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Lokales
Interview mit Stephan Otten (DGB-Jugend) über den Bildungsstreik in Köln
„Wer nicht ausbilden will, muss zahlen“
Von Philip Schwarz

Spätestens seit letzter Woche dürfte es auch dem letzten Unbildungspolitiker klar sein – es herrscht Bildungsnotstand in der Republik. Hundertausende Schüler, Studenten, Azubis und Dozenten füllten in bemerkenswerter Solidarität die Straßen, um für ein Grundrecht auf Bildung zu demonstrieren: Gegen geistiges Fastfood und eine Kommerzialisierung der Schulen und Unis, doch auch für ein Grundrecht auf Ausbildung. Philip Schwarz sprach mit Stephan Otten, Jugendbildungsreferent des DGB in der Region Köln-Leverkusen-Erft-Berg.


Stephan Otten DGB-Jugend und Philip Schwarz | Foto: Christian Heinrici
Stephan Otten im Interview mit Philip Schwarz | Foto: Christian Heinrici

„Streik“, das hört man öfter in den Nachrichten, aber „Bildungsstreik“? Wie kam es zu dieser Idee?


Die Idee entstand in der Universität Heidelberg, wo man sich gefragt hat, wie man dieses Projekt „Bildungsstreik“ auf den Weg bringen kann. Es lief dann so, dass auf verschiedenen Wegen Netzwerke gesponnen wurden und es sich bundesweit aufgestellt hat. Über die Kanäle der DGB-Gewerkschaften kam die Information dann auch zu uns. Wir haben dann schnell Verbindung zu den verschiedenen Asten, der FH in Deutz und der Uni-Asta gesetzt. Zu den Schülern haben wir ohnehin ein sehr gutes Verhältnis und engen Kontakt, sodass die Wege sehr einfach und schnell waren. Es freut mich, dass wir den Bildungsstreik mit diesen Inhalten und Forderungen durchgeführt haben.

Was genau waren das für Forderungen? Wogegen wurde protestiert?

Zunächst zu den Forderungen der DGB-Jugend: Wir haben ein Zehn-Punkte-Programm aufgesetzt, das sich um verschiedene Bildungswege und die berufliche Erstausbildung dreht. Wir haben die Forderungen nach mehr Ausbildungsplätzen und nach einer Umlagenverteilung in Deutschland. Auf kommunaler Ebene haben wir die Forderung nach einer kammerfinanzierten Umlage, was im Endeffekt bedeutet: Wer nicht ausbilden will, muss zahlen.

Die Agentur für Arbeit versucht, die Zahlen schön zu rechnen. Wenn Jugendliche in eine sogenannte „Warteschleife“ abgeschoben werden, müssen sie darin bleiben, weil sie auf dem Ausbildungsmarkt keinen Platz in dem Berufsfeld, in dem sie arbeiten möchten, angeboten bekommen. Und in dieser „Warteschleife“ verharren sie dann teilweise nicht nur ein Jahr, sondern länger. Und das ist ein Verbrechen, denn die Jugendlichen, die in der Maschinerie drinstecken, die kommen gar nicht mehr dazu, ein Zertifikat in die Hand zu bekommen. Und sie werden von der Arbeitgeberseite in Bereichen eingesetzt, in denen eigentlich die Stammbelegschaft die Arbeit übernehmen sollte. Zusätzlich bekommen sie den schulischen Teil nicht so vermittelt, dass sie daraus gestärkt hervorgehen und auf dem Ausbildungsmarkt weiter Fuß fassen.

Bildungsstreik in Köln | Quelle: AStA Uni KölnBildung ist keine Ware – Ausbildung auch nicht... Streikende Studierende auf der Zülpicherstraße | Quelle: AStA Uni Köln

Und welche Möglichkeiten sehen Sie, etwas daran zu ändern?


Die DGB-Jugend hat im Bundestag eine Petition mit 72.000 Unterschriften für ein Grundrecht auf Ausbildung eingereicht. Trotz dieser Zahl von Unterstützern war sie aber im Parlament noch nicht auf der Tagesordnung. Damit versuchen wir schon länger, etwas zu erreichen, aber es wird ausgesessen. Was den Bildungsstreik betrifft, habe ich noch nicht gehört, dass auf unsere Forderungen ein positives Feedback gekommen wäre. Wir werden jetzt sehen, wie die Studenten und Schüler das auswerten und uns dann überlegen, wie wir im „Superwahljahr“ damit umgehen.

Bildungsstreik in Köln, besetzer Barbarossaplatz | Quelle: AStA Uni Köln
Von und mit Bildungsstreikenden besetzer Barbarossaplatz
Quelle: AStA Uni Köln

Welche Aktionen haben denn in Köln stattgefunden?

Insgesamt waren wir mit fünf- bis sechstausend Leuten auf der Straße, was schon ein großer Erfolg ist. Vorher hatten wir ja in der Presse kein gutes Bild. Nach dem Bildungsstreik hatten wir eines, das nicht mehr wegzuradieren war. Während der Demonstration haben wir unsere Forderungen und die unserer Partner vom Rednerwagen aus natürlich deutlich gemacht. Wir haben auch die eine oder andere Kreuzung besetzt, und wir haben natürlich auch versucht, Schüler gezielt anzusprechen. Dabei kam es zu einem Ereignis am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, das sich zur Zeit in einem Ersatzgebäude am Neumarkt befindet. Als der Demonstrationszug vorbeikam, hat der Schulleiter das Gebäude gnadenlos abgesperrt und den Sicherheitsdienst[1] dorthin gestellt. Das ist natürlich der Gipfel.
Stephan Otten DGB-Jugend | Foto: Christian Heinrici
  „Ein toller Erfolg...“ – Stephan Otten
   Foto: Christian Heinrici
Außerdem kam er vorne zum Demonstrationszug und fing an, Leute, die auch die Verantwortung trugen, zu beschimpfen. Wir haben ihn dann darauf aufmerksam gemacht, was er getan hatte, und die Protestierenden sind dann zum Schulgebäude gelaufen. Darauf hat man dann die Türen geöffnet, sodass die Schüler entscheiden konnten, ob sie an der Demo teilnehmen wollten oder nicht.

Was geschah, nachdem die Türen geöffnet waren?

Das war natürlich ein toller Erfolg. Nicht nur für uns, sondern auch für die Schüler, die dann zu uns kamen und ihre Solidarität zeigten, indem sie an der Demo teilnahmen. Das Vorhaben des Schulleiters wurde quasi gesprengt, was ein Zeichen dafür war, dass die Schüler verstanden hatten, was wir auf der Straße machten.

Und was passierte noch? Man hörte ja beispielsweise von nachgestellten Banküberfällen?

Ja, das war am Tag danach, als Leute mit Transparent und Bananen bewaffnet in Bankfilialen kamen und eine Bank für Studiengebühren verlangten. Denn Bildung kommt im Konjunkturpaket einfach zu kurz. Im Gegensatz zu den Banken, die ein schönes Häuflein abbekamen.

Das heißt, eine Stärkung des Bildungssystems wäre auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll?

Selbstverständlich – an Berufsschulen zum Beispiel sieht man sehr gut, wo die Prioritäten liegen. Wir haben Berufsschulen, da gibt es Laptops, und es sind alle Voraussetzungen für ein gutes Lernen geschaffen; wir haben aber auch Berufsschulen, in denen der Putz von den Wänden fällt. Und da erkennt man, wo eine neoliberale Politik anschlägt, und wo nicht.


Bildungsstreik in Köln, Albertus-Magnus-Platz | Quelle: AStA Uni Köln
Protestierende Studierende auf dem Albertus-Magnus-Platz an der Kölner Uni Quelle: AStA Uni Köln

Welche Gruppen waren außerdem an dem Bildungsstreik beteiligt?

Über Schüler, Studenten und DGB-Jugend hinaus waren viele Gruppen aus dem Uni-Spektrum dabei. Es gab einen recht breiten Rahmen, viele Organisationen haben das Thema ernst genommen und sich beteiligt, nicht nur aus Eigeninteresse, sondern aus Solidarität. Und das ist ein weiterer positiver Aspekt dieses Bildungsstreiks. Um das Ganze perspektivisch weiterzudenken, müsste man weitere Initiativen – die es ja in Köln gibt – ansprechen. Denn mit Bildung als sozialem Thema können wir „pro Köln“ den Nährboden entziehen, je mehr Leute wir erreichen. Wenn wir als demokratische Gruppe dieses Thema besetzen, braucht „pro Köln“ mit einfachen Floskeln nicht mehr zu kommen.

Bildung ist also auch ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Stabilität?

Natürlich, wie auch Kultur dazugehört. Beispielsweise hat die Stadt Köln einen Tag im Monat eingeführt, an dem Museen freien Eintritt bieten. Und das muss natürlich gefördert werden, dass Schüler und Studenten, aber auch junge Arbeitnehmer, die Möglichkeit und die Zeit haben, sich so etwas anzuschauen.

Herr Otten, wir danken für das Gespräch.


Anmerkung der Redaktion:
[1] Vor dem Gebäude, in dem wegen des eingestürzten Stadtarchivs das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium momentan provisorisch untergebracht ist, befindet sich zu Unterrichtszeiten stets ein „Sicherheitsdienst“ – laut offizieller Begründung zum Schutz der Schüler an dem belebten Josef-Haubrich-Hof.

(CH)

Online-Flyer Nr. 203  vom 24.06.2009

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