NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Die aktuellen BigBrotherAwards von Digitalcourage aus Bielefeld
Positivpreis für Edward Snowden
Von Heribert Prantl

Seit 2000 organisiert und verleiht Digitalcourage e.V. aus Bielefeld die BigBrotherAwards in Deutschland. (1) Neben Digitalcourage e.V. trägt eine große Zahl Bürgerrechts- und Netz-Organisationen die BigBrotherAwards. Die Jury ist in diesem Jahr mit Rena Tangens und padeluun (digitalcourage), Rolf Gössner (Internationale Liga für Menschenrechte), Sönke Hilbrans (Deutsche Vereinigung für Datenschutz), Frank Rosengart (Chaos Computer Club), Prof. Dr. Peter Wedde (Europäische Akademie der Arbeit der Universität Frankfurt) sowie für den Blog "Neusprech" mit Prof. Dr. Martin Haase und Kai Biermann besetzt. Ausnahmsweise gab es am 11. April nicht nur Negativpreise – z.B. für das Bundeskanzleramt – sondern auch einen Positivpreis, den Julia und Winston Award für Edward Snowden, zu dem SZ-Redakteur Prof. Dr. Heribert Prantl die folgende Rede hielt:
 
"In Berlin hat der Bundestag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der den NSA-Skandal aufklären soll. Das Seltsame dabei ist, dass die Mehrheit im Ausschuß den nicht hören will, der den Skandal aufgedeckt hat. Die CDU/CSU redet über Snowden, als habe er eine ansteckende Krankheit. Und die SPD widerspricht kaum. Das ist grober Undank.
Der Mann habe doch schon alles gesagt, was er wisse, heißt es; man brauche ihn doch daher gar nicht mehr zu vernehmen. Das ist vorweggenommene Beweiswürdigung. Die ist im gesamten Recht verboten; im Deutschen Bundestag auch. Snowden ist ein zentrales Beweismittel, das weiß jeder. Der wahre Grund dafür, warum man Snowden nicht einmal einladen will, ist der: die Kanzlerin Angela Merkel fürchtet, dass dann die Amerikaner pikiert und unwirsch reagieren, wenn sie im Mai in die USA reist. Das ist nicht nur hasenherzig. In ihrem Amseid hat die Kanzlerin geschworen, Schaden vom deutschen Volk zu wenden. Schaden wenden – das heißt: etwas gegen den Schaden zu tun, den die NSA anrichtet. Stattdessen tut die Bundesregierung so, als sei Snowden und nicht die USA der Schädiger.
 
Edward Snowden ist ein Aufklärer. Er hat die globale US-Großinquisition aufgedeckt und musste fliehen vor dem Großinquisitor. Er hat persönlich keinerlei Vorteile von seiner Whistlerblowerei, er hat nur Nachteile. Den Gewinn hat die Rechtsstaatlichkeit der westlichen Demokratien, sie könnte ihn haben, wenn diese den globalen Skandal zum Anlass nehmen, ihren Geheimdiensten Grenzen zu setzen.
Snowden ist also nicht nur Aufklärer, er ist auch Motivator. Er hat etwas Besseres verdient als ein wackeliges, zeitlich begrenztes Asyl in Russland. Die Amerikaner verfolgen ihn, als handele es sich bei Snowden um die Reinkarnation von Bin Laden. Dabei ist er nur ein einzelner Flüchtling; er ist ein Flüchtling, wie er im Buche steht. Wie soll, wie muss Deutschland mit Edward Snowden umgehen? Vor allem dankbar! Snowden hat Schutz und Hilfe verdient. Er ist ein klassischer Flüchtling. Man soll, man muss Edward Snowden einen stabilen Aufenthaltstitel für Deutschland geben. Man soll, man muss Edward Snowden freies Geleit gewähren. Das alles ist rechtlich möglich. Stattdessen tun die Politiker der großen Koalition so, als sei die Macht Amerikas in Deutschland rechtssetzend. Deutschland braucht Aufklärung über die umfassenden Lauschangriffe der USA. Aufklärung ist der Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit.
Snowdens Handeln mag in den USA strafbar sein, weil er US-Gesetze verletzt hat; wirklich kriminell sind aber die Zustände und die Machenschaften, die er anprangert. Snowden hat gegen US-Geheimhaltungsvorschriften verstoßen. Ist er deswegen Landesverräter? Nein. Verräter nennen ihn die, die selbst die Grundrechte verraten haben.
Snowden hat dem Rechtsstaat Nothilfe geleistet. Das verdient Anerkennung durch Justiz und Staat, in Deutschland und in Amerika. Snowden hat sich verdient gemacht um die rechtsstaatliche Demokratie. Er hat eine Diskussion in Gang gesetzt, die hoffentlich dazu führt, dass sich der Rechtsstaat schützt
vor den NSA-Angriffen, die ihn gefährden. Einen deutschen Orden braucht er nicht unbedingt; davon kann er nicht abbeißen. Aber er braucht Schutz und Hilfe.
„Unglücklich das Land, das keine Helden hat“, sagt Galileo Galileis Schüler Andrea Sarti im Theaterstück von Bert Brecht. Amerika kann sich also eigentlich glücklich schätzen, dass es einen Snowden hat. Galilei erwidert seinem Schüler Sarti wie folgt: „Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“. Das stimmt auch.
Snowden ist ein Symbol für den zivilcouragierten Widerstand eines Einzelnen gegen ein mächtiges staatliches System. Er ist ein Winzlings-David, der gegen einen Super-Goliath aufgestanden ist. Snowden hat Widerstand geleistet und er tut das immer noch.
Widerstand ist ein Wort, das man mit dem Aufbegehren gegen ein diktatorisches Regime verbindet. Widerstand ist aber auch in der Demokratie, auch im Rechtsstaat notwendig.
Widerstand heißt in der Demokratie nur anders: Er heißt Widerspruch, Zivilcourage, aufrechter Gang oder auch einfach - Edward Snowden.
Wenn Widerstand strafbar ist: Widerständler nehmen das in Kauf. Sie nehmen die Strafe oder die Mühen der Flucht in Kauf, um die Verhältnisse zu ändern, um Mißstände und Unrecht zu beseitigen.
Der verstorbene Rechtsphilosoph Arthur Kaufmann hat einmal vom Widerstand in der Demokratie als dem „kleinen Widerstand“ gesprochen. Dieser kleine Widerstand müsse geleistet werden „damit der große Widerstand entbehrlich bleibt“. Manchmal ist dieser angeblich kleine Widerstand aber ein ganz großer. So ist es bei Snowden. Sein Widerstand erfasst seine ganze physische und psychische Existenz.
Danke, Edward Snowden." (PK)
 
(1) Dazu finden Sie diese Artikel in NRhZ-Ausgaben der vergangenen Jahre:

Online-Flyer Nr. 350  vom 18.04.2012
In Bielefeld wurden die BigBrotherAwards 2012 verliehen
Sieben Datenmißbraucher ausgezeichnet
Von Peter Kleinert

Online-Flyer Nr. 299  vom 27.04.2011
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ Teil 4
Für Prof. Dr. Gert G. Wagner für "Zensus2011“
Von Werner Hülsmann

Online-Flyer Nr. 298  vom 20.04.2011
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie "Arbeitswelt“ – Teil 3
Für die Daimler AG in Stuttgart
Von Peter Wedde

Online-Flyer Nr. 297  vom 13.04.2011
BigBrotherAward für Ausspähung von Castor-Demonstranten im Wendland
Preisträger Minister Uwe Schünemann
Von Rolf Gössner

Online-Flyer Nr. 296  vom 06.04.2011
Zum elften Mal wurden die Deutschen BigBrotherAwards vergeben
Einer der "Preisträger" ist Facebook
Von Peter Kleinert

Online-Flyer Nr. 220  vom 21.10.2009
Big-Brother-Award neben anderen Preisträgern vor allem an Schäuble
Für den Abbau des Rechtsstaats
Von Rolf Gössner und Peter Kleinert

Online-Flyer Nr. 117  vom 17.10.2007
BigBrother-Laudatio für „Generalbundesanwalt“ Monika Harms
„Besonders frag- und preiswürdig“
Von Rolf Gössner

Online-Flyer Nr. 16  vom 02.11.2005
BigBrotherAwards 2005 an Schnüffler verliehen
Preisträger: Otto Schily und
DFB mit Franz Beckenbauer

Von Peter Kleinert


Online-Flyer Nr. 454  vom 16.04.2014

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE