NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

zurück  
Druckversion

Lokales
„Pergola“ gewinnt als Entwurf fürs Deserteur-Denkmal in Köln
Ein Stück Horizont
Von Philip Schwarz

Nicht nur die in den Konzentrationslagern Ermordeten sind Opfer des NS-Regimes, sondern oft genug auch deutsche Soldaten, die gegen ihren Willen kämpfen muss­ten. In dieser Situation sahen viele keinen anderen Ausweg, als zu desertieren. Fast sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 2002, hat der Bundestag die Urteile gegen Deserteure und „Wehrkraftzer­setzer“ aufgeho­ben. Auch sie verdienen unser Andenken als Opfer des NS-Regimes und des Zwei­ten Weltkriegs, ein Andenken, das sich nun endlich durch das Deserteur-Denk­mal in Köln ausdrückt.

Die Auswahljury auf Platzsuche für das Denkmal Quelle: NS-Dok
Die Auswahljury auf Platzsuche für das             
Denkmal | Quelle: NS-Dok
Die Idee dazu entstand am 27.1.2006, dem Holocaust-Gedenktag, und seitdem wurde tatkräftig an ihrer Umsetzung gearbeitet. Die treibenden Kräfte sind der Verein EL-DE-Haus und das Kölner Friedensforum. Genau 70 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wird am 1.9.2009 das Deserteur-Denkmal am Appellhofplatz in Köln, unmittelbar gegenüber dem Zeughaus und zwischen EL-DE-Haus und Verwaltungsgericht eingeweiht werden.


Am Montag den 27.4. gab die 14-köpfige Jury unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Stefanie Endlich bekannt, welcher der insgesamt 15 Ent­würfe von Künstlern mit internationalem Profil umgesetzt werden soll. Einstimmig hatte man sich für die „Pergola“ des Zür­chers Ruedi Baur (gemeinsam entworfen mit Denis Coueignoux) entschieden. Baur, der unter anderem auch das grafische Erscheinungsbild des Flughafens Köln-Bonn entwarf, baute 1989 das Netzwerk „Integral Concept“ auf, das verschiedene Design-Disziplinen vereinigt. Er war von 1994 bis 2005 Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Baur hatte in den vergangenen Jahren verschiedene Professuren inne und leitet das Institut für Designforschung in Zürich.


Entwurf zum Deserteur-Denkmal in Köln, Ruedi Baur, Foto: Christian Heinrici
    Ausschnitt aus dem Entwurf des Künstlers | Foto: Christian Heinrici

Seine „Pergola“ weicht im Entwurf stark von bekannten Mahn- und Denkmälern ab. Es handelt sich dabei um ein luftiges Dach, getragen von mehreren Stützen. Aluminiumbuchstaben bilden einen Kettentext, der zum Nachdenken und zur Zivilcourage anregt: „Hommage-den-Soldaten-die-sich-weigerten-zu-schiessen-auf-die-Soldaten-die-sich-weigerten...“ „Die Zivilcourage beginnt ganz klein und kann zu heroischen Akten führen“, schrieben die Verfasser in ihrem Erläuterungstext. „Das eine greift in das andere, verwebt sich zu einem neuen Horizont…“

Und auch die Widmung der Initiatoren findet auf einem Träger der Pergola Erwähnung: Wir wid­men das Denkmal den Menschen, die sich gegen den verbrecheri­schen und rassisti­schen Eroberungskrieg des nationalsozialistischen Staates enga­gierten. Als zivile Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner, als Deserteure, ‚Wehrkraft­zersetzer‘, Kriegsdienstverweigerer oder ‚Kriegsverräter‘ scherten sie aus Front und Heimatfront aus. Oft mussten sie für ihre Überzeugung mit dem Leben bezahlen. Ihr Mut verdient unseren Respekt.“

Diese Worte würdigen nicht nur diejenigen, die tatsächlich von den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs flohen, sondern auch jene, die gewissermaßen „innerlich“ desertierten und sich von der menschenverachtenden Ideologie der Nazis lossagten. Außerdem stellt es, wie die Jury es nannte, durch seinen Stil eine „poetische Hommage der heutigen Generation“ dar, zeigt also den erwiesenen Respekt und fordert zu einem aktiven Auseinandersetzen mit den Verbrechen des NS-Regimes auf. Weiter würdigte die Jury, dass der Entwurf in seinem Charakter auch in Richtung Zukunft orientiert ist. Wer unter der „Pergola“ steht und den Text liest, blickt gleichzeitig in den Himmel und wird dann vielleicht ein wenig von der Freiheit und Hoffnung erleben, die sich auch die Deserteure gewünscht haben mögen.

Zeughaus Köln Werbeplakat "Geschichte für heute" Foto: Christian Heinrici
„Geschichte für heute" könnte auch ein Motto für das Deserteur-Denkmal sein, das gegenüber dem Zeughaus entsteht | Foto: Christian Heinrici

Tatsächlich gibt es auch heutzutage Soldaten, die Befehle verweigern, immer häufiger auch Deutsche. Allerdings geht es ihnen in solchen Fällen besser als den Angehöri­gen der Wehrmacht. Mittlerweile haben deutsche Soldaten nicht nur das Recht, son­dern sogar die Pflicht, einen Befehl zu verweigern, wenn er beispielweise gegen die Menschen­rechte verstößt. Dennoch kam es in der Vergangenheit zu einigen Prozessen, in de­nen Befehlsverweigerer, die degradiert worden waren, für ihre Rehabilitierung kämpf­ten, und vor nicht einmal einem halben Jahr hat sogar ein amerikanischer Befehlsverweigerer Asyl in Deutschland beantragt. (Die NRhZ berichtete.)

Die bewegte Weltpolitik wird noch genügend Deserteure hervorbringen, wodurch der Aspekt der Hoffnung einen ganz aktuellen Charakter bekommt. (CH)

Online-Flyer Nr. 195  vom 29.04.2009

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE