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Aktueller Online-Flyer vom 15. Mai 2024  

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Lokales
Amtsgerichtsprozesse gegen Kölner FriedensaktivistInnen verschoben
Wer sind "die Herren des Verfahrens"?
von Hans-Dieter Hey

Am Donnerstag standen vier AktivistInnen der Friedensbewegung vor dem Kölner Amtsgericht. Ihnen wird in zwei Prozessen Beleidigung, Hausfriedensbruch, Verunglimpfung des Staates und Volksverhetzung vorgeworfen, weil sie sich vor einem Jahr am Weltfriedenstag aktiv gegen die öffentliche Vereidigung von Rekruten anlässlich der 50-Jahr-Feier der Bundeswehr und zunehmende Kriegseinsätze engagierten. Stein des Anstoßes waren damals an Dom und Domhotel aufgehängte Transparente und die Benutzung von Trillerpfeifen. Das Verfahren war von derart großem öffentlichem Interesse, dass der Gerichtssaal für die Zahl der Besucher zu klein war.

30 Milliarden mehr für die Bundeswehr und weniger für die Armen

Schon Stunden vor der Verhandlung trafen sich auf einer Kundgebung zahlreiche Menschen vor dem Kölner Gerichtsgebäude. Mit Plakaten mit der Aufschrift "Wir geloben zu morden, zu rauben und zu vergewaltigen", "Deutsche Tornados mit US-Atomwaffen bereit zum Massenmord" und mit dem Kurt-Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder" machten sie ihre Empörung über die zunehmenden Kriegseinsätze und die Rolle der Bundeswehr deutlich. Inzwischen waren nämlich - nach Angabe des Wehrbeauftragten Reinhold Robbe - etwa 200.000 deutsche Soldaten auf zehn Kriegsschauplätzen außerhalb der Bundesrepublik im Einsatz; zurzeit sollen es etwa 10.000 sein. Nicht zuletzt machten die DemonstrantInnen auf den Zusammenhang aufmerksam, dass Erwerbslose, Rentner und Beschäftigte immer ärmer gemacht werden, die Bundeswehr aber demnächst jährlich 30 Mrd. Euro zusätzlich aus Steuermitteln erhalten soll.

Wegen Demo am Dom vor dem Amtsgericht
Wegen Demo am Dom vor dem Amtsgericht
Foto: Hans-Dieter Hey



Durch menschenverachtende Vorgänge, die innerhalb der Bundeswehr und bei "robusten Einsätzen" bekannt wurden, sind Vorwürfe dieser Art nicht nur verständlich, sondern sie fordern die Zivile Gegenwehr von couragierten Bürgern geradezu heraus. Wie die "Junge Welt" am 26.Oktober berichtete, ist die Zahl der Gewaltverbrechen durch Bundeswehrsoldaten von 1996 bis 2005 erheblich gestiegen. In diesem Zeitraum wurden 15 Soldaten wegen Mordes, zehn wegen Totschlags, 281 wegen Sexualdelikten und 4.242 wegen Körperverletzung angeklagt. Hinzu kommen ständig neue Vorwürfe. Aktuell wurden wieder Folterungen in Afghanistan und die - dank BILD - die Medien beherrschenden Totenkopf-Fotos von Gebirgsjägern aus Mittenwald bekannt. (Hierzu der Beitrag "Was BILD nicht berichtete" in dieser Ausgabe). German-Foreign-Policy berichtete am 2. Oktober, dass der Rechtsanwalt der Familie eines auf zweifelhafte Weise zu Tode gekommenen Rekruten der Armeeführung vorwirft, sie wolle den wirklichen Sachverhalt vertuschen. Verteidigungsminister Jung bekommt mit solchen Veröffentlichungen zunehmend Probleme.

Schwarz-Rot nennt Kriegseinsätze "humanistische Interventionen"

Trotzdem wird die schwarz-rosa Bundesregierung nicht müde, Soldaten als "Bürger in Uniform" vorzuführen, über die Massenmedien das Märchen von "friedenstiftenden Maßnahmen" oder "robusten Friedenseinsätzen" zu verbreiten, von "Enduring Freedom" und sogar "humanistischen Interventionen" zu reden. Dabei wird immer klarer: Deutschland begibt sich zunehmend in kriegerische Auseinandersetzungen, die dem grundgesetzlichen Auftrag zur Landesverteidigung durch die Bundeswehr diametral widersprechen.

Aktionstisch der FriedensaktivistInnen
Aktionstisch der FriedensaktivistInnen
Foto: Hans-Dieter Hey



Dass Verrohung und Brutalisierung bei vielen Soldaten nicht ohne Folgen bleiben, beweist ein Bericht von German-Foreign-Policy vom 18. Oktober: Immer mehr von ihnen kehren vorzeitig von Auslandseinsätzen traumatisiert zurück. 2003 haben sich 58 Soldaten in Behandlung begeben müssen, 2005 schon 146. Von 1996 bis 2005 waren es offiziell 1.600. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein. Die Folgen: Emotionaler Rückzug, Potenzstörungen, Depressionen, posttraumatische Störungen, Angstzustände und Selbstmordgedanken.

Flugblatt ermutigt Soldaten zur Verweigerung

Mit einem Flugblatt ermutigten die FriedensaktivistInnen vor dem Gericht deshalb Soldaten dazu, jede Beteiligung an völker- und grundgesetzwidrigen Einsätzen zu verweigern. Wehrdienstverweigerer und Deserteure sollen unterstützt werden - wie dies schon in den USA und Kanada mit desertierten US-Soldaten geschieht. Flüchtlingen aus Kriegsregionen soll geholfen werden, und private und staatliche Kriegsgewinnler sollen namhaft gemacht und öffentlich verurteilt werden.

Wegen dieser Entwicklung wolle man Schluss machen mit Versuchen,  durch öffentliche Gelöbnisse und militärische Rituale wie im vergangenen Jahr vor dem Dom gesellschaftliche Akzeptanz der Bundeswehr zu erreichen, sagte eine der Angeklagten der NRhZ. Und aus eben diesen Gründen werde seit Jahren auf das Treiben der Mittenwälder Gebirgsjäger hingewiesen, bei denen sich regelmäßig mehrere tausend unverbesserliche "Ehemalige" und aktive Soldaten treffen, um die "mörderische Tradition der Gebirgstruppe hochzuhalten und NS-Kriegsverbrechern zu gedenken" - so eine Informationsschrift der Aktion "Bundeswehr - wegtreten".

Anzeige gegen Generalleutnant a.D. Schnell

Die Angeklagten des aktuellen Verfahrens gehen nicht nur auf die Straße. Sie haben auch Anzeige erstattet gegen Dr. Jürgen Schnell, Generalleutnant a.D. und Ex-Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr. Er war zuständig für die "innere Führung der Bundeswehr". Heute ist Schnell Professor an der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften der Münchener Universität der Bundeswehr und befasst sich "mit Fragen von Effizienz und Produktivität des Kriegs- und Tötungshandwerks" - so eine gegen ihn erstattete Anzeige vom 25. Oktober, die der NRHZ vorliegt.

Angesichts der aktuellen Vorfälle schiebt die Bundeswehr alles gern auf eine mangels Geld ungenügende Ausbildung. Genau für "Erziehungsrichtlinien" in der Bundeswehr war Schnell in seiner aktiven Zeit zuständig. In der Anzeige wird ihm unter anderem vorgeworfen: "...Die Gefährlichkeit von Schnell's Einstellungen beruht nicht etwa darin, dass er Vergewaltigung, Raub und Mord direkt propagiert hätte... Seine besondere Gefährlichkeit für die Grundprinzipien einer demokratischen Rechtsordnung, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit der Bürger und die sittlichen Prinzipien eines demokratischen Gemeinwesens schützen will, beruht darin, dass er die gewaltsamen Triebkräfte 'ganzheitlich' als vorgebliche 'Natur des Menschen' und zugleich militärische Ressource in die Dynamik der kriegerischen Gewalt und des Tötens entfesselt sehen will." Und weiter: "Vom Standpunkt einer zivilen Strafjustiz aus und nach den vom internationalen Gerichtshof aufgestellten Prinzipien sind die eigentlichen Urheber diejenigen, die mit den Vorstellungen Schnell's ... innere Führung betreiben." Ein weiteres Schnell-Zitat in der Anzeige: "Der Ruhm des Einzelnen, Gewinn und Beute, die sich jeder Söldner (Anm: bis 1648) unmittelbar auf Kosten der Zivilbevölkerung verschaffte, werden nun wieder an Bedeutung gewinnen, nicht nur als zufällige Belohnung, sondern als legitime Kriegsziele."

Angeklagte sehen Vorbereitung zu Angriffskriegen

Gleichzeitig denkt die schwarz-rosa Bundesregierung darüber nach, unsere Verfassung zu verändern - offenbar um Einsätze vergleichbarer Art zu legitimieren, wenn es um die Verteilung von Ressourcen in der Welt geht. Hinzu kommt, dass die Bundeswehr mit derart ausgebildeten Offizieren auch noch im Lande selbst eingesetzt werden soll, wenn es nach  Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) geht. Die Angeklagten sehen dadurch den Verdacht der Vorbereitung eines Angriffskriegs nach § 80 StGB und weiterer Delikte begründet und haben deshalb ihre Anzeige erstattet. Zunächst einmal müssen sie sich selber wehren, weil sie Transparente und Trillerpfeifen gegen diese "neue Rolle" der Bundeswehr eingesetzt haben.

Krieg als Mittel zum Sozialraub
Krieg als Mittel zum Sozialraub
Foto: Hans-Dieter Hey



Weil die Gerichtsdiener des Landgerichts einem Teil der Besucher durch massiven körperlichen Einsatz den Zutritt an der öffentlichen Verhandlung verweigerten, und sich vorübergehend damit zu den "Herren des Verfahrens" machten, musste die Verhandlung unterbrochen werden - nachdem die äußerst souveräne Richterin zunächst einverständlich mit dem Staatsanwalt "wegen des besonderen öffentlichen Interesses" etwa 80 Teilnehmer eingelassen hatte, obwohl nur 50 Sitzplätze vorhanden waren. Am Ende wurde die Situation sehr unübersichtlich, bekam aber einen gewissen Unterhaltungswert, als einer der Saalschützer der Richterin drohte, seinen Job als Justizvollzugsbeamter hinzuschmeissen, wenn sie nicht sofort die Saalordnung wiederherstellen lasse. Die Richterin entschied schließlich, beide Prozesse auf Donnerstag, den 23. November ab 9 Uhr im größten Saal 210 des Amtsgerichts zu vertagen. Die Angeklagten waren begeistert über so viel Entgegenkommen.

Die NRHZ wird weiter über das Verfahren berichten. Rundschau und Stadt-Anzeiger online fanden am Tag danach den Prozess nicht erwähnenswert.

Hierzu auch der Filmclip "Kurt Tucholsky" in dieser NRhZ-Ausgabe und der Beitrag "Krieg und Gender" Folge 3




Online-Flyer Nr. 68  vom 31.10.2006

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