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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Inland
“Nie wieder Krieg“ hieß einmal “Nie wieder deutsches Militär“
Wußtest Du schon?
Von Dietrich Schulze

Selbst gestandene FriedensfreundInnen beteiligen sich an der Geschichtsentsorgung, wenn sie „Wehrpflicht“ und „Landesverteidigung“ als Selbstverständlichkeiten ansehen. Gegen den neuen deutschen Militarismus, aber auch gegen diese weit verbreitete Kurzsichtigkeit hat Ulrich Sander eine lehrreiche Broschüre mit dem Titel „Dichtung und Wahrheit in www und linken Medien - Über den antifaschistischen und antimilitaristischen Konsens - Vergessene Biografie Max Reimanns wieder vorgelegt“ zusammengestellt.


Max Reimann - 1949 bis 1953 Bundestagsabgeordneter und KPD-Fraktionsvorsitzender
NRhZ-Archiv

Ein Blick zurück in die spannendste Periode deutscher Geschichte, die zugleich am stärksten im öffentlichen Bewusstsein verdrängt wurde: die Jahre unmittelbar nach der Befreiung von Faschismus und Krieg. Es wäre auch an der Zeit, Emil Carlebachs Artikelserie über diese Jahre mit dem Titel „Das bestgehütete Geheimnis der Bundesrepublik“ in der früheren VVN-Wochenzeitung „Die Tat“ neu herauszugeben. „Schwerter zu Pflugscharen“ und nicht „Remilitarisierung“ war die Lehre aus dem faschistischen Menschheitsverbrechen, das die Industriellen an Rhein und Ruhr und die Finanzwelt gefördert hatten und von dem sie profitierten.

Franz Josef Strauß’ Wandlung

Wußtest Du schon – so fragten früher die Schulbücher.
• Wußtest Du schon, dass es 1945 unter allen politischen Kräften im Land Einigkeit darüber gab, dass sich Deutschland nie wieder an einem Krieg beteiligen dürfe?
• Wußtest Du schon, dass ein sehr bekannter deutscher Politiker damals sagte: „Demjenigen Deutschen, der noch einmal eine Waffe in die Hand nimmt, soll der Arm abfallen.“ Es war der spätere Atom- und Kriegsminister Franz Josef Strauß.
• Wußtest Du schon, dass der Grundgesetzartikel zur Kriegsdienstverweigerung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zu verdanken ist? Das Grundgesetz in der Fassung von 1949 regelt zwar die Kriegsdienstverweigerung, aber nicht den Kriegsdienst. Der wurde erst 1956 ins Grundgesetz geschrieben – nach heftigen Protesten.  
• Wußtest Du schon, dass die ehemaligen Bundeswehrsoldaten als Reservisten bis zum 60. Lebensjahr zum Bund geholt werden können, auch zu Auslandseinsätzen? Es gehörte zu den Traditionen der Arbeiterbewegung, gegen militärische Zwangsdienste zu wirken. Denn es wurde sehr oft davon Gebrauch gemacht, Soldaten als Streikbrecher und brutale Zusatzpolizei gegen die Interessen der Arbeiter einzusetzen.

Tabu-Bruch durch Fischer und Scharping


Diese geschichtliche Lehre wurde 1999 von Joseph Fischer und Rudolf Scharping grob verfälscht, als sie den ersten Tabu-Bruch der deutschen Kriegsbeteiligung mit der dreisten Losung rechtfertigten: „Nie wieder Auschwitz bedeutet heute, Kriege gegen Diktatoren zu führen“. Von der Losung „Nie wieder Faschismus. Nie wieder Krieg“ wurde der zweite Teil abgetrennt. Immer wieder begegnet uns die Behauptung: „Der Diktator Hitler musste mittels Krieg beseitigt werden!“ - also seien auch die heutigen Diktaturen nur mit Krieg zu beseitigen. Stimmt das? Es wird übersehen, dass Hitlerdeutschland den ersten Schuß abgegeben hatte, sogar den USA wurde der Krieg erklärt. Aus einem Verteidigungskrieg heraus hat die Anti-Hitler-Koalition den deutschen Faschismus besiegt.


Taliban – zunächst von den USA gegen die UdSSR-Besetzung Afghanistans gefördert, nach 9/11 zum Feind Nummer 1 erklärt
NRhZ-Archiv

Welche Verteidigungskriege werden denn heute gegen Diktatoren geführt? Haben Irak und Afghanistan die USA angegriffen? Und können die gewiss nicht harmlosen Taliban mit den deutschen Faschisten gleichgesetzt werden? Über wieviele Panzerbataillone, Flugzeugträger, Bomberflotten und Atomraketen verfügen denn die Taliban? Und glaubt jemand ernsthaft, dass die Pläne zu einer weiteren Verfassungsänderung aufgegeben wurden, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen? Das wurde inzwischen schon mal geprobt, beim G8-Gipfel in Heiligendamm, beim NATO-Gipfel in Strasbourg / Kehl usw. Die Militarisierung aller Bereiche der Innen- und Außenpolitik zulasten der sozialen Demokratie steht seit geraumer Zeit ganz oben auf der Agenda von Bundesregierungen. Nur zwei aktuelle Beispiele, die mit der Perspektive der Jugend zu tun haben.

Militarisierung von Schulen

Gegen vielfältigen Protest wurde nun auch in Baden-Württemberg ein Kooperationsabkommen Bundeswehr/Schulen abgeschlossen, das es Bundeswehr-Referenten ermöglicht, die SchülerInnen künftig über die spezielle Sicht des Militärs zum Thema Sicherheit und Friedenssicherung durch weltweite Kriegseinsätze zu belehren. Diejenigen, die darin keine neue Qualität zu entdecken vermögen, weil ja auch bisher schon für die Wehrpflicht geworben werden konnte, übersehen gleich zwei wesentliche Punkte. Erstens wurde die Wehrpflicht, wie Sander in der Broschüre anhand des Kampfes gegen die Remilitarisierung nacherleben lässt, gegen eine antimilitaristische Grundstimmung der Bevölkerung durchgesetzt. Und nun, nachdem das alles (fast) vergessen ist, wird der nächste Eskalationsschritt eingeübt, die SchülerInnen über die Landesverteidigung hinaus für weltweite Kriegseinsätze zu gewinnen, die natürlich als unumgängliche „friedenssichernde Maßnahmen“ dargestellt werden. Bekanntlich ist eine stabile Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung für den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Werden künftig Jugendliche ihre Eltern über die Notwendigkeit von Kriegen gegen internationale Feinde der Menschheit belehren? Hatten wir das nicht schon einmal?  

Militärforschung an Hochschulen ausgebaut


Ein Teil dieser Jugendlichen wird Hochschulen besuchen, die ihrerseits systematisch militarisiert werden, besonders die Forschung betreffend. Ganz still und heimlich ist in den letzten zwanzig Jahren die Militärforschung an Hochschulen systematisch ausgebaut worden. Dagegen gab es Anfang der 90er Jahre - als nach dem Ende des Ersten Kalten Krieges die Friedensdividende eingefordert wurde - Proteste an vielen Hochschulen, darunter in Baden-Württemberg mit Freiburg, Heidelberg, Hohenheim, Konstanz, Stuttgart, Tübingen und Ulm. Die Kohl-Ära hat auch hier ganze Arbeit gegen Bildung und Demokratie geleistet. An vielen Stellen ist das Bewußtsein um die Gefahren dieser Entwicklung verloren gegangen. Das hat sich im Ländle aber nun geändert. Nach den Auseinandersetzungen seit Mitte 2008 um eine Zivilklausel (Verzicht auf Militärforschung) für KIT, den Zusammenschluss von Universität und Forschungszentrum Karlsruhe, hat der Senat der Uni Tübingen im Dezember 2009 eine ebensolche Zivilklausel beschlossen. Studierende von Hochschulen in Baden-Württemberg werden der Landesregierung im Bologna-Kongress am 8. März in der Uni Stuttgart einen in den Bildungsstreiks erarbeiteten Forderungskatalog übergeben, der die Forderung nach Zivilklauseln für alle Hochschulen des Landes enthält.

Die Mahnung des amerikanischen Philisophen und Schriftstellers George Santayana: “Die sich der Geschichte nicht erinnern, sind dazu verurteilt, sie noch einmal zu erleben.“ findet sich auf einer Tafel in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau. Der Ursprung der Forderung „Nie wieder Krieg!“ muss wieder in das kollektive Bewusstsein zurückgeholt werden. Dazu hat Ulrich Sander mit seiner neuen Broschüre einen Beitrag geleistet. Er konnte nur Streiflichter bieten. Aber das Gebotene ist beachtlich und lesenswert. (PK)


Die komplette Dokumentation von Ulrich Sander von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), Landesvereinigung NRW, „Dichtung und Wahrheit in www und linken Medien - Über den antifaschistischen und antimilitaristischen Konsens - Vergessene Biografie Max Reimanns wieder vorgelegt“, Februar 2010, kann im Internet herunter geladen werden unter: http://nrw.vvn-bda.de/bilder/dichtung_und_wahrheit_in_www_und_linken_medien.pdf

Online-Flyer Nr. 240  vom 10.03.2010

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