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Medien
Journalismus nur Mittel zum Zweck der Gewinnsteigerung
Verleger gefährden die Pressefreiheit
Von Franz Kersjes

Sorgenvoll blicken die Beschäftigten in Verlagen und Redaktionen deutscher Tageszeitungen in die Zukunft. Ihre Arbeitsplätze sind bedroht und die Meinungsvielfalt in der Berichterstattung über politische, wirtschaftliche, sportliche und lokale Ereignisse droht eingeschränkt zu werden. Sparmaßnahmen und Stellenabbau sollen die Renditen der Zeitungsverleger schützen. Wegen der Finanzkrise werden geringere Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft und weiter sinkende Auflagen befürchtet.
Hombach und Niehaus
Christian Nienhaus und Bodo Hombach (v.l.), Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe | Quelle: www.waz-mediengruppe.de

Die Auflagenkrise
 
Seit 1949 ermittelt und prüft die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) regelmäßig die Auflagenhöhe von Zeitungen, Zeitschriften und weiteren periodisch erscheinenden Presseerzeugnissen. Die neuen IVW-Zahlen belegen, dass fast alle deutschen Tageszeitungen auch im III. Quartal 2008 Käufer verloren haben. Den höchsten Verlust hat die Berliner Zeitung zu verzeichnen, die satte 6,4 Prozent ihrer Vorjahresauflage einbüßte. Auch Bild (-6,0 %), Express (-5,6 %) und Zeitungen der WAZ-Gruppe (-3,2 %) gehören zu den großen Verlierern. Einzige Gewinner des Quartals sind die Süddeutsche Zeitung und das Handelsblatt.
 
Bisher fehlt den meisten Zeitungsverlegern eine nachhaltige Strategie, um den Leserschwund erfolgreich zu bekämpfen. Seit der so genannten deutschen Wiedervereinigung sind die Auflagenzahlen beständig gesunken, in den vergangenen zehn Jahren um rund fünf Millionen auf zuletzt 23,9 Mio. Exemplare pro Wochentag. Unter den Lesern fehlen vor allen Dingen junge Menschen. Nicht einmal die Hälfte der 14- bis 19-Jährigen liest heute eine Tageszeitung. 1997 waren es noch fast 60 Prozent.
 
Neue Geschäftsmodelle und straffes Kostenmanagement
 
Viele Zeitungsleser informieren sich zunehmend über das Internet. Die Bereitschaft, für Informationen zu zahlen, sinkt ständig. Nur die Auflagen der überregionalen Tageszeitungen haben sich in jüngerer Zeit positiv entwickelt. Ihre Gesamtauflage liegt bei rund 1,65 Millionen Exemplaren täglich. Die Süddeutsche Zeitung gehört zurzeit zu den profitabelsten Zeitungen der Republik. 2006 verzeichnete der Verlag 709 Millionen Euro Umsatz und 77,1 Millionen Euro Vorsteuergewinn. Diesem Rendite-Plus war ein radikales Sparprogramm durch Stellenabbau und Verzichte der Beschäftigten voraus gegangen. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung und das Handelsblatt haben leichte Auflagensteigerungen zu verzeichnen.
 
Kostensenkungen und die Erschließung bislang unausgeschöpfter Erlösquellen reizen die Zeitungsverleger zu neuen Aktivitäten. Ersatzbeschaffungen zur Erfüllung der Profiterwartungen beschäftigen manche Verleger mehr als die Qualität und Vielfalt im Journalismus. In Nebengeschäften werden Bücher, CDs und DVDs verkauft, Anzeigenkampagnen organisiert, Beteiligungen an Dienstleistungen im Mediengeschäft eingegangen, Kunden(Abo-)-karten eingeführt, die den Leserinnen und Lesern der Tageszeitung Rabatte bei Einkäufen im Einzelhandel der Region ermöglichen. Am Umsatz verdient in jedem Fall selbstverständlich der Verlag mit. Immer häufiger werden redaktionelle Texte durch Anzeigen ersetzt und der Umfang der Zeitung reduziert. Die Leser/innen werden oftmals nur noch als Mittel zum Zweck benutzt: Die Zeitung wird an die Leserschaft verkauft, die Leser dann an die Anzeigenkunden.
 
Harte Zeiten für Presseagenturen
 
Zum Sparprogramm vieler Zeitungsverlage gehört immer häufiger auch der Verzicht auf den Bezug von Lieferungen der Nachrichtenagenturen. Beispielsweise hat der Verleger Dirk Ippen auf dem „Printgipfel“ der jüngsten Münchner Medientage angekündigt, sein Haus erwäge ernsthaft, künftig auf Agenturmeldungen zu verzichten. Ihm gehören neben dem Münchener Merkur rund 20 weitere vorwiegend kleine Tageszeitungen. Und auch Deutschlands größte Tageszeitungsgruppe, die aus dem WAZ-Konzern, überlegt, auf den Basisdienst der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zu verzichten und auf diese Weise jährlich vier Millionen Euro einzusparen. Bislang hatte die dpa sinkende Erlöse ausgeglichen, indem sie neue Kunden gewann. Im Kerngeschäft rutschte aber die Agentur im vergangenen Jahr
erstmals ins Minus.
 
Einsparungen in Millionenhöhe
 
In den vergangenen Jahren hat in vielen Zeitungshäusern bereits ein drastischer Arbeitsplatzabbau stattgefunden. Besonders betroffen sind die Redaktionen. Arbeitsbelastungen und Stress sind für die verbliebenen Redakteurinnen und Redakteure enorm gestiegen. Für eine sorgfältige Recherche von Informationen und Nachrichten gibt es so gut wie keine Zeit mehr. Die Arbeitssituation ist teilweise unzumutbar. Zahlreiche Lokalredaktionen wurden geschlossen oder mit anderen Redaktionen zusammengelegt. Überwiegend werden freie Mitarbeiter/innen für wenig Geld beschäftigt. Oftmals muss ein einziger ausgebildeter Redakteur die gelieferten Informationen und Berichte ins Blatt bringen.
 
Im Mittelpunkt der Verlagsinteressen stehen also offensichtlich nicht die Erwartungen und Anliegen der Leserinnen und Leser, sondern wirtschaftliche Interessen. Da unterscheidet sich ein Zeitungsverlag von keinem anderen profitorientierten Unternehmen. Dazu zwei Beispiele.

Die Süddeutsche Zeitung ist die größte Qualitätszeitung in Deutschland. Das haben die Verleger vor allem ihren Redakteuren zu verdanken! Die Auflage stieg im vergangenen Quartal auf täglich 440.000 Exemplare gegenüber 433.000 vor zwei Jahren. Im Vergleich zu anderen Tageszeitungen geht es der SZ sehr gut. Bekannt geworden ist nun, dass insgesamt 15 Millionen Euro eingespart werden sollen. Jeweils fünf Millionen in der Redaktion, im Verlag und im Bereich Herstellung und Vertrieb. Das Unternehmen will Personal abbauen. Betriebsbedingte Kündigungen sind wahrscheinlich. Und die geplante Sonntagszeitung wird nicht weiterentwickelt.
 
Das neue „WAZ-Modell“
 
Auch andere Verlagshäuser gehen auf Sparkurs. Die WAZ-Mediengruppe in Essen will jährlich rund 30 Millionen Euro einsparen und wahrscheinlich 300 Stellen in Nordrhein-Westfalen streichen, nachdem sie es inzwischen in zehn europäischen Ländern auf 33 Tageszeitungen mit einer täglichen Auflage von über 2,5 Millionen Exemplaren gebracht hat. Dazu kommen nach eigenen Angaben18 Wochenzeitungen, 176 Publikums- und Fachzeitschriften, 107 Anzeigenblätter und 400 Kundenzeitschriften. Das bisherige so genannte „WAZ-Modell“, das darauf beruht, dass die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), die Neue Ruhr/Rhein Zeitung (NRZ), die Westfälische Rundschau (WR) und die Westfalenpost (WP) vollständig unabhängig arbeiten, soll in ein neues „Mantelkonzept“ überführt werden. Das sieht vor, dass die Ressorts der beteiligten Zeitungen aufgelöst und durch „Newsdesks“ ersetzt werden. Die wiederum werden von den verschiedenen Ressort-Leitern geführt, die den vier Zeitungen zuliefern.

Gegen WAZ Axt
Protest von WAZ-Konzern-Redakteuren gegen
Sparmaßnahmen im Herbst 2008
Quelle: www.medienmoral-nrw.de
Das Mitte der siebziger Jahre durch Vorgaben des Bundeskartellamts begründete „WAZ-Modell“ wäre damit getorben. Damals hatte die WAZ-Geschäftsführung nach dem sukzessiven Zukauf von WR, WP und NRZ den Tatbestand einer marktbeherrschenden Stellung mit diesem Modell gekontert, das die inhaltliche Autonomie der Redaktionen gewährleisten sollte. Die Produkte wurden also journalistisch eigenständig erarbeitet und waren politisch durchaus unterschiedlich gefärbt. Anfang Dezember 2008 sollte das neue Konzept mit den Betriebsräten konkretisiert und abgestimmt werden. Die Umsetzung ist für das Frühjahr 2009 geplant. In einer gemeinsamen Information teilten die Betriebsräte den betroffenen Belegschaften mit: „Die Betriebsräte sind sich einig darüber, dass sie Verhandlungen über Sozialplan-Inhalte erst dann aufnehmen können, wenn sie einerseits die Möglichkeit hatten, die Wirtschaftsdaten zu überprüfen und zum anderen das Konzept der Zukunft kennen gelernt haben.“ ( Weitere Informationen unter http://www.medienmoral-nrw.de )

Sparen auf Kosten der Meinungsvielfalt
 
Journalismus ist ein notwendiges öffentliches Gut, das demokratische Strukturen in unserer Gesellschaft erst ermöglicht. Mit der Veröffentlichung von Nachrichten und Meinungen aus kommerziellen Gründen ist deshalb eine besondere Verantwortung verbunden. Von Zeitungsverlegern muss erwartet werden, dass sie dem öffentlichen Interesse dienen, indem sie unbeeinflussten Journalismus fördern und Möglichkeiten schaffen, die Bürger umfassend zu informieren. Kommerziell finanzierte Medien können wirtschaftliche Eigeninteressen nicht verfolgen, ohne ihre Rolle im Dienste der Öffentlichkeit zu gefährden. Das bedeutet: Die zur Kostenersparnis „betriebsbedingte“ Entlassung von Redakteurinnen und Redakteuren hat zwangsläufig einen Verlust an Meinungsvielfalt zur Folge. Und wenn die Meinungsfreiheit durch wachsende Abhängigkeiten von Anzeigenkunden eingeschränkt wird, bedeutet dies einen Verlust an Pressefreiheit!
 
Pressefreiheit darf nicht reduziert werden auf die persönliche Freiheit der Zeitungsverleger. Notwendig ist in den Verlagen eine innere Pressefreiheit, die den Beschäftigten in den Redaktionen ein Mitbestimmungsrecht gibt. Ein Redaktionsstatut, worin das Verhältnis zwischen Verlag und Redaktionen geregelt ist, könnte ein wesentlicher Beitrag zur Demokratisierung im Pressebereich sein.

Öffentlich-rechtliche Zeitungen
 
Wenn die Zeitungsverleger den Journalismus weiterhin nur als Mittel zum Zwecke der Gewinnsteigerung benutzen, sollte über öffentlich-rechtlich organisierte Zeitungen verstärkt nachgedacht werden. In fast allen Zeitungsregionen sind die Verleger Monopolisten. Sie haben keine Konkurrenz im Tageszeitungsgeschäft. Das kann nicht gut sein! (PK)

 
Hierzu auch der NRhZ-Artikel Hunderte Arbeitsplätze durch „die WAZ-Axt“ gefährdet - Widerstand im Internet und auf der Straße“ in Nummer 173  vom 21.11.2008

Online-Flyer Nr. 184  vom 11.02.2009

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