NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 07. Mai 2024  

zurück  
Druckversion

Literatur
Ekkehard Lieberam: Hundert Jahre Faschismusdebatte
Ekkehard Lieberam setzt Meilenstein
Buchbesprechung von Rudolph Bauer

Während der Faschismus heute in anderer Gestalt, zum Beispiel maskiert und antiviral, aber menschenverachtend wie immer wiederkehrt, erinnert Ekkehard Lieberam uns, die Zeitgenossen und -genossinnen, an „100 Jahre Faschismusdebatte“. Der Verlag begründet den weitgehend historischen Rückblick damit, dass die öffentliche Debatte in politischer Verwirrung darüber sich erschöpfe, „was faschistisch oder antifaschistisch und demokratisch ist“. Angesichts dessen, dass aktuell „das durcheinandergewirbelte politische Koordinatensystem“ die Klärung politischer Begriffe für sinnvoll erscheinen lässt, nimmt die beim pad-Verlag veröffentlichte Broschüre von knapp hundert Seiten einen wichtigen Platz ein bei der Erörterung eines Terminus, der in der Gegenwart kaum positiv besetzt ist. Zu beobachten ist vielmehr ein woker „Antifaschismus“, der seinen totalitären Kern mit pubertierenden „Halt’s Maul“-Brüllern und demonstrierenden „Omas gegen rechts“ umgibt.

Lieberams „100 Jahre Faschismusdebatte“ besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil verknüpft der Autor die Analysen aus den 1920er und 1930er Jahren mit der Erörterung der „Faschismusgefahr heute“. Dabei dominieren für mein Verständnis allzu sehr die gängigen Vorstellungen der parlamentarischen Demokratie, wie sie im folgenden Zitat zum Ausdruck kommen:

„Weder in Deutschland noch in den meisten kapitalistischen Ländern will das Monopolkapital die bürgerliche Demokratie beseitigen. Es will diese bürgerliche Demokratie als Herrschaftsform funktionstüchtig halten, nicht zuletzt auch durch den Einbau diktatorischer Elemente. Im Unterschied zu den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts sucht die herrschende Klasse heute keine Rettung im Faschismus, was aber wieder anders werden kann.“ (S. 20)

Ja, was nun? Bis zu welchem Kipppunkt bedeutet der „Einbau diktatorischer Elemente“ keine Gefahr für die Demokratie? Und unter welchen konkret benennbaren Bedingungen kann es „aber wieder anders werden“, obgleich die „herrschende Klasse heute keine Rettung im Faschismus (sieht)“? Der Faschismus heute erscheint – so meine These – in einem „antifaschistischen“ Lügengewand: Wo er sich im NS-Regime als arisch und rassistisch gebärdete, pflegt er heute Diversität, Multikulti und Willkommenskultur. Der Antisemitismus tritt uns als islamophober Philosemitismus gegenüber; die Sicherung jüdischen Lebens ist Staatsräson. Der neuerliche fanatische Hass auf Russland und die kapitalistische Gier auf die russischen Bodenschätze tarnen sich als freiheitsliebende Waffenbrüderschaft an der Seite der Ukraine und im Gefolge der USA.

Die antifaschistische Lieberam-Brille bleibt meines Erachtens im ersten Teil der Broschüre zu sehr einem statischen Faschismusverständnis verhaftet … als würden wir uns in der Zeit vor 1933 befinden und nicht 90 Jahre später, nämlich u. a. in einer Welt US-gesteuerter Konzerne, einer digitalen Unterhaltungs- und Einschläferungsindustrie sowie unter dem Diktat der neokolonialen Globalisierung. Der Schwab’sche Great Reset des World Economic Forum und die World Health Organisation, der Wahnsinn des menschenverachtenden sog. Transhumanismus, Biolabore und Biowaffen, Spindoktoren und Think Tanks gelangen bei den Überlegungen des Autors nicht in das Blickfeld der Kritik des (Neo-)Faschismus der soften Prägung.

Sheldon S. Wolin‘s (auch auf die Bundesrepublik anwendbare) Analyse der Machtverhältnisse in den USA – auf Deutsch veröffentlicht unter dem Titel „Umgekehrter Totalitarismus“ (Frankfurt/Main 2022)– findet bei Lieberam leider (noch) keine Beachtung.

Okay. Man muss Lieberams tendenziell rückwärtsgewandtes Faschismusverständnis insoweit entschuldigen, als es ihm vor allem darum geht, an die klassische linke Faschismusdebatte anzuknüpfen, also den theoriegeschichtlichen Boden aufzubereiten, auf dem die pseudolinke „Antifa“ der Halt’s-Maul-Brüller und „Omas gegen rechts“ keinen sicheren Halt findet. Das ist verdienstvoll, lobens- und anerkennenswert. Aber dabei sollte es wahrlich nicht bleiben; die Welt entwickelt sich, der Faschismus (leider!) ebenso.

Im zweiten Teil gibt die Broschüre – jeweils mit nützlicher Quellenangabe – Analysen und Positionen wieder, die in den 1920er und 1930er Jahren entstanden sind; ferner faschismustheoretische Konzepte der Nachkriegszeit in der BRD sowie bei marxistischen Wissenschaftlern; nicht zuletzt Einschätzungen über Demokratie und Faschismusgefahr nach 1945. Eine Brücke zur Gegenwart schlägt die Schlussabteilung „‘Antifaschismus‘ und Faschismus im Ukraine-Krieg“.

Ich resümiere: Die Broschüre „100 Jahre Faschismusdebatte“ ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg von den Anfängen der Faschismusanalyse hin zu einem Faschismusverständnis, das nicht rückwärtsgewandt, sondern offen ist für die aktuellen und sich abzeichnenden Entwicklungen und Methoden menschenverachtender Politik. Die zukünftigen Arbeiten zum Faschismus 2.0 werden auf Lieberams Steinbrucharbeit sicher mit Dankbarkeit zurückgreifen.


Ekkehard Lieberam: Hundert Jahre Faschismusdebatte



pad-Veröag, Bergkamen 2023, Schriftenreihe des Forum Gesellschaft und Politik e.V., ISBN 978-3-88515-361-0, 6 Euro, Bestellen per eMail hier: pad-verlag@gmx.net


Online-Flyer Nr. 823  vom 27.12.2023

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE