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Lokales
Interview über die Proteste der Studierenden in Köln
Kostenlose Bildung ist nicht umsonst
Von Christian Heinrici

Alle Politiker dieses Landes sind sich einig: Bildung ist wichtig und wertvoll – vor allem, wenn im Wahlkampf Fernsehkameras auf sie gerichtet sind. Danach wenden sie sich wieder ab und arbeiten bis auf wenige Ausnahmen weiter an der Demontage des Bildungssystems. Die sich seit Jahren zuspitzende Katastrophe rief bundesweit rund 100.000 Studierende auf den Plan, die sich zurecht um ihre und unser aller Zukunft sorgen. Nina Theuer, eine von ihnen, alleinerziehende Mutter und Studentin der „Sozialen Arbeit“ an der Kölner FH, erklärte sich zu einem Interview bereit.


Aufruf zum Streik: Taler gegen Studiengebühren Foto: Claus, AStA Uni Köln
Aufruf zum Streik: Taler gegen Studiengebühren | Foto: Claus, AStA Uni Köln

Frau Theuer, wogegen wird denn in diesen Tagen in Köln und bundesweit an den Hochschulen protestiert?


Wir Studierenden haben verschiedene Forderungen; ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir uns freien Zugang zu Bildung für alle wünschen, ganz gleich welcher Herkunft, welchen Geschlechts, ob derjenige nun eine Behinderung oder welchen finanziellen Hintergrund sie oder er hat: Bildung muss einfach für alle zugänglich sein! Und diese kostenlose Bildung sollte natürlich vom Kindergarten bis zur Hochschule möglich sein. Genauso müssen sämtliche Schulkosten auch von der öffentlichen Hand getragen werden. Und so wenden wir uns auch gegen die Privatisierungen im Bildungssystem...

Wie wirken sich denn die Privatisierungen aufs Studium aus?

Na ja, auf die Universitäten und Hochschulen wird schon Druck ausgeübt – beispielsweise durch sogenanntes „New Public Management“: In diesem Rahmen werden zwischen dem Land und den entsprechenden Einrichtungen oder Firmen Verträge geschlossen, und daraufhin Zahlen ermittelt, wie viele Studierende ihr Studium erfolgreich in der „Regelstudienzeit“ beenden. Für diese Zielangabe werden dann Geldbeträge zur Verfügung gestellt. Und wenn es sich die Hochschule „leisten kann“, nicht ausreichend Studierende durch die Prüfungen zu bringen, werden Gelder gekürzt. So ist es natürlich fraglich, ob nicht die Qualität des Studiums darunter leidet...

Nina Theuer und Sohn Lasker | Foto: Wolfgang Geissler
Nina Theuer und Sohn Lasker                            
Foto: Wolfgang Geissler
Ich hab früher schon einmal studiert, und dann bin ich schwanger geworden – mittlerweile ist mein Sohn sechs Jahre alt. Und ich muss sagen, es ist schon eine große Herausforderung als Alleinerziehende für mein Kind da zu sein und gleichzeitig ein Vollzeitstudium zu absolvieren. Bevor sie Studiengebühren eingeführt wurden, war das ja bedeutend einfacher, weil man das Studium so angehen konnte, wie man es konnte oder brauchte. In meinem Fall ist es nun so, dass sich ein Erziehender von den Studiengebühren freistellen lassen kann – aber natürlich nur für die „Regelstudienzeit“. Falls ich länger brauchen sollte, weil beispielsweise mein Kind häufig krank war, ich dadurch die Prüfung nicht bestanden habe oder es aus anderen Gründen einfach nicht ging, käme eine beträchtliche finanzielle Belastung auf mich zu.

Wie sieht denn die Kinderversorgung an den Kölner Hochschulen aus? Und wie kann man solch eine Situation finanziell stemmen?

Die FH in der Südstadt hat einen Kindergarten. Für Kinder im Schulalter gibt es aber keine Betreuung, an der Uni auch nicht, soweit ich weiß. Was das Finanzielle angeht, bekomme ich Wohngeld und mein Sohn Sozialhilfe, und an dem, was wir sonst noch zum Leben brauchen, beteiligt sich netterweise mein Freund, oder ich muss es mir erarbeiten. Es gibt zwar immer noch die Möglichkeit, Stipendien zu beantragen, aber viele davon gelten nicht fürs erste Semester oder sind an andere Bedingungen geknüpft. Mit meinen 31 Jahren bin ich für viele Programme schon zu alt – da muss man sich auch erst einmal mühevoll im Internet schlau machen...

Und was hören Sie von den anderen Studierenden, die sich an den Protesten beteiligt haben?

Alle stehen natürlich für freien Zugang zu Bildung! Ich find es sehr schön, dass es eben nicht nur ein paar wenige Studierende waren[1], die sich für diese Ziele einsetzen, sondern dass wir mittlerweile bundesweit miteinander vernetzt sind: dass nicht nur die Schulen und die Hochschulen, sondern eben auch die Gewerkschaften und die Azubis mit dabei sind. Genauso, dass man auch für weitergehende Ziele kämpft, dass man die gesamte Bildung sozialer gestalten kann, auch die Schulen weitergehend verändert, hin zu persönlicherem und individuellerem Lernen, wo mehr auf den Menschen und seine Entwicklung Wert gelegt wird anstatt auf „reine Wissensvermittlung“.

Studierende, Schüler und Azubis in Solidarität Bildungsstreik im Frühjahr | Quelle: AStA Uni Köln
Studierende, Schüler und Azubis in Solidarität beim Bildungsstreik im Frühjahr 2009 | Quelle: AStA Uni Köln

Der sicher auch von Ihnen „hochgeschätzte“ nordrhein-westfälische „Innovationsminister“ Andreas Pinkwart, der für die Kürzungen und Privatisierungen im Land verantwortlich ist, war der Meinung, dass sich nur eine Minderheit der Studierenden an den Protesten beteiligt habe. Wie war denn Ihr Eindruck, Frau Theuer?

abgestempelter Pinkie Studiengebühren-Boykott
Abgestempelter „Innovations-
Minister“, Aufruf zum Boykott
der
Studiengebühren
Als wir heute morgen von der FH aus losgingen, dachte ich: „Ach, da sind wir ja doch wenige, in Anbetracht, dass hier etwa 900 Leute studieren...“ Aber unterwegs haben sich immer mehr Leute – teilweise ganze Schulklassen – angeschlossen. Zu unserer Kundgebung vor der Uni auf dem Albertus-Magnus-Platz kamen dann noch viele Studierende und Schüler aus anderen Städten. Wir sind dann fast fünf Stunden lang durch die Kölner Innenstadt marschiert, haben an allen weiterführenden und Berufsschulen, die auf dem Weg lagen, Halt gemacht, woraufhin sich Unmengen an Schülern den Protesten angeschlossen.


Die Situation hat sich schon verändert, muss ich sagen. Noch vor wenigen Jahren, als es die ersten neuerlichen Proteste gegen die „Studienreformen“ gab, blieben die meisten Studierenden einfach in den Hörsälen sitzen. Es gab viele, die damals meinten: „Wer nicht genügend Geld zum Studieren hat, muss halt mehr arbeiten...“ Da hat sich noch einmal einiges verändert, auch durch den großen Lerndruck, der durch die Einführung der „Bachelor-Studiengänge“ entstanden ist. Und auf unserem Zug durch die Stadt wurden wir immer mehr, und immer lauter und immer lustiger. Am Ende waren wir vielleicht 5.000 Leute, und ich finde, der Protesttag war ein voller Erfolg!

Frau Theuer, für Ihr Leben und Studium, weiterhin alles Gute!

(CH)

Online-Flyer Nr. 224  vom 18.11.2009

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