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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Kultur und Wissen
Die Geschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle
Die Welt zerschlagen (4)
Von Ute Bales

Ute Bales hat einen biografischen Roman zur Lebensgeschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle geschrieben, die keine 24 Jahre alt wird. Ihr Schicksal ist Krieg, der Erste Weltkrieg, die Liebe, die Tuberkulose, die Künstlergruppe Dada. Mit Kunst die Welt verändern!? Die NRhZ bringt Auszüge aus dem Roman. Teil 4 beschreibt den spektakulären Dada-Vorfrühling 1920 im Kölner Brauhaus Winter: Dilettanten erhebt euch! Dada siegt! Dada ist für Ruhe und Orden! Dada ruht nie! Dada vermehrt sich! Hoch die Präsidenten der internationalen Bewegung! Präsidialbeamte vereinigt euch! Dada ist eine Bombe!

Dada ruht nie! Im März scheitert in Berlin ein Putschversuch gegen die Weimarer Republik. Der Putschversuch bringt das Land an den Rand eines Bürgerkriegs. Wieder breiten sich Angst und Unsicherheit aus. Manchmal glaubt Angelika, dass der Krieg gar nicht zu Ende ist. Auch der Hunger hat kein Ende. Das Schlangestehen vor den Lebensmittelausgabestellen auch nicht.

Die Straßen liegen noch voll Schnee, da kündigt die Arbeitsgemeinschaft bildender Künstler im Lichthof des Kunstgewerbemuseums eine juryfreie Frühjahrsausstellung an. Max und Baargeld reichen Arbeiten ein, die allerdings zurückgewiesen werden. Max tobt und mietet mit Baargeld den Lichthof des Brauhauses Winter in der Schildergasse, den hinteren Tanzsaal eines Lokals, um eine eigene Ausstellung zu organisieren. Zusammen mit seinem Freund Arp fertigt er eigens für die Schau im Brauhaus Collagen an. Es gibt kein richtiges Programm, keine Ordnung. Sämtliche Litfaßsäulen in der Altstadt werden mit Heinrichs Parole beklebt: „Dilettanten erhebt euch!“

Angelika möchte nicht mitmachen. Anders als Heinrich will sie ganz sicher sein mit dem, was sie tut. Mit großem Getöse wird die Ausstellung eröffnet, aber von der Polizei sofort wieder geschlossen. In der Zeitung steht, der Zugang zur Ausstellung führe durch das Pissoir eines Bierkellers, was eine Zumutung für ahnungslose Biertrinker sei, aber auch für die Besucher.

Die Polizei hält das Ganze für eine Angelegenheit von Schwulen, der Vorwurf der Pornografie grassiert, aber beim näheren Betrachten zeigt sich, dass das einzig sittlich zu beanstandende Objekt von Dürer stammt – Max hat in einer seiner Collagen Dürers Eva im Paradies verwendet – woraufhin die Ausstellung aus Mangel an Beweisen wieder geöffnet wird. Auf Max´ Ausstellungsplakat prangt bald eine neue Überschrift: „Dada siegt! – Dada ist für Ruhe und Orden!“ Darunter in kleiner Schrift: „Dada ruht nie! Dada vermehrt sich! Hoch die Präsidenten der internationalen Bewegung! Präsidialbeamte vereinigt euch!“

Willy hat sich vorgenommen, die Ausstellung für einen Vortrag über Collagetechniken zu nutzen. Angelika kommt mit Marta, um ihm zuzuhören. Von einem Durchgang durch das Herrenpissoir bemerken Angelika und Marta nichts, als sie im Brauhaus ankommen. Sie müssen lediglich an den Toiletten vorbei, entlang eines langen Korridors mit einem alten Ofen, an dessen Ende sich links ein Abstellraum mit aufeinandergetürmten Wirtshausstühlen befindet. Rechts geht es dann zur Kunst. Am Eingang steht ein Mädchen in einem Kommunionkleid. Ganz gerade steht das Kind mit einem Zettel in der Hand. Als Marta und Angelika näherkommen, fängt es an, mit ernsthaftem Gesicht ein Gedicht aufzusagen: „Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, in allen Lüften hallt es wie Geschrei. Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei und an den Küsten – liest man – steigt die Flut. Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen …“ Angelika stimmt mit ein und das Mädchen hebt verwundert den Kopf: „ … an Land, um dicke Dämme zu zerdrücken. Die meisten Menschen haben einen Schnupfen. Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.“

Lachend gehen sie weiter. Der Raum ist abgedunkelt, so dass sie auf dem rot gedruckten Katalog nichts lesen können, doch wird es rechts um die Ecke etwas heller, dafür regnet ihnen etwas auf den Kopf. Eine rostige Gießkanne hängt von der Decke herab. Alle paar Sekunden fällt ein Tropfen. Die Dada-Messe ist vollgepfropft mit allerhand wunderlichen  Fotomontagen, Nonsensbildern von Katzen und Schweinen, Collagen aus Papierschnipseln, zusammengeklebt aus Eisenbahnbillets, Spielkarten und alten Briefumschlägen. Zwischen Sakramenten- und Kreuzigungsbildern hat jemand einen blau bemalten und mittlerweile verschrumpelten Salat an die Wand genagelt. Ein verdrehter Puppenarm baumelt an einer Eisenstange auf der ein zerstückelter Puppenkorpus angebunden ist. Zeichnungen von Nachtigallen kleben nebeneinander, hintereinander, übereinander, durcheinander. Leute in bunten Kleidern stehen herum, sagen Gedichte auf, die sich anhören, als übe jemand sprechen: „Jolifanto bambla ô falli bambla grossiga m'pfa habla horem égiga goramen higo bloiko russula huju hollaka hollala anlogo bung blago bung blago bung bosso fataka ü üü ü …“ Einer von ihnen trägt einen Kohlkopf um den Hals. Ein anderer miaut, während er auf einem Cello zupft.

Die Leute lachen und wundern sich: „Wenn de jeck weeß, fängk et em Kopp aan.“ In einem mit blutrotem Wasser gefüllten Aquarium liegt ein Wecker. Eine Frauenperücke schwimmt obenauf, das lebensechte Holzmodell einer Hand ragt aus dem Becken. Eine Frau bekommt einen Schreikrampf, als sie das sieht. Neben dem `Anthropophilen Bandwurm´ von Baargeld und Max´ `Unerhörter Drohung aus den Lüften´ liegt ein Beil mit der Aufforderung, das Zeugnis der Anti-Kunst zu zerstören. Daneben ein Stapel Blätter und Stifte und der Hinweis, dass jeder Besucher berechtigt sei, einen dadaistischen oder antidadaistischen Spruch einzutragen, der dann auch präsentiert würde. Angelika und Marta versuchen, die Sprüche zu entziffern. Jemand hat geschrieben: „Kommt wieder zu euch!“, was besonders Angelika zum Prusten bringt. Angelika hat Max` „Knochenmühle der donnerlosen Friseure“ entdeckt. Es ist eine Zigarrenkiste, groß wie eine Obstkiste, in der Röllchen angebracht und Treppen und Drähte und Figuren, angemalt oder nicht, in einer wilden Anordnung zusammengenagelt sind. Während Angelika eine Deutung versucht, kommen Willy und Onkel Otto herein. Willy flucht. Er hat länger arbeiten müssen und jetzt sind die Collagen für den Vortrag nicht fertig. „Dann zeigst du das Ganze eben mit unfertigen Sachen“, meint Marta, woraufhin Willy nickt und verschwindet, um kurz darauf in einem riesigen, karierten Mantel in dem abgedunkelten Raum vor ein paar angefangenen Collagen um Ruhe zu bitten. Dann redet er einfach drauflos. Leute versammeln sich, tuscheln, ein Redakteur fotografiert. Willy erzählt etwas von Leim und Untergründen, von einem wilden Zusammentreffen von Zeitungsausschnitten, Papierstücken und Stofffetzen, vom freien Spiel des Zufalls. Bei wichtigen Stellen schwenkt er die Holzhand einer Schaufensterpuppe, die er mit Draht an einem Besenstiel befestigt hat, durch die Luft. Angelika kann ihm nicht folgen. Otto hingegen ist völlig hingerissen. Der Reporter allerdings tippt sich an die Stirn: „Das ist doch völliger Quatsch. Ein Riesenschwindel!“ Otto stupst Willy gegen die Schulter: „Wo hast du bloß diesen Mantel her? In diesem Mantel und mit diesen Worten, Mensch … unglaublich. Damit ist es dir gelungen, selbst uns zu beunruhigen.“

Willy lädt alle ein zu bleiben. Er werde noch einen Vortrag über die Reise zum Mittelpunkt der Erde halten. Dabei verspricht er sich und lacht: „Ach nee, ich meine natürlich die Reise ans Ende der Welt!“ Im Hintergrund fängt einer der Besucher an zu singen: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …“ Die meisten strömen wieder in Richtung Ausgang. Willys Vortrag will niemand hören. Viele der Besucher sind empört. Andere sind unentschlossen, wissen nicht, ob sie schimpfen oder lachen sollen. Nichts ist geprobt, kaum etwas vorbereitet. Eine Frau mit Kapotthut glaubt in den Bildern den Geist der Zeit zu spüren. Eine andere meint, dass es sich wohl eher um den Geist der Ausstellenden handelt. Marta spricht aus, was Angelika denkt: „Das sieht alles so improvisiert aus. Ich weiß nicht, wie es verstanden wird. Als Inszenierung vielleicht oder als Provokation. Aber als Kritik?“ Sie verzieht den Mund. Angelika hat das Gefühl, als ob ein verwirrendes, sich drehendes Sinnspiel angefangen habe. Grotesk-phantastisch kommt ihr das vor, eine bedrohliche Spannung zwischen Grauen und Lachen. Wie eine Entlarvung, die ihr aber nicht konsequent genug ist. „Irgendwas fehlt. Wir müssen viel mehr zeigen. Um was geht es denn? Doch wohl um das wirklich Bedrohliche unserer Zeit“, flüstert sie Marta zu. „Wenn wir wirklich was erreichen wollen, wenn wir ernst genommen werden wollen, dann  …“ Ein Kreischen schneidet Angelika den Satz ab. Einer der Künstler ist so tief mit dem Hintern in einen Eimer geraten, dass er sich nicht zu befreien weiß. Alles schreit vor Lachen.

Sie wollen gerade gehen, da kommen Max und Lou ihnen entgegen. Max hat eine Feder im Haar. Er singt und lacht: „Der Staat – das bin ich! L’Etat c’est moi!“ Alle, die im Raum sind, auch Angelika und Marta, werden angesteckt: „E’etat c’est moi! C’est moi! Moi! Moi!“ Nur Lou bleibt still. Ihr Bauch ist deutlich gewachsen. Sie trägt ein weites Kleid und flache, breite Schuhe. Max fährt Angelika durch die Haare, fängt von der Ausstellung an, lacht und erzählt, dass sämtliche Ausstellungsstücke bereits mehrfach zerstört, aber immer wieder durch andere ersetzt worden seien. „Dada ist eine Bombe!“ Angelika sieht nur seinen Mund, der sich ständig bewegt, die Arme, die das Gesagte begleiten. Sie hat das Gefühl, dass alles überzogen ist und bereut nicht, dass sie nicht mitgemacht hat.

Presseberichte erscheinen, die Ausstellung sorgt für Aufmerksamkeit. Der Rummel ist noch nicht vorbei, da wird Max Vater eines Sohnes und lässt sich wochenlang nicht mehr blicken.




Ute Bales: Die Welt zerschlagen – Die Geschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle, Gebundene Ausgabe, 280 Seiten, Rhein-Mosel-Verlag, 2015, 19,80 Euro


Siehe auch:

Die Welt zerschlagen – Die Geschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle
Auszug 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22768
Auszug 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22791
Auszug 3: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22808
Auszug 5: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22845
Auszug 6: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22864

Filmclip
Lesung aus einem Roman zur Lebensgeschichte von Angelika Hoerle
Dada-Künstlerin Angelika Hoerle
NRhZ 552 vom 09. März 2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22599

Online-Flyer Nr. 563  vom 25.05.2016

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