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Kultur und Wissen
Robert Jay Liftons "Nazi Doctors" und das Corona-Regime
Über die Funktion medizinisch-hygienischer Maßnahmen zur Vermeidung tödlicher Krankheit
Von Rudolph Bauer

Vier Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem vorläufigen Ende der Nazi-Diktatur veröffentlichte Robert Jay Lifton im Jahr 1986 die Studie „The Nazi Doctors. Medical Killing and the Psychology of Genozid“. In deutscher Übersetzung erschien Lifton‘s Gesamtdarstellung der Rolle von Nazi-Medizinern zwei Jahre später unter dem relativ harmlosen Titel „Ärzte im Dritten Reich“ (Stuttgart: Klett-Cotta 1988). Das Buch wurde kein Bestseller. Mehr als dreißig Jahre danach könnte es jedoch zum Buch des Jahres werden. Denn der Band enthüllt Zusammenhänge, die unter dem Vorzeichen der pandemischen Corona-Epidemie seit März dieses Jahres erneut auf der Tagesordnung stehen.

    „Nationalsozialismus ist nichts als angewandte Biologie“
    (Robert Jay Lifton)

Dr. Robert Jay Lifton, Jahrgang 1926, ist Mediziner und war Professor für Psychiatrie und Psychologie an der City University, New York. Wie er im Vorwort der „Nazi Doctors“ schreibt, möchte er darauf bestehen, „dass wir fähig sind, … aus dem Bösen der Vergangenheit zu lernen, nachdem wir es sorgfältig untersucht haben“ (S. XIX). Obgleich diese Einstellung ehrenwert ist, übersieht sie, dass dem Lernen aus der sorgfältigen Untersuchung des Bösen in der Vergangenheit eines vorausgeht: nämlich die Kenntnisnahme der Untersuchungsergebnisse selbst und die Bereitschaft, sie nicht zu verzerren, nicht zu verleugnen, nicht zu vergessen. Dies aber war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Lifton‘s Untersuchung der Fall. Der Autor beklagte „die bewusste und unbewusste Verzerrung und Vertuschung der Ereignisse im Dritten Reich“. (XI) Und es ist gegenwärtig noch viel mehr der Fall.

Lehre aus der NS-Geschichte: Heilen statt Ausrottungsphantasien

„Wenn uns die Ärzte im Dritten Reich irgendetwas zu lehren haben, dann, dass wir zu den Prinzipien des Heilens zurückkehren müssen“, schreibt Lifton im Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Buches (XIV). Von solch einer Lehre aus der deutschen Geschichte kann zurzeit nicht die Rede sein. Nicht zu heilen ist gegenwärtig vorherrschender Grundsatz des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik, sondern das Bekämpfen eines Virus. Dies erinnert an den Ton, den der Orientalist und Kulturphilosoph Paul de Lagarde (1827-1891) bereits im 19. Jahrhundert angeschlagen hatte:

„Mit Trichinen und Bazillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bazillen werden auch nicht erzogen, sie werden so rasch und so gründlich wie möglich vernichtet.“

Die Ausrottungsphantasie, damals denunziatorisch gegen die Juden als „Fremde“ und „Träger der Verwesung“ ins Feld geführt (578), geht heute erneut so weit, dass angesichts der gemeldeten Infektionszahlen Maßnahmen ergriffen und befürwortet werden, die in der tödlichen Tradition des 19. und 20. Jahrhundert stehen: Es wird der landesweite bzw. regionale Ausnahmezustand erklärt; demokratische Grundrechte werden außer Kraft gesetzt; Quarantäne-Auflagen werden erteilt, Vorschriften zum Maskentragen erlassen, und beim Besuch von Gaststätten müssen Adresse und Telefonnummer hinterlassen werden – alles angeblich erforderlich, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu stoppen.

Lifton hat in seiner Ärzte-Studie die psychohistorischen Aspekte des Genozids im Nazi-Faschismus untersucht. Er hat hierfür Prozessprotokolle ausgewertet sowie Hunderte von Opfern, Tätern, Mitläufern und Widerständlern befragt. Aus den Forschungs- und Interview-Ergebnissen hat er bestimmte Grundprinzipien und Grundmuster der faschistischen Maßnahmen abgeleitet. Ferner machte er auf die Abfolge kollektiver Denk- und Handlungsweisen aufmerksam, wie sie uns auch heute begegnen. Lifton‘s Erklärungsmodell umfasst eine Reihe von Faktoren, deren aktuelle Wiederkehr uns erschreckt.

Zu den von Lifton aus der NS-Geschichte abgeleiteten Faktoren gehört die verstörende Vorstellung, dass eine Krankheit existiert, die das kollektive Gefühl auslöst, „physisch und psychisch von Tod überflutet zu werden“ (562). Auf vergleichbare Weise ist die gegenwärtige politische Atmosphäre bestimmt von einem schicksalhaften Todesangst-Schock, für den das „neuartige Virus“ verantwortlich gemacht wird.

Medizinischer Fundamentalismus gegen den Todesangst-Schock

In der Bundesrepublik wurzelt die Vorstellung von der Totalität einer tödlichen Erkrankung in historischen Erfahrungen, die sich in Stichworten wie folgt zusammenfassen lassen: kollektive Verlust- und Todeserinnerungen durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg; die erlösende „Wiedergutmachung“ im Rahmen der EU, der Nato und zuletzt der Wiedervereinigung; der Fehlschlag der damit verbundenen Verheißungen „blühender Landschaften“ angesichts der Banken- und Wirtschaftskrisen seit 2008 sowie verstörender Zerwürfnisse in der EU, im transatlantischen Verhältnis sowie zwischen Ost und West in der Bundesrepublik; schließlich die Hoffnung auf eine „Therapie“ – hier und heute in Gestalt der Regierungsmaßnahmen gemäß dem Infektionsschutzgesetz.

Wie im Nazi-Faschismus werden biologische und geistige Gemeinschaftserfahrungen mobilisiert: biologische in Gestalt der angeblichen kollektiven Bedrohung durch die vom Virus ausgelöste und virologisch begründete „epidemische Lage von nationaler Tragweite“; geistige Gemeinschaftserfahrungen in Gestalt des Appells von Kanzlerin und Länderregierungschefs an das „Wir“, an „Verantwortung“ und „Gemeinschaft“.

Der „medizinische Fundamentalismus“ (592) trägt in Verbindung mit der bei der Bevölkerung implementierten „therapeutischen Vision“ dazu bei, die deutlichen Anzeichen eines autoritären Polizeistaats und die erkennbaren Strukturen faschistischer Parallelen zu übersehen. Im absoluten Anspruch auf die unbedingte Wahrheit des „Gemeinsam schaffen wir es“ werden prinzipiell sowohl andere fachliche Bewertungen der Infektionsgefahr – etwa durch Sucharit Bakhdi oder Wolfgang Wodarg – als auch alternative Lösungsvorschläge wie in Schweden kategorisch verworfen oder auf übelste Weise schlechtgeredet. Beispiel SPD-MdB Lauterbach: „Wodarg redet blanken Unsinn.“

„Totalitäre Ideologien betäuben die Angst vor dem Tod durch die Betonung der eigenen Unbesiegbarkeit und Allmächtigkeit.“ (568) Möglich ist dies durch spezifische massenpsychologische Manipulationen in Gestalt (1.) der vereinheitlichten Kommunikation (siehe die Berichterstattung und Kommentare in den etablierten Medien), (2.) einer kontinuierlichen Verhaltenskontrolle (siehe die polizeiliche Überwachung von Abstandhalten und Maskentragen im öffentlichen Raum und bei politischen Kundgebungen), (3.) eines Kults der „Reinheit“ (Händewaschen, Desinfizieren), um niemanden anzustecken, auch sich selbst nicht, (4.) eines Kults des Geständnisses (jeder stellt eine Gefahr dar und gibt dies durch Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung kund) und der Unterwerfung durch angepasstes Verhalten, (5.) der Vergötterung von Wissenschaft (in Gestalt von Zahlen, statistischen Daten, R-Ziffern und „Experten“-Meinungen), (6.) der sprachlichen Prägung eingängiger Formeln (wie z. B. A-H-A), (7.) des Vorrangs der Gefährlichkeitsdoktrin gegenüber dem Individuum und seinen Freiheitsrechten, (8.) der letztendlichen Verfügbarkeit über das Lebensrecht derjenigen, die sich den „höheren Prinzipien“ widersetzen.

Verschmutzungstrauma, Reinheitswahn und Impfserum

Als rettende „Therapie“ zur Bekämpfung des „tödlichen Virus“ gilt die Erfindung und kollektive Verabreichung eines neuen Impfstoffs. Bis dieser „auf dem Markt“ angeboten wird, gilt allein schon die Möglichkeit der Infektion als Gefahr. Da grundsätzlich jeder Mensch infiziert sein kann, gilt jede/r auch als Gefährder/in. Angesichts der hier deutlich erkennbaren „Verschmutzungsphantasien“ (583) erscheint es „reinigend“ und medizinisch-hygienisch „heilsam“ zu sein, einzelne Menschen oder Menschengruppen zu viktimisieren, d.h. sie zu schuldigen Opfern zu machen und auszugrenzen – notfalls mit Gewalt. Wir erleben dieses Vorgehen gegenwärtig einerseits in Gestalt unverhältnismäßiger Polizeieinsätze gegen Demonstrierende, andererseits durch die denunziatorische Pauschal-Etikettierung der Demonstrierenden, beispielsweise als „Covidioten“, „Wirrköpfe“, „intellektuell Minderbemittelte“, „Virusleugner“ (analog zu Holocaustleugner), „Rechte“, „Nazis“, „Esoteriker“, „Aluhüte“ usw. Politik und Medien bezeichnen die Protestierenden als Paria und behandeln sie – einvernehmlich mit einem Großteil der deutschen Bevölkerung – wie Ausgestoßene.

Steht aber erst einmal ein Impfstoff zur Verfügung, dann zeigt sich eine weitere Variante der Corona-„Therapie“: die physische Gefährdung all jener, die sich freiwillig oder gezwungener Maßen impfen lassen. Denn zum einen birgt das verkürzte Zulassungsverfahren nicht abschätzbare Gesundheitsrisiken, die sich nicht unmittelbar, sondern gegebenenfalls erst viele Monate oder Jahre später auswirken. Zum anderen besteht die Befürchtung des Einsatzes von Impfstoffen, die Erbgutveränderungen bewirken können oder Nanotech-Partikel enthalten, wie sie von den Befürwortern transhumanistischer Projekte propagiert werden. Der Einsatz solcher Impfseren erinnert an die faschistischen Menschenversuche, die von KZ-Ärzten vorgenommen wurden. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Androhung von Freiheitsbeschränkungen für diejenigen Personen, die eine Impfung verweigern.

Die Viktimisierung jener Teile der Gesellschaft, die auf politischen Kundgebungen gegen die Coronapolitik protestieren und/oder geimpft zu werden ablehnen, ist das Ergebnis eines „reinigenden“ Selektionsvorgangs. Dieser bezieht sich nicht nur auf politische Gegner und Impfverweigerer, sondern ebenso auf sog. „Risikogruppen“ wie ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen. Gegenwärtig wird zwar noch der Eindruck erweckt, dass die „coronabedingten“ Maßnahmen vor allem der schützenden Sorge um den letztgenannten Personenkreis geschuldet sei. Das Schutz-Argument ist jedoch ambivalent; Begriffe wie „Schutzmann“, „Schutzpolizei“, „Schutzaufsicht“, „Schutzgewahrsam“, „Schutzhaft“, „Schutzwaffe“ oder die „Schutztruppen“ in kolonialen „Schutzgebieten“ machen deutlich, dass das Wort nicht zuletzt auch den Schutz autoritärer Herrschafts- und totalitärer Machtverhältnisse meint.

Hauptsache Normalität bzw. „Neue Normalität“!

Die gesellschaftliche Zerrissenheit in der Gegenwart hat zeitlich schon länger zurückliegende Ursachen. Sie ist das Ergebnis falscher politischer Entscheidungen, z.B. in Sachen Migration, Kriege und Truppen im Ausland, Bankenrettung, Hartz IV, Armut und Luxus, Bildungs- und Pflegenotstand, Privatisierung öffentlicher Leistungen der Daseinsvorsorge usw. Die soziale Spaltung hat zur Folge, dass angesichts der massenhaft geschürten Infektionsangst eine kollektive Sehnsucht nach Normalität entstanden ist. Dabei spielt es für die Mehrheit der Bevölkerung keine Rolle, welcher Art das Objekt ihres Sehnens ist, das vorgibt, die Verhältnisse zu transzendieren: Hauptsache Normalität bzw. „Neue Normalität“! Strukturell gemahnen die Corona-Maßnahmen und der „normale“ Corona-Ausnahmezustand an die unmenschlichen Methoden und die tödliche Art des Vorgehens, wie im Faschismus der „Kampf um die arische Gesundheit und gegen die jüdische Infektion“ (589) geführt wurde – ein Kampf, der in letzter Konsequenz den Genozid vorbereitet hat.

Der ausgerufene Corona-Notstand scheinlegitimiert die antidemokratische Stunde der Exekutive und der medizinisch-hygienisch verbrämten Militarisierung. „Der weißgekleidete Arzt … (wird) zum biologischen Soldaten, ja zum biologischen General im Feldzug zur Tötung des Todes.“ (593) Virologische, epidemiologische, pharmazeutische und medizinische Spezialisten erweisen sich als professionelle Elite, zu der sich Juristen, Militärs, Professoren und Lehrer gesellen. In Verbindung mit der Exekutive wirken sie bei dem Prozess mit, im Namen eines wissenschaftlich drapierten Mystizismus und Irrationalismus, der sich gegen die Vernunft stellt, zur atmosphärischen Vorbereitung sowie zur ideologischen Rationalisierung und pseudo-akademischen Untermauerung des autoritären Hygiene-Regimes beizutragen.

Was die Rolle der Ärzte betrifft und vor allem die Funktion des hochgradig spezialisierten medizinwissenschaftlichen Personals, etwa in Gestalt des zweifelhaften Virologie-Papstes Christian Drosten, erinnert vieles an folgende Beschreibung der Nazi-Ärzte bei Robert Jay Lifton: „Als biologische Soldaten hatten sie allesamt an der Frontlinie des Kampfes zu stehen, der den Tod töten soll.“ (583). Sie beteiligten sich „im Namen der Heilung des Volkes“ an dessen Unterdrückung.

Ärzte, Ämterbürokratie, Polizei-Korpsgeist, Soldaten und pädagogisches Personal

Die mit dem Corona-Regime verbundene Bevölkerungspolitik umzusetzen, ist Aufgabe der dazu verpflichteten Gesundheits- und Ordnungsbehörden sowie der mit aggressivem Korpsgeist ausgestatteten Polizei und des Militärs. Zunächst nur eingesetzt bei der Verfolgung von Infektionsketten, werden Angehörige des Militärs zu Vollzugsorganen des Kesseltreibens gegen das Virus, d.h. sowohl gegen die Infizierten als auch gegen die von Infizierung bedrohten Risikogruppen. Schließlich stehen sie auf Abruf zum Einsatz gegen die Kritiker des infektionsbegründeten Maßnahmen-Pakets. Die zum Töten ausgebildeten Soldatinnen und Soldaten werden auf paradoxe Weise Teil der Drecksarbeit in den Lockdown- und Quarantäne-Stellungskriegen gegen den Tod und die Angst vor ihm.

Nicht zu vergessen die Rolle der Mitarbeiterinnen und Angestellten in den Arztpraxen, Kliniken, Testzentren, Laboren und Impfzentralen sowie bei den Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände und des Roten Kreuzes. Aus ihrer professionellen Sichtverengung als Weisungsgebundene halten sie das gesamte Geschehen am Leben und leisten so ihren Beitrag zum Funktionieren der Infektionsschutz-Bürokratie. Ihre professionelle Handlanger-Perspektive beschränkt sich im Wesentlichen auf die Kontrolle der infektionsgefährdeten oder infizierten Population sowie auf die Technologie der Tests, der Beatmungsgeräte und der Verabreichung des zu erwartenden Impfstoffs. Des Weiteren obliegt der Bürokratie und dem Personal in Kitas und Schulen eine herausragende Rolle bei der Kontrolle und Sanktionierung von Kindern und Jugendlichen.

Im Nachwort zu seiner Studie über die Nazi-Ärzte spricht Lifton über „die menschliche Verführbarkeit zum Bösen“ (611): „Unter geeigneten Bedingungen kann schließlich so gut wie jeder dem kollektiven Aufruf zur totalen Ausrottung einer Gruppe von angeblichen Trägern eines ‚Todeskeims‘ Folge leisten.“ (614) Eine besondere Rolle spiele hierbei die Bürokratie, weil sie die „Ereignisse, an die man ohnehin kaum glauben mag“ (603), als unwirklich erscheinen lässt. Das Bürokratische entschärfe das Barbarische.

Die Bürokratie „dämpft die intellektuellen und emotionalen Obertöne, die … bei Tätern, Zuschauern und Opfern entstehen. Die Dämpfung der Sprache spielt dabei natürlich eine zentrale Rolle.“ (603) Lifton verweist auf „Euphemismen“ – damals „Umsiedlung“, „Deportation“, heute „Quarantäne“, „Schutzmaske“ – und auf „Codewörter“ – damals “Sonderbehandlung“, heute „Infektionsschutz“ und „Lockdown“. Die Dämpfung der Sprache befördere und bestärke die vage Suggestion, dass man etwas Gutes tue.

Globale Dimension und die Prädestiniertheit der deutschen Kultur

Liffton kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass die Möglichkeit von Entwicklungen, wie sie in Deutschland zum faschistischen Genozid an Juden, Homosexuellen, Sinti und Roma geführt haben, universal und auch in anderen Ländern gegeben sei. Seine Studien über Hiroshima und Vietnam haben ihn in dieser Überzeugung bestärkt (siehe Death in Life: Survivors of Hiroshima, New York City 1968; Die Psychologie des Völkermordes: Atomkrieg und Holocaust, Stuttgart 1992). Das veranlasst zu zwei Schlussbemerkungen.

Erstens: Da sich die Corona/Covid-19-Epidemie global-pandemisch ausgebreitet hat, ist es nicht von der Hand zu weisen und liegt es vielmehr im intellektuellen Ermessen, dass die von Lifton im Zusammenhang der „Nazi-Ärzte“ gefundenen Erkenntnisse auf ein menschenverachtendes Bedrohungspotenzial verweisen, dessen tödliche Auswirkungen sich nicht auf ein einzelnes Land beschränken. Vielmehr können die Wiederkehr eines faschistischen Systems neuen Zuschnitts und die Etablierung einer Hygiene-Diktatur gegenwärtig weltweite Dimensionen annehmen. Das verleiht den lokalen Corona-Protesten einerseits eine universalpolitische Bedeutung. Andererseits sind die Folgen noch gar nicht auszudenken, wenn der Widerstand im Weltmaßstab scheitert.

Zweitens: Obgleich die faschistische Gefahr ein globales Ausmaß anzunehmen droht, verweist Lifton auf Gründe, um von einer spezifischen autoritär-faschistischen Prädestination der deutschen Kultur auszugehen. Dies sei der Fall infolge „ihrer Tendenz zu Schuldgefühlen und Selbstverurteilungen, zur Zerrissenheit, zur Dopplung, zum faustischen Verhalten, zur Verpflichtung nach dem Muster des Alles-oder-Nichts, zum ideologischen Totalitarismus und zur todesschwangeren Sehnsucht nach Unsterblichkeit.“ (607) Zwar sei keine dieser Eigenschaften, so Lifton, „ein Monopol der Deutschen“ (ebd.). Aber, so darf man Lifton interpretieren, wenn die deutsche Kultur in besonderer Weise dazu prädestiniert ist, dann liegt es aktuell besonders an den Menschen in Deutschland, gegen die autoritär-faschistische Entwicklung Widerstand zu leisten.

Online-Flyer Nr. 757  vom 23.11.2020

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