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Globales
Belgischer Gefängnislehrer Luk Vervaet bekommt Recht durch den Staatsrat
Das Ende der Geschichte?
Von „Apache“

Nachdem der belgische Gefängnislehrer Luk Vervaet seine erste juristische Auseinandersetzung und Berufung gewonnen hatte(1)(2), legte der belgische Staat nach und sprach erneut ein Berufsverbot aus. Dies wurde nun im Eilverfahren vom Staatsrat(3) kassiert. Die Redaktion „Apache“ schreibt dazu in einem Artikel: „Nun muss man abwarten, wie der belgische Staat auf das Urteil reagiert.“ Hier die Übersetzung von unserer Kollegin Dr. Maryam Dagmar Schatz. – Die Redaktion


Bekam Recht vom Staatsrat -
Gefängnislehrer Luk Vervaet
Quelle: www.apache.be
Luk Vervaet ist nicht nur Gefängnislehrer, sondern er äußert auch scharfe Kritik an den Zuständen im belgischen Strafvollzug. Am 10. August 2009 wurde ihm mit einem einzigen Schriftstück der Zutritt zu allen belgischen Gefängnissen verweigert. Eine offizielle Begründung für diese drakonische Maßnahme bekam er nicht. Auf der Basis einer Menge Ausnahmen zum belgischen Informationsfreiheitsgesetz(4) muss ein solches Verbot nicht begründet werden. „Pour des raisons de securité“ („aus Sicherheitsgründen“) war die immer wiederkehrende Formulierung, die der belgische Staat mehr als ausreichend fand. Vervaet kämpft inzwischen schon monatelang gegen diese Entscheidung und fordert eine Begründung. Der Staatsrat folgte ihm nun.
 
Deutliches Signal
 
Die gemeinnützige Organisation „Adeppi“ [Atelier D’Éducation Pour Personnes Incarcérées = Ausbildungswerkstatt für Inhaftierte] kündigte Luc Vervaet am 1. November 2009. Da Vervaet fand, daß es nicht zulässig sei, ihm ohne eine einzige Begründung und ohne Einsicht in seine Akte seinen Beruf zu nehmen, ging er vor Gericht. Zu seinem großem Erstaunen nahmen die Richter in erster Instanz die Ausnahmen als Grundlage, die im Gesetz vom 29. Juli 1991 über die ausdrückliche Notwendigkeit, Regierungshandeln zu begründen, aufgeführt waren, und urteilte, daß er in der Tat zu keinem belgischen Gefängnis mehr über das Zutrittsrecht verfüge, und begründeten dies mit eben jenen Ausnahmen zum o.a. Gesetz, die allerdings mehr die äußere Sicherheit des Staates als dessen öffentliche Ordnung betreffen. Vervaet blieb auf Gerichtskosten von ungefähr 1.200 Euro sitzen und ging in Berufung.
 
Das Brüsseler Berufungsgericht stellte in seinem Urteil vom 27. Januar 2010 fest, daß „der belgische Staat Luk Vervaet hätte anhören müssen, als er ihm den Zutritt zum Gefängnis verweigerte. Schließlich gehe es um eine Maßnahme, durch die er Gefahr lief, seine Arbeit zu verlieren. Ein deutliches Signal an den Staat und das Zeichen an Vervaet, einen neuen Antrag auf Zutritt zu den belgischen Gefängnissen zu stellen.
 
Positiv
 
In einem Brief vom 24. Februar 2010 verweigerten das Justizministerium und die nationale Gefängnisverwaltung dem Lehrer aufs Neue den Zutritt zu den Gefängnissen. Die Begründung für die neue Weigerung enthielt wiederum die Formulierung: „Der Zutritt wird ihm aus Sicherheitsgründen verweigert.“ Daß die Justiz auf Luk Vervaet so angefressen ist, hat möglicherweise mit seiner Kritik am Gefängniswesen zu tun: es entpersonalisiere die Gefangenen. Das Justizministerium setzte sich damit demonstrativ über das Urteil des Berufungsgerichts hinweg. Dies, so sagen Vervaet und seine Rechtsanwälte Christophe Ramchand und Dunia Alami, sei ein besonders zynischer Anschlag auf die Erklärungspflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern und – ganz unverblümt – eines Rechtsstaates unwürdig.
 
Deshalb beantragten sie am 8. März eine Eilentscheidung des Staatsrats, diese Maßnahme aufzuheben. Die öffentliche Verhandlung beim Staatsrat fand am Donnerstag, 11. März, statt. Argumente pro Vervaet aus den fünf Jahren seiner Unterrichtstätigkeit gab es genug: es war ihm noch kein einziges Mal der Zutritt verweigert worden, es gab keinerlei Vorfälle und in Berichten seines Arbeitgebers Adeppi erschien er immer besonders positiv.
 
Mundtot
 
Merkwürdig was das Geschmäckle, das über Vervaets Akte bei der Gefängnisverwaltung hing. Die frühere Rechtsanwältin des Lehrers, Olivia Venet, entdeckte nicht nur, daß drei Blattseiten „eingestuft“ und somit für sie nicht zugänglich waren, sondern auch, daß darüber hinaus Absätze hinzugefügt worden waren. „Als die Justiz ahnte, daß ich etwas unternehmen würde und meine erste Anwältin sich rührte, wurden zu meiner Akte Absätze hinzugefügt und zwar offensichtlich, um der Zugangsverweigerung mehr Gewicht zu geben“, erklärte Luk Vervaet. „So fand meine Anwältin die Kopie eines Gastbeitrages über die Entlohnung von Gefangenenarbeit, den ich zusammen mit Juan Carlos Gonzalez geschrieben hatte, noch vor dessen Veröffentlichung in der Zeitung ,La Libre Belgique‘(5). Das Stück war in meiner Akte. Unerklärlich und eklig. Danach wurde der Akte mein Antrag auf Besuch bei Nizar Trabelsi (6) zugefügt. Diesen Antrag hatte ich – so die Notizen – formgerecht eingereicht und der Gefängnisdirektor hatte ihn übrigens bewilligt. Ich denke, daß die Absichten der Justiz damit deutlich werden.“
 
Rechtsanwalt Ramchand und Rechtsanwältin Alami stellten fest, daß die zweite Ablehnung, die Vervaet erhielt, nach der Urteilsbegründung des Berufungsgerichts unbegreiflich und besorgniserregend sei. Das Informationsfreiheitsgesetz existiere doch gerade um solche unbegründeten Gerichtsentscheidungen zu vermeiden. Ohne den geringsten Hinweis auf Berechtigung mit Worthülsen wie „Sicherheitsgründe“ zu jonglieren, fanden die Anwälte unerhört und eines Rechtsstaates unwürdig. Was sie damit sagen wollten, war deutlich: es gibt keine akzeptable Erklärung für dieses Berufsverbot, es sei denn den Reflex eines Polizeistaates, einen Kritiker mundtot zu machen. Dagegen fand der Rechtsvertreter des belgischen Staates die Sache überhaupt nicht dringend: Vervaet habe ja den Schaden nicht durch das Zutrittsverbot erlitten, sondern durch die Kündigung seines Arbeitgebers. Darüber hinaus sei die Sache die prozessuale Weiterführung von Auseinandersetzungen der Vergangenheit. Soweit diese vor Gericht verhandelt worden seien, seien ja schon Urteile in die gleiche Richtung wie das jetzt angegriffene gefällt worden.
 
Verwahrt, verbuddelt
 
Diese „Argumente“ des staatlichen Rechtsvertreters leuchteten dem Staatsrat jedoch nicht ein. Die Argumente des Staatsrats-Auditors waren für den belgischen Staat rundherum vernichtend. Der Auditor erklärte, er sei „äußerst verwundert“ über diesen mit dem abgelehnten ersten Urteil identischen Beschluss, der nicht „die Haltung eines Rechtsstaates sein kann oder sein darf“, und daß, „gesetzt den Fall, es gebe schwerwiegende Gründe, seine Gründe nicht zu verdeutlichen, die Justiz dies wohl tun muss.“ Schlussfolgerung des Auditors: alle Voraussetzungen um das Verbot aufzuheben seien erfüllt.
 
In dem am 16. März verkündeten Urteil folgte der Staatsrat seinem Auditor und forderte in einer umfangreichen und kritischen Urteilsbegründung, die „Apache“ exklusiv einsehen konnte: „…la suspension de l’exécution de la décision de 24 février 2010 par laquelle le directeur général des établissements pénitentiaires refuse à Luk Vervaet l’autorisation d’entrer en prison,“ d.h.: „…die Aussetzung der Entscheidung von 24. Februar 2010, mit der der Generaldirektor des belgischen Strafvollzuges Luk Vervaet die Zutrittsgenehmigung für alle Gefängnisse entzog.“ Nun muss man gespannt abwarten, wie der Staat reagieren wird, sollte Luk Vervaet einen neuen Antrag auf Zutritt zu den Gefängnissen stellen.

Daß die Justiz so scharf auf Luk Vervaet ist, hat möglicherweise mit seiner Kritik am Gefängniswesen zu tun: es entpersonalisiere und verbiege die Gefangenen ohne ihnen die geringste Chance auf Reintegration in die Gesellschaft zu geben. Sie würden verwahrt und verbuddelt, nicht mehr, nicht weniger. In Zeitschriften und auf Flugblättern schrieb er zahlreiche Analysen und spie auch „live“ Gift und Galle gegen den Justizminister. Außerdem besuchte der Lehrer regelmäßig „Topgangster“ wie den wegen Terrorismus verurteilten Nizar Trabelsi - wie er sagt, ausschließlich wegen seiner Analysen über die Ausführung des Strafvollzuges, stets auf Bitten der Besuchten und darüber hinaus in seiner Freizeit.
 
Wegen dieser Haltung ist Luk Vervaet ein gern gesehener Gast bei NGOs, die für Meinungsfreiheit streiten und in politischen Fragen gepfefferte Standpunkte einnehmen. Daß der kritische und engagierte Vervaet dadurch mit Hardlinern aus bestimmten Kreisen in Kontakt gekommen ist, wird der Justiz nicht entgangen sein. Doch Vervaet nimmt für sich in Anspruch, daß er dabei keine Grenze übertreten und sich immer an alle Gesetze und Vorschriften gehalten hat. (PK)
 
(1)http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14488
(2)http://lukvervaet.blogspot.com/2009/09/unterrichtsverbot-in-allen-belgischen.html
(3)http://de.wikipedia.org/wiki/Staatsrat_(Belgien) Der Staatsrat (Raad von State) entspricht in etwa dem Bundesverwaltungsgericht, ist jedoch unmittelbar, d.h., ohne vorher zu absolvierenden Instanzenzug, erreichbar.
(4) http://nl.wikipedia.org/wiki/Openbaarheid_van_bestuur
(5)http://www.lalibre.be/debats/opinions/article/534264/le-travail-en-prison-hors-la-loi.html
(6)Nizar Trabelsi ist ein früherer tunesischer Fußballprofi (u.a. Wuppertaler SV und Fortuna Düsseldorf), der eine zehnjährige Zeitstrafe wegen geplanter Anschläge auf US-Einrichtungen absitzt. Er soll Osama bin Laden mehrfach in Afghanistan getroffen haben und sollte 2007 aus dem Gefängnis befreit werden. (A.d.Ü).

 
Wir bedanken uns bei den Kollegen von „Apache“ für die Erlaubnis, diesen Artikel übersetzen und übernehmen zu können. Hier ist er im Original: www.apache.be/2010/03/raad-van-state-verbreekt-beroepsverbod-gevangenisleraar-luk-vervaet/

Da Luk Vervaet weiter „in der Luft“ hängt, weisen wir auf das Unterstützungskonto hin: 000-0902356-62 (IBAN: BE51 0000 9023 5662) zur Verfügung. Konto-Inhaber: De Ley, Herman, Vosselaredorp 58B3, B-9850-Nevele, Betreff: “Unterstützung LV”.

Online-Flyer Nr. 242  vom 24.03.2010

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