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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Globales
Fregatte KARLSRUHE: Kriegsschiff und Patenschaft sofort zurückziehen!
Fluchtverhinderung mit KARLSRUHE
Von Dietrich Schulze

Am 15. Juni erschien der NRhZ-Bericht „Abrüstungsbeitrag KARLSRUHE“ [1]. Kurz nach Redaktionsschluss gab es am 13. Juni im Jubez-Café in Karlsruhe in der Diskussionsveranstaltung „Umkämpftes Mittelmeer“ [2a] bewegende Berichte der Alarmphone-Helfer Father Mussie Zerai, Marion Bayer und Hagen Kopp für Flüchtlinge mit in Seenot geratenen Booten im Mittelmeer. Dort wurde über die Broschüre „MOVING ON Ein Jahr Alarmphone“ [2b] berichtet und diese angeboten. Am Erscheinungstag des Berichts gab es in Karlsruhe eine Pressekonferenz zur Präsentation des Grundrechte-Reports 2016 [3a]. Einer der 40 Berichte zu den überwiegend staatlichen Grundrechtsverletzungen befasst sich mit dem Thema »Schlepperbekämpfung« im zentralen Mittelmeer: Fluchtverhinderung mit Kriegsschiffen“ [3b]. Die Erkenntnisse allein aus diesen beiden Terminen werfen ein komplett neues Licht auf die in [1] aufbereiteten Überlegungen.

Zur Erinnerung: Dort zitierte die BNN am 20. April den Kommandanten der KARLSRUHE Clausing: „Es ist mir eine Ehre und Freude, die Verantwortung über das 3. Deutsche Einsatzkontingent EUNAVFORMED übernehmen zu dürfen. Unser Auftrag ist klar. Die Bekämpfung der Schleuserkriminalität. Unsere Aufgabe wird jedoch zu großen Teilen die Hilfeleistung für verzweifelte und in Not geratene Menschen sein. Dafür brauchen wir keinen Auftrag, weil es unsere moralische und ethische Pflicht als Seeleute ist, Menschen in Seenot zu helfen.“ Wie dramatisch diese Ausführungen neben der Wirklichkeit liegen, kann nun mit Zitaten aus den beiden obigen Terminen belegt werden, um daraus neue Schlüsse zu ziehen.

Kalkuliertes und überwachtes Sterben

Am 27. Mai berichtete Alarmphone [4a] über eine Katastrophe am Vortag. Der Flüchtlings-Anrufer berichtete von zwei Booten in Seenot mit jeweils 500 Menschen an Bord, darunter viele syrische und irakische Flüchtlinge. Nach 4 Stunden kam endlich Rettung durch die italienische Küstenwache in Sicht. Eine Stunde davor war das zweite Boot bereits gesunken. Die Küstenwache berichtete von 96 Geretteten. Das private Rettungsschiff Sea-Watch musste Ertrunkene bergen. Es gibt keine Zahlenangaben über die Ertrunkenen von den 1000 betroffenen Flüchtlingen. Nach Adam Riese müssen es viel mehr als ein halbes Tausend gewesen sein.

Die oben benannten Militär-Operation EUNAVFOR MED/Sophia dient der Überwachung des zentralen Mittelmeeres zwischen Libyen und Italien mit dem zentralen Auftrag der Bekämpfung der sog. Schleusernetzwerke. Die „Schlepperjäger“ sind mit allem High-Tech ausgerüstet. Sie können die Boote vermutlich mit High-Tech orten. Sie könnten auch regelmäßig mit einem kleinen Aufklärungsflugzeug entlang der allseits bekannten Routen die Boote der Geflüchteten orten und diese sofort retten. Das Sterben durch Untätigkeit der KARLSRUHE geht weiter. Es wird verschwiegen, vertuscht oder kleingeredet, um neue öffentliche Aufschreie zu vermeiden.

Ein ähnlich kritischer Bericht findet sich im SPIEGEL am 13. Mai [4b], also zwei Wochen vor der oben beschriebenen Katastrophe. Schlagzeile: „Bericht stellt EU-Mission »Sophia« vernichtendes Zeugnis aus“. Das Fazit des britischen Ausschussberichts: Die EU-Mission im Mittelmeer verfehlt ihr Ziel. Sie macht die Überfahrt der Flüchtlinge sogar noch gefährlicher. Die Schleuser änderten einfach ihre Strategie und verfrachteten die Hilfesuchenden in Schlauch- statt in Holzboote. Die EU setzt eine Armada aus neun Kriegsschiffen, einem U-Boot, Aufklärungsflugzeugen und sogar Drohnen ein. Bei Gründung der Mission, die damals offiziell "EUNAVFOR Med" hieß, sei die Rettung von Flüchtlingen eher ein Nebenaspekt gewesen. Ende Juni müsse das Mandat für den Einsatz komplett erneuert werden.

Fluchtverhinderung mit Kriegsschiffen

So der Titel des obigen Teilberichts [3b] von Judith Kopp. Schauen wir uns diesen Bericht noch etwas genauer an. Allein die Zwischenüberschriften ergeben eine eindeutige Botschaft:
  • Militäreinsatz nimmt »Verlust von Menschenleben« als Kollateralschäden in Kauf
  • »Schlepperbekämpfung« statt Seenotrettung
  • »Anhalten. Durchsuchen. Beschlagnahmen und Umleiten«
  • PR-Strategie gegen Reputationsverlust
  • Abschottungspolitik mit humanitärem Anstrich
Zu Beginn werden die politischen Ursachen der obigen Katastrophen beleuchtet: Zitat.“»Europa darf nicht zulassen, dass das Mittelmeer ein Massengrab für Flüchtlinge ist«, so der Bundesaußenminister Anfang September 2015. Seit der Bootskatastrophe vor Lampedusa im Oktober 2013 beschwören PolitikerInnen nach neuen Katastrophen ritualhaft ein Ende des massenhaften Sterbens im Mittelmeer. Doch anstatt Schutzsuchenden legale Zugangswege nach Europa zu eröffnen und einen europäischen Seenotrettungsdienst einzusetzen, haben die EU-Regierungen darauf gedrungen, dass Italien Ende 2014 seine Such- und Rettungsmission »Mare Nostrum. Auslaufen ließ, um anschließend mit dem Einsatz der Frontex-Operation Triton auf Grenzabschottung zu setzen. Die Todesrate stieg in der Folge in bisher unbekannte Höhe - allein in einer Woche im April 2015 kamen über 1000 Menschen bei Bootskatastrophen ums Leben.“

Und hier ein sehr wichtiger völkerrechtlicher Aspekt. Zitat: „Der militärische Einsatz »Krisenbewältigungsoperation« EUNAVFOR Med ab Oktober 2015 ist mit dem Völkerrecht nicht vereinbar, da internationale Abkommen die Schleusung von MigrantInnen allenfalls als privates Strafdelikt einstufen. Somit sind dagegen strafrechtliche Mittel zulässig - nicht jedoch militärische. Der Einsatz widerspricht aber auch dem in der Verfassung verbrieften Trennungsgebot zwischen militärischen und polizeilichen Einsätzen.“

Schlussfolgerungen für die KARLSRUHE

Das Kriegsschiff ist daran beteiligt, Flüchtlinge bewusst dem Tod zu überlassen. Im Gegensatz zur PR-Politik der Bundeswehr, der Bundesregierung und der herrschenden Presse ist das eine verantwortungslose Handlung, die unverzüglich beendet werden muss und nicht erst wie in [1] berichtet zum Ende diesen Jahres. Das ist die Aufforderung an die Bundeswehr, die Bundesregierung und den Bundestag, sofort tätig zu werden, selbstredend mit Unterstützung der Verantwortlichen der Stadt. Bekanntlich dauern solche Absichten, auch wenn sie überzeugend vorgetragen werden.

Es gibt einen direkten vor Ort rasch umsetzbaren Schritt, nämlich die Patenschaft bei der übernächsten Sitzung des Gemeinderats im Juli per Mehrheitsbeschluss zu beenden und damit diesem verantwortungslosen Handeln des Kriegsschiffs den humanitären Anstrich zu entziehen.

Bedeutung für die beiden Forderungen im April

Als unmittelbare Reaktionen auf den zitierten BNN-Bericht vom 20. April hatte die Gemeinderatsfraktion DIE LINKE. am 25. April [5a] als PM erklärt, dass die Abschiedsfeier von der Fregattenbesatzung Ende des Jahres überflüssig ist, weil Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup bereits für den Abschied gratuliert habe. Das wird nun insofern bekräftigt, dass die Abschiedsfeier mit der Rücknahme der Patenschaft gegenstandslos wird.

Die zweite unmittelbare Reaktion ebenfalls am 25. April [5b] war die PM von 8 friedensbewegten UnterzeichnerInnen mit der Forderung die Fregatte als Abrüstungsbeitrag zu verschrotten. Dazu ist nach den Berichten vom 13. und 15. Juni eine weitergehende Forderung entstanden, nämlich die Kriegsfregatte in ein ziviles Rettungsschiff für das Mittelmeer umzubauen. Klingt sehr gut, nämlich nach:

»Schwerter zu Pflugscharen« 

Solche Visionen dürfen wir uns nicht verbieten lassen. Auf der Menschenkette am 11. Juni gegen den Drohnenkrieg „STOPP RAMSTEIN“ gab es viele solcher unartiger Gedanken, zum Beispiel „RAUS AUS DER NATO – NATO RAUS“.



Und »Schwerter zu Pflugscharen« ist auch genau der Sinn der Zivilklausel, eine Universität frei von militärischer oder zivil-militärischer Forschung und frei von Bundeswehr-Auftritten. Auch diese Vision für das KIT in Karlsruhe lassen wir uns nicht nehmen.

Zur Erinnerung nochmals die Entdeckung der Bundeswehr-Verwertungsperspektive für die KARLSRUHE in [1] nämlich für die Kriegsforschung in Eckernförde: Weniger angreifbare deutsche Kriegsschiffe rund um den Globus. Als ob es nie die grässliche deutsche Kanonenboot-Politik bereits im 1. Weltkrieg gegeben hätte.  
Seien wir doch kompromissbereit. Ist die Verschrottung nicht ein guter Kompromiss zwischen einer derartigen Kriegsforschungs-Fregatte und dem kompletten Gegenteil, dem Umbau in ein ziviles Rettungsschiff?   


Quellen:

[1] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22870
[2a] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160613ka.pdf
[2b] http://fontsinuse.com/uses/12532/moving-on-one-year-alarmphone
[3a] http://www.grundrechte-report.de
[3b] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160615gr.pdf
[4a] https://alarmphone.org/de/2016/05/27/stellungnahme-von-watchthemed-alarm-phone-zur-aktuellen-situation-im-mittelmeer-und-den-ereignissen-gestern/
[4b] http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-bericht-stellt-eu-mission-sophia-vernichtendes-zeugnis-aus-a-1092305.html
[5a] https://www.facebook.com/dielinkekarlsruhe/posts/1011586335583840:0
[5b] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160425pm.pdf


Über den Autor: Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig.
Email dietrich.schulze@gmx.de


Online-Flyer Nr. 567  vom 20.06.2016

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