NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 09. November 2024  

zurück  
Druckversion

Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Widerstand – Oder wie man dem Gewissen folgt
Von Evelyn Hecht-Galinski

Es war schon makaber, als am 20. Juli anlässlich des 80. Jahrestags des (missglückten) Attentats auf Hitler dazu aufgerufen wurde (Scholz), die Demokratie zu verteidigen. Während des feierlichen Gelöbnisses von etwa 400 Frauen und Männern bekennen sie sich zum Widerstand gegen den Tyrannen. Sie wollen nicht in der Tradition der Wehrmacht stehen, bei der Offiziere und Generäle dem „Führer“ in überwältigender Mehrzahl bis zum Untergang die Treue hielten. So gut und so schön. Aber ketzerisch angemerkt: nachdem Deutschland nur 79 Jahre nach Kriegsende und Kapitulation wieder – diesmal eingebettet in den Schoss der US-geführten NATO seinen „Führungsanspruch“ weltweit bekräftigt und „Kriegsminister Pistorius den Deutschen mehr „Kriegstüchtigkeit“ abverlangt – wird Deutschland immer mehr zu einer Kriegspartei und Kriegswirtschaft.

Das ist eklig, Kanzler Scholz!

Am Rande des NATO-Gipfels verkündeten Weißes Haus und Bundesregierung gemeinsam, dass die USA ab 2026 wieder Waffensysteme in Deutschland stationieren wollen, die weit bis nach Russland reichen. Darunter sind Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von bis zu 2500 Kilometern, die auch nuklear bestückt werden können, dazu noch Luftabwehrraketen vom Typ SM-6 und neue Hyperschallwaffen. Alles einfach erklärt von Kanzler Scholz vor der Bundespressekonferenz bei seinem Auftritt am 24. Juli, als „Wirkmittel“, die der Abschreckung gegen Russland dienen sollen. Frei nach dem Motto: „Der Russe steht vor der Tür“. Während er die Idee der eigenen Atom-Aufrüstung „für völlig absurd hält“. Was für ein „Unterschied“ in der Wirkung!

Als es bei dieser Pressekonferenz zum Thema Nahost kam, da „scholzte“ der Kanzler in gewohnter und furchtbarer Weise. Man habe innen- und außenpolitisch viel geleistet und alles richtig gemacht, und man werde weitermachen mit der großen Unterstützung der Ukraine und im Umgang mit Israel. So hatte ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs für Israel zwar nicht bindend aber durchaus wirksam festgestellt, dass die Besatzung des Westjordanlands und von Ost-Jerusalem illegal ist.

Scholz bekräftigte die deutsche Position der „Zweistaatenlösung“ die Frieden schaffe. Als Scholz nach den Konsequenzen, die Deutschland nach dem völkerrechtswidrigen Verhalten zieht, gefragt wurde, gerade im Blick auf die andauernden Waffenlieferungen an Israel, sowie dem Bezug „israelischer“ Waren aus den illegal besetzten Siedlungen im Westjordanland, da wurde er „empörend“ deutlich: Weder gebe es eine Entscheidung, keine Waffen an Israel zu liefern, noch werde er unter seiner Regierung einen Boykott von Gütern, Dienstleistungen und Waren unterstützen und ehrlicherweise finde er diese Forderung auch „eklig“. Scholz und seine „Friedensperspektive“ sind in Anbetracht der sich unter dem israelischen rechtsextremistischen Regime wie Krakenarme ausbildenden illegalen Siedlungen (alle Siedlungen sind illegal) völlig irrational. Auch die Netanjahu-Rede vor dem US-Kongress wird Scholz kaum zum Nachdenken anregen. Der „Zeitenwende“-Kanzler und die deutsche Haltung für einen völkermordenden „jüdischen Staat“ bleiben „Staatsräson“ für Scholz. Das ist eklig, Kanzler Scholz!

Das ist keine zivilisierte Welt, Herr Netanjahu!

Der Generalsekretär der Palästinensischen Nationalen Initiative Mustafa Barghouti drückte es schön aus: Netanjahus Behauptung, er vertrete eine zivilisierte Welt, sei eine Lüge. Er vertrete die Islamophobie. Wenn er seine Kriegsverbrechen wie den Völkermord in Gaza als kollektive Bestrafung bezeichne und die ethnische Säuberung als „Zivilisation“ rühme, dann sei das in Wirklichkeit eine Erniedrigung, die in der Ermordung von 48.000 Palästinensern in Gaza zum Ausdruck komme. Tragische Folge auch für die Kinder: 17.000 Kinder sind getötet worden, und 1.200 haben Amputationen erlitten. Tatsächlich blockiert die Bundesregierung medizinische Hilfe für Kinder, die im Gaza Krieg verletzt wurden – im Gegensatz zu anderen Staaten, als jetzt zum ersten Mal 16 verletzte Kinder samt Familienangehöriger unter EU-Finanzierung und -Koordination in Spanien auf verschiedene Krankenhäuser im Land verteilt wurden. Wenn es um die Ukraine geht, ist Deutschland dagegen mehr als „großherzig“ in der Aufnahme. Schließlich ist Putin ein „Kriegsverbrecher“ und Netanjahu ein „Selbstverteidiger“. (1)(2)(3)

Während also der gesuchte Kriegsverbrecher Netanjahu vor der Hälfte der Kongressabgeordneten (die andere Hälfte hatte geschwänzt) seine völkermörderischen Aktionen im Gazastreifen verteidigte und versprach, den Angriff fortzusetzen, bis der „totale Sieg“ erreicht sei, protestierten Tausende Demonstranten in Washington auf der Straße – darunter auch hunderte von Juden, die sich dagegen auflehnten, dass ihre Regierung den Völkermord mitfinanziert. Netanjahu beschimpfte sie als „nützliche Idioten“ des Iran. (4)(5)(6)

In Deutschland werden seit dem 7. Oktober immer mehr Proteste und Organisationen verboten, Protestierende zu „Terroristen“ erklärt, finden verstärkt Razzien mit massiven Repressalien statt, kommt es verstärkt zur Unterdrückung palästinensischer und israelkritischer Stimmen: Raumkündigungen, Einreiseverbote, Konto-Kündigung bei der Jüdischen Stimme, Palästina-Konferenz-Verbot, Verbot der Palästina-Solidarität Duisburg Verbot (siehe dazu die Solidaritätsnote unten im Anhang),... Soweit als kleine Auswahl. (7)(8)(9)

Das macht mich fassungslos, Frau Faeser!

Was ich aber am Morgen des 24. Juli um 6:00 in den Nachrichten hörte, machte mich fassungslos. „Endlich“ nachdem „Faeser zweimal geklingelt“ hatte, war sie dem lang gehegten Wunsch aller im Bundestag vertretenen Parteien nachgekommen und hatte das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) zusammen mit fünf zugeordneten Organisationen in Teilen der BRD verboten. In acht Bundesländern wurden 53 Objekte der Organisation durchsucht. Dabei handelte es sich um vier Moscheen, die im Zuge des Verbots geschlossen wurden. Es traf Vereinsräume, Privatwohnungen und Bankkonten. Das Islamische Zentrum und die berühmte Blaue Moschee (Imam Ali Moschee) sind ein wunderbares Kulturdenkmal und Schmuckstück für Hamburg. Nach dem rechtsextremen und islamophoben Compact-Magazin traf es jetzt also schiitische Zentren und Organisationen. Allerdings unterlief laut verschiedener Medien im Jagd- und „Schließungseifer“ Faesers „Jägern“ ein peinlicher Fehler: anstatt den youtube-Kanal des (IZH) zu schließen, traf es den Kanal der französischen Luxusmarke Chanel, was natürlich schnell korrigiert wurde, aber hoffentlich nicht ohne Folgen für die Staatsgewalt bleibt. (8)

Forderungen nach einem Verbot gab es schon seit längerem, an vorderster Front, wie nicht anders zu erwarten, im April vom Zentralrat der Juden. Das Islamische Zentrum Hamburg steht laut Bundesamt für Verfassungsschutz dem autoritären Regime im Iran nahe. Es sei „neben der Botschaft“ die wichtigste Vertretung der Islamischen Republik in Deutschland und ein bedeutendes Propagandazentrum Irans in Europa. Wie nicht anders zu erwarten gab es eine breite Zustimmung zum Verbot. Für mich natürlich besonders erwähnenswert ist der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster. Er nannte das Verbot konsequent. Das Mullah-Regime des Irans und seine Unterstützer seien weltweit in Stellung. Aggressiver Antisemitismus sei ein Kernelement der Ideologie. Deutschland müsse alles dafür tun, dass dieser Hass keine Verbreitung finde. Ich empfehle zu diesem Thema „Hass“ unbedingt die Lektüre des vom Zentralrat der Juden herausgegebenen Propagandablatts „Jüdische Allgemeine“. Zum Teil reichen schon die Titel!

Dazu hätte ich ein paar Fragen. Interessant, dass gerade das „Sprachrohr“ und Zweitvertretung in Deutschland das Verbot forderte. Muss nicht die Frage erlaubt sein, wie es denn aussieht, wenn israelische Hasspropaganda in Deutschland gepredigt und verbreitet wird? Ist es nicht mehr als gefährlich, wenn aufgrund unserer „besonderen“ Beziehungen alles, was von offizieller jüdischer Seite kommt, positiv bewertet wird, Verbreitung von Hasbara-Propaganda und Staatsterrorismus als „Selbstverteidigung“ unterstützt wird? Während weltweit jüdische Bürger gegen dieses völkermordende zionistische Regime protestieren, lässt die deutsche Politik schlimme Doppelstandards walten. Als ich 2012 schrieb „Israel darf alles“, war das vorausdenkend, aber was sich daraus entwickelte, ist selbst für mich unfassbar und erinnert mich an Erzählungen meines Vaters, als er die Ereignisse nach der Machtergreifung der Nazis schilderte. Ich möchte hier nichts gleichsetzen, aber sehr wohl vergleichen. Der von mir geschätzte Knut Mellenthin schrieb in der Jungen Welt zwei sehr lesenswerte Artikel zu dem „Verbotswahn“ und „Faesers Schüssen ins Blaue“. Mellenthin stellt genau die richtigen Fragen! Unbedingt lesen. (9)(10)

Ich schweige nicht!

Was heute schiitische „Iran-Unterstützer“, „Russland-Unterstützer“ und „Palästina-Unterstützer“ trifft, wirft die Frage auf: wer wird der Nächste sein?

Ich hoffe sehr, dass viele denkende Bürger sich fragen, ob sich dieses Vorgehen, wie es hier gegen das IZH geschah, nur ein Vorgeschmack auf kommende politische Vorgehensweisen darstellt und dieses Handeln nur infolge mehr als fragwürdiger Gesetzesverschärfungen möglich ist – unter Missachtung des Grundgesetzes. Diese Willkür nimmt mittlerweile erschreckende Dimensionen an. Bei wem wird Frau Faeser als nächstes 2mal klingeln?

Mein Fazit: immer seinem Gewissen folgen und Widerstand gegen Willkür leisten – in Gedenken an meinen Vater Heinz Galinski, der am 19. Juli 1992 verstarb und der sagte „Ich habe Auschwitz nicht überlebt um zu neuem Unrecht zu schweigen“. Ich schweige nicht!

„Als die Nazis die Kommunisten holten…“

Viel zitiert, oft abgewandelt, manchmal missbraucht, immer noch aktuell das berühmte Zitat Martin Niemöllers:

Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.


Fußnoten:

1 https://www.middleeastmonitor.com/20240724-palestinian-leader-says-netanyahus-claim-about-civilization-is-degradation-seen-in-killing-of-48000-palestinians-in-gaza/
2 https://www.fr.de/politik/deutschland-verhindert-hilfe-fuer-verletzte-kinder-93203127.html
2 https://de.euronews.com/my-europe/2024/07/25/sechzehn-kinder-aus-dem-gazastreifen-werden-medizinisch-in-die-eu-evakuiert-und-hunderte-w
3 https://mondoweiss.net/2024/07/wanted-war-criminal-benjamin-netanyahu-addresses-congress/
4 https://www.middleeasteye.net/news/jewish-americans-fractured-over-netanyahus-us-visit
5 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/medizinische-versorgung-der-menschen-aus-ukraine
6 https://untoldmag.org/no-country-for-palestinians-a-chronicle-of-suppression-and-resistance-in-germany/
7 https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/auslandsbezogener-extremismus/samidoun.html
8 https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/fehler-korrigiert-faeser-sperrte-versehentlich-youtube-kanal-von-chanel-statt-von-islamischem-zentrum-12080822.html
9 https://www.jungewelt.de/artikel/480216.im-verbotswahn.html
10 https://www.jungewelt.de/artikel/480181.staat-und-islam-faeser-schie%C3%9Ft-ins-blaue.html


Anhang: Solidaritätserklärung von Evelyn Hecht-Galinski anläßlöich des Verbots der "Palästina Solidarität Duisburg" (PSDU), 25. Juli 2024

Ich möchte meine uneingeschränkte Solidarität mit der Initiative in Duisburg unterstreichen. Wir verfolgen die gleichen Ziele! In Zeiten von israelischen Massakern und einem Völkermord in Gaza ist es unsere Pflicht, unsere Stimmen zu erheben. Seit dem 7. Oktober 2023 versucht man uns verstärkt mit Repressalien zum Schweigen zu bringen. Mit neuen Gesetzgebungen und immer neuen Antisemitismus-Anschuldigungen versucht man pro-palästinensische Organisationen, Proteste, Demonstrationen und Konferenzen zu verbieten und zu verhindern. Da wird auch kein Halt gemacht vor jüdischen Bürgern, wenn diese sich weigern, den israelischen kolonialistischen Apartheidstaat zu unterstützen, im Kampf um ein freies Palästina. Wir solidarisieren uns mit den palästinensischen Opfern des Völkermords in Gaza! Der Versuch, uns zum Schweigen zu bringen, kann nicht gelingen, wenn wir standhaft bleiben und uns zusammen für einen Staat im freien Palästina einsetzen. Die Wahrheit ist nicht zum Schweigen zu bringen.

Quelle: https://www.psdu-verbot.info/blog/solidarittserklrung-von-evelyn-hecht-galinski


Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom “Hochblauen”, dem 1165 m hohen “Hausberg” im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch “Das elfte Gebot: Israel darf alles” heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten “Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik” ausgezeichnet.

Online-Flyer Nr. 833  vom 26.07.2024

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE