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Medien
Galei Zahal – „Urmutter der modernen israelischen Medienlandschaft“
Zionismus global – Medien in Israel
Von Werner Rügemer

 „Wenn Angela Merkel in der Knesset spricht, ist das für die israelische Öffentlichkeit uninteressant, das wird nur in Deutschland hochstilisiert. Aber ein Interview mit Schweinsteiger oder Ballack und ein Nacktfoto von Carla Bruni – das sind hier die Medienereignisse.“ So charakterisiert David Witzthum die Mediensituation in Israel. Er ist Chefredakteur des staatlichen Fernsehens, das seine ehemals beherrschende Stellung völlig verloren hat. Der neoliberal und populistisch ausgerichtete Privatsektor dominiert die Öffentlichkeit; und er überdeckt das vielfältige alternative Leben, das frei und machtlos in den Nischen sprießt.

Schrittweise nach rechts gerückt

Die vier traditionellen Tageszeitungen, die „westlichem“ Standard entsprechen, sind Maariv (Der Abend), Yediot Aharonot (Letzte Nachrichten), Haaretz (Das Land) und Jerusalem Post. Sie sind in den letzten Jahrzehnten in ganz unterschiedlicher Weise schrittweise nach rechts gerückt und propagieren nun einheitlich und ungebrochen einen besonders aggressiven Neoliberalismus, der mit dem Zionismus eine organische Einheit bildet. Nach israelischen Maßstäben stehen diese Medien politisch allerdings in der „Mitte“, da als „Rechts“ die zahlreichen religiös-orthodoxen Medien und die fundamentalistisch-jüdischen Parteien gelten.
 
Die letzten liberalen Reste
 
Diese Wendung zu rechten „Mitte“ vollzieht gegenwärtig als letzte die seit Jahrzehnten als liberal oder gar linksliberal geltende Zeitung Haaretz. Sie wurde 1919 noch unter dem britischen Mandat in Tel Aviv gegründet, dann durch die aus Deutschland emigrierte Kaufhaus-Familie Schocken aufgekauft. Die Zeitung hat insbesondere durch aufwendige und kritische Reportagen über die Situation der Palästinenser in den besetzten Gebieten ein internationales Renommé erworben. Artikel von Gideon Levy und Amira Hass kursieren weltweit, nicht nur in der Friedensbewegung. Auch über die menschenunwürdige Lage der immer zahlreicheren Arbeitsmigranten aus Thailand, Marokko usw. wird in Haaretz gelegentlich etwas veröffentlicht. Solche Artikel sind insbesondere für ein bestimmtes kritisches intellektuelles Milieu wichtig, werden im Ausland gern zitiert, bilden aber schon länger im Gesamtbild der Zeitung eine Art Fremdkörper.
 

Schlagzeilen wie diese – über den Tod eines Palästinenserjungen unter israelischem Feuer – künftig nicht mehr in Haaretz? | Quelle: NRhZ-Archiv
 
Auch damit will man jetzt Schluss machen. 2008 setzte der Verlag eine neue Chefredaktion ein. Sie kommt von The Marker, dem bisherigen Business-Supplement von Haaretz. Unterstützung für diesen neuen Kurs holte sich die Verlegerfamilie Schocken beim Kölner Verlag M.DuMont Schauberg (Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Mitteldeutsche Zeitung, Express, Radio Köln, Kunstverlag DuMont u.a.), der 2006 durch Vermittlung des ehemaligen israelischen Botschafters in der Bundesrepublik, Avi Primor, 25 Prozent am Verlag erwarb. Der Kölner Verleger Alfred Neven DuMont lobte seinen neuen Geschäftspartner Amos Schocken als „prominenten Zionisten“.

Verleger und Kunstsammler Amos Schocken
Verleger und Kunstsammler Amos Schocken | Quelle: flickr.com

Man könnte naiverweise annehmen, dass in Israel die Frage nach der NS-Vergangenheit eines Unternehmens aufgeworfen wird, das als erstes deutsches sich in das zweitgrößte israelische Medienhaus einkauft. Doch nichts dergleichen. Das Gedenken an den Holocaust ist zwar in Israel Staatsreligion, die Frage nach den NS-Tätern aus Adel, Bürgertum, Banken, Unternehmen, Kultur und Medien war aber noch nie sehr ausgeprägt und ist aus der etablierten Öffentlichkeit ganz verschwunden. Da ist Alfred Neven DuMont willkommen, der die Aufkäufe von Grundstücken verjagter jüdischer Eigentümer in Köln durch seinen Vater, das NSDAP-Mitglied Kurt Neven DuMont, im Interview mit Haaretz unwidersprochen als einen „normalen Vorgang“ bezeichnen durfte.
 
Während Haaretz nun mithilfe des als „liberal“ geltenden Kölner Stadt-Anzeigers seine liberalen Reste weiter ausdünnt, expandiert das Unternehmen global. Der Tageszeitung International Herald Tribune (New York Times, Washington Post) wird in Israel eine englische Haaretz-Übersetzung beigelegt. Mit DuMont Schauberg wird insbesondere eine englischsprachige Internet-News-Zeitung entwickelt, die global agiert und deren Redaktion von Haaretz unabhängig und rund um die Uhr tätig ist. Man setzt auf die internationale Unterstützung Israels, während in Israel selbst die Kritik an den Zuständen wächst.
 
Eine ähnliche Entwicklung hat die Jerusalem Post längst hinter sich. 1938 als englischsprachiges und linkes Blatt gegründet, wurde sie 1989 schließlich von der Hollinger Group aufgekauft, der hunderte Medien vor allem in USA, Kanada und Großbritannien gehören. Ein Teil der Redaktion wurde ausgetauscht, seitdem ist die Zeitung streng anti-arabisch und anti-palästinensisch; sie gehörte zu den Kriegstreibern gegen den Irak. Der erneute Eigentümerwechsel 2004 an die Investorengruppen Tikshoret Group und Canwest Global (kanadischer Investor, dem u.a. das australische TEN-TV gehört) hat dies eher verstärkt. Seit längerem wird der Angriff auf den Iran gefordert. Die Zeitung, die keine hebräische Ausgabe hat, ist mit neokonservativen und neoliberalen Medien der westlichen Welt vernetzt. So etwa war es ein routinemäßiger Vorgang, als Chefredakteur Bret Stephens zum Wall Street Journal wechselte.
 
Ethnisch-religiöse Zersplitterung – leicht beherrschbar
 
Alle Zeitungen verlieren an Lesern und Inserenten. Wie Haaretz expandieren die Verlage deshalb im Internet, digital und international. So ist etwa die größte Tageszeitung Yediot Ahronot mit den Internet-Sites Ynet (hebräisch) und Ynetnews (englisch) erfolgreich, betreibt das Kabelunternehmen Hot Cable TV und ist am Privat-TV-Sender Kanal 2 beteiligt.

Unter den zahlreichen jüdisch-religiösen Zeitungen ist Hatzofe (Wächter) die größte. Das ultraorthodoxe Medium kritisierte selbst die unglaubwürdigen Friedens- und Rückzugspläne der Regierungen Sharon und Olmert als Verrat. Hatzofe kursiert vor allem bei militanten Siedlern in den besetzten Gebieten und in orthodoxen jüdischen Gemeinden außerhalb Israels, vor allem in den USA, Frankreich und Großbritannien.
 
Nur etwa 40 Prozent der Bürger des Staates sind säkulare Juden, sie vor allem nutzen die genannten etablierten Medien. Daneben ist die Medienlandschaft so zersplittert wie wohl in keinem anderen Staat. Es gibt hunderte von regionalen Zeitungen, Internetmedien und Radios. Allein seit 1990 sind über eine Million Juden bzw. angebliche Juden aus Russland eingewandert. West-, Ost- und orientalische Juden haben unterschiedliche religiöse und ethnische Selbstverständnisse, ganz abgesehen von den über eine Million Arabern mit (zweitklassiger) israelischer Staatsangehörigkeit. Eine unübersehbare Menge von gedruckten, digitalen und Kabelmedien ist für diese verschiedensten ethnischen, sprachlichen religiösen und nichtreligiösen Gruppen entstanden. Allerdings werden die wichtigen schnell von den etablierten Medienkonzernen aufgekauft. So gehört zur Yediot Media Group die größte russische Zeitung Israels, Vesti, und die größte arabische Zeitung, Kull al-Arab.
 
Mediale Kaderschmiede: Die Armee
 
Für Berichte, in denen es um militärische Anlagen und Operationen geht, besteht Zensur. Doch damit haben die großen Medien kein Problem, sie halten sich von selbst an die Vorschriften. Alle folgen auch freiwillig der offiziellen Tabubildung, z.B. heißt es seit einigen Jahren einhellig „die Gebiete“ statt wie früher „die besetzten Gebiete“. Zur freiwilligen Selbstzensur tragen nicht zuletzt die vielen Journalisten bei, die aus der Armee kommen: Beim Geheimdienst, in dem auch viele Frauen beschäftigt sind, bekommen sie die beste Rechercheausbildung. Im Armeesender Galei Zahal können sie zudem üben, wie man knapp und fetzig formuliert. „Galei Zahal ist zu einer Art Kaderschmiede für die israelischen Medien geworden“, sagt Eldad Beck. Der Deutschland-Korrespondent von Yediot Ahronot hat selbst im Armeesender gedient und dort sein Handwerk gelernt.

Armeesender Galai Zahal
Im Studio des Armeesenders Galei Zahal | Quelle: Galei Zahal

Galei Zahal ist die „Urmutter der modernen israelischen Medienlandschaft“ überhaupt, resümiert Eldad Beck. Der Armeesender wird mehrheitlich von jungen und aufstiegsorientierten Wehrpflichtigen gestaltet. Sie müssen innovativ sein, immer etwa auf der Suche nach der aufregendsten und neuesten Musik, um die Soldaten bei ihren öden, zugleich stressigen und unangenehmen Wachdiensten an den hunderten von Checkpoints in den besetzen Gebieten bei Laune zu halten. Galei Zahal darf, weil es in der Familie bleibt, in der Kritik am Vorgehen der Armee viel weiter gehen als die Tageszeitungen und TV-Stationen, das gibt zudem ein unkonventionelles und kritisches Image. Der Sender strahlt weit über den Armeebereich hinaus. Etwa 40 Prozent der 18- bis 40jährigen Zivilisten hören ihn. Daneben betreibt er auch noch ein zweites Programm für Autofahrer. Und obwohl staatlich finanziert, ist der Sender ständig und erfolgreich auf der Suche nach privaten Werbeeinschaltungen.

So kamen wichtige Initiativen zur Veränderung der Medienlandschaft aus dem Armeesender. 1984 gründeten einige Redakteure, die während des Jom-Kippur-Krieges ihren Dienst bei Galai Zahal leisteten, die Zeitung Chadashot, Israels erstes Tabloid-Format. Haaretz-Verleger Schocken stellte das Projekt allerdings 1993 wegen finanzieller Verluste ein. Das Tabloid-Format hat sich aber inzwischen generell durchgesetzt. Vor allem war der heute dominierende Privatsektor zunächst ein Kind des Militärs, genauso wie viele Ex-Offiziere nach dem Militärdienst z.B. eine Sicherheitsfirma gründen und einen bedeutenden Anteil an der international exportierenden Sicherheitsindustrie haben.
 
Diese Entwicklung wurde von der Regierung 1990 im Medienbereich mit einem Privatisierungsgesetz vorangetrieben. So gründeten 1993 ehemalige Galei Zahal-Journalisten den ersten privaten TV-Sender Israels, Kanal 2, der auch nach Ägypten und Jordanien sendet. 2002 gründeten wieder einige Ex-Militärjournalisten den zweiten privaten TV-Sender, Kanal 10. Beide Sender hatten mit ihrer professionell inszenierten Wohlfühl- und glitzernden Konsumentenwelt Erfolg und wurden inzwischen von Investoren aufgekauft. Sie gehören heute zu Mischkonzernen, die auch mit Coca Cola und Immobilien, Kosmetika, Energie, Kabelnetzen und Kinofilmen Profite erwirtschaften.
 
Während mit Polar Communications nur einer der Eigentümer von Kanal 2 aus den USA bzw. dem Ausland kommt, sind es beim 2002 in Betrieb gegangenen Kanal 10 bereits drei von vier: neben dem israelischen Energieunternehmen Merhav sind dies der US-Unternehmer Ronald Lauder, Sohn von Estée Lauder, auch Präsident des Jüdischen Weltkongresses, dann der Hollywood-Produzent und Rüstungslobbyist Arnon Milchan, schließlich Rupert Murdoch.
 
Der staatliche TV-Bereich mit Kanal 1 (hebräisch) und Kanal 33 (arabisch) ist nur noch ein unbedeutender Torso. Hervorgegangen aus dem mit der Staatsgründung 1948 gestarteten Staatsfunk Kol Israel, war er 1965 nach dem Vorbild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland umorganisiert worden. Der Staat finanziert (noch), aber er untergräbt zugleich durch seine fundamentalistische Privatisierungspolitik das Fundament seiner Sendeanstalt. Kanal 1 und 33 suchen den Anschluß an den dominierenden Privatsektor durch Unterhaltung und Werbung – damit hecheln sie allerdings nur hinterher und verlieren weiter an Zuspruch.
 
Mediale Inszenierung guter und schlechter Opfer
 
Es gibt allerdings übergreifende Gemeinsamkeiten. Private wie öffentliche Medien inszenieren zwei Themen auf gleiche Weise: Korruption von Politikern und Terroranschläge. Immobiliengeschäfte von Ministerpräsident Scharon, Schmiergelder für seinen Nachfolger Olmert, sexuelle Übergriffe des Staatspräsidenten Katzav – da entfalten die großen Medien eine Rechercheintensität und einen Moralfuror, die sie gegenüber der entfesselten neoliberalen Wirtschaft stillgestellt haben. So berechtigt Kritik und Anklage von der Sache her sind, so folgen die herrschenden Medien hier weniger dem demokratischen Aufklärungsinteresse; vielmehr wird aus der Perspektive von Business- und Militärinteressen die Politik grundsätzlich als unfähig diskreditiert. Das Ansehen der wechselnden Regierungen und der bisherigen Regierungsparteien ist auf einem bisher nie gekannten Tiefpunkt.
 
Bei Terroranschlägen beginnen die Marathon-Sondersendungen – der Rekord liegt bei 26 Stunden – bereits wenige Minuten nach der Explosion. „Dabei verschwinden journalistische Werte wie Objektivität und Neutralität“, schreibt David Witzthum („Israels Medien in Zeiten der Not“). Die Sendungen sind vielmehr „rituelle Zeremonien, bei denen der Moderator als eine Art Priester fungiert, der die Zeremonie leitet. Der Ort des Anschlags ist eine Art Altar, auf dem Opfer gebracht wurden.“ Statements von tapferen Helfern und blutverschmierten Verletzten, rasende Rettungswagen, souveräne Offizielle, anklagende Regierungssprecher, weinende und trauernde Familien – ein eingeübtes dramaturgisches Muster.
 
Besonders intensiv wird dabei über die Familien, die Herkunft, die Kindheit, das Privat- und Berufsleben der einzelnen Opfer berichtet. Es werden bei dieser Gelegenheit auch Menschen mitfühlend vorgestellt, deren Existenz sonst verdrängt wird, z.B. illegale Arbeiter. So sollen die sozialen Schichten im gemeinsamen Schmerz und nationaler Not zusammenfinden, den „Zusammenhalt des israelischen Kollektivs“ herstellen. Zu diesem Schema gehört, dass über das Vorgehen der israelischen Armee in den besetzten Gebieten entweder gar nicht oder nur in wenigen ausgewählten Einzelfällen berichtet wird, und zwar ganz anders: als knappe Nachricht mit der kruden Zahl der palästinensischen Opfer, ohne jegliches Mitgefühl.
 
Unabhängige Presse: machtlos und international isoliert
 
Bei alldem ist aber eine Tatsache unbestreitbar: Pressefreiheit. Kritische Berichte etwa in Haaretz über die Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Palästinensern ebenso wie harsche Kritik an den Regierungen würden in Deutschland sofort unter Antisemitismus-Verdacht geraten. Solche Artikel von Gideon Levy und Amira Hass erscheinen nie im Kölner Stadt-Anzeiger, obwohl dies für den Kölner Miteigentümer DuMont Schauberg das einfachste und billigste wäre.

Challenge
Challenge entstand bereits während der ersten Intifada
Quelle: www.challenge-mag.com


Daneben existiert eine Vielfalt kritischer und alternativer Medien. Gut recherchierte Berichte israelischer und palästinensischer Autoren erscheinen in Internet-Periodika. Es wird geschätzt, dass es etwa 150 nicht-lizensierte Piratensender gibt, z.B von israelisch-palästinensischen Friedensgruppen. Sie dürfen existieren, sind aber machtlose Schmuddelkinder. Auch von den großen Medien der „westlichen Wertegemeinschaft“ werden sie weitgehend als nicht existent behandelt. So gelangen unabhängige und faktenreiche Publikationen, die nicht dem zionistisch-neoliberalen Friede-Freude-Eierkuchen-Schema des Gelobten Landes unterliegen, bisher vor allem über Rundbriefe von Friedensgruppen und z.B. über youtube ins Ausland. (PK)

s.a. Radiosendungen aus dem Nahen Osten

Online-Flyer Nr. 173  vom 19.11.2008

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