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Aktueller Online-Flyer vom 23. April 2024  

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Krieg und Frieden
Zum 20. Juli: Friedens"bewegte" müssen Feindbild zurückweisen und Analysearbeit leisten
Gedenken heißt Widerstand
Von Irene Eckert

Wir können in Deutschland und in Europa derzeit tragischer Weise nicht im Entferntesten auf etwas verweisen, was nach Friedensbewegung aussieht - obwohl die Friedenssehnsucht groß und das Bedürfnis mit Russland gut auszukommen enorm ist, wie uns alle Meinungsumfragen bestätigen. Kleinste, inkohärente Grüppchen, kleine Vereine, kleine Initiativen, meist ohne Plattform, ohne Fokus auf die Kernfrage, ohne Konsens in der Zurückweisung des Russlandfeindbildes, sich nur zu sporadischen Aktivitäten versammelnd, sind kein Ersatz und werden von niemandem außer ihnen selbst und gewisser Kreise wahrgenommen. Das ist unheilvoll, darf aber auch nicht schöngeredet werden. Die vor uns liegende Aufgabe besteht nun darin, diesen Zustand zu analysieren und zu begreifen, worin er seine interne Ursache hat. Die äußeren Umstände kennen wir einigermaßen, aber auch diese werden oft falsch bewertet. Unser Zutun als „Linke“, als besorgte, um den Frieden und die Gerechtigkeit in der Welt bemühte Menschen muss in allererster Linie darin bestehen, die Realität schonungslos zu betrachten.

Domenico Losurdo hat mit seinem letzten Buch „Wenn die LINKE fehlt“ einen wichtigen Beitrag zur Erörterung dieser Frage geleistet. junge-Welt-Ex-Chefredakteur Arnold Schölzel hat leider die Chance vertan, in seinem überhasteten Nachruf, diesen wertvollen Beitrag des italienischen Philosophen hervorzuheben und dadurch die von Domenico gewünschte Debatte gewissermaßen abgebogen. Statt dessen hat er über Losurdos Nietzschebild phantasiert. Die genannte "linke" Tageszeitung, die sich selbst das Etikett "marxistisch" verpasst hat, leistet damit, genau wie im Grunde alle ehemals fortschrittlichen Einrichtungen, dem Friedens- und Gerechtigkeitsanliegen einen Bärendienst. Gewollter Maßen durchschauen längst nicht alle progressiv fühlenden Menschen diesen falschen Zauber. Den Schleier zu lüften tut daher Not.

Aktivismus nicht hilfreich

Manche mittelständische Friedensfreunde, die dafür Kraft und Zeit haben, verzetteln sich in Aktivismus, sammeln Unterschriften, organisieren diese oder jene Protestaktion, gehen auf die Straße, besuchen Veranstaltungen und verwechseln ihre Bewegtheit mit einer echten Bewegung. Das hilft aber nicht weiter, weil solches Engagement nur auf der Basis einer den Fokus treffenden, die Massen ergreifenden Plattform Sinn macht, ansonsten reine Verzettelung und Verschleuderung wertvoller Energieressourcen bedeutet.

Niedergang der LINKEN richtig diagnostizieren tut Not

Der Verlust der Friedens- und sozialen Gerechtigkeits-Bewegung ist mit dem Niedergang der LINKEN in all ihren Schattierungen und diese wiederum mit der Preisgabe des Anti-Imperialismus verbunden, der spätestens nach 1989 ziemlich flächendeckend abhanden kam, natürlich nicht unbeeinflusst von den Steigbügelhaltern des Imperiums. Sicher gibt es durchaus einzelne Individuen, die punktuell bemüht sind, Abhilfe zu schaffen, vereinzelte Bemühungen, diese Situation konstruktiv zu verändern. Unter den linken Stimmen ist außer dem verstorbenen Domenico Losurdo in Deutschland vor allem Andreas Wehr zu nennen und die unermüdlichen Arbeiterfotografen Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann, die wichtige Autoren in der online erscheinenden Neuen Rheinischen Zeitung zu Wort kommen lassen. Unter den vielen kritischen Journalisten, die sich auch um die Nachdenkseiten gruppieren, ragt als einzelner Ken Jebsen hervor. Je erfolgreicher diese Stimmen sind, je schriller die gegen sie veranlasste Hetze. Charakteristisch für das einst imperialismusfeindliche und damit kriegskritische Lager aber ist es eben, dass sich keine echte Solidaritätsbewegung für jene entwickelt, die ihre Köpfe hinhalten.

Der Niedergang der Linken begann mit deren Einknicken vor dem Feind

Es begann mit der Preisgabe der internationalen Solidarität. Der Einstieg in den Abgang war die Zustimmung zu den Kriegskrediten seitens der SPD 1914 und ihrem Einknicken gegenüber dem verordneten Feindbild Russland, das damals noch zaristisch war. Das Liebäugeln mit der Macht und die Kollaboration mit den Kriegern ging weiter nach dem 1. Weltkrieg, als Friedrich Ebert und Noske, beide SPD, mit der Reichswehr übereinkamen und die Arbeiter nieder kartätschen ließen. Die historische Niederlage der LINKEN ging weiter und tiefer, indem das Geburtsland der Arbeiterbewegung sich unfähig zeigte, der verlogenen und geheuchelten Linkspropaganda der NAZIS entsprechend Paroli zu bieten. In Russland siegten unterdessen die Bolschewiki über die Weißen, über die trotzkistischen Agenten des Imperialismus und über deren NS-faschistische Brüder. Die Bolschewiki befreiten uns vorerst von der braunen Brut.

Ein Neuanfang schien nah 1945 möglich. Tatkräftig wirkten die klarblickenden Überlebenden daran mit. Sowjetrussland leistete schier Übermenschliches im eigenen Einflussbereich. Eine neue Friedensordnung sollte geschaffen werden. Die UN-Charta ist ein starkes Dokument aus jenen Tagen, ebenso die Verfassung, die sich die DDR gab. Aber die imperialistischen Kräfte, die den Faschismus ja hervorgebracht hatten, schliefen nicht. “Der Schoß war fruchtbar noch, aus dem das kroch”, wie Meister Brecht richtig diagnostiziert hatte.

Stalin und Roosevelt mussten einen verfrühten Tod sterben. Das Ruder wurde wieder im Sinne der Kriegsindustrie herumgedreht. Im Kreml herrscht ab 1953 ein anderer Wind, ein Agent des Westens hat die Führungsposition übernommen, ein übrig gebliebener Trotzkist namens Chruschtschow, der seine Gegner rasch zu beseitigen wusste.

Der Kommunismus ist kein Verbrechen, er ist das Ende der Verbrechen

Wieder einmal und diesmal auf besonders fatale Weise ließ sich die links fühlende Basis an der Nase herumführen. Vergessen gemacht wurde mittels Beherrschung aller Propagandakanäle: “Der Kommunismus ist kein Verbrechen, er ist das Ende der Verbrechen” (Bert Brecht).

Von US-Amerika aus begann die offene Hetzjagd gegen alles, was dem militärisch-industriellen Komplex ‘links’ und damit sozial, solidarisch und kriegskritisch erschien. Der Kampf gegen den “Kommunismus” erfolgte aber auch subtiler und begann systematisch, die gesamte Gerechtigkeits-, Unabhängigkeits- und Linksbewegung zu unterwandern. Seit 1956 hatte man mit Chruschtschows Anti-Stalin-Rede auf dem XX. Parteitag der KPDSU die Meisterkeule gegen den Kommunismus, worunter alles Linke zu verstehen war. Die oberste Sowjetführung selber beschuldigte nun den weltweit hoch verehrten Generalissmo Stalin, also die eigene, jetzt tote Führungspersönlichkeit, das Symbol des Sieges über den Faschismus, wahnsinniger Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Das schlimme war, der Propagandacoup gelang, die Linke schluckte die Kröte. Wer sie nicht schluckte, wurde mit anderen Mitteln beseitigt. Damit war die dritte Runde des Niedergangs der anti-imperialistischen Bewegung eingeleitet. Noch lange aber war diese Bewegung nicht tot. Man kämpfte tapfer gegen die Wiederbewaffnung, man kämpfte weltweit gegen den Vietnamkrieg und gewann. Der Gegner änderte nach dieser Niederlage wieder einmal seine Strategie. Softe Regime-Change-Methoden wurden ins Leben gerufen. Es begann mit der 68er-Bewegung, die etwa den Sturz von NATO-Gegner de Gaulle brachte. Der so genannte Euro-Kommunismus wurde ins Leben gerufen, der den kommunistischen Bewegungen das Mark entzog.

Nachdem der Sozialismus jahrzehntelang diskreditiert worden war und von innen heraus vergiftet, gelang schließlich der letzte Schlag: Die Sowjetunion kapitulierte friedlich unter Gorbatschow und gab die Errungenschaften des großen Sieges preis. Die DDR wurde wie alle ehemals sozialistischen Staaten aufgelöst, komplett zerschlagen und eingemeindet ins imperialistische Lager. Die LINKE aber leistete Abbitte für ihre vermeintlichen Verbrechen.

Die Stasiklamotte wurde aus den eigenen Reihen beklatscht. Man macht seither pausenlos den Kotau und haut sich somit die eigenen Beine weg.

Entmannte Linke nicht mehr kampfbereit gegen Krieg und Imperialismus

Spätestens seit 1989, seit nunmehr fast drei langen Jahrzehnten, liegt die LINKE gedemütigt und selbstkastriert zu Boden und zwar weltweit. Unfähig die verbrecherische Blutspur des Imperialismus anzuprangern, unfähig zu unterscheiden zwischen “Gut und Böse”, zwischen Recht und Unrecht, huldigt sie sogar dem Rechtsnihilismus, hilft die Grundsubstanz der Demokratie zu untergraben. Wenn Arnold Schölzel, immer noch respektierter Oberguru vieler kritischer Geister in der jW-Wochendausgabe vom 14./15. Juli 2018 schreibt: “Das Grundgesetz beginnt mit einer Lüge”, weil dort die Unantastbarkeit der Menschenwürde als Leitlinie aller Politik festgehalten ist, dann kennzeichnet das die ganze Verwirrtheit. Der Journalist Schölzel mag hier stellvertretend für all jene LINKs-Kräfte zitiert werden, für Intellektuelle, die sich unfähig zeigen, die anti-iranische, anti-libysche, anti-syrische, anti-russische Hetze konsequent als imperialistische Bösartigkeit zurückzuweisen. Das Völkerrecht, ja das geschriebene Recht überhaupt, wird nicht im Geringsten respektiert. Man eiert stattdessen herum und muss in schöner Äquidistanz erst einmal den jeweiligen Diktator verdammen, verunglimpfen, lächerlich machen, ehe man auch die gewaltsamen Aggressionen der US-geführten NATO-Kräfte ein wenig zu kritisieren wagt. Ein Rekurs auf die UN-Charta und Völkerrechtsnormen war zuletzt noch 1999 zumindest halbherzig möglich, als die unerhörte Aggression gegen Jugoslawien, den Türöffner-Krieg für alle weiteren bewaffneten Einmischungen zum Sturze angeblicher Diktatoren einleitete.

Menschenrechtsimperialismus einer zahnlosen LINKEN


Anstelle der einstigen internationalen Solidarität mit den um ihre Unabhängigkeit ringenden, bedrängten Völkern werden die Führungspersönlichkeiten verunglimpft, bevor man sich gegen deren gewaltsame Entfernung durch kriegerische Maßnahmen, dann doch ausspricht. Krieg wird mit Hilfe einer menschenrechtlichen Argumentation unterstützt, die durch eine letztlich imperialistische Schutzverantwortungsvorgabe der UN-Generalversammlung abgesegnet scheint. Die UN-Charta wird weitestgehend ignoriert. Auch hier trifft man sich mit der Imperialmacht. Die Grünen, gefühlte Linke, sind natürlich Vorreiter mit Joschka Fischers „Nie wie Auschwitz“-Demagogie. Allerdings handelte er im Bunde mit dem SPD-Kanzler Schröder.

Dieser verkehrten Welt hatte die ‘sozialistische’ oder ‘kommunistische“ Linke nichts Konsequentes entgegenzusetzen. Sie ist immer noch mit falscher Vergangenheitsbewältigung beschäftigt, laut derer sie menschenrechtlich etwas gut zu machen hat, weil sie selbst vermeintlichen Menschenrechtsverbrechen im Staatsgewande nichts entgegenzusetzen hatte. Deswegen, um einer falsch verstandenen Wiedergutmachung willen, muss sie auch einer verfassungswidrigen Öffnung des eigenen Staatsgebietes für alle herrenlos gewordenen Völker kritiklos zustimmen. Auf diese Weise will sie Wiedergutmachung leisten für echte oder vermeintliche politische Versäumnisse. Diejenigen politischen Kräfte, die sich diesem Wahnsinn verschließen, werden nicht als solche erkannt oder gar ausgegrenzt oder bekämpft.

Fehlerbehebung erfordert geistige Arbeit

Hierin sind einige der wesentlichen Ursachen für die Schwäche der Linken und damit für das Fehlen einer echten Friedensbewegung zu suchen. Das Problem ist auf geistige Weise zu lösen, es muss geistig durchdrungen und überwunden werden, bevor sich etwas verändern kann. Die Voraussetzungen dafür sind aber gegenwärtig insofern günstig, als sich weltweit die Kräfte zugunsten des anti-imperialistischen Lagers verschieben. Das Zeitalter der unipolaren, also vom Imperialismus geführten Weltordnung geht zur Neige. Eine multipolare Welt ist ganz deutlich sichtbar am Horizont.


Erstveröffentlichung am 20. Juli 2018 beim "Arbeitskreis für Friedenspolitik"


Siehe auch:

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Online-Flyer Nr. 669  vom 25.07.2018



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