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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Späte Ehre für die Nazi-Jäger Klarsfeld – das hat auch mit KIT Karlsruhe tun
Bundesverdienstkreuz für Ohrfeigen-Beate
Von Dietrich Schulze

Es geschehen noch Zeichen und Wunder 70 Jahre nach der Befreiung. Vor drei Jahren hatte die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld aus Paris als Kandidatin der Linken bei der Präsidentenwahl gegen Joachim Gauck kandidiert. Sie wurde mit Verleumdungen bedacht wie „Ohrfeigen-Beate Stasi-gesteuert?“ (FAZ u.a.) und jetzt hat Gauck für Beate und Serge Klarsfeld die Urkunde für das Bundesverdienstkreuz unterzeichnet, s. Presseschau 15. Mai [1].

Collage Dietrich Schulze
 
Nazi-Größen aller Art wie Globke, Kiesinger, Filbinger sind in der Bundesrepublik von Beginn an vorsätzlich hinein gehievt worden in wichtigen Regierungsstellen wie das Bundeskanzleramt, in wichtige Verwaltungsposten aller Art, als Nazi-Generäle für den Bundeswehraufbau und für die Vorbereitung der NATO-Mitgliedschaft, in die staatliche Forschung und so weiter. Das war dem Kalten Krieg gegen den „Ostblock“ (Sowjetunion, DDR, usw.) geschuldet. Adenauer träumte vom Einmarsch der Bundeswehr in die DDR durch das Brandenburger Tor.
 
Alle Erkenntnisse der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit unmittelbar nach der Befreiung wurden nach wenigen Jahren über den Haufen gerannt. „Nie wieder Krieg von deutschem Boden“ bedeutete damals als Selbstverständlichkeit „Nie wieder deutsches Militär“. Das wurde mit der angeblichen Bedrohung aus dem Osten mittels der Remilitarisierungskampagne niedergetrampelt. Die allgemeine Stimmung nach einer gerechten Wirtschaftsordnung gab es in allen Besatzungszonen.
 

Beate Klarsfeld wird abgeführt
NRhZ-Archiv
Wer von den Jüngeren weiß heute, wer damals - durchaus populistisch - gesagt hatte „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen". Es war derjenige, der etwas später zusammen mit Adenauer die deutsche Atombombe wollte: Franz Josef Strauß. Wer von den Jüngeren weiß heute, in welchem Parteiprogramm analysiert und gefordert wurde: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“ Es war das Ahlener Programm der CDU von 1947.
 

Emil Carlebach
NRhZ-Archiv
Emil Carlebach, Jude, Kommunist und KZ Buchenwald-Häftling, danach aktiv als Journalist, Buchautor, dju-Gewerkschafter und hessischer Landtagsabgeordneter, hatte diese absichtsvoll verschüttete, spannendste Periode der deutschen Geschichte in der Artikelserie "Das bestgehütete Geheimnis der Bundesrepublik" in der früheren VVN-Wochenzeitung "Die Tat" aufgedeckt. Die Neuherausgabe dieser Serie, wie vom Autor zum 65. Jahrestag der Befreiung vorgeschlagen, harrt weiter der Realisierung [2a] [2b].

Beate Klarsfeld in einer Veranstaltung in Essen
NRhZ-Archiv 
 
Beate Klarsfeld hatte beim Bundesparteitag der CDU am 7. November 1968 in Berlin Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger eine schallende Ohrfeige mit dem Ausruf „Nazi“ verpasst. Sie brachte den Nazi-Mörder und ehemaligen Pariser Gestapo-Chef Kurt Lischka vor Gericht. Serge und Beate Klarsfeld jagten unter Lebensgefahr Klaus Barbie, den „Schlächter von Lyon“. In dem Film "Die Hetzjagd" ("La Traque") wird die dramatische Barbie-Spurensuche nachgezeichnet. Und hier ergibt sich die Brücke nach Karlsruhe. Am 18. Oktober 2013, am Vorabend des Symposiums „Der vergessene Whistleblower Léon Gruenbaum (1934 – 2004)“ zeigte der Arbeitskreis Kultur und Kommunikation des AStA der Universität Karlsruhe (KIT) in der Uni eben jenen Film "La Traque".
 
Das Symposium des „Forum - Ludwig Marum" am 19. Oktober [3] im ver.di-Haus Karlsruhe hatte den Charakter einer inspirierenden Geschichtswerkstatt mit fünf konzentrierten Lernstunden über die Zivilcourage eines französischen Wissenschaftlers aus einer von den Nazis verfolgten jüdischen Familie und dessen zweite Verfolgung durch den Atom-Manager Rudolf Greifeld am Kernforschungszentrum, einem der KIT-Vorläufer. Gruenbaum hatte mit Unterstützung der Klarsfelds nachgewiesen, dass Greifeld im besetzten Paris eine ranghohe Wehrmachtfunktion inne hatte und an der Verfolgung der Juden beteiligt war. Umfangreiche Dokumente für das Symposium sind in [3] nachlesbar. Greifeld war Sprecher der deutschen Besatzer im Großraum Paris (unter Einschluss des Durchgangslagers Drancy zur Hölle Auschwitz) gegenüber der französischen Vichy-Regierung. Sein Vichy-Gegenpart Edouard Bonnefoy war aber kein Kollaborateur, sondern arbeitete mit der Resistance zusammen. Dessen Mitschriften über die Greifeld-Anweisungen konnten gerettet und veröffentlicht werden. Daraus ergaben sich neue Beweise für Greifelds Antisemitismus, die in einer Dokumentensammlung zusammen gestellt wurden [4].

Hitler, Speer, Giesler, Breker und Rudolf Greifeld (x) am 30. Juni 1940 in Paris
Quelle: Bundesarchiv Az 146-2004-0017
 
An Léon Gruenbaums wissenschaftlichem Nachlass wird energisch gearbeitet. Nur ein einziges typisches Zitat über dessen Breite und Tiefe an Erkenntnissen. Auf Robert Jungks Frage bei einem Besuch 1975 in Paris während Gruenbaums Ausarbeitung seiner Monographie „Genese der Plutoniumgesellschaft“, ob der Nazi-Einsatz in der deutschen Kernforschung für die Gegenwart von Bedeutung sei, antwortete er: „Gewiß. Ich meine, es ist doch wohl kein Zufall, dass diese Männer sich gerade so sehr für die Atomindustrie interessiert haben. Sie müssen sich schon zu einem frühen Zeitpunkt gesagt haben, dass hier eine Schlüsselindustrie entsteht, die einmal alle anderen an Machtfülle und Einfluss überflügeln würde. Doch dann kommt vielleicht noch ein anderes Motiv dazu: der Wunsch der Deutschen, auch einmal Atombomben zu haben – oder zumindest die Verfügung über industrielle Kapazitäten, die eine Herstellung der ihnen verbotenen Waffengattung bei Bedarf ermöglichen.“ Zitat aus Jungks „Atomstaat“.
 
Das genau war das Strauß-Motiv für den Einsatz des bewährten Nazis Greifeld (seit 1937 NSdAP-Mitglied) 1956 als administrativen Geschäftsführer der Kernreaktor Bau- und Betriebsgesellschaft, dem späteren Kernforschungszentrum und heutigen KIT Campus Nord. Mit Ritter und Brandl kamen zwei weitere hinzu und 1960 Walter Schnurr (Hitlers Sprengstoff-Papst) als wissenschaftlicher Geschäftsführer. Greifelds Nazi-Vergangenheit war bis zur Aufdeckung durch Gruenbaum/Klarsfeld in der Pressekonferenz am 23.10.1975 in Strasbourg absichtsvoll verschwiegen worden.
 
Mitte 2012 hatte sich herausgestellt, dass Greifeld 1969 von der Universität Karlsruhe die Ehrensenatorenwürde verliehen worden war, offenbar in Unkenntnis von dessen Nazi-Vergangenheit. Der seither unablässig von vielen Organisationen und Personen erhobenen Annullierungsforderung ist bis heute nicht Rechnung getragen worden. Das KIT-Präsidium und die Ethik-Kommission hatten den Historiker Prof. Bernd A. Rusinek vom Forschungszentrum Jülich beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Die Fertigstellung ist auch nach Vorlage der o.g. neuen Beweise gegen Greifeld immer wieder mit unterschiedlichen Begründungen verschoben worden. Der Autor hatte Rusinek der Abhängigkeit von der Atomlobby geziehen [5].
 
Dazu zwei widersprüchliche Schlussbemerkungen. Die Karlsruher Atomlobby hatte 2010 - garniert mit Prominenten - das Buch „Karlsruhe meets India“ herausgebracht [6]. Darin wird Greifelds Verdienst bei der Gründung der Karlsruher „Deutsch-Indischen Gesellschaft“ (DIG) mit großem Lob geschildert. Die DIG war 1942 gegründet worden. Wörtlich im Buch: „Rabindranath Tagore wurde als erstem Asiaten in Anerkennung seines literarischen Werks, vor allem der Gedichtsammlung Gitanjali, 1913 der Nobelpreis für Literatur zuerkannt. Mit seiner Weltsicht des Friedens und der Toleranz stieß er nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs insbesondere in Deutschland auf positive Resonanz. Bei einer deutsch-indischen Veranstaltung im Jahre 1942 in Hamburg wurde die von Rabindranath Tagore 1915 gedichtete und komponierte spätere Nationalhymne Indiens erstmals in der Öffentlichkeit gespielt.“ Wann im Jahre 1942 war das denn? Zitat in [7]: "Nur wenige wissen, dass die spätere indische Nationalhymne „Jana Gana Mana“ im September 1942 im Hamburger Hotel Atlantic uraufgeführt wurde. Und zwar anlässlich der Gründung der Deutsch-Indischen Gesellschaft (DIG) zu einer Zeit, als Indien noch britische Kronkolonie war." Das ist kaum zu fassen. Im selben Monat beginnt die deutsche Vernichtungsschlacht gegen Stalingrad. Ausgerechnet ein Friedensmann wird zum Gründungspaten einer indogermanisch-faschistoiden DIG gemacht. Weniger erstaunlich, dass der AltNazi Greifeld begierig diese DIG und die Wirtschafts- und Atombeziehungen zu Indien zu seinem Herzensanliegen machte. Die Atomlobby wird angesichts solcher Huldigungen unbedingt verhindern wollen, dass ihr Ehrensenator durch die Aberkennung der KIT-Würde beschmutzt wird.

Den Autor bewegt nach dem Gauck-Schwenk bezüglich der Ehrung der Klarsfelds ein selbstkritischer Gedanke. Er war mit deftigen Worten von der Abhängigkeit Rusineks von eben jener real existierenden Atomlobby ausgegangen. Der Bundespräsident hat von seiner Unabhängigkeit Gebrauch gemacht und der Geschichtsaufarbeitung wie der deutsch-französischen Freundschaft einen Dienst erwiesen. Könnte es nicht sein, dass Prof. Rusinek in einem ähnlichen Sinne von seiner Unabhängigkeit als Historiker Gebrauch macht und der KIT-Ethik-Kommission die Aberkennung des Greifeld-Titels empfiehlt - in Würdigung der dargestellten Fakten - und damit Beate und Serge Klarsfeld auf seine Weise ehrt für die Aufdeckung der Fakten? (PK)
 
Nachtrag des Autors vom 19.05.15 zur DIG
aufgrund der F E S T S C H R I F T zum 50-jährigen Bestehen der Deutsch-Indischen Gesellschaft 1953–2003. (http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/savifadok/40/1/DIG_Festschrift.pdf)
Die LeserInnen werden gebeten, sich die folgenden Passagen daraus zu Gemüte zu führen:
 
Seite 29
„Nehru verurteilte das nationalsozialistische Regime in Deutschland. Hingegen suchte Subhas Chandra Bose, der frühere Oberbürgermeister von Kolkata und ehemalige Präsident des Indischen Nationalkongresses, aber eher der militante Freiheitskämpfer für die indische Unabhängigkeit, den Kontakt mit dem NS-Regime. Dieses stand einer militärischen Kooperation, wie sie Bose andachte, ablehnend gegenüber. Doch wurde in Berlin mit diplomatischem Status eine Zentrale Freies Indien errichtet, und in Hamburg kam es in Anwesenheit von Subhas Chandra Bose am 11. September 1942 zur Gründung der ersten Deutsch-Indischen Gesellschaft in Deutschland.“
 
Seite 62
„An der Gründungsfeier im Hamburger Atlantic-Hotel nahm als herausragende Persönlichkeit der Führer des auf den militärischen Freiheitskampf ausgerichteten Flügels der indischen Unabhängig­keitsbewegung, Subhas Chandra Bose, teil. In seiner Festansprache verlieh er der Überzeugung Ausdruck, dass Indien aus dem Zweiten Weltkrieg als unabhängiger Staat hervorgehen werde. Subhas Chandra Bose war während des Krieges nach Deutschland gekommen, um die Möglich­keiten einer politischen und militärischen Zusammenarbeit mit Deutschland bei den Unabhängigkeits­bestrebungen Indiens auszuloten. Ergebnislos reiste er später in einem deutschen U-Boot nach Asien zurück.“
 
Seite 63
„Mit dem Ausgang des Krieges erlosch die personelle Zusammensetzung der Organe der Deutsch-Indischen Gesellschaft. Sie konstituierte sich neu nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 und der Bildung eines Deutsch-Indischen Dachverbandes in Stuttgart im Juni 1953 in Stuttgart unter dem Vorsitz von Dr. Seifriz. Bei der Neubildung in Hamburg im November 1953 wurde der Indologe Professor Dr. Alsdorf, der zu den Beratern von Subhas Chandra Bose in Deutschland gehört hatte, zum Vorsitzenden der Hamburgischen Zweiggesellschaft gewählt. Die im Laufe des Krieges geschmiedeten Verbindungen zwischen Deutschen und Indern haben 1953 an der Wiege der Gründung der Deutsch-Indischen Gesellschaft in Stuttgart und der Zweiggesellschaft in Hamburg gestanden.“

Bitte studieren Sie dazu
den Wiki-Eintrag zu Ludwig Alsdorf http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Alsdorf
Interessant im Kontext die Passage: „1941 wurde er nach der Flucht Subhas Chandra Bose nach Deutschland ins Auswärtige Amt berufen und dem Sonderreferat Indien zugeteilt.“
 
Mit dem Wiki-Eintrag von Bose http://de.wikipedia.org/wiki/Subhash_Chandra_Bose schließt sich der Kreis mit folgender Passage: „Bose wollte mit militärischen Mitteln die Unabhängigkeit Indiens erreichen und floh 1941 schlussendlich aus Indien, um im Ausland militärische Hilfe zu erbitten. Nach mehreren erfolglosen Verhandlungen wurde er 1944 (zur Zeit des Zweiten Weltkriegs) Mitbegründer und Anführer der sogenannten Indischen Legion, einem der deutschen Waffen-SS unterstellten, aus indischen Freiwilligen gebildeten Kampfverband, sowie später der Indian National Army, einer Hilfstruppe der japanischen Armee.“
 
Mehr Informationen: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/savifadok/40/1/DIG_Festschrift.pdf
(PK)
 
 [1] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20150515.pdf
[2a] http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0608_befreiung.htm
[2b] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14876
[3] http://www.forum-ludwig-marum.de/veranstaltungen/symposium-gruenbaum/
[4] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140627.pdf
[5] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20753
[6] „Karlsruhe meets India“ Info Verlag GmbH Karlsruhe 2010 ISBN 978-3-88190-574-9
[7] http://www.hamburg.de/indien/
 
 
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten. WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf. Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig. Er ist Mitglied der DFG-VK und Kreisvorstandsmitglied der VVN-BdA Karlsruhe.


Online-Flyer Nr. 511  vom 20.05.2015

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