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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Aktuelles
Hunderte Arbeitsplätze durch „die WAZ-Axt“ gefährdet
Widerstand im Internet und auf der Straße
Von Peter Kleinert

Bei den Redakteuren und freien Journalisten der vier Zeitungen WAZ, NRZ, Westfälische Rundschau und Westfalenpost wächst die Unruhe um die Arbeitsplätze, seit bekannt wurde, dass wegen geplanter Sparmaßnahmen etwa 300 Stellen gestrichen werden könnten. Angeblich sind die Einnahmen des größten deutschen Zeitungskonzerns seit Anfang 2006 um 35 Millionen Euro geschrumpft. 2002 wurde ja der ehemalige SPD-Politiker Bodo Hombach Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, und seit 2007 begleitet ihn dabei der ehemalige Bild-Geschäftsführer Christian Nienhaus.

Gegen WAZ Axt
Protest von WAZ-Konzern-Redakteuren in    
Recklinghausen | Quelle: medienmoral
Öffentlich angekündigt wurde der Sparkurs den KollegInnen in einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa), die am 12. November WAZ und NRZ sozusagen in eigener Sache abdruckten. „Ich hoffe, dass wir es ohne betriebsbedingte Kündigungen schaffen", wurde da WAZ- Chefredakteur Ulrich Reitz - der auch beim Springer-Konzern gelernt hat - zum Thema Personalabbau noch zitiert. Und „mit solidarischen Grüßen“ meldete sich SPD-Chef Franz Müntefering in einem Offenen Brief an die Belegschaft. 

Schließlich hält seine Partei über eine Tochtergesellschaft ihrer Medienholding DDVG neben den Erbenfamilien der einst SPD-nahen WAZ-Gründer Brost und Funke immer noch 13,1 Prozent Anteile am Zeitungsverlag Westfalen, in dem die Westfälische Rundschau erscheint. Bei der war mal Wolfgang Clement leitender Redakteur, und sie wurde vor Jahren gegen den Protest der Belegschaft zum größten Teil an den WAZ-Konzern verkauft. Er „hoffe auf akzeptable und vom sozialen Denken geprägte Entscheidungen" ließ der ehemalige Arbeits- und Sozialminister in NRW nun die Belegschaft wissen.

 
münte
Auf dem Papier immer “solidarisch” –
Franz Müntefering | Quelle: NRhZ-Archiv 
Viel Vertrauen in „Solidarität“ und „Hoffnung“ von Müntefering und Reitz scheinen die WAZ-KollegInnen allerdings nicht zu haben. Auch nicht in das Beratungsunternehmen Schickler, das schon öfter für die DDVG tätig war - zuletzt bei der „Sanierung“ der vom Kölner DuMont-Konzern mehrheitlich übernommenen Frankfurter Rundschau, bei der die Stellen dann von rund tausend auf sechshundert reduziert wurden. Schickler sollte bis zum 21. November sein WAZ-Konzept fertig gestellt haben, das dann - nach der Planung von Hombach und Nienhaus - zunächst den Betriebsräten und Anfang Dezember den MitarbeiterInnen vorgestellt werden soll. Nach diesem "Mantelkonzept", dürften dann alle vier Zeitungen des Konzerns „unter einem Dach“ zusammenfasst werden - mit vermutlich entsprechenden Arbeitsplatzverlusten (siehe Frankfurter Rundschau). Es gelte nämlich, so die WAZ-Geschäftsführer, eine „ökonomische Katastrophe" abzuwenden. Reitz wird dazu mit dem Satz zitiert: „Wir werden uns von Leuten trennen, und wir werden ihnen dabei in die Augen schauen."
 
Es stinkt im Pott
 
hombach
Kräftig in Südosteuropa investiert –
Bodo Hombach | Quelle: NRhZ-Archiv   
Um diese Pläne nicht kampflos hinzunehmen, haben einige KollegInnen aus dem Konzern inzwischen die Internetseite www.medienmoral-nrw.de eingerichtet. „Es stinkt im Pott“ heißt es da zur Begründung. „Umwälzungen in einem bisher nicht für möglich gehaltenen Ausmaß bedrohen die Presselandschaft im Ruhrgebiet. Die WAZ-Mediengruppe schnürt gerade ein Sparpaket von 30 Millionen Euro. Die Äußerungen der Geschäftsführung zur wirtschaftlichen Situation der vier WAZ-Titel lesen sich, als ob der Gang zum Konkursverwalter kurz bevor steht. Andererseits ist es kein Geheimnis, dass die Mediengruppe seit längerem mit einem gut gefüllten Geldbeutel auf Einkaufstour ist. Die unerklärliche Eile und vor allem die Art und Weise, bereits eingeleitete Schritte wie die Reduzierung des Seitenumfangs aller Titel ohne ausreichende vorherige Information an die Belegschaft umzusetzen, führen zu einem desaströsen Arbeitsklima. Die Seite www.medienmoral-nrw.de soll dazu beitragen, Informationen schnell auszutauschen. Sie soll aber auch den Lesern, der Wirtschaft und der Politik in NRW die Gefahr aufzeigen, in großen Teilen des Ruhrgebiets künftig publizistischen Einheitsbrei zu erhalten. Auch Sie sind eingeladen, sich an der Diskussion über Presse- und Meinungsvielfalt zu beteiligen. Nicht zuletzt ist die Seite dazu da, eigene Befindlichkeiten, eigene Ängste und eigenen Ärger los zu werden. Absolute Vertraulichkeit ist garantiert.“
 
Solidarität
 
Erste Ergebnisse dieses Aufrufs in Ausschnitten aus insgesamt mehr als 300 Mail-Reaktionen:
 
> Hinweis auf ein Schreiben an die Privatadressen der ver.di-Mitglieder in den vier Zeitungstiteln. In diesem werden die Gewerkschaftsmitglieder darauf aufmerksam gemacht, „dass wir selbstverständlich die Betriebsräte unterstützen, aber auch jedes ver.di-Mitglied den Anspruch auf individuelle Rechtsberatung und Rechtsvertretung hat“.
 
> Heute kam eine erste Resolution zur Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen durch den Betriebsrat der Rheinischen Post. Es wäre natürlich sehr hilfreich, wenn ich den Betriebsräten und damit den Belegschaften weitere Solidaritätsadressen, Grüße und Unterstützung aus Betrieben aber auch von ver.di-Gremien oder von andern Gewerkschaften schicken könnte.
 
reitz
Chefredakteur
Ulrich Reitz – „Mahlzeit!“
Quelle: Uni Dortmund
> Wenn mich mein Chefredakteur in wahrlich bitterernster Situation mit einem flapsigen „Mahlzeit” begrüßt, fällt mir dazu eigentlich nur ein: Ich hab den Kaffee auf! Was Herr Reitz auf der Betriebsversammlung von sich gegeben hat, ist nichts anderes als Hochverrat gegenüber seiner eigenen Mannschaft. Was für ein Selbstverständnis hat dieser Mann, was für ein Verständnis von der Funktion eines Chefredakteurs?
 
> Zu einer Betriebsversammlung am 11. November: Die Geschäftsführer Bodo Hombach und Christian Nienhaus hatten sich schon vorher “abgekündigt”. Kajo Döhring, Geschäftsführer des DJV-NRW: „Sie haben gekniffen.” Beobachter bezeichneten die allgemeine Stimmung als „ernst-verhalten“. Allerdings: Chefredakteur Ulrich Reitz rei(t)zte zu Buh-Rufen, als er von Entlassungen sprach und als er behauptete, es sei „ungerecht”, wenn im Ausland verdientes Geld die Verluste der NRW-Zeitungstitel ausgleichen müsste. Da hatten Teilnehmer noch die Aussagen der ehemaligen Geschäftsführer Erich Schuhmann und Günter Grotkamp im Gedächtnis: Die Investitionen in Südosteuropa waren von beiden seinerzeit ausdrücklich damit begründet worden, die Arbeitsplätze in den heimischen Zeitungsredaktionen zu sichern.
 
> Die WAZ-Gruppe bleibt ihrer Politik der Ankündigungen via Zeitungsinterview treu. Während bis zu 300 Arbeitsplätze wegen des 30-Millionen-Sparpaketes auf der Kippe stehen, denkt man in Essen offensichtlich über Zukäufe im Online-Segment nach, um in diesem Bereich das Wachstum voranzutreiben. Das sagt zumindest DerWesten-Chefredakteurin Katharina Borchert im Interview mit der Wochenzeitung Horizont.
 
WAZ Axt
Demo gegen das 30-Millionen-Sparpaket
Quelle: medienmoral
> Unabhängig – unparteilich – entschieden sozial: So steht es in unseren Arbeitsverträgen. Doch die Realität sieht anders aus. Reitz als CDU-Gehilfe - der Rechtsruck der WAZ in Richtung Schwarz ist unverkennbar, auch wenn wir im Lokalen - noch und eingeschränkt - entscheiden dürfen, wie wir unser Blatt gestalten. Es wurde gemunkelt, dass Reitz - neben Focus-Gerüchten - auch in der CDU als Schreiberling für Angie arbeiten wolle. Offensichtlich ist das Gehalt eines WAZ-Chefredakteurs, der nun auch noch in der Geschäftsführung absahnt, lukrativer.
 
> Ich bin seit vielen Jahren LESER verschiedener Exemplare dieser Zeitungsgruppe. Deshalb maße ich mir an, Euch, den Redakteuren mal ins Stammbuch zu schreiben: Ihr habt doch in den letzten Jahren Euren Auftrag, vierte Macht in diesem Staate zu sein, sträflich vernachlässigt. Unser Volk hat darunter gelitten, weil ihr nur opportunistisch wart. Habt ihr wirklich geglaubt, mit den Wölfen zu heulen zahle sich aus?
 
> Das Schlimme ist: Bei uns (WR) scheint jeder Angst zu haben, als Erster den Kopf aus der Deckung zu heben. Insgeheim rechnet hier jeder seit Wochen seine Sozialpunkte aus. Alle über 55 erwarten, zwangsweise verabschiedet zu werden. Den Jungredakteuren ohne Kinder geht der Arsch auf Grundeis. Viele sind nicht einmal organisiert und haben schlicht panische Angst. Bei den Volos, die auf Übernahme spekuliert haben, ist Endzeitstimmung angesagt. Es muss was passieren. Wir müssen aus der Defensive raus, sofort!
 
> Wenn die Herren Phaeton-Fahrer glauben, wir könnten uns nicht wehren, dann haben sie sich geschnitten. “Mahlzeit”
 
> Na, prost „Mahlzeit“. WAZ plant Abbau, SZ plant Abbau, Gruner+Jahr plant Abbau. Wie lange es noch dauert, bis die örtlichen Konkurrenzen der WAZ auf den Abbau reagieren und ihrerseits zwecks Gewinnmaximierung “verschlanken”, darf spekuliert werden. Lange sicher nicht, die Lawine ist längst losgetreten… Mir tun auch die Freien leid. Sie werden wohl bald sehr viel mehr Konkurrenz bekommen, und die Preisspirale dreht sich nach unten. (Über)Leben kann davon dann keiner mehr. Das Ausmaß der Bedrohung aller Journalisten im WAZ-Land ist enorm. Es muss alles getan werden um zu verhindern, dass betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden.
 
Erste Demo „Gegen die WAZ-Axt”

Inzwischen beteiligten sich an einer ersten Protestaktion “Gegen die WAZ-Axt” in Recklinghausen bis zu 50 Journalistinnen und Journalisten von WAZ, WP, WR und NRZ. Zu der Aktion aufgerufen hatte der Journalisten-Kreis Recklinghausen im DJV. An drei Stellen in Recklinghausen legten sich Kolleginnen und Kollegen symbolisch gegen das Zeitungssterben für ein paar Minuten auf die Straße, um die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen, sie in Gesprächen und mit Flugblättern zu informieren und zum Protest an die Adresse der Geschäftsführer Hombach und Nienhaus aufzufordern.

WAZ Axt
„So sieht Solidarität aus,        
Herr Reitz!“
Quelle: medienmoral
Ausschnitte aus einem Dutzend Kommentare dazu auf www.medienmoral-nrw.de: „Die Aktion war überfällig, hätte aber schon viel früher passieren sollen, nicht nur in Recklinghausen! Zeitungssterben und Leserschwund beklagen Journalisten und Verleger schließlich schon seit Jahren. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten und bei Rezessionen trifft es immer zuerst die Beschäftigten…“. „Hut ab vor den Kollegen der Recklinghäuser Zeitung (Bauer Verlag, Marl), die sich ebenfalls an der Aktion beteiligten. So sieht Solidarität aus, Herr Reitz - und nicht das, was Sie in der BV abgeliefert haben. „Mahlzeit”!“… „Die betriebsbedingten Kündigungen müssen vom Tisch. Und das müssen wir gemeinsam mit Gewerkschaften, Betriebsräten hinbekommen!“ (PK) 

Online-Flyer Nr. 173  vom 21.11.2008

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