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Kommentar
Bremens Senat legt Hochschulgesetz mit Zivil- und Transparenzklausel vor
Das Gespenst Zivilklausel-Gesetz geht um
Von Dietrich Schulze

Es geschehen noch Zeichen und Wunder in dieser militarisierten Welt, in der die Bundesrepublik die Bronze-Medaille im Waffenexport verteidigt und die Bundeswehr zusammen mit anderen Berufskriegern an zahlreichen Konflikten, Bürgerkriegen und Kriegen beteiligt ist. Der Krieg um die Köpfe nimmt immer eindeutigere Formen an. Just in diesen Zeiten hat der Bremer Senat am 10. Januar den innovativen Entwurf für eine Novellierung des Bremer Hochschulgesetzes [1] vorgelegt.

Appell an die Bremer Räte (Grün-Rote Landesregierung und Landesparlament)
Grafik: Dietrich Schulze
 
Krieg um die Köpfe
 
Im Gesetzesentwurf ist die folgende Zivilklausel enthalten: „Die Hochschulen verfolgen in Forschung, Lehre und Studium ausschließlich friedliche Zwecke. Die den Hochschulen vom Land und von Dritten zur Verfügung gestellten Mittel sollen ausschließlich für Vorhaben verwendet werden, die diesen Zwecken dienen.“
 
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Sehr ähnliche Formulierungen sind seit Jahrzehnten bekannt. 
•          Für die Kernforschungszentren galt in den öffentlich-rechtlichen Gesellschaftsverträgen seit 1956 die völkerrechtlich geschuldete Vertragsbestimmung: „Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke.“ 
•          Im Hochschulgesetz von Niedersachsen galt von 1993-2002 die Bestimmung: „Die den Hochschulen vom Land zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel sollen ausschließlich für Vorhaben verwendet werden, die friedlichen Zwecken dienen.“
 
Zur Umsetzung der Zivilklausel schreibt der Gesetzentwurf vor, dass ein Verfahren zur Einhaltung der Zivilklausel festzulegen ist, und die folgende Transparenzklausel Gültigkeit erlangen soll: „Die Hochschule führt eine öffentlich zugängliche Forschungsdatenbank für Drittmittelprojekte, die alle Projekttitel, Inhalte und Zielsetzungen von Drittmittelprojekten, die Identität der Drittmittelgeber, die Fördersumme und die Laufzeit der Projekte umfasst. Die Datenbank enthält nur Daten, deren Veröffentlichung nicht gegen gesetzliche Schutzrechte verstößt.“
 
Bremische Innovation
 
Diese Kombination von Zivil- und Transparenzklausel ist eine echte Innovation. In der Tat setzt die Kontrollmöglichkeit, ob eine Zivilklausel eingehalten wird, den öffentlichen Zugang zu den Drittmitteldaten voraus. Die Alternative heißt Wahrnehmung der Selbstverantwortung der WissenschaftlerInnen, gegen Verstöße aufzustehen und die Hochschulöffentlichkeit anzurufen. Das läuft heutzutage bei dem enormen Anteil an Zeitverträgen auf den Mut zum Whistleblower hinaus. Nur ein Beispiel aus der Praxis: Über viele Jahre wurde an 22 Hochschulen für das Pentagon geforscht. Das wurde erst durch die Presse öffentlich. Das bedeutet, tausende von WissenschaftlerInnen haben über viele Jahre die Klappe gehalten.  
 
Hochschul-Obrigkeiten läuten Alarmglocken und zwar unisono mit der CDU-Opposition mit scheinheiligen, obendrein widersprüchlichen Argumenten sowohl gegen die gesetzliche Zivilklausel als auch gegen die Drittmittel-Veröffentlichungsvorschrift:
•          Eine gesetzliche Verankerung der Zivilklausel verstoße gegen das Grundgesetz und die Freiheit der Lehre in Wissenschaft und Forschung.
•          Die Transparenz allein für die Hochschulen und nicht auch für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen werde einen Schaden für den wissenschaftlichen Standort Bremen verursachen, weil die privaten Geldgeber von den Hochschulen abwandern.
 
Das wollen leitende Wissenschaftler sein, die noch nicht einmal die einfachsten Gesetze der Logik beherrschen. Gegen die angemahnte Freiheit wird doch offenbar gerade mit einer überdimensionalen Hochschul-Fremdfinanzierung und mit Stiftungsprofessuren verstoßen. Wer bezahlt, bestimmt die Richtung der Forschung. Wo bleibt denn da die Freiheit? Die Freiheit wird gerade mit der gesetzlichen Zivilklausel und der Drittmittel-Kontrolle in die Hochschulen zurück gebracht.
 
Die Furcht vor Sanktionen
 
Was ist denn der wirkliche Grund? Der darf natürlich nicht genannt werden, weil damit die Scheinheiligkeit allen BürgerInnen ins Gesicht springen würde.
In der Universität Bremen wurde trotz der seit 1986 gültigen selbstverpflichtenden Zivilklausel: „Der Akademische Senat lehnt jede Beteiligung an Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung ab und fordert die Mitglieder der Universität auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können.“ mehrfach durch Zuarbeit für Rüstungsforschungsprojekte verstoßen. Was geschah nach der Aufdeckung? Gar nichts, die Uni-Rektoren vertuschten die Verstöße und schützten die betroffenen Wissenschaftler.
 
Das würde bei einer gesetzlichen Zivilklausel nicht mehr funktionieren. Jetzt läge ein Gesetzesverstoß vor. Es müsste mit Sanktionen gerechnet werden. Diesen Braten hatte die Hochschulen Bremens schon früher gerochen. Im Zivilklausel-Beschluss [2] vom Juni 2012 heißt es wörtlich: „Rückblickend stellen wir fest, dass sich das Prinzip der Akademischen Selbstverwaltung bewährt hat und eine übergeordnete rechtliche Regelung nicht erforderlich ist."
 
Vergangenheit: Negativbeispiel Bremen
 
Das geschah vor dem Hintergrund der Debatte an der Uni Bremen über die Forderung des Bremer Bundeswehr-geförderten Satellitenunternehmens OHB-Systems, das die Abschaffung der Zivilklausel als Voraussetzung für dessen Stiftungsprofessur verlangt hatte. Die Riesendebatte endete in einer scheinbaren Niederlage für die Rüstungsfirma, die Zivilklausel wurde bekräftigt und ins Leitbild der Uni eingetragen.
 
Wieso scheinbar? OHB-Systems richtete trotzdem seine Stiftungsprofessur mit dem EADS-erfahrenen Professor Claus Braxmaier aus Konstanz ein und rundete das ab mit der Gründung von ZARM [3], dem Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation auf dem Campus mit der Leitungsfunktion Braxmaiers. OHB betreibt die Kriegssatelliten SAR-Lupe. Hat alles selbstredend nichts mit militärischer Nutzung und Rüstungszwecken und damit einem Verstoß gegen die Zivilklausel zu tun. Wenn die aber nun gesetzlich wird, Auweia. Deswegen wird vorsorglich ein neues Gespenst ins Leben gerufen.
 
Freiheit und Denninger-Gutachten
 
Die Platte mit der angeblichen Verfassungswidrigkeit und einem Freiheits-Verstoß einer gesetzlichen Zivilklausel wurde in Niedersachsen neun Jahre lang de facto widerlegt, niemand kam auf die Idee zu einer Verfassungsklage, sie ist aber von einem Verfassungsexperten auch juristisch widerlegt worden. Im Frühjahr 2009 legte Professor Erhard Denninger ein Gutachten [4] für die Hans-Böckler-Stiftung vor, wonach die Zivilklausel „Das KIT verfolgt nur friedliche Zwecke.“ als zulässig begründet wurde. Dieses war ausdrücklich eine gesetzliche Zivilklausel, weil der Zusammenschluss von Kernforschungszentrum und Universität Karlsruhe zum KIT in einem Landesgesetz zu regeln war. Damit wurde die damalige Schwarz-Gelbe Landesregierung, die ebenso wie oben zitiert glaubte, die Verfassungsfreiheit verteidigen zu müssen, glatt widerlegt. Bis heute gibt es trotz ständig wiederholten Freiheits-Gejammer kein qualifiziertes verfassungsrechtliches Gegen-Gutachten. Warum wohl? Weil es keine stichhaltigen Argumente gibt. Es geht schlicht um Machtpolitik für die „neue deutsche Verantwortung“ und weltweite Militäreinsätze. Da ist die Zivilklausel-Bewegung einfach lästig, noch dazu in den Bildungsstätten für die künftigen Verantwortungsträger. Die damalige Grün-Rote Opposition hatte die Zivilklausel für das KIT-Gesetz beantragt und wollte nach der Regierungsübernahme nichts mehr davon wissen. Bitte lesen Sie die noch heute unverändert gültigen Zusammenhänge in meinem Artikel „Glaubwürdigkeits-Stresstest für Grün-Rot“ [5] nach.
 
KIT-Gesetz aktuell
 
Die damalige Bundesregierung hatte es bei der KIT-Fusion nicht gewagt, die oben zitierte Kernforschungs-Zivilklausel vollständig zu streichen. Deswegen steht im KIT-Gesetz die Teil-Zivilklausel: "Zur Wahrnehmung der Großforschungsaufgabe betreibt das KIT im Interesse der Allgemeinheit Forschung und Entwicklung zu friedlichen Zwecken vorwiegend auf dem Gebiet der Technik und ihrer Grundlagen."
 
Die Kernforschung gehört traditionell zu eben jenen Großforschungsaufgaben. Wie in einer Kleinen Anfrage der GRÜNEN Bundestagsfraktion „Zivil-militärische Atomforschung am KIT“ aufgezeigt, wird neuerdings selbst gegen dieses Tabu verstoßen. Am Institut IKET des KIT wird an einer neuartigen Flüssigmetallkühlung für atomare Leistungsreaktoren gearbeitet, die wegen ihrer Geräuschlosigkeit besonders für Atom-U-Boote geeignet ist. Lesen sie dazu meinen NRhZ-Artikel „Gesetzesbruch mit „Kriegs“ansage“ [6] sowie einen kurzen taz-Beitrag.
 
Transparenz-Leitlinie Niedersachsen
 
Die Bewegung in Bremen für eine gesetzliche Zivilklausel hatte Ausstrahlung auch in andere Bundesländer. Davor hatte die LINKE in Niedersachsen im August 2009 [7] genau die früher gültige oben zitierte Zivilklausel beantragt - ohne Erfolg. Die Zivilklausel war 2002 aus Gründen der politischen Opportunität und nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen abgeschafft worden. Brenzlig wurde die Angelegenheit für Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne) als vor einem Jahr vom NDR das potentielle Ausmaß an Kriegsforschung in Niedersachsen mit 148 militärisch relevanten Projekten veröffentlicht wurde. Hintergrund war die Aufdeckung der Pentagon-Forschung und der einhellige Presse-Tenor „Transparenz muss her“. Ich schrieb damals im NRhZ-Artikel „Transparente Tötungswissenschaft“ [8]: „Das erscheint als verständliche Forderung, ist aber losgelöst von einer Friedensbindung ein großangelegtes Täuschungsmanöver.“ Genau das wurde in Niedersachsen zelebriert. Am 12. Februar legte die Ministerin mit großem Getöse eine fast inhaltsleere gesetzliche Transparenz-Leitlinie vor. Die taz berichtete [9] mit meinem Kommentar.
 
Zur Abrundung: In NRW war im September 2014 ein Hochschulzukunftsgesetz [10] verabschiedet worden, das neben einer schwachen Transparenz-Bestimmung immerhin eine Art Zivilklausel enthält: "Die Hochschulen entwickeln ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt. Sie sind friedlichen Zielen verpflichtet und kommen ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nach. Das Nähere zur Umsetzung dieses Auftrags regelt die Grundordnung."
 
Die friedlichen Zwecke
 
Zurück zum Bremischen Gesetz-Entwurf. Dass die Zivilklausel ins Gesetz kommt, haben die Bremer Jusos als Erfolg für den Frieden bezeichnet [11]. Sören Böhrnsen wörtlich: “Wir Jusos haben die gesetzliche Verankerung der Zivilklausel auf die Tagesordnung gebracht und über Jahre hinweg immer wieder dafür gekämpft. Es ist ein großartiger Erfolg für die gesamte Zivilklauselbewegung und natürlich auch für uns, dass die Initiative nun Wirklichkeit wird.” Sorge äußern die Jusos über die Formulierung „friedliche Zwecke“, die nicht für sogenannte „Friedensmissionen“, die Tarnung für militärische Interventionen, und damit für die Legitimierung von Rüstungsforschung missbraucht werden darf: „Frieden bedeutet die Abwesenheit von Krieg. Jegliches Militärisches befindet sich im Widerspruch dazu.” Da können wir als Initiative gegen Militärforschung nur zustimmen. Die Zivilklausel muss genau in diesem Sinne gelebt werden. Das hat von Beginn an, d.h. von der erfolgreichen Urabstimmung der Studierenden an der Uni Karlsruhe im Januar 2009, unsere Debatte bestimmt.
Bei den drei Bremer Hochschulen kommt hinzu, dass es in den Texten zur Selbstverpflichtung, die durch das Gesetz nicht gegenstandslos werden, präzisierend heißt: „Der Akademische Senat lehnt die Beteiligung von Wissenschaft und Forschung an Projekten mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung ab.“ Damit existiert eine verbindliche weiter gehende Interpretation, was der friedliche Zweck bedeutet. Auch dieser Aspekt ist bundesweit von grundsätzlicher Bedeutung.
 
Die abschließende Beratung des Gesetzes im Bremer Landesparlament wird voraussichtlich am 18./19. März bzw. am 22./23. April erfolgen. Der Bürgerschaft, den Studierenden und allen Friedensbewegten wünschen wir allen Erfolg. Dazu verbleibt mir am Schluss, den Appell im oben stehenden Grafik-Text zu entziffern.
 
Appell an die Bremer Räte
 
„Werte Bremer Räte, bitte die gesetzliche Zivil- und Transparenzklausel gegen das als listige Musikanten verkleidete Grüppchen aus Uni-Obrigkeit und CDU schützen - um der Freiheit und des Friedens willen. Die Geschichte wird es Ihnen danken." (PK)
 
[1] http://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2015-02-11_Drs-18-1736_6b401.pdf
[2] http://www.pressebox.de/pressemitteilung/hochschule-bremen/Einstimmiger-Beschluss-des-Akademischen-Senats-Hochschule-Bremen-mit-eigener-Zivilklausel/boxid/515732
[3] https://www.zarm.uni-bremen.de
[4] http://www.boeckler.de/pdf/mbf_gutachten_denninger_2009.pdf
[5] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17347
[6] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21053 und http://www.taz.de/!153507/
[7] http://www.landtag-niedersachsen.de/drucksachen/drucksachen_16_2500/1001-1500/16-1485.pdf
[8] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19743
[9] http://www.taz.de/!154641/ und http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20150212.pdf
[10] http://www.wissenschaft.nrw.de/fileadmin/Medien/Dokumente/Hochschule/Gesetze/Text_des_HZG-Endfassung.pdf
[11] http://www.jusos-bremen.de/2015/02/erfolg-fur-den-frieden-zivilklausel-wird-in-bremen-gesetz/
 
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe. 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig.


Online-Flyer Nr. 498  vom 18.02.2015

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