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Inland
BigBrotherAwards 2005 an Schnüffler verliehen
Preisträger: Otto Schily und
DFB mit Franz Beckenbauer
Von Peter Kleinert

"Man bekämpft die Feinde des demokratischen Rechtsstaats nicht mit dessen Abbau, und man verteidigt die Freiheit nicht mit deren Einschränkung." - Diesen Satz konnte man 1978 in einer Erklärung der "Humanistischen Union" lesen. Unterschrieben hatte ihn auch Otto Schily, damals als Strafverteidiger der außerparlamentarischen Linken und besonders durch den Stammheimer RAF-Prozess bekannt geworden. Am vergangenen Freitag erhielt der amtierende Bundesinnenminister "für sein Lebenswerk" in Bielefeld von der "Internationalen Liga für Menschenrechte" und anderen Bürgerrechts- und Datenschutzgruppen den "BigBrotherAward 2005" verliehen. Der Name des Preises ist George Orwells Buch "1984" entnommen, in dem der Schriftsteller Ende der vierziger Jahre seine Vision einer künftigen Gesellschaft entwarf, die unter totaler Überwachung steht. Durch den BigBrotherAward wird seit fünf Jahren das abstrakte Thema Datenschutz durch konkrete Beispiele anschaulich und allgemein verständlich gemacht.

BigBrotherAwards erhielten beispielsweise in den vergangenen Jahren der Metro-Konzern für den Einsatz von RFID-Schnüffelchips, das Lkw-Mautsystem von TollCollect, Bill Gates´ Konzern Microsoft, die Payback-Kundenkarte, die GEZ für ihre Schnüffelmethoden sowie die Bundesagentur für Arbeit für ihren ALG-II-Fragebogen, das Bundeskriminalamt und andere. Bei der sechsten Preisverleihung wurden neben Schily im historischen Saal der Ravensberger Spinnerei mit BigBrotherAwards ausgezeichnet:

In der "Kategorie Politik" der hessische Minister des Inneren, Volker Bouffier, "für das präventive Orten und Abhören von Mobiltelefonen; für die DNA-Analyse bei Kindern unter 14 Jahren, die eine Straftat begangen haben, zu deren zukünftiger Strafverfolgung; für die Befugnis der hessischen Polizei, Kfz-Kennzeichen auch ohne Straftatverdacht zu scannen und für den Einsatz von Videoüberwachung bei Personenkontrollen."

Christian Wulff verstößt gegen EU-Beschluss

In der "Kategorie Behörden und Verwaltung" der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Christian Wulff für die Zerschlagung der Datenschutzaufsicht in Niedersachsen. Die Aufsicht über den Datenschutz in der Wirtschaft soll ab 1.1.2006 dem niedersächsischen Innenministerium zugeordnet werden. Dies konterkariert nach Ansicht der Preisverleiher - darunter der Bielefelder "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V." (FoeBuD) und der "Chaos Computer Club" - "den aktuellen Beschluss der EU, der die völlige Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht fordert."

In der "Kategorie Technik" wurde für den "Sammelpreis Videoüberwachung" kein einzelner Preisträger benannt, weil nach Ansicht der Jury eine größere Anzahl "ganz eifriger Überwachungsfetischisten für die schleichende Degradierung von Menschen zu überwachten Objekten und der Verharmlosung der Folgen von flächendeckender Überwachung" verantwortlich sind oder diese planen - wie beispielsweise auch der Rat und die Verwaltung der Stadt Köln.

In der "Kategorie Kommunikation" wurde der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Schleswig-Holstein, Erhard Rex, für die großflächige Fahndung nach Zeugen (die wie Verdächtige behandelt wurden) mittels Handy-Ortung ausgezeichnet. Mobilfunkunternehmen wurden durch seine Staatsanwälte zur Herausgabe sämtlicher Verbindungsdaten einer Region gezwungen. Die Einsicht in die zugehörigen Akten wurde den Datenschützern des Landes Schleswig-Holstein, die den Fall prüfen wollten, verweigert.

Inquisitorische Fragebögen zur WM 2006

In der "Kategorie Verbraucherschutz" erhielt den Preis das WM-Organisationskomitee des Deutschen Fußballbundes (DFB), vertreten durch Franz Beckenbauer, "für die inquisitorischen Fragenbögen zur Bestellung von WM-Tickets, für die geplante Weitergabe der Adressen an die FIFA und deren Sponsoren und für die Nutzung von RFID-Schnüffelchips in den WM-Tickets und damit den Versuch, eine Kontrolltechnik salonfähig zu machen - zum Nutzen eines WM-Sponsors (RFID-Hersteller Philips)".

In der "Kategorie Wirtschaft" erhielt die Saatgut Treuhand Verwaltungs GmbH, vertreten durch Geschäftsführer Dirk Otten, den Preis. Sie hatte im Dienste der Saatgutindustrie eine zentrale Datensammlung über Bauern in Gang gebracht und mehrere tausend Landwirte verklagt, weil diese die Auskunft verweigerten. Darüber hinaus hatte sie Kundendaten von Genossenschaften beschafft und verdeckte Testeinkäufe bei Bauern gemacht, weil die Saatgut Treuhand diese verdächtigte, Kartoffeln oder andere Feldfrüchte aus ihrer eigenen Ernte zur Aussaat im nächsten Jahr verwenden zu wollen.

Grundschule bedient Geldinstitute

In der "Kategorie Regional" wurden die Grundschule Ennigloh bei Bünde sowie die Volksbank Bad Oeynhausen Herford eG und die Sparkasse Herford ausgezeichnet - für die Weitergabe der Namen von Schulanfängern an diese Geldinstitute zum Zwecke der Werbung für ein "Startkonto", ohne dass die Eltern der Kinder eingewilligt hatten.

Laudator Dr. Rolf Gössner
Laudator Dr. Rolf Gössner
Foto: Heide Schneider-Sonnemann


Man könne, so Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt, Publizist, und Sprecher der "Internationalen Liga für Menschenrechte", im Rahmen dieser Verleihung einer "so schillernden Persönlichkeit wie Otto Schily und seiner gesamten Lebensleistung" natürlich nicht voll gerecht werden. Deshalb müsse er sich in seiner Laudatio auf den einstigen Freund von Rudi Dutschke und Verteidiger von Gudrun Ensslin auf eine knappe Auswahl von dessen "Verdiensten" beschränken:

Preisträger Dr. Otto Schily
Preisträger Dr. Otto Schily
Foto: NRhz-Archiv


"Otto Schily erhält den BigBrother-Lifetime-Award 2005 ganz aktuell für die übereilte Einführung des biometrischen ePasses mit unausgereifter Technologie und ohne parlamentarische Legitimation, darüber hinaus für seine "Verdienste" um den Ausbau des deutschen und europäischen Überwachungssystems auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte, für seine hartnäckigen Bemühungen um die Aushöhlung des Datenschutzes und der Informationellen Selbstbestimmung unter dem Deckmantel von Sicherheit und Terrorbekämpfung - Stichwort:"Antiterror"-Gesetze (auch "Otto-Kataloge" genannt), für seine maßgebliche Mitwirkung am Großen Lauschangriff sowie für seine Angriffe auf die Unabhängigkeit des Bundesdatenschutzbeauftragten."

Big Brother in den DuMont-Zeitungen?

Die "Frankfurter Rundschau" brachte Dr.Gössners Schily-Laudatio im Wortlaut und berichtete ausführlich über die Preisverleihung. Dagegen bekamen die Online-Leser des "Kölner Stadt-Anzeiger" zwar in 19 dpa-Zeilen die Auszeichnung des DFB und Franz Beckenbauers samt Begründung ausführlich mitgeteilt. Die Auszeichnung Schilys, des Generalstaatsanwalts und der Saatgut Treuhand waren der Redaktion dagegen nur fünf Zeilen wert. Die Preise für die CDU-Minister Wulff und Bouffier sowie die Videoüberwachung in den Städten wurden nicht einmal erwähnt. Stattdessen informierte der KStA ausführlich darüber, dass Angela Merkels gescheiterter Wahlkampfbegleiter, der Steuerexperte und Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhoff in Kassel am Samstag nach der BBA-Verleihung mit dem Jacob-Grimm-Preis vom "Verein Deutsche Sprache" ausgezeichnet wurde. Kirchhoff bedankte sich für die damit verbundenen 35.000 Euro Preisgeld unter Hinweis auf seine im Wahlkampf "vorgestellten Reformideen" übrigens mit dem Grimms-Märchen-Satz: "Wer sagt, das könne man dem Bürger nicht zumuten, der verkennt die Stärke unserer Demokratie in Deutschland."

Die ebenfalls zum Verlag M.DuMont Schauberg gehörende "Kölnische Rundschau" widmete   in ihrer Online-Ausgabe immerhin dem früheren BBA-Preisträger und Microsoft-Chef einen längeren Beitrag, allerdings ohne den aktuellen Preis zu erwähnen. Unter der Schlagzeile "Der scheue Milliardär - Bill Gates wird 50" wusste sie immerhin, dass dieser "auf eine einzigartige Karriere zurückblicken" könne.

Doch Alfred Nevens Lieblingsblatt EXPRESS rettete am Sonntag die Ehre des Kölner Verlags-Hauses, indem er in einer eigenen "BigBrother"-Rubrik gleich 22 Artikel ins Netz stellte. Hier einige der Überschriften: "Gina in Liebesnot", "Jetzt wird´s tuntig", "Gina: Sex für 5000 Euro?", "Sexy Littbarski-Tochter zieht ein", "Spontane Pärchen - Fummeleien in der Wanne", Schluss mit dem Promi-Koma!", und so weiter, und so fort...

Die vollständige Rede Rolf Gössners finden Sie unter:
http://www.bigbrotherawards.de/
http://www.rolf-goessner.de

Online-Flyer Nr. 16  vom 02.11.2005

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