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Lokales
Widerspruch gegen Einstweilige Verfügung von Alfred Neven-DuMont
Gerichte gegen Geschichte
von Hans-Detlev von Kirchbach

Im Zusammenhang mit Berichterstattung und Dokumentation von "Übertragungen" jüdischen Eigentums an RechtsvorgängerInnen der heutigen Medienkonzern-Eigentümer Neven DuMont bemüht das Kölner Verlagshaus immer noch nicht, wie öffentlich angekündigt, einen unabhängigen Historiker, sondern die Gerichtsbarkeit. Am 26. April wurde deshalb im  Landgericht der Widerspruch des Kölner Publizisten Albrecht Kieser gegen eine von Alfred Neven DuMont erwirkte Einstweilige Verfügung verhandelt. Unser Autor hat den Termin beobachtet und macht sich seine Gedanken. Die Redaktion

1. Flashback in die fünfziger Jahre

Zeit: 12 Uhr 40. Ort: Saal 222 des Kölner Landgerichts. Datum: 26. April 2006. Doch was ich in dieser Verhandlung zu hören bekomme, veranlaßt mich ständig, auf meinen elektronischen Kalender zu blicken. Man hätte nämlich meinen können, ins Jahr 1956 zurückversetzt zu sein. In eine Zeit, als allgemein und staatsverbindlich noch Sprachregelungen der Verdrängung galten wie etwa: "jene 12 Jahre", als Vergangenheit etwas war, das man gerade persilweiß unsichtbar gewaschen hatte, als mit Begriffen wie zum Beispiel "Arisierung" noch niemand etwas anfangen konnte. Ginge es nach Alfred Neven DuMont, so würden diese Zeiten des "Beschweigens", als in deutschen Wohnzimmern nur im Flüsterton von "damals" geredet wurde, mit Gerichtshilfe wieder einkehren, jedenfalls, soweit es die historische Rolle der Kölner Verlegerfamilie betrifft.  Deren heutige Rechtsnachfolger beanspruchen in dem Zusammenhang die Diskurshoheit über die Interpretation von historischen Begriffen wie "Arisierung".

2. Regression der Pressefreiheit?

Das - zumal in eigener Sache - zu versuchen, bietet zwar ein trauriges Bild mangelnder Offenheit und Souveränität in Sachen Aufarbeitung der Konzerngeschichte, ist aber gleichwohl das gute Recht des Honorarprofessors und Kölner Ehrenbürgers. Richtig schlimm aber fand ich einen ganz anderen Eindruck, der sich im Verlauf der Verhandlung bildete: Das Gericht deutete die Möglichkeit weitgehender Eingriffe in die Meinungs- und Wertungsfreiheit an, zugunsten derer, die festlegen lassen wollen, wie über "bestimmte Vorgänge" im Dritten Reich gesprochen, geschrieben und publiziert werden darf. In diesem Zusammenhang eine geradezu alarmierende Perspektive.

3. Was damals Recht war...

Szenen: Albrecht Kieser verdeutlicht den systematisch eskalierenden Weg, der vom ersten "Judenboykott" über die "Nürnberger Gesetze", die "wilde" und die "legale" Arisierung bis in die Mordfabriken des NS-Staates geführt hat, als einheitlichen historischen Vorgang. Der es eben unmöglich mache und geradezu abenteuerlich erscheinen lasse, von "rechtmäßigem" und "ordnungsgemäßem" Erwerb jüdischen Eigentums zu sprechen, meint Albrecht Kieser. Doch tauben Ohren gepredigt. Der Konzernanwalt will genau den Aufweis dieses systemischen Zusammenhangs als "rechtswidrige" Geschichtsdarstellung inkriminieren, weist auch den Begriff des "legalen Raubes" im Zusammenhang mit den "Eigentumsübergängen unter Privaten" zurück und verkündet obendrein mit machtgestützter Selbstgewißheit:

"Versuchen Sie nur, dieses Geschichtsbild in der Bundesrepublik Deutschland zu propagieren; es wird außer von Ihnen und einer kleinen marginalen Minderheit von niemandem geteilt werden."

Stattdessen beschwört er beständig die "Rechtmäßigkeit" der Grundstücks-Erwerbnisse. Er zieht gegen den "Eindruck" zu Felde, die Familie Neven DuMont oder ihr Verlag könne - Gott und die Gesetzlichkeit von 1938 oder 1941 bewahre! -  von selbstredend rechtmäßigen "Eigentumsübertragungen" in irgendeiner Weise "profitiert" haben.

4. Vornehme Hände vergreifen sich nicht

Auch daß die Verlegerfamilie sich also etwas wie ein günstiges Grundstück "gegriffen" haben könnte - "Schnäppchen" sagt man dazu wohl auch -, verwirft der Anwalt indigniert und kündigt Klage allein schon gegen den Begriff "gegriffen" an. Darin will ich ihm gerne folgen. Nein, so vornehme Elite-Hände des Kölner Großbürgertums können doch nicht plebejisch  einfach irgendetwas "greifen".  In diesen Kreisen findet bestenfalls ein dezent gleitender "Transfer" oder "Rechtsübergang" in berufene Hände statt. Und eine solche Perspektive, die endlich auch den Mitmachern oder denen, die "in schwerer Zeit in Deutschland blieben", Gerechtigkeit widerfahren läßt, scheint man nun vor Gericht durchsetzen zu wollen. Es darf nicht "Arisierung" heißen, auch wenn ganz im objektiven Sinne des - wie es gerne beschwichtigend heißt - "damaligen" Staatsziels jüdisches Eigentum in - nach damaliger, "rechtsstaatlicher" Definition - "arische" Hände überging. Der Zusammenhang, der antisemitischen Staatsterror und vermeintlich zivile "Eigentumsübergänge" untrennbar verband, soll unsichtbar werden. 

5. Juristische Dunstschleier gegen historische Aufklärung

So breitet sich vor Gericht - in den Ausführungen des Dumont-Anwalts vor allem - ein Dunstschleier juristischer Abstraktionen über der brutalen Realität der "Entjudung" aus. Von "Eigentümer-Grundschuld", "Einheits-"- versus "Marktwert" und Kaufverträgen ist die Rede, als handele es sich durchgehend um langweilige zivilrechtliche "Normalvorgänge" und nicht etwa um Resultate von Ausgrenzung, Entrechtung und gewaltsamem wie paragraphenförmigem Terror. Der übrigens von Leuten ausgeübt wurde, die - wie beispielsweise Hans Maria Globke - später in der Bundesrepublik wieder zentrale Positionen einnehmen konnten.

6. Wird Revisionismus rechtsverbindlich?

Geschichtseuphemismus und Verdrängungsmentalität im Stil der Vor-68er Restauration werden hier also nicht nur als Allgemeingut und "nationaler Konsens" vorausgesetzt, sondern auch noch in den Rang eines rechtsverbindlichen Grenzwertes für erlaubte geschichtspolitische Interpretationen erhoben. Dafür bemühte der redegewandte Rechtsvertreter Alfred Nevens auch eine beliebte Legendenfigur aus der Mythologie der Judikatur: den "durchschnittlich verständigen Leser". Der nämlich soll nur nicht den "Eindruck" gewinnen, als könnten die Rechtsvorgänger der heutigen Kläger in irgendeiner Weise von günstigen "Eigentumsübertragungen" profitiert haben. Früher firmierte dieser Rechts-Homunculus, der im Kopf der Robenjustiz die Gattung der Nichtrobenträger repräsentieren soll, als Masse der "billig und gerecht Denkenden", und noch früher, in der Zeit, um die es im wirklichkeitsfernen Landgerichtssaal 222 ging, hieß er "Gesundes Volksempfinden".

Der Kammervorsitzenden wäre, so scheint´s, eine gütliche Einigung am liebsten. Doch zwischen so weit differierenden Geschichtsbildern fällt ein "Vergleich" wohl schwer. Was Neven Dumonts Anwalt jedenfalls vor Gericht verbreitete, ist auf deprimierende Weise normal, repräsentiert die vom Verlagshaus gern in Anspruch genommene "Mitte". Heute wohl - mangels relevanter Gegenkräfte - wieder fast so unangefochten wie in den Zeiten des Beschweigens vor 1968. Das ist fast der deprimierendste Eindruck von diesem Gerichtstermin.
 
7. "Ungeheuerliche Geschichtsumschreibung"
 
Das Gericht hat es nicht einfach, denn es steht in Gefahr, am 17. Mai eine Entscheidung zu treffen, die ihm eigentlich nicht zusteht: Eine Entscheidung über historische "Wahrheit" und den zulässigen Rahmen, innerhalb dessen dieselbe interpretiert werden darf. Die Vorsitzende will sich auch nicht in die Rolle einer Chefhistorikerin drängen lassen und betont präventiv: "Wir sind hier nicht in einem historischen Seminar". Doch besteht die Crux dieses Rechtsstreites eben darin, daß anstelle dokumentierbarer Wirklichkeit und ihrer kritischen Analyse in wissenschaftlichen Verfahren und öffentlichem Diskurs Gerichte zur obersten historischen Erkenntnisinstanz  aufwachsen können. Mit womöglich schwer erträglichen Folgen, wie auch Albrecht Kiesers Resümee bei dieser Verhandlung andeutete:
 
"Wer nicht reflektiert, daß die angeblichen 'Verkäufer' keine 'gleichberechtigten Marktteilnehmer' waren, sondern aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt, entrechtet, vertrieben und schließlich ermordet wurden, der betreibt eine Geschichtsumschreibung, die ich ungeheuerlich finde."

Und: Solche Geschichtsumschreibung, geradezu eine Verpflichtung zur Amnesie, als verbindlichen Standard rechtsförmig festzuschreiben - das wäre eine Katastrophe für Meinungs-Presse- und Wissenschaftsfreiheit

Siehe auch  NRhZ-Beitrag "Prozess gegen Alfred Neven DuMont" und
"Durch Einstweilige Verfügung erstmal verboten"




Online-Flyer Nr. 42  vom 02.05.2006

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