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Aktuelles
Zum Tod des langjährigen NRhZ-Herausgebers
Peter Kleinert ins Grab nacherzählt
Von Hartmut Barth-Engelbart

Die Nachricht kam heute, Dienstag, 09.02.2016: "Liebe Mitwirkende und FreundInnen der NRhZ, wir müssen Euch die traurige Nachricht überbringen, dass Peter Kleinert, der langjährige Herausgeber der NRhZ, am 6. Februar gestorben ist. Wir können es noch nicht ganz fassen, dass nun eine Epoche unwiederbringlich vorbei ist. Nun ist es an uns gemeinsam, dieses Vermächtnis fortzuführen – in einer Zeit, in der die globalen und lokalen Auseinandersetzungen sich zuspitzen und es uns schwer machen, die Vision einer besseren Welt im Auge zu behalten. Mit besten Grüßen Anneliese und Andreas."

HaBE geantwortet und Peter noch etwas nachzuerzählen:

Peter Kleinert lebt weiter in uns, in unserer Arbeit, in unseren Zeitungen und Internetportalen, in uns allen, die wir gegen den Strom die Quellen erreichen wollen und werden. Auch gegen die Quislinge in unseren Reihen. Wir mögen hier als Minderheit erscheinen, aber wir stehen auf der Seite der übergroßen Mehrheit der Menschen dieser Erde. Auf der Seite der Quellen des Reichtums, der durch die Abschöpfer zunichte gemacht wird. Diese Über-Flüssigen sind das Gegenteil von Schöpfern. Zerstörer und Fregatten. Damit die Erde nicht verdurstet und verhungert, müssen wir die Quellen befreien. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Denn Peter hat mit seiner Arbeit auch in mir Quellen befreit. Als er die ersten Texte von mir veröffentlichte, kritisierte, redigierte. Ich bin so froh, dass ich ihn bei der Verleihung des Kölner Karlspreises noch einmal real treffen konnte, ihn in die Arme nehmen, mit ihm lachen. Ich habe mich so gefreut, dass er mich trotz seiner schon fortgeschrittenen Krankheit erkannte und mit mir über meine Gedichte sprach… Ihn in die Arme nehmen, geht nicht mehr. Jetzt habe ich ihn in Kopf und Herz. Und bei jedem Blick in die Neue Rheinische Zeitung immer bei mir.

Lieber Peter, ich will Dir noch etwas nacherzählen.

Ich will Dir kein Gedicht hinterherschreien. Ich will Dir die Geschichte ins Grab erzählen, die ich in Köln in der Alten Feuerwache nach der Verleihung des Kölner Karlspreises an Evelyn Hecht-Galinski nicht mehr fertig erzählen konnte. Mein letzter Zug nach Hause wollte nicht mehr warten und auf die Privatisierungsverspätungen wollte ich mich dann doch nicht verlassen.

Peter, diese Geschichte ist nicht weltbewegend, aber sie hat etwas mit der so alt gewordenen jungen Welt zu tun, jener jungen Welt, die wir so gerne davor bewahrt hätten, so alt zu werden wie die sogenannte Neue und die Alte, die die Weltkriege eröffnet hat.

Zum ersten Mal habe ich die Geschichte in Wien erzählt. Hinter dem Stand des Zambon-Verlages blödelte ich mit den Genossen von der UZ und vom Papyrossa-Verlag herum. Trainierte schon Mal für die Lesung meiner GeBlödelDichte und Straßenkabarett in Wien.

Das war bei der 2011er „KriLit“,der kritischen Literatur-Messe des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, in dessen komfortablen Räumen auf der Donau-Insel neben der UN-Stadt an der Brigittenau, wo heute keine Sau darauf hinweist, dass dort 1849 der Robert Blum von kroatischen Reitern unter dem Kommando des Generals von Windisch-Grätz liquidiert wurde, trotz seiner parlamentarischen Immunität. Dort, wo ich nach 40 Jahren Werner Pirker wieder getroffen habe, der zu meinen Lesungen kam. Aber das wäre eine weitere Geschichte... Dir wollte ich diese Geschichte aus Kuba erzählen, die ich zum ersten Mal auf der Wiener KriLit erzählte HaBE.



Also erzählte ich den Genossen vom Papyrossa-Verlag und der UZ, wie 2006 bei der Buchmesse in Havanna meine Gedichte vernichtet wurden und von wem. Das war so, dass die deutsche Delegationsleitung, die von mir in Zusammenarbeit mit kubanischen Genossen, den Trabajadores Sociales und mit hunderten von MitleserINNEn und Mit-ÜbersetzerINNEn als Wandzeitungen geschriebenen Gedichte inklusive der spanischen Übersetzungen nachts heimlich abgerissen und dann durch ihren Schredder geschickt hat...



Bei der morgendlichen Suche nach den Wandzeitungen sagte mir die Delegationsleitung: „Das wurde von der kubanischen Messeleitung abgerissen!“. Ich ging sofort zur Messeleitung und die wies es weit von sich, dass sie hier Zensur ausgeübt hätte. „Wer hat das gesagt?“ ... „Die deutsche Delegationsleitung hat es mir gesagt!“ — „Wir werden das klären.“ Als ich dann bei der deutschen Delegationsleitung anfragte, ob sie eventuell noch Papier für das erneute Schreiben der Gedichte übrig hätte, wurde mir gesagt, es sei nichts mehr an Papier übrig. Ich ging dann noch Mal zur Messeleitung. Die hatten mittlerweile nachgeforscht ... aber zunächst schickten sie mich zusammen mit einem Messebauer zur Papier-Organisation. Das war eine schöne Extra Geschichte, die erzähle ich Dir später noch Mal. ... aber zum Schluss schrieb ich meine Gedichte und malte meine Bilder auf die Makulatur-Umschlags-Bögen der frisch gedruckten Fidel-Castro-Biografie. Einen schöneren Untergrund für meine Texte und Bilder konnte ich mir nicht vorstellen.



Die Messeleitung sah dann, dass ich meine Wandzeitungen mittlerweile nicht mehr an der Außen-Wand der deutschen Halle schrieb, sondern auf der Straße. Ich tat das, weil mir die Delegationsleitung das Schreiben von Wandzeitungen an „ihrer“ Wand verboten hatte. ... mitten in die Schreiberei und die Massendebatten über den Aufbau des Sozialismus in Kuba nach der Zerstörung der UdSSR,  Massendebatten zusammen mit drei- vier Staatssicherheits-Offizieren, Krankenschwestern, Bauarbeitern, Ingenieuren (teilweise noch mit DDR-Ausbíldung) mit DDR-Auswanderern SchülerINNen und Studentinnen u.a. aus den USA, aus Kanada usw. ... Mitten rein kamen die Leute von der Messeleitung und erklärten mir, dass die Deutsche Delegationsleitung beim Abreißen der Wandzeitungen beobachtet worden sei, man aber glaubte, dass sie nur dafür sorgen würde, dass die Wandzeitungen über Nacht nicht weggeblasen, nicht durchnässt würden. Mit der Erinnerung an die Worte der deutschen Leitung, die kubanische Messe habe meine Wandzeitungen abgenommen, ging ich zur Delegationsleitung und bekam dann dort die Auskunft, man habe die Wandzeitungen nicht mehr, sie seien geschreddert...

Außerdem seien sie „grottenschlecht“ und ich könne noch nicht Mal "Berthold Brecht" richtig schreiben usw…  Mein Hinweis auf meine öffentlich-rechtliche schlagstockteilerzeugte Sehbehinderung nutzte da auch nichts mehr. Löste Hohnlachen aus. Tatsächlich hatte ich trotz des Hinweises von Mitlesenden den Fehler in Brechts Vornamen noch nicht gleich korrigiert. Aber der kubanischen Messeleitung Zensur anzudichten, so was hätte ich vielleicht von der Konrad-Adenauer-Stiftung KAS, der Hans-Böckler-Stiftung HBS, der Friedrich-Ebert-Stiftung FES erwartet, aber nicht von Genossen des neuen Berlin-Verlages & von der „jungen Welt“. Die Messeleitung hat mir dann den großen Holzkubus auf dem zentralen Messeplatz zur Verfügung gestellt, auf dem abends die großen Boxen standen, damit die Menschen meine Gedichte und Bilder besser sehen können.


Mittendrin zwischen den “trabajadores/as sociales/as

Bis zu diesen Zeitpunkt war neben dem Zambon-Stand noch munteres Aufbau-Treiben am Stand der „jungen Welt“ zu sehen und zu hören. Dann war es auf einmal mucksmäuschenstill: ich drehte mich verwundert um und erkannte am jW-Stand ein Gesicht aus der Deutschen Delegation bei der Buchmesse Havanna 2006...

Trotzdem erzählte ich weiter: Der Delegationsleiter sagte, er hätte für ein korrektes Bild der deutschen Halle zu sorgen und meine Texte seien “einfach nur Gossenlyrik & Asphaltschreiberei”, da passe das mit der Straßenzeitung doch sehr gut. Als ich darauf erwiderte, dass meine Gedichte sooo schlecht nicht sein könnten, wenn die "Neue Rheinische Zeitung" sie veröffentliche. Das Echo war wieder lautes Hohngelächter: „Was, is ja kein Wunder, diese mickrige MöchtegernZeitung, nicht Mal ne Printausgabe kriegen die hin... Peter Kleinert, dass ich nicht lache… Dieser Hochstapler...” Und dann habe ich in Havanna die Neue Rheinische Zeitung, so weit ich konnte, aus dem Kopf zitiert, die Artikel aufgezählt...

Ab 2011 hatten es meine Texte bei der jungen Welt besonders schwer und meine Gedichte waren immer zu lang ... 2010 zum internationalen Frauentag hatte Arnold Schölzel noch mein EMMAnzipation auf die Titelseite gesetzt: Auch die kürzesten, viel kürzer als die von Wiglaf Droste... auch meine Epigramme wurden nicht mehr gedruckt.

Lieber Peter, das wollte ich Dir noch Nacherzählen... Jetzt bist Du drüben, wo sie uns schon immer hingewünscht haben... mich würde es freuen, wenn Du drüben ab und zu Mal ein paar Gedichte von mir vorlesen würdest. Ein paar von dort drüben kennen mich sehr gut und haben lange mit mir zusammen Zeitungen, Musik und Lyrik gemacht. Grüß den Wolfgang, den Neuss und den Stryi und all die Anderen und macht richtig großes Lagerfeuer. Wenn ich rüberkomme, soll’s schön warm sein.


Siehe auch:

Fotogalerie zum Tod des NRhZ-Herausgebers Peter Kleinert
Der Tag der Freiheit steht bevor
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22520

In Erinnerung an meinen verstorbenen Freund Peter Kleinert!
Von Evelyn Hecht-Galinski
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22521


Online-Flyer Nr. 548  vom 10.02.2016

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