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Lokales
Kölner Amtsgericht bestraft Einsatz für den Frieden
"Verurteilung erster Klasse"
Von Hans-Dieter Hey

Das Urteil des Kölner Amtsgerichts von je sechzig Tagssätzen ertrugen die beiden angeklagten Friedensaktivisten am vergangenen Donnerstag gelassen. Zwei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Sie hatten sich wegen "Volksverhetzung, Beleidigung und Hausfriedensbruch" zu verantworten, weil sie im September 2005 während der öffentlichen Vereidigung von Rekruten am Kölner Dom das Transparent "Wir geloben zu morden, zu rauben, zu vergewaltigen" und am Dom-Hotel das Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder" heruntergelassen hatten. Siehe NRhZ 67 und 68.

Absurdes Theater

Bereits zu Beginn der Verhandlung war alles anders als sonst. Die über 100 Besucher wurden in  mehreren "Sicherheitsschleusen" mit bewaffneten Polizisten konfrontiert und über Treppenaufgänge durch einen weiteren Gerichtssaal geführt. In diesem lungerten ebenfalls bewaffnete Polizisten auf den Richterstühlen herum. Im Verhandlungssaal selbst wurden sie hinter Glasscheiben verbannt. Die Szene wirkte etwas gespenstisch, weil man unweigerlich an Terroristenprozesse früherer Jahre erinnert wurde und nicht daran, dass in der Sache Menschen für den Frieden eingetreten waren.

Selbst die Richterin stellte klar, dass sie die Maßnahmen für überzogen hielt. Der Eindruck von Kriminalisierung und Vorverurteilung der Angeklagten wurde noch verstärkt, weil der Staatsanwalt neben sich anfangs eine Dame sitzen hatte, die augenscheinlich nicht dem "Aachener Friedenspreis" angehörte. Auf Nachfrage der Verteidigung gab sie zu, eine Prozessbeobachterin der Bundeswehr zu sein. Weil damit die Frage der Neutralität des Gerichts im Raum stand, mußte die "Prozessbeobachterin" ihren Platz verlassen und mit der Pressebank vorlieb nehmen.

Nicht nur durch dieses Vorspiel war dem Staatsanwalt anzumerken, dass er nur an einer Verurteilung der Angeklagten Interesse hatte. Am Vortrag der Verteidigung zeigte er sich demonstrativ desinteressiert. Offensichtlich hatte er zu gut verstanden, worum es den Angeklagten politisch ging. Sie wollten deutlich machen, dass in Deutschland seit Jahren eine Politik der "Barbarisierung" vorangetrieben wird, die die "Bereitschaft zur Lust am Töten, an der militärischen Gewaltausübung und an der Opferung von Zivilisten bis hin zum Opfer des eigenen Lebens verlangt". Frage der Verteidigung: "Was soll man denn noch tun, um die Menschen auf diese Entwicklung aufmerksam zu machen?"

Demonstraten vor dem Amtsgericht
Demonstraten vor dem Amtsgericht
Foto: Hans-Dieter Hey



Gegen weitere Militarisierung der Politik

Zum Beweis zitierte sie aus einem Artikel der "Welt am Sonntag" vom 29. Februar 2004 Generalmajor und Heeresinspekteur Hans-Otto Budde: "Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann." Zitiert wurde auch sein Kampfgefährte aus gemeinsamen Fallschirmjägertagen: "Diesen Typus müssen wir uns wohl vorstellen als einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat bei dieser Existenz in Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu handeln." Denn: "Eine neue Zeit in der Militärstrategie und Taktik verlangt natürlich einen Soldatentypen sui generis: Der Staatsbürger in Uniform... hat ausgedient."

In der Wochenzeitschrift "Freitag" vom 3. November wird auf Generalmajor Johann Adolf Graf von Kielmannsegg verwiesen, der bereits 1991 in der Zeitschrift "Truppenpraxis" konstatierte: "Gar keine Frage: Der Zivilisierungsmöglichkeit einer Armee, die einsatzfähig sein soll, sind verhältnismäßig enge Grenzen gesetzt ... Auf die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr hin ist also alles auszurichten, Ausbildung, Ausrüstung und Struktur." Und German-Foreign-Policy berichtete am 23. November: Bei dem Manöver "European Endeavour 2006 "...trainieren 2.500 Angehörige der Bundeswehr-Eliteeinheit "Division Spezielle Operationen" (DSO) die Niederschlagung von Aufstandsbewegungen ... in einem fiktiven mitteleuropäischen Staat. Die Aufgabe der Soldaten bestand darin, ein "konspiratives Führertreffen" und ein Ausbildungslager der Guerilla mit dem Ziel anzugreifen, die dort befindlichen Menschen entweder zu töten oder gefangen zu nehmen. Zur DSO zählen die für ihre Brutalität und die Bezugnahme auf NS-Traditionen berüchtigten Fallschirmjäger der "Saarlandbrigade" und das "Kommando Spezialkräfte" (KSK); ihr Motto lautet: "Einsatzbereit - jederzeit - weltweit".

Ganz offensichtlich hängt mit dieser neuen deutschen Militärpolitik auch ihre Verfassungswidrigkeit zusammen. Bereits am 21. Juni 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht zur Rolle der BRD "gravierende völkerrechtliche Bedenken" sowohl gegen den Irak-Krieg als auch gegen die hierfür erbrachten deutschen Hilfsleistungen der damaligen rot-grünen Regierung gesehen. Und der Verein "Aachener Friedenspreis", in dem Kirchen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen und Privatleute organisiert sind, die jährlich den "Aachener Friedenspreis" vergeben, wirft Merkel und Jung vor, mit ihrem "Sicherheits-Weißbuch"  gegen die im Grundgesetz festgelegte Friedenspflicht zu verstoßen: "Das Weißbuch löst sich nahezu vollständig vom bisherigen Verteidigungsbegriff und spricht sich für Militäreinsätze aus, ohne dass zuvor ein Angriff auf das eigene Territorium oder das eines Bündnispartners stattgefunden hat oder unmittelbar droht." Eine solche "präventive Kriegsführung" hebele aber "das gesamte, auf Friedenspflicht angelegte Völkerrecht aus". Ob allerdings eine Anzeige des "Aachener Friedenspreises" gegen die Militärpolitik der Bundeskanzlerin und ihres Verteidigungsministers jemals von einer Staatsanwaltschaft verfolgt und vor ein deutsches Gericht gebracht wird, ist äußerst fraglich. Anzeigen des Friedensnetzwerks "Pax Christi" im Jahre 2004 gegen Alt-Bundeskanzler Schröder und Ex-Außenminister Fischer wegen Beihilfe zu einem Angriffskrieg wurden jedenfalls niedergeschlagen.

Am 30. November auch zum Arbeitsamt
Am 30. November auch zum Arbeitsamt
Foto: Hans-Dieter Hey



Verurteilung erster Klasse

Gegen eben diese Politik haben sich auch die Angeklagten gewandt. Sie stehen, wie sie sagen, dagegen auf, immer wieder mit der politischen Lüge von "Friedenseinsätzen" und "Aufbauarbeit" konfrontiert zu werden.  Ihrem Mut und ihrer Öffentlichkeitsarbeit ist es wohl zu verdanken, dass das Thema einer zweifelhaften "Qualität" deutscher Militärpolitik nicht hinter der Mauer des Vergessens verschwindet. Und so wurde anschließend nicht von einem "Freispruch zweiter Klasse", sondern selbstbewusst von einer "Verurteilung erster Klasse" gesprochen. Außer der Anzeige vom Domkapitel, das einen Einsatz für den Frieden offensichtlich geringer schätzt als den freien Zutritt von Kriegsgegnern in den Dom, und der "Beleidigung" von Rekruten ist von den Vorwürfen von Bundeswehr und Staatsanwaltschaft nichts an ihnen hängen geblieben.

Künftige Rekruten, so hieß es in Gesprächen nach dem Prozess, sollten genau hinsehen, mit welchen Methoden und Mitteln sie zum Militärdienst und in Einsätze geführt werden. Sie sollten sich dann die Frage stellen, ob nicht die eigentliche Beleidigung von einer ganz anderen, unerkannten Seite komme. Beispielsweise von Gelöbnissen, die am Kölner Dom unter dem Deckmantel des Christentums - einer christlichen Weihe ähnlich vernebelt - abgehalten werden. Damit nämlich würden unsere Militäreinsätze indirekt und gefühlsmäßig geheiligt, der Einsatz würdevoll gewissermaßen zum "heiligen Einsatz" verklärt.

Die wahre Beleidigung

In den beiden letzten Weltkriegen stand auf den Koppelschlössern: "Gott mit uns". Der Erste Weltkrieg wurde von Militärpredigern als "heiliger deutscher Krieg" gefeiert. Im Mai 1945 - als der Zweite Weltkrieg fast vorbei war und schon 60 Millionen Tote verursacht hatte - sagte Nazi-Propagandaminister Göbbels noch: "Wir gehen in diesen Kampf wie in einen Gottesdienst". Dies - so denken die FriedensaktivistInnen - den Menschen Krieg als politisch richtig oder heilig zu verkaufen, sei die wahre Beleidigung.

Und sie wollen weiter machen: Am 30. November ab 12 Uhr besucht der Wehrdienstberater der Bundeswehr das Berufsinformationszentrum des Kölner Arbeitsamtes in der Luxemburger Straße,  um junge Menschen für die Ausbildung "zum neuen Kämpfer" zu gewinnen. Zur gleichen Zeit wollen die FriedensaktivistInnen dort dagegen protestieren.

Die Initiative Bundeswehr-Wegtreten hat u.a. die Prozessbeiträge der Angeklagten in einem Reader zusammengestellt und veröffentlicht auf der Webseite: www.bundeswehr-wegtreten.tk

Online-Flyer Nr. 72  vom 28.11.2006

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