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Lokales
„War da was, was war denn da?" – Eine 68er Veranstaltung des KStA
Was war das denn?
Von Hans-Dieter Hey

Am Mittwoch, den 26. März wollte der Kölner Stadt-Anzeiger eine Vorstellung von dem geben, was er unter dem Thema „Die 68er" gern unters Volk zu bringen gedachte. Bei nur geringem Interesse für die Gründe der Rebellion.

Peter Schneider                       
Geladen waren Peter Schneider, früher selbst politisch im Umfeld von Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof, charismatischer Redner, zum Beispiel 1967 bei der Vorbereitung des „Springer-Tribunals". Er hat nach 40 Jahren eine ganz persönliche Sicht auf die Vorgänge  niedergelegt – in einem Buch, das auf eigenen Tagebucheinträgen basiert. Seine Veröffentlichung zum Thema: „Rebellion und Wahn. Mein 68". Seinen Verleger Helge Malchow von Kiepenheuer und Witsch brachte er zur Unterstützung gleich mit.





Thema für das Haus DuMont?



                            Norbert Frei
Norbert Frei schrieb zur 68er-Bewegung das Buch „1968. Jugendrevolte und globaler Protest". Ihm ist zu verdanken, als erster wissenschaftlich die internationalen Zusammenhänge der 68er-Bewegung aufgezeigt zu haben. Als Professor für Neuere und Neueste Geschichte in Jena und wurde er vor allem dadurch bekannt, umfangreich die Verstrickungen von Bertelsmann mit dem Hitler-Regime aufgedeckt zu haben, zudem schrieb er Bücher zum Journalismus in der Nazi-Diktatur („Nationalsozialistische Eroberung der Provinzpresse" und „Journalismus im Dritten Reich"). Ein Thema, das den Verlag M. DuMont Schauberg des Kölner Stadt-Anzeiger wegen der Aufarbeitung der eigenen Geschichte eigentlich interessieren könnte. Denn nach dem Krieg wurde NSDAP-Mitglied Kurt Neven DuMont am 6. März 1946 entgegen dem Vorschlag der  Entnazifizierungskommission durch die Militärregierung untersagt, seinen Verlag weiter zu führen. Das durfte er dann erst wieder unter Adenauers Kanzlerschaft.


Helge Malchow
Farbfotos: 
gesichter zeich(ch/g)en 
Joachim Frank, stellvertretender Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeiger moderierte. Zu allem Überfluss und zur allgemeinen Erheiterung des vollen Saales im Cinenova Arthaus-Center brachte er gleich ein Buch von Bildzeitungs-Chef Kai Diekmann ins Gespräch. Doch Diekmann zeigt mit seiner Veröffentlichung, so der ehemalige Kultusminister Michael Naumann und Rechtssozi aus Hamburg am 23. Oktober 2007 in der Süddeutschen Zeitung „... eine fatale Nähe zum Populismus" und eine gewisse „Verantwortungsdiffussion". Für die BILD-Zeitung ist das Eigentor wohl, so Naumann, eine „Selbstenthüllung auf 254 Seiten". Kurz und gut: Das Rache-Buch von Diekmann war für diesen Abend offensichtlich weniger geeignet für eine ernsthafte Auseinandersetzung ums Thema.


Lustig, aber nicht hilfreich

Mit Peter Schneiders Buch ist keine Bilanz der 68er-Bewegung heraus gekommen, sondern „...ich habe einfach erzählt, wie es für mich war", sagt er: „Das Befreiende, was es für mich war, und auch das Schreckliche". Vielleicht können auch Gefühlserfahrungen und persönliche Nachbetrachtungen bei der Aufarbeitung der Geschichte der 68er-Bewegung mit einbezogen werden. Der private und gesellschaftliche Mief, der nicht wirklich mit der Vergangenheitsbewältigung beginnen wollte, das Schweigen überall und „am Mittagstisch nichts anderes zu hören als das Klirren von Messer und Gabel – das war für mich viel schlimmer als der ganze Weltkrieg."

Gelegentlich glitt die Diskussion deshalb auch ins Anekdotisch-Fröhliche ab, als Schneider z.B. erzählte: "Als ich von Freiburg nach Berlin kam, fing ich an, Verbote aufzuschreiben. Das beste Stück in meiner Sammlung war ein Satz in einem Aufzug, den man in allen Aufzügen finden konnte: 'Es ist verboten, Personen in Aufzügen zu befördern, in denen das Befördern von Personen verboten ist'." Das war zwar lustig, aber auch nicht hilfreich in der Sache.

Sein Buch ist also eher eine Aufarbeitung von Emotionen denn von politischen Ursachen und Wirkungen und war deshalb an dem Abend nur bedingt für den Diskurs geeignet, wenngleich die persönliche Sichtweise von Schneider und der Sinneswandel als Beteiligten nach 40 Jahren manche Freunde finden mag. Ein „Generationsportrait" wollte er ohnehin nicht liefern. Nach seiner Auffassung ist die Rückblende der 68er eine Selbstrechtfertigung ohne Bezug zum Heute. Dass dies völlig verkehrt ist, zeigt, wie z.B. in diesem Zusammenhang Schäubles Überwachungsstaat, deutsche Kriegsbeteiligungen, Einsatz der Bundeswehr im Inneren und Notstandsgesetze heute immer noch heftig in der Kritik stehen – auch bei den Altachtundsechzigern. Ohnehin scheint Schneider sich schon früh aus der Bewegung ausgeklinkt zu haben. 

Zu seinem Buch heißt es in einer Rezensionsnotiz der taz vom 13. März: „Nicht allem, was der alte Schneider über den jungen berichtet, kann der Rezensent viel abgewinnen. Insbesondere die detaillierte Erörterung des Liebeslebens des jungen Schneider hätte er lieber nicht gelesen....Allerdings trage die Grundanlage des Buches nur im Ansatz." Das Buch von Schneider mag für manche interessant sein, aber eben nicht wirklich tragend in der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte der BRD.


In der 68er-Veranstaltung kaum Thema: Was die 68er wirklich bewegte

Und natürlich auch Götz Aly

Indirekte Kritik kam deshalb auch von Norbert Frei: „Unsere Forderung 40 Jahre danach muss schon sein, über einzelne Geschichten hinaus zu kommen, um begreifen zu können, was das Ganze gewesen ist." Bis auf die Untersuchung einzelner Aspekte, so Frei, sei die 68er-Bewegung wissenschaftlich überhaupt noch nicht untersucht. Insgesamt sei "1968 überkommentiert und untererforscht, auch was Deutschland angeht."

Völlig daneben führte KStA-Mann Joachim Frank dann noch das Buch „Unser Kampf" des ehemaligen 68ers Götz Aly, der sich zum Rechtspopulisten gemausert hat, in die Diskussion ein: „Aly müssten wir insofern noch aufbrechen, als man (mit ihm) sagen kann 'Die 68er sind nur die gehorsamen Söhne der 33er', darüber kann man dann ja sicher streiten". Aufgeregte Zwischenrufe „Nein, nein, das kann man nicht" machten ihm aber schnell deutlich, dass er mit diesem Buch wohl einen peinlichen Fehlgriff gemacht hatte. (Siehe NRhZ 135)

KiWi-Verleger mit von der Partie

Trotzdem gab es für Götz Alys Betrachtung Unterstützung auch von Helge Malchow. Schließlich  war sein Vorgänger als KiWi-Verleger Reinhold Neven DuMont: „Götz Aly sagt nun, dass die massivsten Abgründe terroristischer Gewalt, die aus den 68ern ja auch heraus entstanden sind, in Deutschland, in Italien und in Japan stattgefunden haben. Insofern ist zu untersuchen, inwiefern die 68er-Bewegung in Deutschland eine war, die mit der nicht verarbeiteten Vergangenheit des Nationalsozialismus zu tun hat."



Darüber könne man überhaupt nicht streiten, entgegnete Norbert Frei: „Es geht bei Aly um einen gezielten medialen Trick, das weiß er aber auch selber. Man kann über vieles in seinem Buch reden. Aber diese simple Parallelführung zwischen Nationalsozialismus und Studentenbund, das ist also so oberflächlich und für einen Historiker so schlecht, wie es überhaupt nur gemacht werden kann. An dem Punkt kann man überhaupt nicht diskutieren." Und an späterer Stelle zuspitzend: „Heute mag er ja meinetwegen so weit gehen und sich selbst in der Rückschau als Neonazi outen, aber er kann deshalb nicht die ganze Bewegung in dieses Boot ziehen."

Zu Götz Aly, der sich bisher klar geweigert hat, in seinen Forschungen zum Nationalsozialistismus „den Antisemitismus als zentrales Movens ... bei der Vernichtung der Juden zu analysieren", sagen die 'Blätter für Deutsche und Internationale Politik'  in ihrer April-Ausgabe im Hinblick auf eine Gleichsetzung und damit auch Verharmlosung des Nazi-Regimes weiter: „Solch reaktionäres Gerede ist nicht neu. Es wehrt jede Form von substanzieller Kritik ab und setzt in modischer, totalitarismustheoretischer Diktion Links und Rechts gleich und begreift damit weder das eine noch das andere". Also hat auch dieses von Joachim Frank in die Diskussion eingeführte Buch sich selbst inhaltlich diskreditiert. Man sollte ihn fragen, aus welchem Grund er es in die Diskussion eingeführt hat, wird doch damit der Nationalsozialismus letztendlich verharmlost.



So gut wie nichts über die Beweggründe der 68er

Soweit einige Ausschnitte aus einer in weiten Bereichen etwas konfus springenden Diskussion. Allein Norbert Frei war es zu verdanken, dass sie inhaltlich einigermaßen stringent geführt und nicht total ins Rechtspopulistische, Anekdotische oder Verurteilende abrutschte. Völlig unverständlich deshalb, dass über die Beweggründe der 68er-Revolte so gut wie gar nicht diskutiert wurde – wenn man von ein bisschen Kinderladen oder Frauenbewegung absieht. Beabsichtigter Diskussionsansatz schien eine von-vornherein-Verurteilung der 68er-Bewegung zu sein oder die Absicht, sie gelegentlich lächerlich zu machen. 

Kaum ein Wort wurde darüber verloren, dass die Ursachen der Revolte bereits in den 1950er Jahren lagen, in der Wiederbewaffnung und Atombewaffnung Deutschlands mit Hilfe alter Nazi-Kader, der Weiterbeschäftigung der alten Nazi-Richter und -Generäle durch die Adenauer-Regierung und im Wiedereinstieg alter Wehrwirtschaftsführer wie Hanns-Martin Schleyer oder den 1948 als Kriegsverbrecher verurteilten und 1951 begnadigten Alfred Krupp von Bohlen und Halbach. Kein Wort fiel darüber, dass sie alle im Nachkriegsdeutschland wieder in wichtigen Bereichen ihre Spuren hinterließen und dass dies auch mit Grund für die Proteste war.


Fotos: Günter Zint – panfoto

Kein Wort auch darüber, dass man mit neuen Ideen den ersten Auswüchsen neuer kapitalistischer Krisen etwas entgegen setzen wollte und mehr Demokratie und Mitbestimmung forderte. Nichts über den Befreiungskampf der Vietnamesen gegen die US-Besatzung, die auch Deutschland unterstützt hatte. Kaum ein Wort zu dem sich bereits damals abzeichnenden US-amerikanischen und europäischen Imperialismus oder dazu, dass vielleicht die Globalisierungsgegner von heute die einzigen wichtigen politischen „Nachkommen" der 68er-Bewegung sind. Wenig darüber, dass die Politik schon damals  versuchte, die Gewerkschaften dauerhaft zu schwächen, was offensichtlich inzwischen gelungen ist. Wenig über die verantwortungslose Rolle der Springer-Presse.

Nichts Konkretes über die Notstandsgesetze zur Aufhebung der Demokratie und zur Sicherung der Gewinne der Konzerne in Krisenzeiten, die nach Auffassung der dagegen Protestierenden besonders geeignet erschienen, „auf dem kurzen Dienstweg" wieder diktatorische Verhältnisse einzuführen. Kein Wort dazu, dass gerade auch durch staatliche Gewalt gegen friedlich Protestierende die Situation später eskalierte und dass deutsche Inlandsgeheimdienste der späteren RAF den Sprengstoff lieferte, um den Grund für die Zerschlagung der gesamten Bewegung zu liefern. Bereits zu Beginn der Gewalttaten wurden die ersten Bomben unter Mitwirkung eines V-Mannes des Verfassungsschutzes gelegt.

Fragen, die bei ernsthafter Aufarbeitung der Geschichte gestellt werden müssen. An diesem Mittwoch, 40 Jahre danach, hätte man von einer solchen Veranstaltung mehr an Aufarbeitungswillen erwarten können. (PK)

Online-Flyer Nr. 140  vom 02.04.2008

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