NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

zurück  
Druckversion

Krieg und Frieden
Längst überfällige Schlachtung einer Heiligen Kuh
Wehrpflicht in Agonie
Von Jürgen Rose

Vor dreizehn Jahren, am 2. Oktober 1997, erschien in der als Renommierblatt der konservativen Intelligenzija hierzulande bekannten Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein ganzseitiger Artikel mit dem Titel „Die Allgemeine Wehrpflicht ist nicht mehr zu halten – Anmerkungen zu einer unerwünschten Debatte“. Mit diesem Beitrag sorgte ich zu jener Zeit für ungefähr so viel Furore in der wehrpolitischen Debatte wie unser junger Freiherr zu Guttenberg heutzutage mit seinen öffentlich angestellten Überlegungen zur künftigen Bundeswehrstruktur.
 

Wehrpflichtige Staatsbürger in Uniform
In diesem FAZ-Artikel hatte ich unter anderem notiert: „Da angesichts der Probleme mit dem Bundeshaushalt an eine Steigerung des Verteidigungs-budgets überhaupt nicht zu denken ist, kann eine Gesundung der desolaten Struktur des Vertei-digungshaushaltes ausschließlich durch Einsparungen bei den Personalausgaben erreicht wer- den. Um derartige Einsparungen im Personalhaushalt realisieren zu können, muß der Umfang der Bundeswehr drastisch reduziert werden – 200.000 Soldaten wären wohl das Maximum dessen, was sich unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen finanzieren ließe.“
 
Als Staatsbürger in Uniform unautorisiert das grundgesetzlich verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch genommen zu haben – zudem auf so prominentem Forum – zog damals umgehend disziplinare Ermittlungen und Vernehmungen nach sich, inklusive einer höchstpersönlichen Inquisition durch den Stellvertretenden Generalinspekteur der Bundeswehr, Vizeadmiral Hans Frank. Während Verteidigungsminister Volker Rühe ätzte, dass, wer sich für die Umwandlung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee ausspreche, nicht wisse, wovon er rede, schäumte sein Generalinspekteur Hartmut Bagger auf der Kommandeurtagung in Berlin, ein Oberstleutnant, der das fordere, müsse „sich überlegen, ob er nicht in einer anderen Armee dienen“ wolle.
 
Walter Kolbow, damals sicherheitspolitischer Sprecher der SPD, ließ mich nach einem Frühstück mit Rühe wissen, dieser hätte ihm mitgeteilt, daß er „die Schnauze voll von solcherlei Äußerungen gegen das System“ habe und seinen Adlatus Dr. Peter Wichert angewiesen hätte, sich um die „Causa Rose“ zu kümmern. Das tat dieser denn auch hingebungsvoll und sorgte für meine Strafversetzung ins Luftwaffenamt sowie ein abruptes Karriereende. – „Abkommandiert zum Sockenzählen“ kommentierte daraufhin süffisant Charima Reinhardt in der Frankfurter Rundschau. Dieses am eigenen Leibe erfahrene Paradebeispiel gelebter Innerer Führung in der Bundeswehr läßt es, so hoffe ich, verständlich erscheinen, daß ich ein klammheimliches Frohlocken nicht zu verhehlen vermochte, als zu Guttenberg jenen „Darth Vader aus dem Bendlerblock“(1) im Zuge der Kunduz-Affäre ohne viel Federlesens aufs Altenteil entsorgte.
 
Schlimm für die Bundeswehrgeneralität
 
Weitaus größere Genugtuung bereitet mir freilich, daß mit dem neuen Verteidigungsminister endlich ein Mindestmaß an verteidigungspolitischem Realitätssinn Einzug ins Amt gehalten zu haben scheint. Unter der Not der leeren Kassen steht nun die längst überfällige Schlachtung der als Heilige Kuh umhegten „Allgemeinen Wehrpflicht“ ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Manch mit dem gegenwärtigen Wehrsystem eng verwobenes Partikularinteresse wird dabei in Gefahr geraten. So werden jene Abgeordneten von SPD und CDU/CSU, die ihr Amt einem Direktmandat verdanken, wohl um ihre Wiederwahl zittern müssen, wenn in ihrem Wahlkreis aufgrund der Streitkräftereduzierung Garnisonen geschlossen werden. Die Bundeswehrgeneralität wiederum wird zukünftig mangels unterstellter Truppe wohl nicht mehr wie bisher über 200 fett besoldete Admirals- und Generalsdienstposten konservieren können. Und der Deutsche BundeswehrVerband läuft Gefahr, seinen Status als Spitzenverband zu verlieren, falls seine Mitgliederzahl unter 100.000 sinken sollte, weil es in Zukunft weniger SoldatInnen geben wird. Dann wird auch das schöne Privileg eines jederzeitigen unmittelbaren Vortragsrechtes beim Minister, das der Vorsitzende Oberst Ulrich Kirsch genießt, perdu sein.
 
Völlig kontraproduktiv
 
Doch können all diese wohlfeilen Opportunitätserwägungen nicht darüber hinwegtäuschen, daß der essentielle legitimatorische Kern der Allgemeinen Wehrpflicht bereits mit dem von der NATO 1990 erklärten Ende des Kalten Krieges entfallen war. Auf den Punkt gebracht hatte dies später auf der Kommandeurtagung der Bundeswehr in München 1995 der damalige Bundespräsident Roman Herzog, vormals selbst Verfassungsrichter, mit den Worten: „Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Einschnitt in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, daß ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist also kein ewig gültiges Prinzip, sondern sie ist abhängig von der konkreten Sicherheitslage.“ Delikaterweise behauptet nun auch der fanatischste Wehrpflichtverfechter nicht, daß der Bestand der Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel stünde, wenn die Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee umgewandelt würde. Ohnehin gilt eher das Gegenteil: Die Aufrechterhaltung des anachronistischen und völlig überflüssigen Zwangsdienstes – der Ur-Liberale Sir Lord Dahrendorf bezeichnete ihn als eine „milde Form von Zwangsarbeit“ – bindet wertvolle Ressourcen, die für andere Zwecke viel dringender benötigt würden. Zum Beispiel für die Schaffung einer europäischen Armee im Rahmen einer »Europäischen Verteidigungsunion«. Gerade auch unter dem Aspekt eines europäischen Integrationsprozesses, der, was die friedenspolitische Einhegung überdimensionierter Militärapparate betrifft, auf ein Ende der nationalen Verfügbarkeit über Streitkräfte gerichtet sein muß, ist das deutsche Wehrpflichtsystem völlig kontraproduktiv. Daher muß und wird es enden, eben weil es sachlich nicht zu rechtfertigen, zu teuer und zu ineffizient ist, den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands schadet und nicht mehr dem Geist der Verfassung entspricht. (PK)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14562
 
 
Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung „Darmstädter Signal“. Sein zuletzt erschienenes Buch:
„Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt?“
Hannover 2009, Verlag Ossietzky, ISBN 978-3-9808137-2-3.
Mit einem Geleitwort von Werner Ruf und einem Nachwort von Detlef Bald.
Eine Rezension von Wolfgang Effenberger finden Sie in der NRhZ unter diesem Link:


Online-Flyer Nr. 255  vom 23.06.2010

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE