den ich zuvor sozusagen zusammenscheiße?“ Eine seltsame Ansicht eines Parteisekretärs. Im übrigen drängt er den FDJ-Sekretär wiederholt dazu, in die Kneipe zu gehen, denn dort komme man mit den Soldaten erst richtig ins Gespräch. „Da mag schon was dran sein“, denkt Henry, aber sein Fall ist das nun einmal nicht.

„Adel im Untergang“


Indessen schnuppert man wieder Pulverdampf auf dem Lehniner Schießplatz. Einzelausbildung. Später in der Baracke: Henry wirft einem Feldwebel vor, zu wenig mit seinen Soldaten zu arbeiten, sie sogar anzubrüllen. Dieser, leicht entrüstet: „Ich gebe nur die Befehle weiter, mehr tue ich nicht, der Soldat hat seinen Dienst so zu versehen, wie es die Vorschrift verlangt. Und wenn er das nicht tut, so muss er bestraft werden ...“ Entsetzen in Henrys Gesicht. Da trifft ihn der nächste Schlag, denn ein anderer Feldwebel, am Fenster stehend, gesteht: „Wegen mir brauchte es überhaupt keinen Politunterricht geben ...“ Ein Zugführer/Unterleutnant: „Wenn die zu blöd sind, dann müssen se eben anständig Dunst kriegen, damit se gar nicht auf den Gedanken kommen, zu diskutieren.“ Henry ist wütend. Haben die so wenig mitgekriegt, was hier läuft – in einer Armee ohne Kadavergehorsam? Mangelt es ihnen an Kultur, an Bildung, an Menschenkenntnis? Aber er weiß doch – der richtige Umgang miteinander, der muss erst erlernt werden, da ist nichts mit Automatik, sozialistische Armee gleich sozialistisches Verhalten. Wie oft wird davon gesprochen, wird’s gefordert in Versammlungen, bei Appellen, in tausenden Gesprächen. Und es ist so schwer durchzusetzen. Henry macht sich Gedanken zum Problem Zwang und Überzeugung. Immer wieder vertieft er sich in ein literarisches Werk, in das Buch „Adel im Untergang“ von Ludwig Renn. Es gibt ihm Kraft – mitunter mehr als Beschlüsse und Vorschriften, - gegen Holzköpfe anzugehen, mal leise, mal etwas lauter …

Waffenbrüder

Ortswechsel. Wir sind in Wünsdorf, schreibt Henry Anfang August in sein Heftchen. Ein Freundschaftstreffen zwischen unserem Bataillon und einer sowjetischen Einheit. Ein Hin und Her von Fragen an der Feuerlinie. Unterschiede werden besonders empfindlich registriert. Antworten gibt es nicht immer. So fragen unsere Leute, warum die sowjetischen Soldaten nur beim Gefechtsschießen Stahlhelme tragen, wir aber immerfort, fast bei jeder Ausbildung. Unser Kommandeur winkt ab: „Wir sind nicht hergekommen, um über die Uniformen und die Trageweise von Stahlhelmen zu diskutieren ...“ So einfach kann man es sich machen. Klar, er weiß keine Antwort, da es für manche Forderungen unserer Vorschriften keine plausible Erklärung gibt. Dann ein Gelage im Schießturm. Der Komsomolsekretär: „Unsere Freundschaft soll so sein wie die zwischen dem Schlosser N. S. Chrustschow und dem Tischler Walter Ulbricht.“ Jubel und Freude, Beifall. Schließlich Antreten vor dem Turm im strahlenden Licht der Scheinwerfer. Hurrarufe. Übergabe einer Bildmappe an die Freunde. Ich denke daran, dass ich vor kurzem mit einer anderen benachbarten sowjetischen Einheit mit den Komsomolzen ein ideologisches Streitgespräch organisieren wollte. Das war in Mode gekommen bei uns. Aber Emil, unser Instrukteur für Jugendarbeit im Regiment, riet ab. Die Freunde wollen das nicht. Sie halten nichts von politischen Disputen unter den Soldaten. Dagegen haben sie gute Erfahrungen besonders mit Vorträgen gesammelt. Damit stirbt wieder eine kleine Illusion. Er hat recht. Von Vorträgen über Lenin usw., die ja auch sein sollten, aber nicht ausschließlich, lassen die nicht ab. So muss es sein und fertig. Festgefahrenes! Nicht nur ich empfinde das als merkwürdig veraltet und geisttötend. Da ist er wieder – der Formalismus. Aber es geht uns ja nichts an, ist deren Sache ...

Im Klub des Regiments. Forum mit dem sowjetischen Schriftsteller Alexander Bek über sein Buch „Wolokolamsker Chaussee“. Darin geht es um die Verteidigung Moskaus im 2. Weltkrieg. Der Autor war selbst Politkommissar im Panfilow-Regiment. Die literarischen Schilderungen des sogenannten Tabakmarsches sowie Erschießungen vor der Front seien nicht aus der Luft gegriffen, so der Schriftsteller. Sie seien nur in ganz bestimmten heiklen Situationen erforderlich gewesen („das befiehlt die jeweilige Stunde“), sozusagen als Erziehungsmaßnahme, um mit Gewalt einer lebensgefährlichen Panik umgehend entgegenzutreten. Das Buch habe er unter dem Druck der Ereignisse von 1942 bis 1943 geschrieben. Auflage in der Sowjetunion - eine Million.


Harry Popow: „Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten“




Druck und Verlag: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 18.02.2019, ISBN: 9783748512981, 500 Seiten, 26,99 Euro, Bestellen hier


Der Autor Harry Popow wurde 1936 in Berlin-Tegel geboren, wuchs in der DDR auf, arbeitete als Militärjournalist im Dienstgrad Oberstleutnant in der NVA und betätigt sich heute als Blogger, Buchrezensent und Autor. Er ist seit 1961 glücklich verheiratet.


Siehe auch:

Auszug aus "In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 63. Jahrestags der Gründung der Nationalen Volksarmee am 1. März 1956 (1)
Ohrfeige für Henry
NRhZ 692 vom 13.02.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25625

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (2)
Weiße Armbinden
NRhZ 700 vom 10.04.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25802

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (3)
Träumender Trommler
NRhZ 701 vom 17.04.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25821

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (4)
Bei Präsident Pieck
NRhZ 702 vom 24.04.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25839

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (5)
Steinkohlen-Zeit: Der Autor als Berglehrling
NRhZ 703 vom 01.05.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25860

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (6)
Geologen-Zeit: Der Autor als Kollektor
NRhZ 704 vom 08.05.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25877

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (7)
Knobelbecher-Zeit
NRhZ 705 vom 15.05.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25903

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (9)
Tee mit Rum
NRhZ 706 vom 22.05.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25923

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (9)
Parade in Berlin: Der Autor als Offiziersschüler
NRhZ 707 vom 29.05.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25940

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (10)
Sekt in der Badewanne: Der Autor wird  Unterleutnant
NRhZ 708 vom 05.06.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25961

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (11)
Kopfarbeit gegen Herzschmerz
NRhZ 709 vom 12.06.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25979

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (12)
Nasse Füsse contra Kulturschande: Der Autor als Ausbilder
NRhZ 710 vom 19.06.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26002

Auszug aus "Ausbruch aus der Stille. Persönliche Lebensbilder" anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949 (13)
Contra Wortgeklingel: Der Autor als Politarbeiter
NRhZ 711 vom 26.06.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26020

Online-Flyer Nr. 712  vom 03.07.2019

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