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WANTED - Julian Assange, ein Leben
Folge 16: WARS LOGS I: DIE AFGHAN WAR DIARIES (Juli 2010)
Von Delphine Noels (Belgium4Assange) in Zusammenarbeit mit Marc Molitor, Pascale Vielle und Bogdan Zamfir - ins Deutsche übersetzt von Claudia Daseking

Ab Ende Oktober 2021 geht es in London wieder um den Antrag der USA auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Am 27. Oktober 2021 wird das Berufungsgericht zum ersten Mal tagen. Die Zeit bis dahin begleitet die NRhZ mit einem CountDown von 34 Folgen über das Leben von Julian Assange. Sie wiederholt damit den Countdown von Belgium4Assange, der zum 4. Januar 2021 führte, als die britische Justiz ihr Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in der ersten Instanz gesprochen hatte. Belgium4Assange schrieb dazu: "Was steht bei diesem Prozess auf dem Spiel? Inwiefern betrifft uns das persönlich? Schwierig, hierzu klare Vorstellungen zu haben, da so viele Falschmeldungen und Desinformationen kursieren... Tag für Tag zeichnen wir seinen Weg voller Überraschungen und Enthüllungen nach und richten den Blick auf die näheren Umstände einer der fundamentalsten Kämpfe unserer Zeit." (Auf der website pour.press auf Französisch nachzulesen). Hier jetzt Folge 16:


Julian spürt nach der Veröffentlichung von Collateral Murder, dass sein Leben in Gefahr ist (alle, deren Namen im Abspann des Videos erscheinen, werden von der amerikanischen Spionageabwehr bedrängt, mit ihnen zusammenzuarbeiten) und zieht sich für eine Weile zurück, nach Australien, wo er versteckt lebt ... Er steigt in kein Flugzeug mehr, es sei denn, er wird von einer angesehenen Organisation eingeladen. Im Juni 2010 verlässt er Australien auf Einladung des Europäischen Parlaments, um an einer Sitzung zu Meinungsfreiheit in Brüssel teilzunehmen.

Um die Wirkung seiner zukünftigen Veröffentlichungen optimal zu steigern (siehe Wanted 11/34), nutzt Julian seinen Aufenthalt im Hotel Leopold in Brüssel, um Journalisten vom Guardian, der New York Times und dem Spiegel zu treffen. Er möchte die Fortsetzung von Chelsea Mannings Leaks, „The Afghan War Diaries“ veröffentlichen, 92.000 Dokumente des US-Militärs über die Operationen von US-Truppen und der NATO in Afghanistan während des Krieges. Ab dem 26. Juli veröffentlichen und kommentieren Zeitungen Hunderte von Dokumenten, während Wikileaks 76.000 Dokumente veröffentlicht und die Veröffentlichung von 15.000 weiteren verzögert, als „Lebensversicherung“ und um die Namen von Zivilisten zu redigieren, die amerikanischen Truppen nahestehen und durch diese Veröffentlichung gefährdet werden könnten.

Diese Dokumente zeichnen ein verheerendes Bild des scheiternden Krieges in Afghanistan: Hunderte Zivilisten wurden bei nicht gemeldeten Vorfällen getötet, die Zahlen der Taliban-Angriffe sind in die Höhe geschossen und die NATO-Kommandeure fürchten, dass die Nachbarländer Pakistan und Iran den Aufstand schüren.

Und noch gravierender, zeigen sie, wie sich die Vereinigten Staaten im Verlauf des Krieges immer mehr in Praktiken hineinziehen lassen, die sie einst verurteilten und die direkt gegen US-amerikanisches Recht und gegen Völkerrecht verstoßen (Stichworte Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit): die Praxis der "außergerichtlichen Hinrichtung" durch Drohnenangriffe (auch gegen Kinder und amerikanische Bürger); die Praxis, Menschen zu entführen und ohne Gerichtsverfahren an Orten wie Guantánamo festzuhalten; die Praxis der "erweiterten Befragungstechniken" (Folter).

Julian stellt fest, dass die Zunahme dieser illegalen Praktiken die USA dazu zwingt, die Kontrolle der Medienberichterstattung zu verschärfen und eine möglichst umfassende Überwachung zu praktizieren, die Journalisten im Auge zu behalten, um letztendlich öffentlichen Dissens zu vermeiden.

Die Reaktion der Vereinigten Staaten?

Die USA werden versuchen, Julian Assange als verantwortungslosen Menschen darzustellen, der sich nicht darum kümmert, was seine Veröffentlichungen nach sich ziehen. Schon im Juli 2008 erklärten Verteidigungsminister Robert M. Gates und Admiral Mike Mullen: "Herr Assange kann über seine Verbindung zu seiner Quelle sagen, was er will, aber die Wahrheit ist, dass die beiden vielleicht schon das Blut eines jungen Soldaten oder das einer afghanischen Familie an den Händen haben." Angesichts dieser Strategie, hat Julian gut gekontert: "Robert Gates spricht von hypothetischem Blut, aber die Länder Irak und Afghanistan sind mit echtem Blut bedeckt.“ Doch sein Image wird ramponiert.

Mehrere Menschenrechtsverbände, Zeitungen, Journalisten und Kolumnisten werden Wikileaks - zweifellos zu schnell und ohne gründliche Prüfung - vorwerfen, in den veröffentlichten Dokumenten Namen afghanischer Kollaborateure der amerikanischen Armee nicht gelöscht zu haben, so dass sie möglichen Vergeltungsmaßnahmen der Taliban ausgesetzt wären. Was genau ist die Situation? Die WikiLeaks-Teams hielten sich an einen gemeinsamen Veröffentlichungsplan mit den Mainstream-Medien, der sehr eng war (die Mainstream-Medien wollten unverzüglich veröffentlichen). Sie arbeiteten hart daran, so viele Namen wie möglich zu entfernen. Wikileaks hat sich sogar an das Pentagon gewandt und angeboten, die gesamte Datei freizugeben, damit dieses die Namen selbst löschen könnte. Das Pentagon lehnte ab und bestritt sogar, dass dieser Austausch stattgefunden hatte, eine Lüge, die später von Wikileaks nachgewiesen wurde, als sie den Austausch veröffentlichten. Ergebnis: Von den 92.000 Dokumenten wird die Veröffentlichung von 15.000 der sensibelsten Daten verschoben und anschließend vollständig von Namen bereinigt veröffentlicht. 76.000 werden sofort veröffentlicht und trotz der intensiven Arbeit bleiben einige Namen übrig. Dies sind laut Julian Assange oft Namen von offiziellen Personen, die den Taliban bereits bekannt sind.

Hat Julian wirklich Blut an den Händen?

Während des Prozesses gegen Chelsea Manning musste Brigadegeneral Robert Carr, ein amerikanischer Geheimdienstagent, unter Eid zugeben, dass die Amerikaner trotz gründlicher Suche keine Fälle von Menschen finden konnten, die körperliche Verletzungen erlitten hätten aufgrund der Veröffentlichung von WikiLeaks. Ein hochrangiger NATO-Beamter in Kabul teilte CNN im Oktober 2010 mit, dass "es keinen einzigen Fall gegeben habe, in dem ein Afghane schutzbedürftig sei oder wegen der WikiLeaks-Enthüllungen verlegt werden musste". Während des Auslieferungsprozesses im vergangenen September die gleiche Beobachtung. Das Blut an Julian Assanges Händen war vor allem ein US-amerikanisches Narrativ, um das Bild von Julian Assange zu zerstören, was teilweise erfolgreich war.

Wikileaks hat dennoch Lehren aus dieser Episode gezogen, indem es eine Namensbereinigungssoftware entwickelt hat, die für die Irak-Kriegstagebücher verwendet wird.

Bittesehr! Das war die sechzehnte Folge von WANTED, der Serie, die Sie zur Herzkammer unserer Welt führt und Ihnen seine verborgenen Seiten offenbart...


Quellen:

The most dangerous man in the world, Andrew Fowler, Skyhorse Publishing, 2011
The unauthorized autobiography, Julian Assange, Canongate Books Ltd, 2011.
http://www.entelekheia.fr/2019/05/12/les-revelations-de-wikileaks-n-2-la-fuite-qui-a-montre-la-verite-de-la-guerre-en-afghanistan/
Link zu den War Logs:
https://wardiaries.wikileaks.org
Vortrag von Julian Assange, Oslo Freedom Forum 2010
https://www.youtube.com/watch?v=qDvfQ5gZ-Jw&feature=share&fbclid=IwAR2EAikA4hO7XkpzCWQ7ek49WwBnfZT6BuxwfIUQ2DR5hvJY0Q6zGxF5UBI
Irak:
https://www.wsws.org/en/articles/2010/10/pers-o26.html
Artikel des Guardian über die War logs:
https://www.theguardian.com/world/2010/jul/25/afghanistan-war-logs-military-leaks
Archiv New York Times War Logs:
https://archive.nytimes.com/www.nytimes.com/interactive/world/war-logs.html
Artikel Guardian:
https://www.theguardian.com/world/2010/jul/30/us-military-wikileaks-afghanistan-war-logs
Sitzung des EU-Parlaments zu Meinungsfreiheit:
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-7-2010-0226_FR.html?redirect
Blut an den Händen:
Artikel von Ed Pilkington: “Bradley Manning leak did not result in deaths by enemy forces, court hears”, Guardian 3 Juli 2013. http://archive.vn/lYznz#selection-831.0-831.74
Article d’Adam Levine: GatES: Leaked documents don’t reveal key intel, but risks remain” CNN, 17 octobre 2010, http://archive.vn/HzJxM

Zu: Die meisten Leute, die am Video “Collateral Murder” mitgearbeitetet haben, wurden von der US-Spionageabwehr drangsaliert:
https://wikileaks.org/gottfrid-docs/


Link zu Folge 15: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27678
Link zu Folge 17: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27680


Siehe auch:

In einer Zeit, in der unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge eine ungeahnte digitale Überwachungsstruktur etabliert wird, fehlt WikiLeaks
Julian Assange: dem kommenden Überwachungsregime trotzen!
Von Erich Sturm
NRhZ 777 vom 22.09.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27648

Online-Flyer Nr. 777  vom 07.10.2021

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