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Aktueller Online-Flyer vom 04. Mai 2024  

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Inland
Liga für Menschenrechte: "Exerzierfeld für Sicherheitsstaat"
Fußball-WM im Ausnahmezustand
Von Hildegard Miensopust

Am Wochenende beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft. "Die Welt zu Gast bei Freunden" - dieses WM-Motto droht nach Auffassung der Internationalen Liga für Menschenrechte zum Etikettenschwindel zu geraten. Sie hält das nationale Sicherheitskonzept für populistisch, überzogen und bürgerrechtsschädlich

Liga-Präsident Rolf Gössner ist sicher: "Die Fußball-WM gerät mehr und mehr zu einer Antiterrorübung und zum Einfallstor für fragwürdige Sicherheitsmaßnahmen und -techniken." Die horrenden Bedrohungsszenarien des Nationalen Sicherheitskonzepts und der Politik der "Inneren Sicherheit" lassen Horden betrunkener Fußball-Fans, gewaltbereiter Hooligans, fingerfertiger Taschendiebe, brutaler Zuhälter und Menschenhändler erwarten - "eine Weltmeisterschaft von Kriminellen und Gewalttätern". Doch als größte Bedrohung gelte einmal mehr die Gefahr des internationalen und islamistischen Terrorismus, obwohl es hierfür selbst nach offiziellen Angaben bis heute keinerlei Anzeichen gibt - "im Gegensatz zum alltäglichen rassistischen Terror gegen Migranten, der offiziell immer wieder gehörig heruntergespielt wird", so Rolf Gössner.

Nach Auffassung der Liga wird das sportliche Mega-Ereignis zum Anlass genommen, den Staat noch weiter aufzurüsten, verschärft auf Überwachung und Kontrolle zu setzen, auf Abschottung und Ausgrenzung. Ein Großaufgebot von Polizei und Geheimdiensten, Schnelljustiz und Militär sei mobilisiert, um gegen die beschworenen Gefahren gewappnet zu sein - von denen etliche nie auszuschließen und auch mit noch so rigiden Präventionsmaßnahmen nicht wirklich zu verhindern seien, wie der Amoklauf im neu eröffneten Berliner Hauptbahnhof gezeigt habe.

Selbstverständlich müssten die Sicherheitsorgane auf ein Großereignis dieser Dimension gut vorbereitet sein. Doch die offizielle Sicherheitspolitik baue auf diffuse, teils geschürte Terror-Ängste und mache der Bevölkerung mit ihrem "populistischen Aktionismus letztlich unhaltbare Sicherheitsversprechen," kritisiert Gössner.  Derweil gerate die WM zu einer Art von Antiterrorübung und zugleich zum Einfallstor für umstrittene Präventivmaßnahmen und fragwürdige Sicherheitstechniken, um deren Massenanwendung im Großfeldversuch zu testen und letztlich durchzusetzen.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de



Gössner greift aus der Fülle der Maßnahmen einige Beispiele heraus, die mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen verbunden sind:
  • Zum Erwerb von WM-Tickets mussten Besteller höchst persönliche Daten inklusive Ausweisnummer preisgeben und sich einem Datenabgleich unterziehen lassen; die Tickets sind zu Kontrollzwecken mit RFID-Chips bestückt, die per Funk unbemerkt aus der Distanz auslesbar sind, und mit deren Hilfe auch Bewegungsbilder der Betroffenen erstellt werden können;

  • über 250.000 WM-Beschäftigte - von Fußballspielern über Journalisten bis hin zu Würstchenverkäufern und Reinigungskräften - mussten sich Sicherheitsüberprüfungen durch Polizei und Geheimdienste unterziehen lassen - der größte Sicherheitscheck in der Geschichte der Bundesrepublik;

  • Stadien und Stadtzentren werden zu Hochsicherheitszonen ausgebaut, einer flächendeckenden Video-Überwachung unterzogen und von unliebsamen Personen "gesäubert";

  • der Luft- und Landraum wird durch AWACS-Aufklärungsflugzeuge überwacht, und Tausende von Bundeswehrsoldaten werden als nationale Sicherheitsreserve im Innern des Landes eingesetzt.
"An solche Militäreinsätze im Inland soll sich die Bevölkerung allmählich gewöhnen, und die WM dient dabei als willkommenes Exerzierfeld", stellt Gössner fest, "obwohl Soldaten keineswegs für zivil-polizeiliche Aufgaben ausgebildet sind, obwohl Polizei und Militär schon aus historischen Gründen sowie nach der Verfassung grundsätzlich zu trennen sind."

Es scheine, so Gössner, "als würde der Ausnahmezustand geradezu herbeiphantasiert, als müsse sich der Gastgeber Deutschland vor einem feindlichen Überfall schützen, als wäre die WM ein Großschadensereignis und kein Sportfest. Wir erleben einen populistischen Sicherheitsaktionismus, der ganz besonders den Daten- und Persönlichkeitsschutz und damit Bürgerrechte von Hunderttausenden von Menschen schwer beschädigt - und einem vermeintlichen Mehr an Sicherheit opfert, ohne die Risiken damit wirklich ausschalten zu können. Mit der WM rückt der autoritäre Präventions- und Sicherheitsstaat um ein ganzes Stück näher".


Online-Flyer Nr. 47  vom 06.06.2006

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