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Krieg und Frieden
Jürgen Roses Buch "Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt?"
Gegen die Uniformierung des Denkens
Von Wolfgang Effenberger

Im Oktober 1997 fiel der damals 39-jährige Oberstleutnant Jürgen Rose, Sohn des WKII-Jagdfliegers Hans-Joachim Rose, mit seinem Artikel „Die allgemeine Wehrpflicht ist nicht mehr zu halten“ nicht nur den Lesern der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf. Aufgeschreckt und anscheinend verunsichert nahmen die Vorgesetzten Einfluss auf die bis dahin mustergültige Karriere des jungen und vielversprechenden Stabsoffiziers. Mit der folgenden Strafversetzung an das Luftwaffenamt Köln-Wahn wurde zwar die militärische Karriere beendet, dafür sollte aber eine publizistische beginnen.

Antikriegsbuchautor und Oberstleutnant – 
Jürgen Rose
NRhZ-Archiv
Seither sind Roses Artikel in den Wochenzeitschriften wie "Der Freitag", der "Neuen Rheinischen Zeitung" oder "Ossietzky" legendär. Das brachte ihm dann weitere Strafversetzungen und Disziplinarbußen bis hin zu 3.000 Euro ein. Doch damit stieg auch sein Bekanntheitsgrad. Nun entwickelte sich Rose zum gern gesehenen Vortragsredner in den Aulen von Universitäten und  Talk-Shows bemühen sich um ihn als Gast. Das militärische Umfeld dieses kritisch hinterfragenden und unbeugsamen Soldaten ist dem Rezensenten als langjährigem Zeitsoldaten und Wehrübenden wohlvertraut.
 
Als überzeugter Demokrat streitet Oberstleutnant Rose für den vom Grafen Baudissin beschworenen "Staatsbürger in Uniform". Dazu verteidigt er gemäß seinem Schwur auf das Grundgesetz auch die elementaren Rechte des Staatsbürgers. Derart dem Grundgesetz verpflichtet, macht Rose in seinem beachtenswerten Buch "Ernstfall Angriffskrieg – Frieden schaffen mit aller Gewalt?" (1) den Lackmus-Test für die derzeit gängige "Verteidigungs- und Sicherheitspolitik".
  
Tiefrot verfärbt sich der Teststreifen in der kompetenten Hand von Rose. Seine fundierten und das Buch bereichernden Rechtskenntnisse stammen unter anderem aus seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am "Institut für Internationale Politik, Sicherheitspolitik, Wehrrecht und Völkerrecht" an der Universität der Bundeswehr München. Anschließend wechselte Rose an das "George Marshall European Center for Security Studies" in Garmisch Partenkirchen. Dort erhielt er seine Einblicke in die geostrategischen Zusammenhänge der US-Politik. Mit derartig geschärftem Blick deckt Rose die scheunentorgroße Lücke im deutschen Strafgesetzbuch auf. Seiner Ansicht nach wurde in den Jahren 1999 (Kosovo), 2001 (Afghanistan) und 2003 (Irak) diese Lücke von all den "regierungskriminellen Drahtziehern" – der in mit teils unmittelbarer, teils indirekter Unterstützung durch die Bundesrepublik Deutschland geführten Angriffskriege – benutzt, sich völlig unbehelligt dem Zugriff der Strafjustiz zu entziehen.
 
Nicht beteiligt am Irak-Krieg?
 
Rose diagnostiziert, daß Paragraph 80 StGB in seiner jetzigen Fassung das Verbrechen des Angriffskriegs und die Beihilfe dazu von Strafe freistellt. Ohnmächtig verweist Rose auf die Auslegung des Generalbundesanwaltes. Danach macht sich zwar strafbar, wer einen Angriffskrieg vorbereitet, nicht aber, wer ihn auslöst und führt. Rose erscheint es absurd und unverständlich, daß ein Verbrechen, dessen Vorbereitung schon strafbar ist, selbst nicht unter Strafe steht. Auch tritt Rose der Mähr von der Nichtbeteiligung Deutschlands am Irak-Krieg entgegen. Noch vor Kriegsbeginn wurden bis zu 5.000 Bundeswehrsoldaten aus Spezialfunktionen herausgezogen, um als Wach- und Sicherungspersonal US-Liegenschaften zu schützen. Damit deckten sie den Abzug von 30.000 US-Soldaten (nach mehr als drei Jahren waren noch etwa 180 Soldaten für die Bewachung eingesetzt). Deutschland war und ist das logistisch-zentrale U.S.-Drehkreuz für alle Aktivitäten im Nahen und Mittleren Osten. Letztendlich müsste der geheimdienstliche Einsatz von zwei BND-Offizieren in Bagdad – von Schröder und Fischer abgesegnet – auch dem letzten rot-grünen Politiker klarmachen, dass sie Hilfswillige im Irakkrieg waren.
 
Mit der NATO-Doktrin an der UN vorbei
 
Engagiert zieht Jürgen Rose in diesem Buch gegen reaktionäre Tendenzen in der Bundeswehr, interventionistische Ambitionen der Bundesregierung sowie Angriffskriege des Bündnisses zu Felde.

Diese Kriege können mit der von Clinton im Frühjahr 1999 aus der Taufe gehobenen NATO-Doktrin an der UN vorbei geführt werden. Unter dem Mantel "Humanitärer Intervention" kann nun der Zugang zu Rohstoffen gesichert werden. Sollten die Ziele ausnahmsweise humanitär sein, so weist Rose darauf hin, dass es die Mittel mitnichten sind. Humanitäre Kriege gibt es nicht.
 
"Migrationsbewegungen" reichen als Interventionsgrund ebenfalls aus. Und dieser Grund wird – wie im Falle des Kosovo-Krieges – mit Kriegsbeginn gleich selbst geliefert. Letztendlich darf die Armee zur "Ressourcensicherung" als "Systemadministrator der Globalisierung auftreten". Diese Hütchenspielerei weist Rose scharf zurück. Er legt das Grundgesetz so aus, dass militärische Interventionen im Widerspruch zum Verfassungsauftrag stehen. Dieser bindet nationales Recht streng an das Völkerrecht. Interventionen aber werden zunehmend zur Praxis von starken NATO-Staaten – und bald wohl auch der EU. Ohne Auftrag der UN präsentieren sie sich dann als "internationale Gemeinschaft" oder "Koalition der Willigen".
 
Persönliche Konsequenzen
 
Als Oberstleutnant machte Rose auch persönlich mit seiner Auffassung ernst. Im März 2007 weigerte er sich, zur logistischen Unterstützung des Tornado-Einsatzes in Afghanistan beizutragen – konkret ging es um die Sicherstellung der Versorgung mit Flugbetriebskraftstoff auf dem Einsatzflugplatz in Mazar-i-Sharif.(2) Auch widersetzt er sich mutig der verlogenen Propaganda der Angriffskrieger, die er unumwunden Friedensverräter nennt. Der Rolle der Medienkrieger wird zwar nur ein kleiner, aber immerhin aufschlussreicher Absatz gewidmet. Dafür erhalten die Angriffskriegsverweigerer ein größeres Forum. Im Kampf für das Grundrecht des Einzelnen auf Meinungsfreiheit und für das Völkerrecht, das militärische Gewalt bändigen soll, stellt Rose amerikanische, britische und deutsche Soldaten vor, die wie er ihr Gewissen nicht am Kasernentor abgegeben haben.
 
Vorbild Kurt Tucholsky
 
Als leuchtendes Vorbild führt Rose Kurt Tucholsky an. In ihm sieht Rose einen der mutigsten und brillantesten deutschen Publizisten zu Zeiten der Weimarer Republik, der als radikaler Pazifist einen entschlossenen Kampf gegen den (Preußischen) Militarismus führte. Für ihn war Krieg ein „Kollektiverbrechen in Reinkultur ... privilegierter Mord ... organisierter Massenmord“. Während Rose nicht immer durch besondere Nachsicht bei seinen Gegnern aufgefallen ist, lässt er die andere Seite Tucholskys im Dunkeln. 1916 wurde der 26jährige Dr. Kurt Tucholsky zum Ost-Heer einberufen. Dort assistierte er „natürlich nur mit den Gerichtsakten“(3) als Schreiber bei Exekutionen. Ansonsten durfte er die Feldzeitung "Der Flieger" herausbringen. Im März 1918 stellt er fest, dass „unsere Offiziere und was ihnen nahe steht, bestimmt nicht am Krieg schuld“(4) sind. Dann folgte die Versetzung zur Feld-Polizei ins rumänische Turn-Severin. Um dort Offizier werden zu können, ließ sich Tucholsky evangelisch taufen. Ende September 1918 erhielt er das "Verdienstkreuz für Kriegshilfe" wegen seines Kriegsanleihe-Werbegedichtes "Trotzdem“. Tucholskys antipolnische Agitation im "Pieron" beantworteten die USPD-­Zeitungen 1920 mit einem Schreibverbot. „Auf beiden Seiten ist gemordet und spioniert worden... bestialische Untaten sind verübt worden und ungesühnt geblieben.“ wird sich Tucholsky 1929 an die deutsch-polnischen Kämpfe erinnern und öffentlich bedauern, da mitgemacht zu haben: „ich hätte es nicht tun dürfen, und ich bereue, was ich getan habe (5)“. Diese Einsicht Tucholsky möchte man heute auch allen an den Angriffskriegen und Interventionen Beteiligten wünschen!
 
Das Buch von Jürgen Rose rüttelt auf. Es mahnt das Leitbild des Bürgers in Uniform an, stemmt sich gegen die Uniformierung des Denkens und plädiert für die Herrschaft des Rechts. Es sollte Einzug in die Bibliotheken von Schulen und Universitäten finden. (PK)
 
(1) Vgl. Rose, Jürgen: Gewissen statt Gehorsam Krieg und Frieden - Vorabdruck aus “Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt“, in NRHZ-Online-Flyer Nr. 212  vom 26.08.2009
(2) Vgl. Rose, Jürgen: „Aufklären, damit die anderen bomben können. Dokumentation. Antrag des Oberstleutnants Jürgen Rose, von allen dienstlichen Aufgaben bei einem Tornado-Einsatz in Afghanistan entbunden zu werden“, Freitag, 23. März 2007, S. 7. und Interview mit Tornado-Einsatzverweigerer Oberstleutnant Rose von Peter Kleinert in NRhZ-Online-Flyer Nr. 87  vom 21. März 2007 „Völkerrechts- und Verfassungsbruch!“, siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=10658

(3) Am 18. Februar 1917 im Stab der Artillerie-Fliegerschule Ost, Kurt Tucholsky: Briefe 1913-1935, Reinbek 2005, S. 47
(4) Kurt Tucholsky: Briefe 1913-1935, Reinbek 2005, S.56
(5) Tucholsky, Kurt. Gesammelte Werke. Bd. 7, S. 105
 
Jürgen Rose "Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt?", Taschenbuch, 268 Seiten, ISBN 978-3-9808137-2-3, 20,00 EUR / zzgl. 1,50 EUR Versandkosten, Verlag Ossietzky, http://www.ossietzky.net/buecher&textfile=720

Online-Flyer Nr. 229  vom 23.12.2009

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