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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Lokales
Der erste Ostermarsch am Atomwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel
„Nice words are not enough!“
Von Christian Heinrici

Bei Wind und Wetter demonstrierten rund 300 Friedensaktivisten am Ostersonntag in Büchel in der Eifel, wo auf dem „Fliegerhorst“ der Bundeswehr die letzten noch in Deutschland verbliebenen zwanzig US-Atomwaffen lagern. Zwei Tage später verkündete US-Präsident Obama eine Neuausrichtung der US-Atomstrategie. Ob das denn die B-61 Bomben in der Eifel mit einschließt und den schönen Worten auch Taten folgen werden, bleibt abzuwarten. Oder besser doch nicht, dachten sich die versammelten Demonstranten, von den Versprechungen so mancher Politiker enttäuscht, aber alles andere als mutlos.

Es ist fünf vor zwölf, als sich am Ostersonntag die Demonstranten fantasievoll verkleidet, mit Pappschildern oder Transparenten bewaffnet vor der Bühne in dem kleinen Eifeldorf versammeln – auch symbolisch gesehen, denn reden die Politiker auf der Weltbühne ja bekanntlich gerne in letzter Zeit von Abrüstung ihrer nuklearen Arsenale; doch darf man nach wie vor an der Ernsthaftigkeit ihrer Bekenntnisse zweifeln: Geht es ihnen nun um Abrüstung oder vielmehr um Modernisierung der Atomwaffen? Der Kalte Krieg ist vorbei, meint auch Barack Obama, doch den nuklearen Erstschlag möchte man sich sogenannten Schurkenstaaten gegenüber gerne noch bewahren. Und EADS, Daimler, Thyssen-Krupp, Rheinmetall und „der Wirtschaftsfaktor“ reden hierzulande auch gerne noch ein Wörtchen mit, manchmal bis zur Basis.
 
Büchel Atomwaffen abschaffen - nicht modernisieren Foto: Reiner Willy
Bunter Zug durch die Bücheler Gemeinde | Foto: Reiner Willy
 
Kurz vor der Auftaktkundgebung ist eine Anwohnerin nur wenig österlich gestimmt und beschimpft die Friedensaktivisten wütend aus ihrem vorbeifahrenden Auto. Büchel und einige andere Dörfer in der Gemeinde Ulmen im „strukturschwachen“ Landkreis Cochem-Zell „leben von den Atomwaffen“ – glauben sie wenigstens und vergessen dabei die horrenden Steuersummen, die Deutschlands größter NATO-Stützpunkt verschlingt. Alfred Steimers, Ulmener CDU-Bürgermeister, bekannte gegenüber dem Hamburger Abendblatt nur wenig souverän: „Nur solange die Nuklearwaffen hier lagern, sind Flugplatz und Arbeitsplätze sicher. Für die Region ist der Platz eine echte Existenzfrage.“
 
Marion Küpker gaaa Büchel | Foto: Herbert Sauerwein AF
Marion Küpker von der GAAA
Foto: Herbert Sauerwein
Doch, dass man das auch anders sehen kann, bewiesen die trotz Feiertagsverpflichtungen und widriger Wetterumstände zahlreich erschienenen Demonstranten aus der Region. Mitorganisatorin Marion Küpker von der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen abschaffen erinnerte nicht etwa an Jesu Auferstehung, sondern an den Todestag von Martin Luther King, der am 4. April vor 42 Jahren von Agenten der US-Regierung und Militärs umgebracht wurde und auch für die Jahr für Jahr rund um den Bundeswehrstandort stattfindenden Proteste ein sehr lebendiges Vorbild ist: „Martin Luther King wurde den Mächtigen gefährlich, weil er die Profite der Rüstungskonzerne gefährdete, indem er immer weitere Teile der Bevölkerung zu gewaltfreien, direkten Aktionen bewegen konnte.“ Küpker berichtete von den am Osterwochenende europaweit vernetzt stattfindenden Aktionen[1] und sagte mit Blick auf auf Deutschland: „Ich hoffe, unsere Regierung hat erkannt, das größere Aktionen auch für Büchel drohen, wenn die Atomwaffen nicht endlich weg kommen.“
 
Reih an Reih: Die Bäume, Zaunpfähle, Polizisten und Demonstranten, Foto: Reiner Willy
Reih an Reih: Die Bäume, Zaunpfähle,          
Polizisten und Demonstranten,
Foto: Reiner Willy
Nach der kurzen Auftakt-kundgebung setzte sich der Eifler Ostermarsch in Gang, um am Zaun des weitläufigen Bundeswehrstützpunktes gegen die dort mehr oder weniger sicher lagernden B-61 Bomben mit der insgesamt 200-fachen Sprengkraft der Bombe von Hiroschima zu protestieren. Und wie üblich fürchteten sich die Autoritäten mehr vor zivilem Ungehorsam als vor besagter nuklearer Gefahr. Hatten nicht am Vortag am belgischen US-Atomwaffen-Depot Kleine Brogel Aktivisten ihre Aktionen auch hinter dem „Sicherheitszaun“ fortgesetzt?! Und so wurde auch der Bücheler Zug von einem beachtlichen Polizeiaufgebot und unzähligen Kameras sowie bewaffneten Feldjägern hinter dem Zaun begleitet.
 
„Die Konferenz versemmeln“
 
Auch Tobias Pflüger, Politikwissenschaftler (IMI) und ehemaliger Europaabgeordneter der Linken, bemerkte auf der Hauptkundgebung vor dem Tor des Jagdbombergeschwaders über mutmaßliche „Go-In-Aktionen“: „Ich will der Polizei sagen, wir haben das heute nicht vor, sie können heim gehen! Aber wir gratulieren den Belgierinnen und Belgiern, dass sie es gemacht haben, und wir werden es irgendwann einmal hier auch tun!“ Und weiter: „Wir könnten es uns relativ leicht machen: Wir könnten sagen, der US-amerikanische Präsident Obama hat den Friedensnobelpreis dafür bekommen, dass er eine Vision einer atomwaffenfreien Welt hat. Wir haben einen Außenminister, der erklärt hat, dass er die Atomwaffen nicht will – das haben vorher ihm auch schon einige andere Außenminister erklärt – und wir könnten es uns leicht machen und sagen, wir vertrauen ihnen, und sie werden es schon richten. Da sind wir ein bisschen skeptischer, deshalb sind wir hier! Wir wollen, dass diese ‚nukleare Teilhabe’ endlich beendet wird, beendet diesen Unsinn!“
 
Tobias Pflüger bei seiner Rede in Büchel | Foto: Herbert Sauerwein/ AF
Tobias Pflüger bei seiner Rede in Büchel
Foto: Herbert Sauerwein
Pflüger kritisierte die im Mai in New York anstehende Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags. Die westlichen Atommächte seien jetzt schon dabei, die Konferenz „zu versemmeln“, auch weil die USA, Großbritannien und Frankreich momentan ihre Arsenale modernisieren. Vom geplanten NATO-Gipfel in Lissabon im November 2010 sei nicht viel Gutes zu erwarten: In Zukunft wolle man das ehemalige „Verteidigungsbündnis“ auch zur militärischen Sicherung von Energieressourcen „einsetzen“. Pflüger: „In einem wesentlichen Diskussionspapier...[2] heißt es: ‚Der nukleare Erstschlag muss im Köcher bleiben. Um den Einsatz von Massenvernichtungswaffen und die dadurch tatsächlich existentielle Bedrohung zu verhindern...’ Man will den Einsatz von Atomwaffen, um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Das ist Perversion! Wir lehnen eine solche NATO-Strategie ab, die NATO ist ein ganz brutales Kriegsführungsbündnis, wenn sie eine solche Strategie hat!“
 
Am 8. April wollen sich Obama und der russische Präsident Medwedew in Prag treffen, um das START-Abkommen zwischen beiden Ländern zu erneuern. Dabei soll die Anzahl der Atomsprengköpfe von 2.200 auf 1.550 und die Trägersysteme von 1.600 auf 800 reduziert werden. „Das Interessante an dem Ganzen ist: Man hat einfach eine neue Zählweise eingeführt, und in Zukunft werden die sogenannten Atombomber, die ungefähr zehn Atomwaffen mit sich tragen, nicht mehr als zehn, sondern als eine Waffe gezählt.“ erklärte der Politikwissenschaftler. „Auf diese Weise kommt man relativ einfach auf die neue Mindestgröße von 1.500... Wir begrüßen, dass es einen Abrüstungsvertrag gibt, aber was wir wollen, ist ein Vertrag, der beinhaltet, dass alle Atomwaffen wirklich abgerüstet werden, aber nicht solch eine Trickserei!“ kritisierte Pflüger.
 
„Nice words are not enough!“
 
Kate Hudson in Büchel | Foto: Herbert Sauerwein/ AF
Kate Hudson, Vorsitzende der CND                   
Foto: Herbert Sauerwein
Kate Hudson von der britischen Campaign for Nuclear Disarmament (CND) bedankte sich in ihrer Rede für die Unterstützung der Friedensaktivisten aus Deutschland bei den Protesten gegen die Atomwaffenfabrik in Aldermaston in Südengland, rund 70 Kilometer westlich von London. In Großbritannien sei mittlerweile eine Mehrheit – auch angesichts der horrenden Ausgaben und drohender Kürzungen in der Wirtschaftskrise – für die Abschaffung der Atomwaffen und die Beendigung des Irak- und des Afghanistankriegs. Nur die aktuelle Regierung halte noch daran fest.
 
Die anstehenden Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und Russland seien höchst willkommen, aber es sei zu befürchten, dass es sich dabei nur um nette Worte und gute Absichten handelt: „Doch schöne Worte reichen nicht aus!“ Neben besagten Strategischen Atomwaffen, sollten natürlich auch Taktische in die Verhandlungen mit einbezogen werden, und genauso das geplante US-Raketenabwehrsystem, an dem Obama nach wie vor festhält, und das selbstverständlich als Bedrohung empfunden werden kann. Und schließlich müsse die NATO ihr gesamtes Atomwaffenarsenal vernichten, wie sie auch auf ihre „Erstschlagsstrategie“, ihre aggressive Expansionspolitik und ihren Anspruch auf Weltherrschaft verzichten müsse – womit sie sich eigentlich sehr gut selbst abschaffen könnte – doch dazu sei (un-)gehöriger Druck von der Straße vonnöten, schloss Hudson treffend.
 
Richard Pestemer in Büchel | Foto: Herbert Sauerwein/ AF
Richard Pestemer, Bürgermeister von
Neunkirchen | Foto: Herbert Sauerwein
Und dabei nicht nur vernetzt, sondern auch zusammenhängend arbeiten, möchte man hinzufügen. So war es nur logisch, dass alle Rednerinnen und Redner auch die Abschaffung der vorgeblich zivilen Nutzung der Atomenergie forderten, wie Richard Pestemer, Mitglied von Mayors for Peace und Bürgermeister von Neunkirchen im Hunsrück, der eindrucksvoll darlegte, wie sich eine Region mit erneuerbarer Energie selbst versorgen und dabei gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen kann.[3] Auch die Bücheler Ostermarschierer versorgten sich selbst, mit Schirmen und Plastiksäcken gegen den Regen und heißer Suppe, Tee und musikalischer Unterhaltung gegen die Kälte. Kein Wunder also, dass niemand so recht den präsidialen Lippenbekenntnissen glauben wollte, dass der Kalte Krieg nun endgültig vorbei sei.
 
Sehen Sie hierzu auch die Fotogalerie in der aktuellen Ausgabe der NRhZ!
 
Anmerkungen:
[1] In Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Schottland, Italien und der Türkei demonstrierten Friedensaktivisten zivil und ungehorsam gegen Atomwaffen und ihre „Stützpunkte“.
[2] das von fünf ehemaligen Generälen, unter anderem von Klaus Naumann, Aufsichtsratmitglied und „Berater“ des französischen Rüstungskonzerns Thales Group, „entworfen“ wurde.
[3] Wäre doch sein Ulmener Kollege vom Anfang des Artikels nur auch anwesend gewesen!

(CH)

Online-Flyer Nr. 244  vom 07.04.2010

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