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Inland
Was Deutschland in Wahrheit am Hindukusch verteidigt - Eine Replik
Schreibstubenbellizismus
Von Jürgen Rose

„Es gibt keinen Krieg, den wir in Afghanistan gewinnen müssten oder könnten“, schrieb der promovierte Berliner Iran-Wissenschaftler Thorsten Wöhlert in einem Beitrag für die Wochenzeitung Freitag, in dem er für die Fortsetzung der menschenmordenden NATO-Mission am fernen Hindukusch plädierte. Als ehemaliger Bundeswehroffizier, der dreiunddreißig Jahre in den deutschen Streitkräften gedient hat, kann ich seiner Feststellung nur uneingeschränkt zustimmen. Freilich endet an dieser Stelle dann aber auch schon die Gemeinsamkeit, denn wie jeder professioneller Militär weiß, muß man einen Krieg, der nicht zu gewinnen ist, beenden – und zwar schleunigst.
 

Bundespräsident Horst Köhler sagte, warum
Deutschland den Krieg am Hindukusch in
Wahrheit führt
NRhZ-Archiv
Besser allemal: erst gar keinen Krieg anfangen. Und schon erst recht keinen, der wie derjenige in Afghanistan jeglicher völkerrechtlichen Legitimation entbehrt. Denn bekanntlich existiert keine einzige Resolution des UN-Sicher-heitsrates, mit der dieser irgendeinen Staat auf diesem Globus ermächtigt hätte, in jenem zentralasiatischen Land einzufallen, um dort mit Militärgewalt einen “Regime Change“ zu erzwingen. Die Invasionspläne lagen nota bene bereits seit April 2001 fertig in den Schubladen des Pentagons – 9/11 lieferte ergo lediglich den wohlfeilen Anlaß, keineswegs die eigentliche Begründung für den Angriff auf die Taleban. Dessen geostrategische und geoökonomische Fundierung läßt sich hingegen eindrücklich bei Zbigniew Brzezinski studieren, der sich bis heute rühmt, die Sowjetunion 1979 „in die afghanische Falle gelockt“ zu haben. Und exakt dieser perfide Akt des ehemaligen “National Security Advisor’s“ von US-Präsident Jimmy Carter und heutigen Obama-Beraters konstituiert den eigentlichen Anlaß, warum die NATO dreißig Jahre später an der – O-Ton Brzezinski – „zentralasiatischen Front des eurasischen Balkans“ kämpft. Wichtiger indes als die historische Richtigstellung im sogenannten „Krieg gegen den Terror“ zu verortender Kriegslügen scheint die Erörterung der beiden, wie Wöhlert es nennt, „simplen Fragen“ nach den sicherheitspolitischen Interessen und den politischen Zielen des Militäreinsatzes am Hindukusch.
 
Lothar Rühl nennt folgende strategische Interessen
 
Um dem Vorwurf des Ideologieverdachts zu entgehen, empfiehlt es sich, in diesem Kontext anstelle „linker Utopisten“ einen knochenkonservativen Realisten wie Lothar Rühl heranzuziehen. Der sicherheitspolitische Analyst und bekennende Transatlantiker identifizierte in einem Beitrag für das Fachjournal Strategie & Technik im Hinblick auf Afghanistan folgende strategische Interessen Deutschlands, der Europäischen Union sowie des Westens insgesamt:
•          „Nach der Staatsraison der Bundesrepublik seit 1949 werden die nationalen Interessen euro-atlantisch definiert. … Ein Ausbruch aus der militärpolitischen Allianz Nordatlantikpakt bleibt … ausgeschlossen.“
•          Ganz allgemein und prinzipiell sind die „Kohärenz, Glaubwürdigkeit und internationale Wirkung“ deutscher Stabilitäts- und Friedenspolitik an einen Erfolg in Afghanistan gebunden.
•          „[D]as deutsche außenpolitische Interesse an einer hervorgehobenen internationalen Rolle ... schließt militärisches Engagement ... ein.“
•          Um einen reibungslosen „Welthandel, Energieeinfuhrsicherheit und die Sicherheit des Seeverkehrs mit Tankern wie der Überland-Leitungen durch krisengeschütteltes Gebiet zu gewährleisten, bedarf es weiträumig mobiler und flexibler militärischer Kapazitäten, die kriseninterventionsfähig und koalitionsfähig sind.“ Hierfür sind „maritime Kapazitäten und schnell bewegliche Flottenpräsenz im Mittelmeer, in der Arabischen See, im Persischen Golf und im Indischen Ozean [besonders wichtig]. … Die EU-Staaten können diese nicht allein herstellen und dauernd einsatzbereit halten. Maritime Sicherheit setzt die Verbindung zu den USA und den US-Seestreitkräften in der NATO voraus. Die alliierten Seestreitkräfte der NATO sind im deutschen Interesse unersetzlich. Damit sind der Erfolg der NATO in Afghanistan und der Bestand der Allianz ein deutsches strategisches Interesse, denn auch diese maritime Unterstützung muß politisch, ökonomisch und militärisch in Afghanistan honoriert werden ...“.
•          Die Lage in Afghanistan hat sich „seit etwa 2003“ so weit verschlechtert, „daß die NATO nicht einfach einen Schlußstrich ziehen und das Feld räumen kann, ohne eine Katastrophe zu hinterlassen“.
 
Guttenberg: Auch für Wirtschaftsinteressen
 
Auf den Punkt gebracht folgt aus vorstehender Interessenliste: Die Mission am Hindukusch wird zum Prüfstein für das Nordatlantischen Bündnis erklärt – Bündnisräson dient als Ersatz für mangelnden sicherheitspolitischen Verstand. Die deutschen Soldaten sterben und töten für das Bündnis mit den USA, für den Fortbestand der NATO, für mehr politisches Gewicht Deutschlands auf der Weltbühne und nicht zuletzt für Wirtschaftsinteressen. Nicht aber für die Afghanen und erst recht nicht für die Rechte der Afghaninnen.
 
Eine gewisse Ehrlichkeit diesbezüglich hielt mit Deutschlands neuem Kriegsminister zu Guttenberg Einzug, als dieser Ende Januar dieses Jahres am Rande des Weltwirtschaftsgipfels im schweizerischen Davos völlig unverhohlen aussprach, worum es bei dem Bundeswehreinsatz am Hindukusch in Wahrheit geht, nämlich daß man „[a]uch das Thema Afghanistan … im energiepolitischen Kontext sehen [müsse]. Die Stabilität dieses Landes habe große Auswirkungen auf die gesamte Region, die für die Gewinnung und die Weiterleitung von Energierohstoffen eine große Rolle spiele.“ Die jüngst zum wiederholten Male durch die internationale Presselandschaft gewogten Pentagon-Meldungen über enorm ergiebige Rohstoffvorkommen in Afghanistan bestätigen diese Aussage nur allzu nachdrücklich.
 
Menschenrechte nur etwas für die Galerie
 
Darüber hinaus bekannte der forsche Freiherr frank und frei, daß der im Afghanistankontext so häufig beschworene Menschenrechtskontext lediglich etwas für die Galerie ist, als er „selbstkritisch“ anmerkte: „… haben wir nicht Gründe nachgeschoben, um in schwierigen Momenten auch mal eine Anerkennung unserer Bevölkerung zu bekommen? Natürlich ist es unbestreitbar wichtig, daß man Kindern hilft, daß man Frauen hilft in ihren Rechten und all jenem. … Aber das waren Gründe, die nachgeschoben wurden. Der eigentliche Grund damals war, diesen Rückzugsraum zu verhindern …“.
 
Noch unverblümter brachte Bundespräsident Horst Köhler nach seiner dem deutschen Feldlager von Mazar-e-Sharif am 21. Mai dieses Jahres abgestatteten Stippvisite zum Ausdruck, warum Deutschland den Krieg am Hindukusch in Wahrheit führt, nämlich weil „ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muß, daß im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“
 
„Verständigungsprozesse“ – blanker Zynismus
 
Wie daher Wöhlert im Hinblick auf die politische Zielsetzung der NATO-Mission zu seiner philantropiegesättigten Rhetorik von „Verantwortung für Afghanistan“ und „Hilfe für das afghanische Volk“ kommen kann, bleibt völlig schleierhaft. Blanker Zynismus auch sein Schwadronieren vom „militärischen Beistand, der Verständigungsprozesse am Hindukusch begleitet“. Denn die Obama-Administration forciert den Aufbau der sogenannten afghanischen Sicherheitskräfte in Gestalt der ANA und der ANP in Wahrheit lediglich deshalb, um dem von der US-Imperialmacht installierten Satrapenregime, das die Rohstoff- und Energieinteressen westlicher Konzerne zu bedienen hat, die staatlichen Repressionsorgane verfügbar zu machen, die es braucht, um Friedhofsruhe im Lande zu garantieren. Und da dem westlichen Wahlvolk hierfür das Blut seiner Soldaten auf die Dauer zu wertvoll ist, muß jenes fürderhin durch billiges afghanisches ersetzt werden. Nicht zuletzt dem unübersehbaren Legitimationsdefizit für das koloniale Abenteuer der Bundeswehr dürfte daher die Erkenntnis des schon zitierten Lothar Rühl geschuldet sein, daß „der strategische Rückzug der internationalen Truppen aus Afghanistan in den nächsten Jahren unvermeidlich ist.“ Indes muß Truppenrückzug, wie die rhetorischen Taschenspielertricks der Bellizisten gemeinhin suggerieren, keineswegs automatisch das Ende sämtlicher Unterstützung für das afghanische Volk bedeuten. Ganz im Gegenteil könnte das Aus für den gewalttriefenden Militäreinsatz endlich die dringend benötigten und bis dato eben fehlenden Ressourcen für die zivile und gewaltfreie Wiederaufbau- und Entwicklungshilfe im Lande freisetzen. Zwar würde, wie Wöhlert wohl zu Recht annimmt, der Gewaltkonflikt am Hindukusch auch für den Fall andauern, daß Deutschland dem Beispiel der NATO-Verbündeten Kanada und Niederlande folgte und seine Soldaten abzöge. Doch immerhin wären dann keine deutschen Soldaten mehr am Wahnsinn des Tötens und Sterbens dort beteiligt. Was wiederum nicht das Schlechteste wäre für eine Nation, auf deren historischem Schuldenkonto bereits Abermillionen von Gewaltopfern lasten und die sich deshalb vor der Völkergemeinschaft im sogenannten »2+4-Vertrag« feierlich verpflichtet hat, daß von ihrem Boden niemals wieder Krieg ausgehen werde. (PK) 
 
Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung „Darmstädter Signal“. Sein zuletzt erschienenes Buch:
„Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt?“
Hannover 2009, Verlag Ossietzky, ISBN 978-3-9808137-2-3.
Mit einem Geleitwort von Werner Ruf und einem Nachwort von Detlef Bald.
Eine Rezension von Wolfgang Effenberger finden Sie in der NRhZ unter diesem Link:


Online-Flyer Nr. 255  vom 23.06.2010

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