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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Medien
Juristen des Medienkonzerns setzen eine Klage in den Sand
SÜDDEUTSCHE verliert – Obdachlose gewinnen
Von Ulrich Gellermann

Fröhliche Gesichter im Saal des Münchner Landgerichts: Freunde und Leser der RATIONALGALERIE beglückwünschten Uli Gellermann: Der war vom Medienkonzern, der die SÜDDEUTSCHE herausgibt, wegen einer angeblichen Beleidigung verklagt worden. Im Prozess – zu dem als Zeuge der Redakteur Hubert Wetzel aus den USA angereist war – stellte sich heraus, dass die Klage des angeblich beleidigten Wetzel nicht von ihm selbst angestrebt worden war. Die Rechtsabteilung der SÜDDEUTSCHEN hatte den inkriminierten Artikel zu einem „postfaktischen Arschloch“ aus dem Internet gefischt und dem Angestellten der Zeitung offenkundig eine Klage nahegelegt. Der juristische Anfängerfehler: Beleidigungsklagen müssen vom Beleidigten selbst angestrebt werden. Doch die süddeutsche Attacke auf die Meinungsfreiheit sollte, dem Willen der Inhaber folgend, von den Hausjuristen erledigt werden.

Erst im Verlauf der richterlichen Befragung des Zeugen stellte sich die ganze Wahrheit heraus: Nicht der Redakteur Wetzel hatte geklagt, sondern die unprofessionelle Rechtsabteilung des Münchner Blattes übernahm die Rolle des Beleidigten. Das gab dem Wortverbrecher Gellermann die Gelegenheit, dem Gericht und dem Zeugen erneut deutlich zu machen, dass er den Artikel der SZ zu den möglichen Russlandverbindungen des US-Präsidenten für schlechten Journalismus, letztlich für politische Propaganda, hält. Präzis erklärte er vor Gericht, dass der Artikel der SZ im Kern auf einem Geheimdienst-Dossier basiere, Geheimdienste aber nun mal nur Interessen von Politik und Militär wahrnehmen, also kaum verläßliche Informationen für Zeitungsleser liefern.

Auch ein Schmuddel-Video – das niemand gesehen und geprüft hat und angeblich Sexspiele des US-Präsidenten zeigen soll, in denen Urin eine Hauptrolle spielt – war der SÜDDEUTSCHEN Grundlage für ihre sonderbare Auffassung von Journalismus. Zwar wurde auch diese Tatsache vom Gericht nicht bestritten, aber der Richter ritt gern weiter darauf herum, dass das böse Wort „Arschloch“ in Gellermanns Artikel vorgekommen sei. Dass der Beklagte sich nur der Was-wäre-Wenn-Methode der SÜDDEUTSCHEN bedient hatte, also den Konjunktiv als Waffe benutzte, war schon der juristischen Instanz vorher nicht zugänglich, die den Filmemacher und Journalisten bereits verurteilt hatte. Auch der anwesende Staatsanwalt, der eine eigene Revision des Urteils anstrebte, wollte mit Gellermann über dessen Denkansatz nicht diskutieren: Wer, wie die SÜDDEUTSCHE statt sauber recherchierten Journalismus lieber Feindbilder verbreite, der sei schlicht unseriös, also auch nicht zu beleidigen.

Dann, kaum hatte das Verfahren so richtig begonnen, platzte die Bombe: Dem Richter fiel plötzlich auf, dass die Anklage nicht mal den juristischen Regeln entsprach. Und so platzte auch der Prozess: Gellermann wurde freigesprochen, die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. – Nun wird es ein wenig dauern, bis die Münchner Justiz die Kosten zusammenrechnet. Erst dann kann Gellermanns Anwalt die Abrechnung der Solidaritäts-Spenden auf den korrekten Punkt bringen und den fälligen Betrag, wie versprochen, der Obdachlosenhilfe DIE BRÜCKE e. V. überweisen. Die RATIONALGALERIE wird umgehend berichten.

Allen Freunden und Lesern der RATIONALGALERIE meinen herzlichen Dank. So siegt die Meinungsfreiheit manchmal auch durch die Fehler ihrer Gegner. Ohne die Solidarität der Vielen, ohne eure Spenden und euren Zuspruch, hätte selbst dieser Sieg nicht erzwungen werden könne. Euer Uli Gellermann.

Dem klugen Münchner Blogger Ralph Kutza verdanken wir folgenden ausführlichen Prozessbericht:

    Kurzen Prozess gemacht
    Bericht von Andreas Schell, einem Leser aus München


    Eine überraschende Wendung nahm der Prozess Süddeutsche Zeitung gegen den Berliner Journalisten, Filmemacher und Blogger Uli Gellermann. Zu einer Verhandlung kam es gar nicht erst, Freispruch, erledigt. Und das kam so.

    Der Beklagte, in erster Instanz am gleichen Amtsgericht bereits zu einem Bußgeld von 1000 Euro verurteilte Uli Gellermann, begründete seine satirische Intention beim Verfassen seines Blogbeitrags. Wo sei sein fraglicher Artikel erschienen? In der Rationalgalerie, seinem Blog, der sich unter Anderem mit Medienkritik befasst. Wie lange sei der Beitrag zu sehen gewesen? Die Antwort: bis heute, in unveränderter Form. Zu Protokoll kam auch, dass die Rationalgalerie zu Zeiten der Hartz IV Reform begründet wurde, aus der ehrlichen Empörung des Galeristen über die damit einhergehende Mainstream-Propaganda, die diesen Einschnitt in den Sozialstaat unisono und positiv konnotiert als "Reform" darstellte. Worüber sich Gellermann denn eigentlich aufrege fragte der Richter im Zusammenhang mit dem Artikel in der Süddeutschen. Selbst das Bundesverfassungsgericht sehe es als eine Aufgabe der Presse, über Prominente, zu denen man Donald Trump zweifellos zählen dürfe, Klatsch und Tratsch zu verbreiten. Das war es also, was die Süddeutschen Zeitung nach richterlicher Auffassung bezweckt hat. Warum das Verfassungsgericht das so sehe, wisse man freilich nicht, so der ruhige, freundliche Richter.

    Alsbald rief man den Redakteur herein, den Urheber des fraglos flachen Artikels über den amerikanischen Präsidenten, den Gellermann so ungewohnt explizit und flegelhaft, quasi die journalistische Leistung zurückspiegelnd, abgekanzelt hatte. Name, Wohnort, Familienstand wurden zu Protokoll gegeben. Beim Wohnort ein kurzes Aha im Publikum: Herr Wetzel lebt in den USA und ist damit sozusagen ein physischer Transatlantiker. Zur Verhandlung und vermutlich noch viel wichtigeren Verrichtungen mit seiner ebenfalls transatlantischen Chefredaktion war er in München angereist.

    Zu Sache folgten wenige, kurz und lässig gestellte Fragen des Richters: wann und wie haben Sie vom Gegenstand des Verfahrens, der eingeklagten, vermeintlichen Verbalinjurie "Arschloch" erfahren? Antwort: Aus der Chefredaktion in Deutschland, und auch, dass diese rechtliche Schritte einleiten wolle. Der Richter: haben Sie denn selbst etwas unternommen? Antwort: nein. Darauf der Richter: dann können wir an dieser Stelle aufhören. Einen Strafantrag kann im Sinne §77 StGB nur der Verletzte selbst stellen. Das scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Damit entfällt der Grund für ein Strafverfahren. Alle Fristen für eine nachträgliche Beteiligung Wetzels an einer Klage seien abgelaufen. Nach kaum fünf Minuten waren der offensichtlich nicht beleidigte Redakteur und sein Anwalt wieder vor der Tür, vor der sie schon vorher standen. Noch schnell das Plädoyer der Verteidigung: Verfahren einstellen. Der junge Staatsanwalt sah es genau so. Letzte Worte des Beklagten: den Aufwand hätte man sich sparen können. Nicken und abklingendes Erstaunen im Publikum.

    Urteilsverkündung und Begründung folgten nach wenigen Minuten gerichtlicher Beschlussfassung und im Namen des Volkes: das Verfahren wird mangels Grund eingestellt, der Beklagte Uli Gellermann frei gesprochen, das Urteil aus erster Instanz aufgehoben, und die Kosten trägt der Staat. Keinerlei Zweifel und keine juristische Dialektik, sondern ein vollkommen klarer Fall.

    Es bleiben trotz der heiteren Erleichterung, die dieser versöhnlich stimmende Richterspruch zur Folge hatte, einige Fragen. Wie kann es sein, dass in solch eindeutiger Lage eine Richterin in erster Instanz einige Zeit damit verbringt, dem krankheitsbedingt nicht angereisten Angeklagten seine Verhandlungsfähigkeit nachzuweisen? Darf man da eine Kompetenzüberschreitung vermuten? Wie kann es zweitens sein, dass die Richterin angesichts einer Klage eines Verlags ein Urteil spricht, ohne zu prüfen, ob überhaupt die Voraussetzung für ein Verfahren gegeben ist? Einem Nicht-Juristen könnte das Wörtchen Anfänger einfallen. Lassen wir das - Justitia ist eben blind.

    Am Besorgnis erregendsten erscheint jedoch der Zustand der wirtschafts- und kapitalnahen Chefredaktion der einstmals so stolzen Süddeutschen Zeitung, die nicht nur in der Südhälfte der Bundesrepublik vom wachen Publikum mit täglicher Vorfreude gelesen wurde. Ein Gerichtsverfahren also? Ja? Eine Machtdemonstration gegen einen einzelnen Blogger, die man sich momentan noch aus der Portokasse leisten kann? Ähnlich schlampig vorbereitet wie so mancher Pro-NATO und Anti-Putin, Pro-Macron und Anti-Trump Artikel neueren Datums, die auftragsgemäß die bisweilen eher seichten Gedanken alternden Geldadels offenlegen, das intellektuelle Publikum jedoch in Scharen in die Flucht treiben? Man könnte es verstehen: noch peinlicher als die vollendete Bauchlandung am Amtsgericht in der Münchener Nymphenburger Straße wäre jede beliebig feinsinnige Replik im eigenen Blatt gewesen. Womöglich liest dann noch einmal jemand das Wetzel'sche Armutszeugnis... Man kann (hier spare ich mir ein wohl bekanntes Wörtchen) ... eben weder schön schreiben noch klagen.

    Und das ist auch gut so.

    Quelle: ralphbernhardkutza.de

Erstveröffentlichung am 22. November 2018 bei rationalgalerie.de – Eine Plattform für Nachdenker und Vorläufer

Top-Foto:
Ulrich Gellermann (aus Video-Interview: deutsch.rt.com)


Online-Flyer Nr. 683  vom 22.11.2018

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