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Inland
Stand der deutsch-französischen Beziehungen nach 50 Jahren
Nicht mehr auf Augenhöhe
Von Hans Georg

Kurz vor den Feierlichkeiten zum fünfzigsten Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages am 22. Januar bilanzierten Berliner Außenpolitik-Experten den Stand der deutsch-französischen Beziehungen. Das Verhältnis zwischen Berlin und Paris sei aktuell durch erhebliche Spannungen geprägt, heißt es in mehreren Analysen. Dies liege vor allem daran, dass Deutschland in der Eurokrise nicht nur wirtschaftlich profitiert, sondern auch seine politischen Positionen weitestgehend durchgesetzt habe - auf Kosten Frankreichs.
 

Präsident François Hollande – keine
Erfolge beim Widerstand
NRhZ-Archiv
Staatspräsident François Hollande habe Widerstand zu leisten versucht, dabei jedoch bislang noch keine Erfolge erzielen können. Paris werde Spardiktate à la Hartz IV durchsetzen müssen; ob das gelinge, sei allerdings aufgrund der Protestbereitschaft der französischen Gewerkschaften - anders als in Deutschland - unklar. Skeptisch beobachtet wird in Berlin das französisch-britische Militärbündnis - es wird als eindeutig gegen die deutsche Vorherrschaft gerichtet empfunden. Insgesamt raten Experten dazu, die Fiktion zweier gleichstarker EU-Führungsmächte aufzugeben und die aktuellen Verhältnisse, also die deutsche Dominanz, zu akzeptieren.
 
In der Krise
 
Die deutsch-französischen Beziehungen steckten in der "Krise", heißt es exemplarisch in der Zeitschrift Internationale Politik: "Es läuft nicht gut zwischen Deutschland und Frankreich."[1] Paris sei geschwächt, Berlin verzeichne neue Machtgewinne; die deutsche Dominanz führe zu anhaltenden Spannungen. Wie eine Frankreich-Expertin von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Politik (DGAP) in Erinnerung ruft, ist die "Sorge" über das "Ungleichgewicht" zwischen Berlin und Paris keineswegs neu. Vielmehr bestehe sie "mehr oder weniger latent seit dem Fall der Berliner Mauer".[2] 1990 hatte die Übernahme der DDR durch die Bundesrepublik, der sich der französische Staatspräsident François Mitterrand noch im Dezember 1989 entgegengestemmt hatte, das Bonner Machtpotenzial schlagartig steigen lassen. Dass sich dies auf die Stellung der Bundesrepublik in Europa auswirken werde, war absehbar gewesen. In der Tat habe Paris seither klar "an politischem und militärischem Einfluss in Europa" verloren, was zu "Irritationen und Frustration" geführt habe: "Regelmäßig" sei in der französischen Hauptstadt Klage "über den neuen, selbstbewussten Ton der deutschen Nachbarn" geführt worden. Im Jahr 2000 habe Frankreich vor der deutschen Forderung gestanden, Berlin "ein größeres Stimmgewicht im Europäischen Rat einzuräumen"; begründet worden sei dies damals mit "demografischen Gründen". Die französische Regierung habe das Ansinnen abgelehnt, da es eine auch formale "Schwächung Frankreichs gegenüber dem Nachbarland" mit sich gebracht hätte. Den Aufstieg Deutschlands verhindern können habe man freilich nicht.
 
Rekorddefizit
 
Heute sind sich Beobachter einig, dass vor allem die wirtschaftliche Schwäche Frankreichs Berlin die Vorherrschaft über die EU garantiert. Während Deutschland sogar Profit aus der Krise schlagen konnte, ist Frankreich schwer getroffen. Jüngsten Berechnungen zufolge ist das Land Ende letzten Jahres in die Rezession gerutscht. Die Arbeitslosigkeit ist auf zehn Prozent gestiegen - der höchste Wert seit 15 Jahren. Zwei Rating-Agenturen haben Frankreich letztes Jahr herabgestuft. Gegenüber Deutschland zeigt sich der wachsende Rückstand im steigenden Handelsbilanzdefizit: Während die Bundesrepublik ihre Ausfuhren nach Frankreich auf einen Wert von 101,6 Milliarden Euro steigern konnte (2011), erreichten die französischen Exporte nach Deutschland im selben Jahr nur einen Wert von 66,4 Milliarden Euro. Das Handelsbilanzdefizit, das letztlich im französischen Staatsetat negativ zu Buche schlägt, erreichte damit den Rekordbetrag von 35 Milliarden Euro. Das "führt dazu, dass sich beide Länder nicht länger auf Augenhöhe begegnen", halten Beobachter fest.[3] Deutschland habe dabei "nicht nur seine wirtschaftliche Position" gefestigt, sondern im Verlauf der Krise die wirtschaftliche in politische Stärke umsetzen und "auch seine politische Führungsrolle in der EU" weiter ausbauen können. "Das erste Element" sei "zu großen Teilen die Voraussetzung für das zweite" gewesen.[4]
 
Alte Dämonen
 
"Dieses doppelte Auseinanderdriften, das in der Presse ausgiebig kommentiert wurde, weckte in einem Teil der intellektuellen und politischen Klasse Frankreichs alte Dämonen und die Furcht vor einem hegemonialen Nachbarn", heißt es weiter.[5] Nach dem Scheitern seines Vorgängers Nicolas Sarkozy [6] habe im Mai 2012 auch Staatspräsident François Hollande den Versuch gestartet, "die bilaterale Beziehung wieder ins Gleichgewicht zu bringen" - etwa durch Bündnisse mit Italien und Spanien gegen die deutschen Spardiktate. Wirkliche Erfolge konnte allerdings auch er nicht erzielen. Da "in einer Zeit, in der die Wirtschaft mehr denn je ein Machtfaktor ist", wirtschaftlicher Rückstand kontinuierlich auch "den politischen Einfluss des Landes" unterhöhle, müsse Frankreich nun unbedingt ökonomisch aufholen, urteilt die DGAP-Expertin Claire Demesmay. Das sei, weil in der Krise die Bundesrepublik sich auf europäischer Ebene mit ihrer Austeritätspolitik durchgesetzt habe, nur mit "tiefgreifenden und schwierigen Reformen" möglich.
 
Reformbereitschaft ungewiss
 
Als Vorbild gelten dabei in Paris spätestens seit Ende 2011 die Berliner Austeritätsmaßnahmen der rot-grünen Regierung Schröder/Fischer (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Während diese in Deutschland relativ problemlos durchzusetzen waren, ergeben sich in Frankreich Probleme: "Für entscheidend" halte DGAP-Expertin Demesmay, "wie sich die Gewerkschaften verhalten", heißt es in der deutschen Wirtschaftspresse: Zwar könne die Regierung "auf die Reformbereitschaft des gemäßigten Gewerkschaftsverbandes CFDT" zählen; "bei den Konkurrenzorganisationen CGT und Force Ouvrière" sei das jedoch "ungewiss". Mit "Massendemonstrationen" sei durchaus zu rechnen.[8]
 
Unterschiedliche Machtattribute
 
Einstweilen sucht Paris seine Einflussposition zumindest in der Militärpolitik zu wahren - durch ein Bündnis mit London. Wie es in der Internationalen Politik heißt, verfügten die Bundesrepublik und Frankreich ohnehin "seit den Anfängen der europäischen Integration (...) über unterschiedliche Machtattribute": die Bundesrepublik "über eine starke exportorientierte Wirtschaft, Frankreich über eine ambitionierte Außenpolitik".[9] Staatspräsident Sarkozy habe "die Rückkehr Frankreichs in die militärische NATO-Integration" in die Wege geleitet, sie dabei "mit Washington und London, nicht jedoch mit Berlin verhandelt" und anschließend ein militärpolitisches Bündnis mit Großbritannien geschlossen. Entsprechende Übereinkünfte vom November 2010 gingen deutlich "über die deutsch-französische Zusammenarbeit hinaus". Tatsächlich wird das französisch-britische Bündnis in Berlin mit erheblicher Skepsis beobachtet (german-foreign-policy.com berichtete [10]); es ist die Basis für den Libyen-Krieg gewesen und prägt die aktuellen Auseinandersetzungen um den Militäreinsatz in Mali [11].
 
Kein Gleichgewicht mehr
 
Mit Blick auf die ökonomischen Schwierigkeiten Frankreichs urteilt DGAP-Expertin Demesmay exemplarisch, eine "längerfristige Schwächeposition Frankreichs" sei durchaus "zu erwarten". Es sei deshalb sinnvoll, "das Gleichgewichts-Paradigma aufzugeben", also den Anspruch nicht länger zu erheben, Berlin und Paris träten als gleichstarke Führungsmächte der EU auf. Entscheidend sei es jetzt, die "europäische Integration gemeinsam voranzutreiben". Dazu müsse man nicht wissen, schreibt die Berliner Expertin mit Blick auf die deutsche Dominanz, "wer von beiden die Hosen anhat".[12]
 
[1] Claire Demesmay, Ronja Kempin: Goldene Hochzeit in Katerstimmung, Internationale Politik 1/2013
[2] Claire Demesmay: Zusammen ist man weniger allein, www.theeuropean.de 23.12.2012
[3] Claire Demesmay, Ronja Kempin: Goldene Hochzeit in Katerstimmung, Internationale Politik 1/2013
[4], [5] Claire Demesmay: Zusammen ist man weniger allein, www.theeuropean.de 23.12.2012
[6] s. dazu Die Frage der Führung, Die Macht in Europa und Kein Tandem
[7] s. dazu Sarkozy, der Deutsche
[8] Frankreichs Bürger verweigern jede Reform; www.wiwo.de 08.01.2013
[9] Claire Demesmay, Ronja Kempin: Goldene Hochzeit in Katerstimmung, Internationale Politik 1/2013
[10] s. dazu Die neue Entente Cordiale
[11] s. dazu Wüstenkrieg
[12] Claire Demesmay: Zusammen ist man weniger allein, www.theeuropean.de 23.12.2012


Zu den unterstrichenen Links kommen Sie über
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58509, wo wir diesen Beitrag übernommen haben. (PK)
 


Online-Flyer Nr. 390  vom 23.01.2013

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