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Krieg und Frieden
Kundus: Kein Prozeß gegen die Täter und ein bisschen Geld für die Opfer
Schuld und Sühne
Von Jürgen Rose

Das „Verteidigungsministerium“ muss sich wegen der Bombardierung zweier Tanklaster nahe dem nordafghanischen Kundus im September 2009, bei der 142 Menschen getötet und 20 schwer verletzt worden sein sollen, auf weitere Entschädigungsklagen von Opfern und Hinterbliebenen gefasst machen. Zwei Berliner Anwälte und ihr Bremer Kollege Karim Popal (1) vertreten dabei 456 Hinterbliebene und 20 Schwerverletzte. Sie wollen, weil die für jeden Getöteten zugesagten 5000 Dollar bei den Familien meist nicht eingegangen seien, nun auf dem Klageweg eine Entschädigung von 28.000 Euro durchsetzen. - Mehr dazu von Jürgen Rose. – Die Redaktion


Bremer Rechtsanwalt Karim Popal (rechts)
mit seiner Frau, Rechtsanwältin Afet Popal,
und seinem Kollegen RA Eckart Schneider
- vertreten Kundus-Opfer gegen die
Bundesregierung 
NRhZ-Archiv
Mit dem Luftschlag von Kundus am 4. September 2009 habe die deutsche Afghanistanpolitik ihre „Unschuld“ verloren, konstatierte jüngst die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktfor-schung (AFK). Dieser Aussage ist in doppelter Hinsicht zu widersprechen. Zum einen handelte es sich, wie die euphemistische Begrifflichkeit suggerieren mag, nämlich keineswegs um einen harmlosen Klaps auf den Hosenboden widerborstiger afghanischer Halbstarker, sondern um einen mörderischen, weil „heim-tückisch, grausam und mit gemeingefährlichen Mitteln“ geführten Angriff aus der Luft. Und zum anderen hatte sich diese Republik bereits in dem Moment schuldig gemacht, als der erste Soldat des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr seinen Stiefel im Rahmen der „Operation Enduring Freedom“, jenes völkerrechtswidrigen Kreuzzugs gegen den Terror, den George W. Bush unmittelbar nach 9/11 proklamiert hatte, auf afghanischen Boden gesetzt hatte.
 

Oberstleutnant a.D. Jürgen Rose
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Aber auch die Legitimität der anderen Mission am Hindukusch, nämlich jener vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen man- datierten und damit zumindest formal völkerrechtskonformen „International Security Assistance Force“, kurz ISAF, ist längst schon brüchig. Denn als im März 2007 die Bundesregierung TORNADO-Waffensysteme der Luftwaffe nach Mazar-i-Sharif entsandte und der deutsche Bundestag dem zustimmte, war klar, daß die deutschen Streitkräfte in Afghanistan in einen formidablen Krieg verwickelt waren. Ich selbst hatte mich daraufhin geweigert, dienstlichen Befehlen zur logistischen Unterstützung des Einsatzes Folge zu leisten (1).
 
Das Töten wieder gelernt
 
Eines freilich illustrierte jene nächtliche Feuerhölle am Kundus River, in der nach letzten Recherchen 91 Menschen zerfetzt und verstümmelt wurden, verbrannten und krepierten: Die Deutschen hatten das Töten wieder gelernt, und zwar gründlich. Angesichts des Geschehenen herrscht in der Öffentlichkeit hierzulande bis heute Entsetzen und Empörung, insbesondere dort, wo man die bitteren Lektionen aus der verheerenden Geschichte des preußisch-deutschen Militarismus gelernt und nicht bereits wieder vergessen hatte. Da half auch nicht, daß Deutschland nach monatelangem Hinhalten an die Familien der Opfer mittlerweile ein Blutgeld entrichtet hat. Von einer angemessenen Entschädigung kann dabei angesichts eines Betrages von 5.000 US-Dollar für jede betroffene Familie, unabhängig von der Zahl der Opfer in ihren Reihen und vom Grad der Schädigung, keine Rede sein. Zudem erfolgte die Zahlung lediglich gnadenhalber, d. h. unter Ausschluß der Anerkennung irgendwelcher weiterer Rechtspflichten.
 
Völlig zu Recht wurde nach dem Bombenmassaker umgehend der Ruf nach juristischen Konsequenzen für diejenigen laut, die dafür verantwortlich zeichneten. Doch vergebens – sowohl die Generalbundesanwältin als auch der Wehrdisziplinar¬anwalt haben ihre Ermittlungen gegen jenen Oberst Georg Klein, der den Befehl zum Bombenabwurf gegeben hatte, mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Überraschen konnte dies nicht wirklich, hatte sich doch die deutsche Politik unter dem Eindruck des Geschehens schlußendlich dazu durchgerungen, offiziell zuzugeben, daß die Bundeswehr in Afghanistan im Rahmen eines „nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes“ kämpft, wie die völkerrechtliche Terminologie lautet. Der Verdacht liegt nahe, daß dies nicht zuletzt deswegen geschah, um den Oberst Klein und seine Mitstreiter einer justiziellen Sanktionierung zu entziehen. Denn wenn ein bewaffneter Konflikt vorliegt, unterfällt die juristische Bewertung militärischen Handelns den hierfür vorgesehenen Rechtsregeln. Kodifiziert sind diese primär im sogenannten „Humanitären Völkerrecht“ (HVR). Dessen Kernbestand findet sich in den Genfer Konventionen von 1949 sowie den beiden Zusatzprotokollen aus dem Jahre 1977.
 

Oberst Georg Klein – Ermittlungen
gegen ihn wurden eingestellt
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Indes entpuppt sich das HVR als janusköpfig. Einerseits soll es zwar den Krieg einhegen, seine Exzesse verhindern, Kriegsgefangene und vor allem die unbeteiligte Zivilbevölkerung schützen. Andererseits handelt es sich mitnichten um „Kriegsverhinderungs-recht“, sondern ermöglicht und gestattet durchaus die kriegerische Ausein-andersetzung, indem es letztere festgelegten Regularien unterwirft. So darf der Konfliktgegner mit den völkerrechtlich zulässigen militärischen Mitteln und unter Wahrung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit bekämpft und auch getötet werden. Dies gilt nicht nur für Kombattanten in Uniform, sondern auch für all jene, die sich in organisierten bewaffneten Gruppen dauerhaft oder als einzelne Zivilisten zeitweise an Kampfhandlungen beteiligen. Organisierte Kämpfer erlangen ihren zivilen Status und den damit verbundenen Schutz erst dann wieder, wenn sie sich von den Kampfschauplätzen und -organisationen erkennbar entfernt haben. Zivilisten hingegen, die sich nur gelegentlich an den Kämpfen beteiligen, bekommen den Zivilschutz dadurch wieder, daß sie ihre Kampftätigkeit einstellen. Dagegen sind Zivilpersonen, die nicht an Kampfhandlungen teilnehmen, zu schützen und zu schonen. Nicht unerheblich eingeschränkt wird dieses Prinzip allerdings dadurch, daß im Zuge von Angriffen auf militärische Ziele durchaus zivile Opfer und Schäden in Kauf genommen werden dürfen. Unzulässig ist lediglich, daß dabei die zivilen Verluste in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.
 
Geheimoperation der „Task Force 47“
 
Wendet man diese Regeln des HVR nun auf den Fall Kundus an, so war die gewaltsame Kaperung der beiden Tanklastwagen, die Treibstoff für die ISAF transportierten, zweifellos ein feindseliger Akt der gegnerischen Guerilla, die seit Jahren gegen jene internationalen Truppen kämpft, die sich ja immerhin auf einer völkerrechtlich zulässigen Grundlage und mit Zustimmung der afghanischen Regierung im Lande aufhalten. Diese feindliche Handlung war zum Zeitpunkt der Bombardierung keineswegs beendet – im Gegenteil waren die Taleban-Kämpfer unter Mithilfe lokaler Dorfangehöriger damit beschäftigt, die festgefahrenen Tanker wieder flottzukriegen und zu diesem Zweck unter anderem Treibstoff aus diesen abzuzapfen. Nach militärischer Logik durften beide Akteure gemäß den Regeln des HVR zu diesem Zeitpunkt bekämpft werden. Gleichermaßen durften die beiden Tankfahrzeuge ins Visier genommen werden, um zu verhindern, daß der Feind aus dem erbeuteten Treibstoff einen Vorteil für seine Kampfführung ziehen konnte.
 
Zudem – und dafür sprechen gewichtige Indizien – ist davon auszugehen, daß es sich bei dem gesamten Geschehen an diesem Tage um eine von langer Hand vorbereitete Geheimoperation handelte, die von der im Raum Kundus operierenden „Task Force 47“ – gebildet unter anderem von Soldaten des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr – durchgeführt wurde. Darin involviert waren auch Angehörige des Bundesnachrichtendienstes sowie aller Wahrscheinlichkeit nach US-amerikanische Special Forces und Geheimdienste. Die Operationsführung könnte demnach beim Kommando FOSK („Führung Operationen Spezialkräfte“) in Potsdam gelegen und das Ziel der Operation darin bestanden haben, mehrere hochrangige Taleban-Kommandeure zusammen mit einer möglichst großen Anzahl ihrer Kämpfer zu vernichten. All dies wäre im Prinzip durch das HVR und auch durch das sehr offene Mandat des UN-Sicherheitsrates gedeckt, welches der ISAF erlaubt, „alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Mittel“ einzusetzen. Unübersehbar offenbart sich in jenem nicht nur völkerrechtlich ungemein komplexen Geschehen erneut die Absurdität der Vorstellung einen Krieg „sauber“ führen oder darin gar „unschuldig“ bleiben zu können. Darüber hinaus gibt das Desaster von Kundus Anlaß zum Zweifel, ob das „ius in bello“ die Kriegführung wirklich maßgeblich beschränken oder gar unmöglich machen könnte – ganz im Gegenteil erweist sich: Krieg zermalmt und vernichtet stets das Recht. (PK)
 
Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung „Darmstädter Signal“.
 
 
(1) Interview mit Jürgen Rose in NRhZ Online-Flyer Nr. 87  vom 21.03.2007 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=10658


Online-Flyer Nr. 267  vom 15.09.2010

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