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Kultur und Wissen
Unsere Reise nach St. Petersburg
Gelebte Freundschaft
Von June Kelly, Peter Betscher, Elke Zwinge-Makamizile, Markus und Eva Heizmann
In zwei fusionierten Reisegruppen waren wir während der weißen Nächte in St. Petersburg unterwegs. Unsere Reisegruppe kam frühmorgens an, wo die Stadt noch leer war – bis auf ein paar letzte Nachtschwärmer und die ersten Straßenreinigungsfahrzeuge. Da wir erst um 14:00 Uhr einchecken konnten, haben wir erst mal gefrühstückt und sind auf das Restaurant Nr.1. gestoßen. Solche kantinenähnliche Restaurants gibt es viele in St. Petersburg. Man kann dort preisgünstig essen. Das Essen ist zwar keine Haute Cuisine, aber frisch und solide. Tagsüber muss man sich allerdings einige Zeit anstellen. Zu unserer Überraschung waren an den Wänden des Restaurants lauter Grafiken aus der Sowjetzeit.
Zuerst hat June Kelly aus Irland das Wort, die darüber berichtet, wie sie zu ihrer langersehnten Reise nach Russland kam und was ihr im Vorfeld alles geschehen ist.
Lang ersehnte Reise nach Russland Juli 2025
Seit meiner Kindheit war es mein Traum, eines Tages Russland zu besuchen. Als mein Lehrer die Klasse der 5-Jährigen (vor 72 Jahren) aufforderte, ein Bild von einer Person oder einer schönen Szene zu malen, zeichnete ich aus der Erinnerung die Basilius-Kathedrale in Moskau, die ich auf einem Foto in einem Weltatlas gesehen hatte, der im Bücherregal neben dem Sessel meines Vaters im Wohnzimmer unseres Hauses in meiner Geburtsstadt Launceston in Tasmanien stand.
Der Lehrer erkannte meine 5-jährige Version der Basilius-Kathedrale und fragte mich, warum ich eine Szene aus einer Stadt in der UdSSR gezeichnet hätte. Ich antwortete: „Wegen der Schafsfelle“.
Bis Anfang der 1950er Jahre war es in Australien noch akzeptabel, von der UdSSR als Verbündeten im Zweiten Weltkrieg zu sprechen.
In Tasmanien war es sogar noch Ende der 1950er Jahre ein Gesprächsthema unter den Mitgliedern der Australian Water Side Workers' Federation, wie sie und ihre Kollegen im Bundesstaat Victoria Tausende Ballen australischer Schafsfelle auf Schiffe verladen hatten, die in die sowjetische Stadt Leningrad unterwegs waren, die von den deutschen Nazi-Truppen blockiert war und wo über eineinhalb Millionen Menschen an Hunger und Kälte sowie durch massive Bombardements der Nazi-Achsenmächte starben. Die Blockade dauerte 872 Tage.
Die russische Sektion des Australischen Roten Kreuzes und das Komitee „Sheepskins for Russia“ (Schafsfelle für Russland) waren ebenfalls an dem Schafsfellprojekt und anderen Hilfsaktionen für Russland beteiligt.(1)
Im Jahr 2025 hatte ich das große Glück, mit meinen Freunden und Genossen nach Leningrad, das heute St. Petersburg heißt, reisen zu können. Ermöglicht wurde meine Reise durch meine Mitreisende Elke aus Berlin, die unsere Flüge und die Hotelunterkunft über die ausgezeichnete russische Reiseagentur Ada Reisen in Berlin gebucht hat. Ada Reisen buchte für uns bei Pegasus Airlines und reservierte unsere Unterkunft im Citytel Hotel Oktiabrskaya im Zentrum von St. Petersburg. (2)
Aufgrund der westlichen Sanktionen gegen Russland teilte mir mein Reisebüro in Irland mit, dass eine Buchung von Irland nach Russland nicht möglich sei. Es war auch nicht möglich, in Irland Rubel zu kaufen. Bei unserer Ankunft in St. Petersburg stellten wir fest, dass keine unserer Kredit- oder Debitkarten funktionierte und auch die Revolut-Karte in Russland nicht funktionierte. Wir waren auf Wechselstuben angewiesen, um unsere Euros zu wechseln – das war kein Problem, da es in der Nähe unseres Hotels zahlreiche Wechselstuben gab.
Zu unseren Flügen: Die einzige Möglichkeit, Russland mit dem Flugzeug zu erreichen, war ein Flug von Berlin über Istanbul nach St. Petersburg. Unser Rückflug nach Berlin hatte in St. Petersburg aufgrund ukrainischer Drohnenangriffe auf russisches Territorium eine Verspätung von 9 Stunden.
Nachdem ich die Flugtickets und die Hotelunterkunft gebucht und einen Gutschein vom Hotel sowie eine Reiseversicherung abgeschlossen hatte, brauchte ich nur noch ein Visum für die Einreise nach Russland.
Im März 2022 hat die Regierung des „neutralen“ Irlands den russischen Botschafter zusammen mit drei weiteren hochrangigen Mitarbeitern der Botschaft aus Irland ausgewiesen. (3) Ich hatte daher Glück, dass die Botschaft wieder geöffnet war. Der Konsul der Botschaft hatte mein Visum innerhalb einer Woche in meinen Reisepass gestempelt. 77 Euro für einen einwöchigen Besuch.
Vor meiner Reise nach Russland erkundigte ich mich bei meiner Hausbank in Irland nach dem Kauf von Rubel, da ich eine Reise nach Russland unternehmen wollte. Meine Frage wurde von den Bankmitarbeitern mit großer Begeisterung und guten Wünschen aufgenommen und, wie ich sagen muss, mit Zustimmung. Die Bankmitarbeiter entschuldigten sich dann, da es nicht möglich war, Rubel bereitzustellen.
Im Vergleich dazu erwähnte ich gegenüber Bekannten in der Labour Party (Irland) und Sinn Fein, dass ich nach Russland reisen würde. Ihre gemeinsame Reaktion war Schock, Entsetzen und Empörung, gefolgt von einem Vortrag darüber, warum ich Russland nicht besuchen sollte. Als ich ihnen zuhörte, hätte ich genauso gut die BBC oder CNN oder den irischen Staatsrundfunk RTE mit ihrer verwerflichen antirussischen Version der Nachrichten hören können.
Mein Mann John und ich leben seit 1988 in Irland. John ist 2024 verstorben. Er war fast 91 Jahre alt und teilte meinen Wunsch, eines Tages das Land zu besuchen, dessen Truppen so heldenhaft an der Seite ihrer Kameraden aus der gesamten Sowjetunion gekämpft hatten, um ihre Heimat von den Kräften des Nationalsozialismus und Faschismus zu befreien. Die Sowjetunion verlor im Zweiten Weltkrieg mindestens 27 Millionen Menschen im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Stellen Sie sich das vor. Australien verlor im Zweiten Weltkrieg 30.000 Soldaten. Australien hätte noch viel mehr Soldaten verloren, wenn die sowjetischen Truppen damals den Krieg gegen die Nazis nicht gewonnen hätten.
Es war ein wunderschöner Anblick aus dem Fenster unseres Flugzeugs, als wir uns St. Petersburg näherten. Der Sommerhimmel um 1 Uhr morgens. Schwarz, purpurrot, orange und marineblau in Schichten vom Boden bis zum Horizont in den frühen Morgenstunden des 1. Juli 2025. Atemberaubend. Dramatisch. Wir sind um 1:45 Uhr nachts gelandet. Wir nahmen ein Taxi für die etwa 30-minütige Fahrt zu unserem Hotel. Es war hell, obwohl es erst 2 Uhr morgens war. „Weiße Nächte“. Unsere Zimmer waren erst um 14 Uhr fertig. Wir gaben unser Gepäck im Hotel ab und begannen unseren Spaziergang durch das Stadtzentrum in diesen frühen Morgenstunden. Die breiten Straßen waren leer, keine Autos, Busse, Straßenbahnen und Menschen. Kaum ein Geräusch, abgesehen von unserem leisen Geplapper. Wir standen an der Ampel und konnten fast nicht glauben, dass wir in St. Petersburg waren. Wenn man bedenkt, was diese Stadt während der Blockade und der Bombardierung durchgemacht hatte. Im Laufe des Tages fiel uns auf, dass die meisten Menschen Englisch sprachen und sehr daran interessiert waren, ob wir aus dem Westen kamen. Sie bedankten sich bei uns und wünschten uns alles Gute für unseren Aufenthalt in Russland. Wir hatten Gelegenheit, mit vielen Einheimischen zu sprechen. Diejenigen, mit denen wir sprachen, waren sehr stolz darauf, Russen zu sein, und sehr stolz auf ihr Land. Wir antworteten, dass wir unsere Solidarität mit Russland zum Ausdruck bringen wollten und dass es eine Ehre und ein Privileg sei, in diesem tapferen, heldenhaften Land zu sein.

Blick aus dem Flugzeugfenster bei der Ankunft in Leningrad um 1 Uhr morgens (Fotos: June Kelly)

Nur meine Mitreisenden sind um 3.30 Uhr morgens auf den Straßen von St. Petersburg in der Nähe unseres Hotels am Ligovsky Prospekt zu sehen.

Unsere Füße um einen kunstvollen Kanaldeckel

Die leeren Straßen in der Nähe unseres Hotels um 3:30 Uhr morgens. Innerhalb weniger Stunden werden diese Straßen voller Menschen sein, die zur Arbeit, zur Universität, zum Einkaufen oder zu Besichtigungen eilen...

„Weiße Nächte”. Die leeren Straßen in der Nähe unseres Hotels um 3:30 Uhr

Bevor die Menschenmassen auftauchen. Nur unsere Gruppe am frühen Morgen auf der Rolltreppe in der Metro in Leningrad.
Gespräch mit Mitgliedern der Kommunistischen Partei Russische Föderation (KPRF) in St. Petersburg
Zusammenfassung des Gesprächs von Peter Betscher
Die andere Reisegruppe, mehrheitlich bestehend aus Mitgliedern der Marx-Engels-Gesellschaft, organisierte ein Gespräch mit 3 Vertretern der Kommunistischen Partei. Unsere Gesprächspartner waren Roman Kononenko, 1. Sekretär der KPRF St. Petersburg, Andrej Bilatow, 2. Sekretär, und Alexander Robovkin, der für die Informationsarbeit der Partei zuständig ist.

Beide Reisegruppen bei der KP St. Petersburg
Peter Krämer wies nach der Begrüßung darauf hin, dass es in Deutschlands eine große antirussische Propaganda gibt und einen großen Hass gegen Russen. Dieser Hass wird von den Politikern und den Medien geschürt. So wurden zum Beispiel zum 9.Mai, zum Tag des Sieges, die Vertreter Russlands ausgeladen. Die Repression geht so weit, dass auch Symbole von damals, zum Beispiel die Fahne der siegreichen Sowjetarmee verboten sind. Worauf Roman Kononenko antwortete: „Wir verstehen sehr gut, dass die antirussische Propaganda in Deutschland sehr aktiv geworden ist. Heutzutage wird sogar über das sogenannte Kulturverbot gesprochen, welches verhängt werden soll oder schon verhängt wurde. Obwohl die heutige Situation gewiss nicht einfach ist, sind wir dennoch fest davon überzeugt, dass sich das irgendwann wieder ändern wird. Wofür wir uns heute mit allen unseren Kräften einsetzen müssen, ist einen drohenden Krieg zu verhindern. Dies ist das allerwichtigste, das kommt vor allem anderen.
Die kommunistische Partei wäre inzwischen die größte Oppositionspartei in Russland (Anm.: bei den Duma-Wahlen 2021 erzielte die KPRF 18,9 % der Wählerstimmen), aber unterstütze alle Beschlüsse der Spezialoperation durch die der Regierung und viele Genossen würden an der Front kämpfen. Deshalb bekäme man von anderen KPs, vor allem aus dem Westen, den Vorwurf der Unterstützung des Krieges zu hören. Die Spezialoperation hätte das Nationalbewusstsein der Bevölkerung gefestigt, und der weitaus größte Teil der Bevölkerung möchte die Fortführung der Spezialoperation. „Wir unterstützen diesen Krieg nicht nur, wir nehmen daran teil. Wir müssen daran teilnehmen, es gibt keine Alternative.“
In der Struktur der Partei gäbe es eine Lücke zwischen 70 Jahren und älteren Genossen und der neuen Generation um die 40. „Dies deswegen, weil die Leute, die in den 90er Jahren – also während des Sturzes der Sowjetunion – jung waren, haben die negative Einstellung, zur kommunistischen Partei, die ihnen damals eingeimpft wurde, behalten.“ Ein wichtiger Teil der Parteiarbeit gälte der Jugendarbeit und hier vor allem der richtigen Darstellung der russischen Geschichte.
Russland wäre schon seit jeher ein multinationales und multikulturelles Land gewesen. Russen sind es gewohnt, über nationale Grenzen hinweg zu denken. Russland und Europa hätten seit 1000 Jahren Beziehungen, die keine Propaganda zerstören könne. „Die heutigen Widersprüche gibt es zwischen den Regierungen, nicht zwischen den individuellen Menschen, nicht zwischen den Völkern.“
Die Schwierigkeiten, mit denen die KPRF konfrontiert wäre, führten sie einerseits auf die russische Regierung zurück, die aus vielen Antikommunisten bestehen würde, obwohl manche von ihnen eine kommunistische Vergangenheit hätten. Andererseits auf die vielen nationalistischen Parteien und Bewegungen, die von der Regierung unterstützt würden. Darüber hinaus würden ihnen die orthodoxe Kirche und die Liberalen feindlich gegenüber stehen. Seit der Corona-Krise sei es schwierig Kundgebungen in St. Petersburg zu veranstalten. Russland wäre eine Föderation und in vielen anderen Regionen könne man frei demonstrieren. Deshalb poche die KPRF auf freies Versammlungsrecht. Sie setzt sich für Volksreferenden, Sozialumfragen, Verstaatlichung von öffentlicher Daseinsfürsorge und die Aufhebung der Rentenreform ein (der Renteneintritt wurde bei Männern von 60 auf 65 Jahre und bei Frauen von 55 auf 60 Jahren gegenüber Sowjetzeiten erhöht). Eine weitere Erhöhung um 5 Jahre konnte durch die KPRF verhindert werden. Die Partei habe momentan keinen entscheidenden Einfluss auf die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften würden noch wie zu Sowjetzeiten funktionieren, indem sie in erster Linie die Produktion unterstützen und sich nicht durch die geänderten politischen Verhältnisse für die Arbeiter einsetzen. Das gegenwärtige System in Russland würde bewirken, dass sich die Gewerkschaften verzetteln, es gäbe keine große Einheitsgewerkschaft.
Die russische Politik hinge zurzeit sehr von der Person Wladimir Putin ab. Aber wer in Russland an Stabilität interessiert wäre, könne im Moment nicht an einem Wechsel interessiert sein. Um die Jahrhundertwende hätte Putin zuerst die Politik der Jelzin-Ära fortgeführt, woraus die heutigen Probleme Russlands durch die NATO-Osterweiterung resultieren würden. Zur russischen Außenpolitik wurde in erster Linie die Ukraine-Politik und das Engagement mit den BRICS-Staaten als positiv hervorgehoben, aber die BRICS wären noch keine stabile Organisation. Mit der KP China hat die KPRF einen Vertrag über gegenseitigen Austausch.
Roman Kononenko fasste die Programmpunkte der KPRF Russlands gegen Ende des Gesprächs knapp zusammen: „Wir stehen für die Diversität der russischen Wirtschaft. Die kommunistische Partei verzichtet nicht auf das Privateigentum. Wir beharren jedoch darauf, dass Großproduktionen, Rohstoffe, Landwirtschaft und jeder andere im vitalen Interesse des Landes liegende Sektor verstaatlicht werden soll. Wir haben dafür ein Programm ausgearbeitet, auch um die Weiterentwicklung des Landes finanzieren zu können. Die soziale Sicherheit der Menschen muss gewährleistet sein.“
Besuch der Nationalbibliothek
Markus und Eva Heizmann ist es gelungen über einen Bekannten den Kontakt zur Leiterin der Nationalbibliothek St. Petersburg herzustellen und eine Führung zu vereinbaren. Er beschreibt in einem fundierten Artikel „Die Russische Nationalbibliothek in Leningrad“ in dieser Ausgabe der NRhZ die wechselvolle Geschichte der Nationalbibliothek.

Besuch in der Nationalbibliothek
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=29539
Elke Zwinge-Makamizile beschreibt unseren Aufenthalt auf dem Piskarowskoje-Friedhof.
Der Weg zum Piskarowskoje-Friedhof und unser Aufenthalt dort.
Der Piskarowskoje- Friedhof liegt außerhalb des glanzvollen, kulturreichen, vibrierenden Zentrums der Stadt mit Eremitage, Russisches Museum, Nationalbibliothek, Peter und Paul-Festung, Marinskij-Theater u.v.m. Das Ziel ist leicht zu erreichen. Wir fahren von der zentral gelegenen Metro-Station Mayakovskaya zur Station Mushestva im Norden. Die Strecke führt unter der Newa her. Sehr tief nach unten führen die Rolltreppen. Die St. Petersburger Metro ist eines der tiefstgelegenen U-Bahn-Systeme der Welt. 1955 wurde die Metro als Leningradskij Metropoliten eingeweiht. Ich betrachte sie als Geschenk der politischen Führung an die Leningrader Bevölkerung, die damit ihre eigenen Paläste und eine verbesserte Lebensqualität erhielt. Sie gilt auch heute als eine der architektonisch schönsten der Welt.
Mit Metro und Bus erreichen wir den Piskarjowskoje-Gedenkfriedhof. Am 9.5.1960 wurde die Gedenkstätte nach einer 4-jährigen Bauzeit eingeweiht.
Der Friedhof ist die Massenbegräbnisstätte für 470.000 Einwohner Leningrads und 50.000 Soldaten, eine Gedenkstätte zu Ehre und Ruhm der Verteidiger der Stadt, die während 871 Tagen von der deutschen Wehrmacht bombardiert und ausgehungert wurde. Vom 8. September 1941 bis zum 27.1.1944 wollte das faschistische Hitler-Regime die symbolträchtige Stadt nicht erobern und besetzen – sondern durch eine Blockade langsam durch Hungertod strangulieren und vernichten.
Wir gehen über das riesengroße Gelände zur ewigen Flamme, über die große Allee an 186 Massengräbern vorbei. Wir nähern uns der zentralen Skulptur Mutter Heimat und dem Ehrenmal für die Soldaten der Roten Armee. Wir legen unsere Nelken nieder. Wir gedenken.
Worte einer Gedenkveranstaltung in Berlin am 27. Januar 2023 kommen mir in den Sinn; „Für dreieinhalb Millionen Menschen innerhalb des Belagerungsrings war die Blockade ein Todesurteil ohne Beispiel in der Geschichte. Ein genozidales Verbrechen.
Es gab Tage, da erfroren und verhungerten 6000 Menschen. Sie fielen einfach um, überall - auf Straßen, Krankenhausfluren, Hinterhöfen. Sanitätstrupps hielten mit der Bergung nicht Schritt. Die Bilanz war schauerlich. Als die Belagerung nach genau 871 Tagen, am 27. Januar 1944, beendet war, hatten rund 1,1 Millionen Leningrader ihr Leben verloren - verhungert, erfroren, verreckt im Hagel von 100.000 Fliegerbomben. Eine weitere Million Soldaten der Roten Armee starb bei der Verteidigung Leningrads. Nie hat eine Stadt Vergleichbares erlitten. 40 Grad Frost. Hunger und Delirium.“
Auf unserem Weg sind wir begleitet von Musik aus den Lautsprechern. Wir hören die Leningrader Sinfonie von Schostakowitsch.
Erinnerung an 1942: „Im belagerten Leningrad führten am 9. August 1942 völlig entkräftete Musiker Schostakowitschs 7. Sinfonie auf. Es spielten nur 15 Musiker, die von dem Leningrader Sinfonieorchester noch am Leben waren. Vor Schwäche konnten sich die Musiker kaum auf den Beinen halten, probten mit dem Dirigenten Karl Eliasberg unter Hunger und Schwäche bis zum 9. August 1942. Da erklang die Leningrader Sinfonie über viele Lautsprecher in der belagerten, schon zerstörten Stadt. Es war ein Fanal gegen die Barbarei und bestärkte den unglaublichen Lebenswillen zum Überleben des Menschlichen.“
Wie wir in der Russischen Nationalbibliothek erfuhren, blieb während der Blockade, dank des starken Einsatzes der damaligen Leiterin, die Bibliothek geöffnet (siehe Bericht von Markus Heizmann). Auch der Zirkus und das Marinskij-Theater gaben Vorstellungen. Welch ein Lebenswille! Das tiefe geistige Bedürfnis Mensch sein zu können und zu bleiben!
Auf unserem Weg kommen wir zu der hohen Granitmauer. Dort ist ein Gedicht von Olga Bergholz, einer Überlebenden der Blockade, eingraviert:
Es berührt mich, dass im globalen Süden das Verständnis für den Wert des Sieges über den Faschismus der Achsenmächte Deutschland und Japan lebendig ist.
Dies zeigte sich am 9.Mai 2025 zum 80-jährigen Gedenktag des Endes des Krieges und Sieges über den Faschismus als Vertreter aus fast ausschließlich nichtwestlichen Ländern nach Moskau kamen.
So bekundete der Präsident Burkina Fasos Ibrahim Traore seinen Dank für den Einsatz der Roten Armee zur Befreiung vom Faschismus. Im globalen Süden findet der Kampf Chinas gegen das faschistische Japan ebenfalls große Anerkennung.
Der kollektive Westen steht beschämenderweise im Abseits, im Kriegsmodus. Die EU verurteilt das Vorgehen Israels (Genozid mehrfach durch IGF und IstGH festgestellt) gegen Palästina. Deutschland befeuert nichtsdestotrotz als 2. größter Waffenlieferant den Genozid.
Hier auf dem Friedhof geht dies wieder wie ein Messerstich in unser Menschsein. Unser Besuch auf dem Piskarowskoje-Friedhof reiht sich ein auf einem langen Weg der Entkolonialisierung und dem Wunsch der friedlichen Kooperation in einer multipolaren Welt! Am Ende unseres Besuchs auf dem Friedhof verabschieden wir uns herzlich von einer 3-Generationen Familie aus Moskau, die hierher gekommen war. Wie gut, zueinander „drushba“ sagen zu können.

Rolltreppe in der Metro-Station mit einem Plakat des in Deutschland verbotenen „Z“ (Fotos: Elke)

Ewige Flamme auf dem Piskarowskoje-Friedhof

Einer von dem vielen Gräbersteinen mit Nelken

„Mutter Heimat“

Unsere Reisegruppe in der Metro-Station
Resümee
Alles Gesehene kann im Rahmen dieses Berichtes nicht beschrieben werden. Die andere Reisegruppe ermöglichte es uns an einer Stadtführung mit einem Kleinbus teilzunehmen, die bis nach Kronstadt führte. Im Rahmen dieser Tour besuchten wir das Museum des Marine-Ruhmes in Kronstadt.

Museum des Marine-Ruhms in Kronstadt
Es ist Bestandteil des Projektes "Kronstadt, die Insel der Festungen". Es ist ein Ozeanarium, ein Unterwassermuseum, ein Tauchzentrum, Häfen für Boote und Segelboote, Hotels (einschließlich schwimmende) sowie verschiedene Forschungs- und Ausbildungszentren geplant.
Dafür sollen die teils verfallenen Forts im finnischen Meerbusen renoviert und für Besucher zugänglich gemacht werden. Dann sollte man das Staatliche Museum der Verteidigung und Belagerung Leningrads besuchen, indem die dreijährige Belagerung durch die deutschen Faschisten und die Befreiung eindrucksvoll geschildert ist. Und nicht zuletzt entdeckt man nebenbei einiges, wie bspw. die Karikaturen-Ausstellung „Geschichtsstunden“ des Russischen Kulturfonds vor dem Kaufhaus Gostinoy Dor. Die Karikaturen umfassen den Zeitraum vom faschistischen Überfall bis in die Zeit des Kalten Krieges und entstanden durch die Zusammenarbeit des Schriftstellers und Dichters Sergei Michalkow mit den Künstlern Boris Efimov, Mark Abramov und Vladimir Dobrovolsky.

Aus der Karikaturen-Ausstellung „Geschichtsstunden“
Wenn man auch einige Schwierigkeiten für einen Besuch in Russland überwinden muss, lohnt sich ein Besuch allemal. Man wird durch freundliche Menschen belohnt, die immer bereit sind, einem weiter zu helfen und wenn die Verständigung manchmal schwierig ist, nehmen manche einen Umweg in Kauf um einem den Weg zu zeigen. Wir trafen einen Schweizer mit amerikanischen Staatsbürgerschaft, dem von der amerikanischen Botschaft empfohlen wurde, vor seinem Besuch in Russland ein Testament zu machen und seine DNA zu hinterlegen, damit er hinterher identifiziert werden könne. Das ist beschämend, wenn man bedenkt, dass die Russen durchaus über ihre Diskriminierung im Westen Bescheid wissen und trotzdem unvoreingenommen mit westlichen Touristen umgehen. Es sei daran erinnern, dass vor der russischen Spezialoperation 70 % der Deutschen für eine Freundschaft mit Russland waren und danach gelang es der Propaganda in kürzester Zeit diesen Anteil auf 30 % zu senken. Wir müssen friedenstüchtig statt kriegstüchtig werden und dabei hilft die eigene Anschauung vor Ort ungemein.

Vor einem Plakat zur Erinnerung an den 9. Mai
Anmerkungen
(1) Richmond, Vic. Australien 1943-05-01. Eine Ladung Ballen mit 16.000 Schafsfellen, ein Teil der Ergebnisse der Aktion des Komitees „Schafsfelle für Russland”, wird auf einem Lastwagen festgezurrt, bevor er zu den Kais gebracht wird, um nach Russland transportiert zu werden.
https://www.awm.gov.au/collection/C266599
https://pyrmonthistory.net.au/waterside-workers-federation
https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/12010201
(2) Kontakt für Ada: ada-reisen@freenet.de oder galareise@gmail.com
(3) Vier hochrangige russische Diplomaten nach „Sicherheitshinweisen” aus dem Staatausgewiesen (Irish Times Schlagzeile vom 29.3.2022)
Mitarbeiter der russischen Botschaft aus dem „neutralen“ Irland ausgewiesen:
https://www.irishtimes.com/news/politics/four-senior-russian-diplomats-expelled-from-state-following-security-advice-1.4839308
Online-Flyer Nr. 849 vom 31.07.2025
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Kultur und Wissen
Unsere Reise nach St. Petersburg
Gelebte Freundschaft
Von June Kelly, Peter Betscher, Elke Zwinge-Makamizile, Markus und Eva Heizmann

Zuerst hat June Kelly aus Irland das Wort, die darüber berichtet, wie sie zu ihrer langersehnten Reise nach Russland kam und was ihr im Vorfeld alles geschehen ist.
Lang ersehnte Reise nach Russland Juli 2025
Seit meiner Kindheit war es mein Traum, eines Tages Russland zu besuchen. Als mein Lehrer die Klasse der 5-Jährigen (vor 72 Jahren) aufforderte, ein Bild von einer Person oder einer schönen Szene zu malen, zeichnete ich aus der Erinnerung die Basilius-Kathedrale in Moskau, die ich auf einem Foto in einem Weltatlas gesehen hatte, der im Bücherregal neben dem Sessel meines Vaters im Wohnzimmer unseres Hauses in meiner Geburtsstadt Launceston in Tasmanien stand.
Der Lehrer erkannte meine 5-jährige Version der Basilius-Kathedrale und fragte mich, warum ich eine Szene aus einer Stadt in der UdSSR gezeichnet hätte. Ich antwortete: „Wegen der Schafsfelle“.
Bis Anfang der 1950er Jahre war es in Australien noch akzeptabel, von der UdSSR als Verbündeten im Zweiten Weltkrieg zu sprechen.
In Tasmanien war es sogar noch Ende der 1950er Jahre ein Gesprächsthema unter den Mitgliedern der Australian Water Side Workers' Federation, wie sie und ihre Kollegen im Bundesstaat Victoria Tausende Ballen australischer Schafsfelle auf Schiffe verladen hatten, die in die sowjetische Stadt Leningrad unterwegs waren, die von den deutschen Nazi-Truppen blockiert war und wo über eineinhalb Millionen Menschen an Hunger und Kälte sowie durch massive Bombardements der Nazi-Achsenmächte starben. Die Blockade dauerte 872 Tage.
Die russische Sektion des Australischen Roten Kreuzes und das Komitee „Sheepskins for Russia“ (Schafsfelle für Russland) waren ebenfalls an dem Schafsfellprojekt und anderen Hilfsaktionen für Russland beteiligt.(1)
Im Jahr 2025 hatte ich das große Glück, mit meinen Freunden und Genossen nach Leningrad, das heute St. Petersburg heißt, reisen zu können. Ermöglicht wurde meine Reise durch meine Mitreisende Elke aus Berlin, die unsere Flüge und die Hotelunterkunft über die ausgezeichnete russische Reiseagentur Ada Reisen in Berlin gebucht hat. Ada Reisen buchte für uns bei Pegasus Airlines und reservierte unsere Unterkunft im Citytel Hotel Oktiabrskaya im Zentrum von St. Petersburg. (2)
Aufgrund der westlichen Sanktionen gegen Russland teilte mir mein Reisebüro in Irland mit, dass eine Buchung von Irland nach Russland nicht möglich sei. Es war auch nicht möglich, in Irland Rubel zu kaufen. Bei unserer Ankunft in St. Petersburg stellten wir fest, dass keine unserer Kredit- oder Debitkarten funktionierte und auch die Revolut-Karte in Russland nicht funktionierte. Wir waren auf Wechselstuben angewiesen, um unsere Euros zu wechseln – das war kein Problem, da es in der Nähe unseres Hotels zahlreiche Wechselstuben gab.
Zu unseren Flügen: Die einzige Möglichkeit, Russland mit dem Flugzeug zu erreichen, war ein Flug von Berlin über Istanbul nach St. Petersburg. Unser Rückflug nach Berlin hatte in St. Petersburg aufgrund ukrainischer Drohnenangriffe auf russisches Territorium eine Verspätung von 9 Stunden.
Nachdem ich die Flugtickets und die Hotelunterkunft gebucht und einen Gutschein vom Hotel sowie eine Reiseversicherung abgeschlossen hatte, brauchte ich nur noch ein Visum für die Einreise nach Russland.
Im März 2022 hat die Regierung des „neutralen“ Irlands den russischen Botschafter zusammen mit drei weiteren hochrangigen Mitarbeitern der Botschaft aus Irland ausgewiesen. (3) Ich hatte daher Glück, dass die Botschaft wieder geöffnet war. Der Konsul der Botschaft hatte mein Visum innerhalb einer Woche in meinen Reisepass gestempelt. 77 Euro für einen einwöchigen Besuch.
Vor meiner Reise nach Russland erkundigte ich mich bei meiner Hausbank in Irland nach dem Kauf von Rubel, da ich eine Reise nach Russland unternehmen wollte. Meine Frage wurde von den Bankmitarbeitern mit großer Begeisterung und guten Wünschen aufgenommen und, wie ich sagen muss, mit Zustimmung. Die Bankmitarbeiter entschuldigten sich dann, da es nicht möglich war, Rubel bereitzustellen.
Im Vergleich dazu erwähnte ich gegenüber Bekannten in der Labour Party (Irland) und Sinn Fein, dass ich nach Russland reisen würde. Ihre gemeinsame Reaktion war Schock, Entsetzen und Empörung, gefolgt von einem Vortrag darüber, warum ich Russland nicht besuchen sollte. Als ich ihnen zuhörte, hätte ich genauso gut die BBC oder CNN oder den irischen Staatsrundfunk RTE mit ihrer verwerflichen antirussischen Version der Nachrichten hören können.
Mein Mann John und ich leben seit 1988 in Irland. John ist 2024 verstorben. Er war fast 91 Jahre alt und teilte meinen Wunsch, eines Tages das Land zu besuchen, dessen Truppen so heldenhaft an der Seite ihrer Kameraden aus der gesamten Sowjetunion gekämpft hatten, um ihre Heimat von den Kräften des Nationalsozialismus und Faschismus zu befreien. Die Sowjetunion verlor im Zweiten Weltkrieg mindestens 27 Millionen Menschen im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Stellen Sie sich das vor. Australien verlor im Zweiten Weltkrieg 30.000 Soldaten. Australien hätte noch viel mehr Soldaten verloren, wenn die sowjetischen Truppen damals den Krieg gegen die Nazis nicht gewonnen hätten.
Es war ein wunderschöner Anblick aus dem Fenster unseres Flugzeugs, als wir uns St. Petersburg näherten. Der Sommerhimmel um 1 Uhr morgens. Schwarz, purpurrot, orange und marineblau in Schichten vom Boden bis zum Horizont in den frühen Morgenstunden des 1. Juli 2025. Atemberaubend. Dramatisch. Wir sind um 1:45 Uhr nachts gelandet. Wir nahmen ein Taxi für die etwa 30-minütige Fahrt zu unserem Hotel. Es war hell, obwohl es erst 2 Uhr morgens war. „Weiße Nächte“. Unsere Zimmer waren erst um 14 Uhr fertig. Wir gaben unser Gepäck im Hotel ab und begannen unseren Spaziergang durch das Stadtzentrum in diesen frühen Morgenstunden. Die breiten Straßen waren leer, keine Autos, Busse, Straßenbahnen und Menschen. Kaum ein Geräusch, abgesehen von unserem leisen Geplapper. Wir standen an der Ampel und konnten fast nicht glauben, dass wir in St. Petersburg waren. Wenn man bedenkt, was diese Stadt während der Blockade und der Bombardierung durchgemacht hatte. Im Laufe des Tages fiel uns auf, dass die meisten Menschen Englisch sprachen und sehr daran interessiert waren, ob wir aus dem Westen kamen. Sie bedankten sich bei uns und wünschten uns alles Gute für unseren Aufenthalt in Russland. Wir hatten Gelegenheit, mit vielen Einheimischen zu sprechen. Diejenigen, mit denen wir sprachen, waren sehr stolz darauf, Russen zu sein, und sehr stolz auf ihr Land. Wir antworteten, dass wir unsere Solidarität mit Russland zum Ausdruck bringen wollten und dass es eine Ehre und ein Privileg sei, in diesem tapferen, heldenhaften Land zu sein.

Blick aus dem Flugzeugfenster bei der Ankunft in Leningrad um 1 Uhr morgens (Fotos: June Kelly)

Nur meine Mitreisenden sind um 3.30 Uhr morgens auf den Straßen von St. Petersburg in der Nähe unseres Hotels am Ligovsky Prospekt zu sehen.

Unsere Füße um einen kunstvollen Kanaldeckel

Die leeren Straßen in der Nähe unseres Hotels um 3:30 Uhr morgens. Innerhalb weniger Stunden werden diese Straßen voller Menschen sein, die zur Arbeit, zur Universität, zum Einkaufen oder zu Besichtigungen eilen...

„Weiße Nächte”. Die leeren Straßen in der Nähe unseres Hotels um 3:30 Uhr

Bevor die Menschenmassen auftauchen. Nur unsere Gruppe am frühen Morgen auf der Rolltreppe in der Metro in Leningrad.
Gespräch mit Mitgliedern der Kommunistischen Partei Russische Föderation (KPRF) in St. Petersburg
Zusammenfassung des Gesprächs von Peter Betscher
Die andere Reisegruppe, mehrheitlich bestehend aus Mitgliedern der Marx-Engels-Gesellschaft, organisierte ein Gespräch mit 3 Vertretern der Kommunistischen Partei. Unsere Gesprächspartner waren Roman Kononenko, 1. Sekretär der KPRF St. Petersburg, Andrej Bilatow, 2. Sekretär, und Alexander Robovkin, der für die Informationsarbeit der Partei zuständig ist.

Beide Reisegruppen bei der KP St. Petersburg
Peter Krämer wies nach der Begrüßung darauf hin, dass es in Deutschlands eine große antirussische Propaganda gibt und einen großen Hass gegen Russen. Dieser Hass wird von den Politikern und den Medien geschürt. So wurden zum Beispiel zum 9.Mai, zum Tag des Sieges, die Vertreter Russlands ausgeladen. Die Repression geht so weit, dass auch Symbole von damals, zum Beispiel die Fahne der siegreichen Sowjetarmee verboten sind. Worauf Roman Kononenko antwortete: „Wir verstehen sehr gut, dass die antirussische Propaganda in Deutschland sehr aktiv geworden ist. Heutzutage wird sogar über das sogenannte Kulturverbot gesprochen, welches verhängt werden soll oder schon verhängt wurde. Obwohl die heutige Situation gewiss nicht einfach ist, sind wir dennoch fest davon überzeugt, dass sich das irgendwann wieder ändern wird. Wofür wir uns heute mit allen unseren Kräften einsetzen müssen, ist einen drohenden Krieg zu verhindern. Dies ist das allerwichtigste, das kommt vor allem anderen.
Die kommunistische Partei wäre inzwischen die größte Oppositionspartei in Russland (Anm.: bei den Duma-Wahlen 2021 erzielte die KPRF 18,9 % der Wählerstimmen), aber unterstütze alle Beschlüsse der Spezialoperation durch die der Regierung und viele Genossen würden an der Front kämpfen. Deshalb bekäme man von anderen KPs, vor allem aus dem Westen, den Vorwurf der Unterstützung des Krieges zu hören. Die Spezialoperation hätte das Nationalbewusstsein der Bevölkerung gefestigt, und der weitaus größte Teil der Bevölkerung möchte die Fortführung der Spezialoperation. „Wir unterstützen diesen Krieg nicht nur, wir nehmen daran teil. Wir müssen daran teilnehmen, es gibt keine Alternative.“
In der Struktur der Partei gäbe es eine Lücke zwischen 70 Jahren und älteren Genossen und der neuen Generation um die 40. „Dies deswegen, weil die Leute, die in den 90er Jahren – also während des Sturzes der Sowjetunion – jung waren, haben die negative Einstellung, zur kommunistischen Partei, die ihnen damals eingeimpft wurde, behalten.“ Ein wichtiger Teil der Parteiarbeit gälte der Jugendarbeit und hier vor allem der richtigen Darstellung der russischen Geschichte.
Russland wäre schon seit jeher ein multinationales und multikulturelles Land gewesen. Russen sind es gewohnt, über nationale Grenzen hinweg zu denken. Russland und Europa hätten seit 1000 Jahren Beziehungen, die keine Propaganda zerstören könne. „Die heutigen Widersprüche gibt es zwischen den Regierungen, nicht zwischen den individuellen Menschen, nicht zwischen den Völkern.“
Die Schwierigkeiten, mit denen die KPRF konfrontiert wäre, führten sie einerseits auf die russische Regierung zurück, die aus vielen Antikommunisten bestehen würde, obwohl manche von ihnen eine kommunistische Vergangenheit hätten. Andererseits auf die vielen nationalistischen Parteien und Bewegungen, die von der Regierung unterstützt würden. Darüber hinaus würden ihnen die orthodoxe Kirche und die Liberalen feindlich gegenüber stehen. Seit der Corona-Krise sei es schwierig Kundgebungen in St. Petersburg zu veranstalten. Russland wäre eine Föderation und in vielen anderen Regionen könne man frei demonstrieren. Deshalb poche die KPRF auf freies Versammlungsrecht. Sie setzt sich für Volksreferenden, Sozialumfragen, Verstaatlichung von öffentlicher Daseinsfürsorge und die Aufhebung der Rentenreform ein (der Renteneintritt wurde bei Männern von 60 auf 65 Jahre und bei Frauen von 55 auf 60 Jahren gegenüber Sowjetzeiten erhöht). Eine weitere Erhöhung um 5 Jahre konnte durch die KPRF verhindert werden. Die Partei habe momentan keinen entscheidenden Einfluss auf die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften würden noch wie zu Sowjetzeiten funktionieren, indem sie in erster Linie die Produktion unterstützen und sich nicht durch die geänderten politischen Verhältnisse für die Arbeiter einsetzen. Das gegenwärtige System in Russland würde bewirken, dass sich die Gewerkschaften verzetteln, es gäbe keine große Einheitsgewerkschaft.
Die russische Politik hinge zurzeit sehr von der Person Wladimir Putin ab. Aber wer in Russland an Stabilität interessiert wäre, könne im Moment nicht an einem Wechsel interessiert sein. Um die Jahrhundertwende hätte Putin zuerst die Politik der Jelzin-Ära fortgeführt, woraus die heutigen Probleme Russlands durch die NATO-Osterweiterung resultieren würden. Zur russischen Außenpolitik wurde in erster Linie die Ukraine-Politik und das Engagement mit den BRICS-Staaten als positiv hervorgehoben, aber die BRICS wären noch keine stabile Organisation. Mit der KP China hat die KPRF einen Vertrag über gegenseitigen Austausch.
Roman Kononenko fasste die Programmpunkte der KPRF Russlands gegen Ende des Gesprächs knapp zusammen: „Wir stehen für die Diversität der russischen Wirtschaft. Die kommunistische Partei verzichtet nicht auf das Privateigentum. Wir beharren jedoch darauf, dass Großproduktionen, Rohstoffe, Landwirtschaft und jeder andere im vitalen Interesse des Landes liegende Sektor verstaatlicht werden soll. Wir haben dafür ein Programm ausgearbeitet, auch um die Weiterentwicklung des Landes finanzieren zu können. Die soziale Sicherheit der Menschen muss gewährleistet sein.“
Besuch der Nationalbibliothek
Markus und Eva Heizmann ist es gelungen über einen Bekannten den Kontakt zur Leiterin der Nationalbibliothek St. Petersburg herzustellen und eine Führung zu vereinbaren. Er beschreibt in einem fundierten Artikel „Die Russische Nationalbibliothek in Leningrad“ in dieser Ausgabe der NRhZ die wechselvolle Geschichte der Nationalbibliothek.
Besuch in der Nationalbibliothek
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=29539
Elke Zwinge-Makamizile beschreibt unseren Aufenthalt auf dem Piskarowskoje-Friedhof.
Der Weg zum Piskarowskoje-Friedhof und unser Aufenthalt dort.
Der Piskarowskoje- Friedhof liegt außerhalb des glanzvollen, kulturreichen, vibrierenden Zentrums der Stadt mit Eremitage, Russisches Museum, Nationalbibliothek, Peter und Paul-Festung, Marinskij-Theater u.v.m. Das Ziel ist leicht zu erreichen. Wir fahren von der zentral gelegenen Metro-Station Mayakovskaya zur Station Mushestva im Norden. Die Strecke führt unter der Newa her. Sehr tief nach unten führen die Rolltreppen. Die St. Petersburger Metro ist eines der tiefstgelegenen U-Bahn-Systeme der Welt. 1955 wurde die Metro als Leningradskij Metropoliten eingeweiht. Ich betrachte sie als Geschenk der politischen Führung an die Leningrader Bevölkerung, die damit ihre eigenen Paläste und eine verbesserte Lebensqualität erhielt. Sie gilt auch heute als eine der architektonisch schönsten der Welt.
Mit Metro und Bus erreichen wir den Piskarjowskoje-Gedenkfriedhof. Am 9.5.1960 wurde die Gedenkstätte nach einer 4-jährigen Bauzeit eingeweiht.
Der Friedhof ist die Massenbegräbnisstätte für 470.000 Einwohner Leningrads und 50.000 Soldaten, eine Gedenkstätte zu Ehre und Ruhm der Verteidiger der Stadt, die während 871 Tagen von der deutschen Wehrmacht bombardiert und ausgehungert wurde. Vom 8. September 1941 bis zum 27.1.1944 wollte das faschistische Hitler-Regime die symbolträchtige Stadt nicht erobern und besetzen – sondern durch eine Blockade langsam durch Hungertod strangulieren und vernichten.
Wir gehen über das riesengroße Gelände zur ewigen Flamme, über die große Allee an 186 Massengräbern vorbei. Wir nähern uns der zentralen Skulptur Mutter Heimat und dem Ehrenmal für die Soldaten der Roten Armee. Wir legen unsere Nelken nieder. Wir gedenken.
Worte einer Gedenkveranstaltung in Berlin am 27. Januar 2023 kommen mir in den Sinn; „Für dreieinhalb Millionen Menschen innerhalb des Belagerungsrings war die Blockade ein Todesurteil ohne Beispiel in der Geschichte. Ein genozidales Verbrechen.
Es gab Tage, da erfroren und verhungerten 6000 Menschen. Sie fielen einfach um, überall - auf Straßen, Krankenhausfluren, Hinterhöfen. Sanitätstrupps hielten mit der Bergung nicht Schritt. Die Bilanz war schauerlich. Als die Belagerung nach genau 871 Tagen, am 27. Januar 1944, beendet war, hatten rund 1,1 Millionen Leningrader ihr Leben verloren - verhungert, erfroren, verreckt im Hagel von 100.000 Fliegerbomben. Eine weitere Million Soldaten der Roten Armee starb bei der Verteidigung Leningrads. Nie hat eine Stadt Vergleichbares erlitten. 40 Grad Frost. Hunger und Delirium.“
Auf unserem Weg sind wir begleitet von Musik aus den Lautsprechern. Wir hören die Leningrader Sinfonie von Schostakowitsch.
Erinnerung an 1942: „Im belagerten Leningrad führten am 9. August 1942 völlig entkräftete Musiker Schostakowitschs 7. Sinfonie auf. Es spielten nur 15 Musiker, die von dem Leningrader Sinfonieorchester noch am Leben waren. Vor Schwäche konnten sich die Musiker kaum auf den Beinen halten, probten mit dem Dirigenten Karl Eliasberg unter Hunger und Schwäche bis zum 9. August 1942. Da erklang die Leningrader Sinfonie über viele Lautsprecher in der belagerten, schon zerstörten Stadt. Es war ein Fanal gegen die Barbarei und bestärkte den unglaublichen Lebenswillen zum Überleben des Menschlichen.“
Wie wir in der Russischen Nationalbibliothek erfuhren, blieb während der Blockade, dank des starken Einsatzes der damaligen Leiterin, die Bibliothek geöffnet (siehe Bericht von Markus Heizmann). Auch der Zirkus und das Marinskij-Theater gaben Vorstellungen. Welch ein Lebenswille! Das tiefe geistige Bedürfnis Mensch sein zu können und zu bleiben!
Auf unserem Weg kommen wir zu der hohen Granitmauer. Dort ist ein Gedicht von Olga Bergholz, einer Überlebenden der Blockade, eingraviert:
- Hier liegen Leningrader.
Hier liegen Bürger – Männer, Frauen und Kinder.
Neben ihnen Soldaten der Roten Armee.
Mit ihrem Leben.
Verteidigten sie Dich, Leningrad.
Die Wiege der Revolution.
Nicht alle ihre edlen Namen können wir hier nennen.
So viele sind es unter dem ewigen Schutz von Granit.
Aber wisse, der du diese Steine betrachtest.
Niemand ist vergessen und nichts wird vergessen.
Es berührt mich, dass im globalen Süden das Verständnis für den Wert des Sieges über den Faschismus der Achsenmächte Deutschland und Japan lebendig ist.
Dies zeigte sich am 9.Mai 2025 zum 80-jährigen Gedenktag des Endes des Krieges und Sieges über den Faschismus als Vertreter aus fast ausschließlich nichtwestlichen Ländern nach Moskau kamen.
So bekundete der Präsident Burkina Fasos Ibrahim Traore seinen Dank für den Einsatz der Roten Armee zur Befreiung vom Faschismus. Im globalen Süden findet der Kampf Chinas gegen das faschistische Japan ebenfalls große Anerkennung.
Der kollektive Westen steht beschämenderweise im Abseits, im Kriegsmodus. Die EU verurteilt das Vorgehen Israels (Genozid mehrfach durch IGF und IstGH festgestellt) gegen Palästina. Deutschland befeuert nichtsdestotrotz als 2. größter Waffenlieferant den Genozid.
Hier auf dem Friedhof geht dies wieder wie ein Messerstich in unser Menschsein. Unser Besuch auf dem Piskarowskoje-Friedhof reiht sich ein auf einem langen Weg der Entkolonialisierung und dem Wunsch der friedlichen Kooperation in einer multipolaren Welt! Am Ende unseres Besuchs auf dem Friedhof verabschieden wir uns herzlich von einer 3-Generationen Familie aus Moskau, die hierher gekommen war. Wie gut, zueinander „drushba“ sagen zu können.

Rolltreppe in der Metro-Station mit einem Plakat des in Deutschland verbotenen „Z“ (Fotos: Elke)

Ewige Flamme auf dem Piskarowskoje-Friedhof

Einer von dem vielen Gräbersteinen mit Nelken

„Mutter Heimat“

Unsere Reisegruppe in der Metro-Station
Resümee
Alles Gesehene kann im Rahmen dieses Berichtes nicht beschrieben werden. Die andere Reisegruppe ermöglichte es uns an einer Stadtführung mit einem Kleinbus teilzunehmen, die bis nach Kronstadt führte. Im Rahmen dieser Tour besuchten wir das Museum des Marine-Ruhmes in Kronstadt.
Museum des Marine-Ruhms in Kronstadt
Es ist Bestandteil des Projektes "Kronstadt, die Insel der Festungen". Es ist ein Ozeanarium, ein Unterwassermuseum, ein Tauchzentrum, Häfen für Boote und Segelboote, Hotels (einschließlich schwimmende) sowie verschiedene Forschungs- und Ausbildungszentren geplant.
Dafür sollen die teils verfallenen Forts im finnischen Meerbusen renoviert und für Besucher zugänglich gemacht werden. Dann sollte man das Staatliche Museum der Verteidigung und Belagerung Leningrads besuchen, indem die dreijährige Belagerung durch die deutschen Faschisten und die Befreiung eindrucksvoll geschildert ist. Und nicht zuletzt entdeckt man nebenbei einiges, wie bspw. die Karikaturen-Ausstellung „Geschichtsstunden“ des Russischen Kulturfonds vor dem Kaufhaus Gostinoy Dor. Die Karikaturen umfassen den Zeitraum vom faschistischen Überfall bis in die Zeit des Kalten Krieges und entstanden durch die Zusammenarbeit des Schriftstellers und Dichters Sergei Michalkow mit den Künstlern Boris Efimov, Mark Abramov und Vladimir Dobrovolsky.
Aus der Karikaturen-Ausstellung „Geschichtsstunden“
Wenn man auch einige Schwierigkeiten für einen Besuch in Russland überwinden muss, lohnt sich ein Besuch allemal. Man wird durch freundliche Menschen belohnt, die immer bereit sind, einem weiter zu helfen und wenn die Verständigung manchmal schwierig ist, nehmen manche einen Umweg in Kauf um einem den Weg zu zeigen. Wir trafen einen Schweizer mit amerikanischen Staatsbürgerschaft, dem von der amerikanischen Botschaft empfohlen wurde, vor seinem Besuch in Russland ein Testament zu machen und seine DNA zu hinterlegen, damit er hinterher identifiziert werden könne. Das ist beschämend, wenn man bedenkt, dass die Russen durchaus über ihre Diskriminierung im Westen Bescheid wissen und trotzdem unvoreingenommen mit westlichen Touristen umgehen. Es sei daran erinnern, dass vor der russischen Spezialoperation 70 % der Deutschen für eine Freundschaft mit Russland waren und danach gelang es der Propaganda in kürzester Zeit diesen Anteil auf 30 % zu senken. Wir müssen friedenstüchtig statt kriegstüchtig werden und dabei hilft die eigene Anschauung vor Ort ungemein.
Vor einem Plakat zur Erinnerung an den 9. Mai
Anmerkungen
(1) Richmond, Vic. Australien 1943-05-01. Eine Ladung Ballen mit 16.000 Schafsfellen, ein Teil der Ergebnisse der Aktion des Komitees „Schafsfelle für Russland”, wird auf einem Lastwagen festgezurrt, bevor er zu den Kais gebracht wird, um nach Russland transportiert zu werden.
https://www.awm.gov.au/collection/C266599
https://pyrmonthistory.net.au/waterside-workers-federation
https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/12010201
(2) Kontakt für Ada: ada-reisen@freenet.de oder galareise@gmail.com
(3) Vier hochrangige russische Diplomaten nach „Sicherheitshinweisen” aus dem Staatausgewiesen (Irish Times Schlagzeile vom 29.3.2022)
Mitarbeiter der russischen Botschaft aus dem „neutralen“ Irland ausgewiesen:
https://www.irishtimes.com/news/politics/four-senior-russian-diplomats-expelled-from-state-following-security-advice-1.4839308
Online-Flyer Nr. 849 vom 31.07.2025
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