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Aktueller Online-Flyer vom 02. November 2024  

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WERNER RÜGEMER ::: 30 Jahre BIKO ::: Aufbau Ost?
Von Arbeiterfotografie



https://www.youtube.com/watch?v=U91kNo1h3XYU91kNo1h3XY

"Aufbau Ost" oder Bereicherung West? Bemerkenswertes von Dr. Werner Rügemer zum 30jährigen Bestehen der Bürger- und Wählerinitiative BIKO (gegen unsoziale Kommunalabgaben) in Ostelbien zum Vereinigungskrimi "Blühende Landschaften":

Liebe Mitglieder und Freunde der Bürgerinitiative BIKO, ich beglückwünsche Euch, dass Ihr vor dreißig Jahren die BIKO gegründet habt und dass Ihr die drei Jahrzehnte bis heute durchgehalten habt und auch weiterarbeiten wollt! Das ist großartig, vorbildlich und das brauchen wir in diesem Staat, und auch heute und in Zukunft! Nach der Vereinigung wollten bundesdeutsche Berater, Unternehmer und ihre christlich lackierten Politiker ihr Modell noch übersteigert in den Osten übertragen. Sie konnten sich auf die populistische Prophezeiung des CDU-Bundeskanzlers Kohl berufen, hier „blühende Landschaften“ zu errichten.

In Sachsen ging das mit dem neuen kleinen König, dem CDU-Regierungschef Kurt Biedenkopf besonders aggressiv zu, auch in der kommunalen Wasser- und Abwasserwirtschaft. So wurde der Gemeindeverbund Beilrode-Arzberg in Ostelbien mit seinen 8.100 Einwohnern in den weit verstreuten 30 Ortsteilen mit überdimensionierten neuen Anlagen überzogen: über zweihundert Kilometer Leitungen wurden verlegt, über Berg und Tal, deshalb anfangs auch störanfällige 240 Pumpen auf den Anhöhen – und auch die Kläranlage für Arzberg wurde oben auf einem Berg errichtet: was für ein teurer Irrsinn!

Hauseigentümer sollten bis zu 100.000 DM Anschlussgebühren bezahlen – das war mehr als der Wert ihres Hauses. Die Wasser- und Abwassergebühren wurden erhöht. Die Arbeitslosigkeit stieg. Einwohner wanderten ab. 1994 begann die Bürgerinitiative Ostelbien gegen unsoziale Kommunalabgaben BIKO den Widerstand. Er war breit und wirkte. Da versprach die Biedenkopf-Regierung eine neue, gesteigerte Heilung. Sie bestand in dem Dortmunder Investor VIA: Er sollte den ZV übernehmen, kaufen.

So sammelte VIA bei 400 Bestverdienern 50 Millionen DM ein. Es waren auch ein paar Kleinanleger aus Sachsen dabei, zum Beispiel mit 20.000 DM ein  Betriebswirt aus Dresden. Aber das große Geld kam aus Westdeutschland: Unternehmer, Professoren, Ingenieure, Apotheker, Zahnärzte aus Hamburg, Düsseldorf, Bochum, Duisburg, Bayreuth und Baden-Baden zahlten meist zwischen 200.000 und 300.000 DM ein, einige bis zweieinhalb Millionen.

Der größte Anleger war Hans-Bernd Wesselmann aus Bochum: Er zahlte 10 Millionen ein. Er hatte ein Werbeunternehmen mit 8.000 Autos, die mit transportablen Werbeflächen für Supermärkte warben – aber auch für alle Wahlkämpfe der Kohl-CDU, für Kommunalwahlen im Ruhrgebiet, für Landtags-, Bundestags- und Europawahlen. Ein Großfoto, das Wesselmann in ganz Deutschland herumfahren ließ, zeigte den lachenden CDU-Kanzler Kohl inmitten einer staunenden Menschenmenge.

Diese Millionäre bekamen eine jährliche Rendite von 4 Prozent versprochen, dazu 20 Jahre lang eine jährliche Steuerersparnis, und danach noch eine Leibrente. Hinzu kam der Gewinn der VIA von jährlich 14,9 Prozent. Als Einwerber der Einlagen waren die zwei CDU-Politiker Hans-Werner Schmöle und Manfred Heinemann beauftragt: Sie kassierten für jeden geworbenen Anleger eine Kommission. Und zur Beförderung des Vertrags spendete VIA der CDU in Sachsen 25.000 DM. Und den Vertrag schrieb der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Paziorek, von Beruf Rechtsanwalt, gegen ein ungenanntes Honorar.

So kaufte 1994 VIA alle Anlagen des ZV Beilrode-Arzberg. Für 20 Jahre, bis 2014, sollte VIA die Geschäfte leiten. Aber VIA hatte dafür keine Zeit. Deshalb beauftragte Biedenkopf den pensionierten westdeutschen Bürgermeister Bruno Hailer, den ZV anzuleiten. Und Hailer – bald ironisch „Wunder-Heiler“ genannt - hatte auch keine Zeit, war nicht vor Ort: Aber er bereicherte das Spektrum der Korruption und kassierte in drei Jahren Abwesenheit eine dreiviertel Million DM Honorar, aus der Kasse des Zweckverbands.  

Die BIKO gründete sich ab 1999 auch als Wählervereinigung und ist seitdem in den Gemeinderäten von Beilrode und Arzberg vertreten, damit auch in der ZV-Versammlung. 2024 trat die BIKO zum sechsten Mal bei der Kommunalwahl an. Die BIKO kämpfte vor Gericht, in den Gemeinderäten, in der ZV-Versammlung.

Die sächsischen Medien waren aufgekauft von Springer, Madsack, Bertelsmann mit jeweils noch einer Beteiligung der SPD-Medienholding, so die Leipziger Volkszeitung und die Sächsische Zeitung: Sie brachten nix zum Konflikt in Ostelbien. Zwar durfte die Torgauer Zeitung, die kleine Regionalzeitung der Leipziger, objektiv berichten, aber davon erfuhr man sonst in Sachsen nichts. Und als die Torgauer Zeitung zuviel über die BIKO berichtete, wurde der zuständige Redakteur Uwe Gutzeit abberufen.

Die BIKO wurde von der PDS und dann Die Linke unterstützt. Die Umweltsprecherin Andrea Roth organisierte im Plenarsaal des sächsichen Landtags halbjährliche Treffen der paar Dutzend Bürgerinitiativen, die sich in ganz Sachsen gegen die teure Wasser- und Abwasserpolitik wehrten. Ich durfte sie beraten, daraus entstanden die Dokumentationen „Die zweigeschossige Streuobstwiese“ und „Wenn der Privatisierer kommt“: Sie kamen in Zehntausender-Auflagen unters Volks. Der Widerstand in Sachsen war breit.

Mit der gewinngierigen VIA wurde aber alles noch schlechter und teurer. Der selbstherrliche neue klein-große „König der Sachsen“ handelte gegen Recht und Gesetz. Die PDS mit Andrea Roth setzte mit der SPD im Landtag eine Parlamentarische Untersuchungskommission durch. Da stotterte  Biedenkopf bei seiner Vernehmung vor sich hin und wollte nichts gewußt und nichts gewollt haben. Aber seine Regierung zermürbte sehr gezielt, auch mithilfe einer parteipolitisch besetzten Justiz, die vielen Bürger, die mit ihren Bürgerinitiativen wie die BIKO im Bereich Wasser und Abwasser sehr aktiv waren.

Die VIA-Privatisierung mußte rückabgewickelt werden. Der ZV musste die Anlagen teuer zurückkaufen – einschließlich der von VIA seinen Anlegern versprochenen Gewinne. Der Kaufpreis wurde aufgebracht aus den kaum vorhandenen Eigenmitteln des ZV, dann mithilfe staatlicher Kredite, Zinsübernahmen und Zuschüsse. Und wieviel hat das  insgesamt gekostet?

Erstens für die Bürger direkt vor Ort die erhöhten Gebühren und erhöhten Beiträge der angeschlossenen Gemeinden,
Zweitens für den ZV die Abzahlung von 8 Millionen an Fördermitteln, die dreijährige Zahlung der 6,5 Prozent Zinsen für den Rückkauf der Anlagen, das Honorar für den korrupten „Wunder-Heiler“,
Drittens für den ZV die vielen Gerichts- und Anwaltskosten,
Viertens für den sächsischen Staat die direkten Zuschüsse und die Kredite an den Zweckverband für die Rückabwicklung der VIA-Privatisierung: vielleicht 40 Millionen, oder mehr?
Fünftens: Für den deutschen Staat die Steuernachlässe der 350 westdeutschen Bestverdiener und Mehrfach-Millionäre: Das dürften vielleicht 50 Millionen gewesen sein, oder mehr? Wir werden es nie erfahren: Das bleibt großes, christlich übertünchtes Steuer- und Staatsgeheimnis.

Noch Anfang dieses Jahres 2024 wurde nach jahrelangem Gerichtsverfahren die Klage der VIA abgewiesen, die noch Umsatzsteuer ersetzt haben wollte, die sie gar nicht bezahlt hatte. Das Urteil war wieder ein Erfolg für den ZV, aber 100.000 Euro Gerichtskosten muss er zahlen.

Hier in Ostelbien reichen die teuren Folgen noch weit in die Zukunft. Das marode Leitungssystem zeigte sich beim Rohrbruch im Herbst 2023, bei dem Felder überschwemmt und Ernten vernichtet wurden. Die Leitungen wurden vor 30 Jahren eilig verlegt, vielfach ohne sachgemäße Verdichtung des umgebenden Erdreichs. Sowieso wäre in diesem Gebiet mit den weit auseinander liegenden 30 kleinen Orten ein dezentrales System ungleich besser gewesen, wegen der Kosten, wegen der Umwelt und auch des Energieaufwands.

Weil der Zweckverband auch deshalb keine eigenen Wasserquellen hat, muss das Wasser bisher von weither importiert werden, mithilfe eines Dükers, der aufwendig und reparaturanfällig unter der Elbe durchgeführt wird. Deshalb wäre ein Ersatzdüker notwendig: Für den hat aber der grüne Umweltminister Sachsens die Unterstützung abgelehnt. Man schwafelt dort lieber vom „weltweiten Klimawandel“.

Es ging also auch in Ostelbien nicht um den „Aufbau Ost“, sondern um die „Bereicherung West“. Es ging nicht um die gute Wasser-Versorgung und Abwasser-Entsorgung in Ostelbien, sondern um Gewinn-Versorgung und Steuer-Entsorgung von Millionären und Bestverdienern in Bochum, Düsseldorf, Hamburg, Bayreuth und Baden-Baden.

Es gibt also auch weiterhin genug zu tun. Aus der Verarmung in Sachsen, in Ostdeutschland und eben auch hier in Ostelbien ist ein neuer Aufbruch notwendig, auch ganz konkret vor Ort. Auch Umweltfreundlichkeit sieht anders aus. Das bewies etwa Igor Rogasch, der auch im BIKO-Vorstand ist: Er schaffte auf eigene Initiative in Katewitz eine dezentrale Lösung. Auch Euer Bürgerbus ist eine solche notwendige Selbstorganisation. Und durch die jetzigen Wahldämpfer für CDU&Co. sollte die bessere, bisher verhinderte Zusammenarbeit von Sachsen mit dem benachbarten Brandenburg möglich werden, auch für die Wasserkooperation zugunsten von Ostelbien.

Ich wünsche der BIKO von ganzem Herzen viel Kraft für die weitere Arbeit, breite Unterstützung und Glück!

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Online-Flyer Nr. 836  vom 02. November 2024



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