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Aktueller Online-Flyer vom 10. Mai 2024  

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Pressemitteilung zum Strafbefehl gegen den Absender von Post an Michael Ballweg
Post-Covid-„Majestätsbeleidigung“: Eine Stuttgarter Justizposse?
Von Rudolph Bauer

Es ist ein erschreckend symptomatischer Vorgang, der mit einem Strafbefehl gegen den Absender von Post an Michael Ballweg zu Tage tritt. Es geht um Post, die unter Ausschaltung des Briefgeheimnisses beschlagnahmt, kontrolliert und dem Untersuchungshäftling Michael Ballweg nicht zugestellt worden ist. Sie enthält eine Montage, die sich mit Gesundheitsprivatisierer Lauterbach befasst. In der Pressemitteilung heißt es dazu: "Mit meiner Bildmontage, die seitens des Amtsgerichts als 'Missachtung' und als beleidigend gewertet wird, verbindet sich nicht die Absicht, Lauterbach als Privatperson zu beleidigen. Die Intention meiner Kritik ist es, ihn in seiner öffentlichen Funktion an den Pranger zu stellen: als SPD-Bundestagsabgeordneten, der sich in zahlreichen Talkshows und Interviews apodiktisch zur zwingenden Notwendigkeit von Masken und Impfungen geäußert hat, gegenteilige Meinungen missachtet und die Corona-Maßnahmen öffentlichkeitswirksam propagiert hat. Ich habe als wissenschaftlich informierter Bürger das Recht in Anspruch genommen, mit den künstlerischen Mitteln der Bildmontage die Erkenntnis von Parallelentwicklungen in Gegenwart und Vergangenheit provokativ zu verdeutlichen." Die NRhZ dokumentiert die komplette, von Rudolph Bauer verfasste Pressemitteilung.

Zu meiner Person: Rudolph Bauer; Jahrgang 1939; Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie in Erlangen, Frankfurt/Main und Konstanz; Promotion; Vertretungsprofessur an der Universität Gießen; 1972-2002 Professur für Wohlfahrtspolitik und Soziale Dienstleistungen an der Universität Bremen; Auslandsaufenthalte an der Fremdsprachen-Universität Beijing, VR China, und am Institute for Policy Studies der Johns Hopkins University Baltimore/Mass,, USA. Schriftstellerisch und künstlerisch tätig.

I. Der Sachverhalt:

Am 15. Juli 2023 wurde mir an meinem Wohnsitz in Bremen unter Aktenzeichen 15 Cs 314 Js 32955/23 ein Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart zugestellt. Datiert ist der Strafbefehl vom 12. Juli 2023, das Begleitschreiben selbst vom 03. Juli 2023.

II. Die Beschuldigung:

„Sie werden … beschuldigt, einen anderen Menschen beleidigt zu haben.“ (Zitat aus dem Strafbefehl)

III. Die Strafe:

„Gegen Sie wird eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen verhängt. Der Tagessatz wird auf 100,00 EUR festgesetzt. Die Geldstrafe beträgt somit insgesamt 3.000,00 EUR.“ (Zitat aus dem Strafbefehl)

IV. Weitere Strafkosten:

„Sie haben auch die Kosten des Verfahrens und Ihre Auslagen zu tragen.“ (Zitat aus dem Strafbefehl. Die Höhe der Verfahrenskosten ist nicht ersichtlich.)

V. Die Begründung:

„Sie schickten am 07.02.2023 einen Brief an den gesondert verfolgten Michael Ballweg, der sich zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart … [hier folgt die Adresse der JVA] befand. Der Brief enthielt zwei Bände mit zahlreichen Fotomontagen, mit denen Feindbilder aus dem Coronaleugner-/Impfgegner-Milieu bedient wurden. Der Band … [hier folgt ein bibliografischer Nachweis; siehe nachfolgend] enthielt auf S. 12 eine Fotomontage, bei der ein Foto von Prof. Dr. Lauterbach derart verändert worden war, dass zum einen ein Hitlerbart hinzugefügt und zum anderen ein angewinkelter Arm in einer Weise eingefügt worden war, die an die von Adolf Hitler seinerzeit üblicherweise verwendete Erwiderung auf den Hitlergruß erinnert. Hierdurch wollten Sie gegenüber Michael Ballweg ihre Missachtung gegenüber Prof.  Dr. Karl Lauterbach ausdrücken.“ (Zitat aus dem Strafbefehl)

VI. Bibliografischer Nachweis:

Rudolph Bauer, Charakter-Masken. Bildmontagen. Bergkamen: pad-Verlag 2023 (= pad Edition Kunst #2), 84 Seiten. ISBN 978-3-88515-351-8 / Siehe: https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Rudolph-Bauer+Charakter-Masken-Bildmontagen-Edition-Kunst-2/id/A02BzuJl01ZZ9

VII. Der Zusammenhang:

„Da anlässlich des Vollzugs der Untersuchungshaft gegen Michael Ballweg Beschränkungen, insbesondere auch die Überwachung des Schriftverkehrs, angeordnet worden waren, wurde die Fotomontage im Rahmen der Überwachung des Schriftverkehrs von der zuständigen Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft Stuttgart wahrgenommen. Diese verstand die mit der Fotomontage verbundene Kundgabe der Missachtung gegenüber Herrn Prof. Dr. Karl Lauterbach.“ (Zitat aus dem Strafbefehl)

VIII. Weitere Maßnahmen:

„Die Weiterleitung des Briefs wurde in der Folge durch Beschluss … [hier folgen die entsprechenden Angaben] untersagt; der Brief wurde beschlagnahmt.“ (Zitat aus dem Strafbefehl)

IX. Die Überraschung:

Auf wundersame Weise, weil aus mir nicht ersichtlichen Gründen, gelangte der von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Bildmontagen-Band (oder zusammenhanglos die Kopie der betreffenden Bildmontage) aus der Justizvollzugsanstalt Stuttgart an den gegenwärtigen Bundesgesundheitsminister, der gemäß Schreiben des Amtsgerichts wie folgt reagiert haben soll: „Herr Prof. Dr. Lauterbach hat form- und fristgerecht Strafantrag gestellt.“ (Zitat aus dem Strafbefehl)

X. Mein Kommentar:

1. Die mir als Beleidigung zur Last gelegte Bildmontage ist 2023 als Bestandteil einer Broschüre in der Reihe „Edition Kunst“ des pad-Verlags in Bergkamen erschienen.

2. Die Kennzeichnung der Reihe, in welcher mittlerweile fünf verschiedene Ausgaben mit Bildmontagen veröffentlicht wurden, besagt, dass es sich bei dem betreffenden Band um eine Kunst-Edition handelt, für die das Grundrecht der Kunst-, aber auch der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) gilt.

3. Die Broschüre kann käuflich erworben werden. Sie ist im Buchhandel öffentlich erhältlich, in Bibliotheken zugänglich und unterliegt dem Zensurverbot (Art. 5 (1) 3). Falls jedoch Art. 5 (2) GG zutreffen sollte, wäre m. E. durch richterlichen Beschluss die Schwärzung der betreffenden Bildmontage zu verfügen oder – was m. E. unverhältnismäßig wäre – die gesamt Broschüre zu verbieten bzw. einzuziehen. Derlei ist aber nicht der Fall.

4. Die Bezeichnung der Reihe als „Edition Kunst“ macht ebenso wie der Text auf der hinteren Rückseite des Umschlags („Bildmontagen intervenieren bzw. korrigieren und verändern das Bestehende, Faktische – teils kritisch, teils parodistisch, satirisch und karikaturenhaft, teils auf heiter-spielerische Art, in ironischer Verkehrung.“) deutlich, dass es sich bei den Bildmontagen um künstlerische Aussagen handelt. Erinnert sei beispielsweise an die Collagen von John Hartfield, Kurt Schwitters, Hanna Höch, Fritz Roh und George Grosz.

5. Aus dem thematischen Gesamtzusammenhang der Broschüre „Edition Kunst #2“ und ebenfalls aus dem rückwärtigen Covertext ist zu folgern, dass nicht beabsichtigt war und ist, eine persönliche (!) „Missachtung gegenüber Prof. Dr. Karl Lauterbach ausdrücken“ zu wollen: „Die Bildmontagen sollen helfen und anregen, auf anderem Wege einen der vielen überfälligen Beiträge zur Aufarbeitung der Corona-Politik zu leisten.“ (Covertext)

6. Bei der historisierenden Verfremdung des auf der Fotomontage abgebildeten Politikers Lauterbach gelangen Erkenntnisse zur Geltung, die auf geschichtswissenschaftlichen Forschungsergebnissen beruhen und ihren exemplarischen Niederschlag gefunden haben in der Veröffentlichung „Ärzte im Dritten Reich“ von Robert Jay Lifton (Stuttgart: Verlag Klett Cotta 1998). - In meinen eigenen Publikationen zur Kritik der Grundrechte-Aufhebung im Rahmen der politischen Corona-Maßnahmen habe ich aufgezeigt und begründet, dass der Medizin- und Hygiene-Fundamentalismus nicht neu ist, sondern nationalsozialistische Vorläufer hat; siehe: „Die ‚Nazi-Doctors‘. Über Medizin-Fundamentalismus“; in: Rudolph Bauer, Vernunft in Quarantäne. Der Lockdown als Zivilisationsbruch und Politikversagen. Bergkamen 2021, S. 23 ff.

7. Ich wiederhole: Mit meiner Bildmontage, die seitens des Amtsgerichts als „Missachtung“ und als beleidigend gewertet wird, verbindet sich nicht die Absicht, Lauterbach als Privatperson zu beleidigen. Die Intention meiner Kritik ist es, ihn in seiner öffentlichen Funktion an den Pranger zu stellen: als SPD-Bundestagsabgeordneten, der sich in zahlreichen Talkshows und Interviews apodiktisch zur zwingenden Notwendigkeit von Masken und Impfungen geäußert hat, gegenteilige Meinungen missachtet und die Corona-Maßnahmen öffentlichkeitswirksam propagiert hat. Ich habe als wissenschaftlich informierter Bürger das Recht in Anspruch genommen, mit den künstlerischen Mitteln der Bildmontage die Erkenntnis von Parallelentwicklungen in Gegenwart und Vergangenheit provokativ zu verdeutlichen. Um dies zu unterstreichen, habe ich mich jener Stilmittel bedient, die im Urteil als beleidigend gewertet werden.

a. Ganz im Sinne meiner Absicht trägt die Bildmontage auf Seite 12 die Unterschrift „#adolf #lauterbach“. In der Kopfzeile wird, aus der Übersetzung von Philalethes, folgende Passage von Dantes „Göttlicher Komödie“ zitiert: „Sieh dort das Untier mit dem spitzen Schweife, / das Berge übersteigt und Wehr und Mauern / Zertrümmert. Sieh, was alle Welt mit Stank erfüllt.“

8. Die Begründung des Strafbefehls spricht von „Fotomontagen, mit denen Feindbilder aus dem Coronaleugner-/Impfgegner-Milieu bedient wurden“ (wörtliches Zitat). Die Formulierungen „Feindbilder“ und „Milieu“ (man denkt sofort an kriminelles Milieu) lassen eine deutliche Voreingenommenheit der Richterperson erkennen. Der Strafbefehl ergreift Partei, lässt Objektivität vermissen und ist an keiner Stelle von einem „Audiatur et altera pars“ getrübt.

9. Hinzu kommt: Der Strafantrag und der amtsgerichtlich ergangene Strafbefehl sind Folgen eines mir bedenklich erscheinenden Vorgangs: Vorausgegangen ist dem Ganzen nämlich der Bruch des grundrechtlich garantierten Briefgeheimnisses (Art 5 GG). Eine Beschränkung dieses Grundrechts war – wie dem Strafbefehl zu entnehmen ist (mir als Absender aber nicht bekannt war) – infolge der Überwachung des Schriftverkehrs des seinerzeitigen Untersuchungshäftlings Michael Ballweg angeordnet worden. Mir ist nicht ersichtlich, auf welcher rechtlichen Grundlage der Staatsanwaltschaft inhaltliche Interpretationen von einer Art gestattet sind, die das Verfahren und den gegen mich ergangenen Strafbefehl auf dreifache Weise höchst fragwürdig erscheinen lassen:

a. Erstens heißt es, dass durch meine Bildmontagen „Feindbilder aus dem Coronaleugner-/Impfgegner-Milieu bedient wurden“ (Zitat) – eine Behauptung, die vorverurteilt, die sich m. E. nicht um Objektivität bemüht und der es daran gelegen zu sein scheint, selbst eine Art „Feindbild“-Stimmung zu erzeugen, die zu meinen Lasten als den Absender (!) von Gefangenenpost eine strafbare Handlung konstruiert.

b. Zweitens wird mir als Absender der Post an einen U-Haftgefangenen eine Absicht unterstellt, ohne für diese Spekulation einen hinreichenden Grund anzugeben. Zitat: „Hierdurch wollten Sie gegenüber Michael Ballweg ihre Missachtung gegenüber Prof. Dr. Karl Lauterbach ausdrücken.“ Herr Ballweg dürfte m.E. sehr wohl in der Lage sein, sich auch ohne mein Zutun ein eigenes Urteil zu bilden.

c. Drittens: Die höchst fragwürdigen und irreführenden Interpretationen der Staatsanwaltschaft, welche die Post an Ballweg (rechtmäßig?) überwacht hat, wurden an eine Dritte Person (nämlich den derzeitigen Gesundheitsminister Lauterbach) weitergegeben. Offensichtlich wurde dem Gesundheitsminister auch nahegelegt, Strafantrag zu stellen. Ein dubioses Verfahren, bei welchem von einer Gewaltenteilung kaum noch die Rede sei kann. Im Gegenteil: Justiz, Justizvollzug, Staatsanwaltschaft, Ermittlungsbehörden und Politik kollaborierten im vorliegenden Fall zu Lasten eines Bürgers, der an einen nicht verurteilten Untersuchungshäftling, für den immer noch die Unschuldsvermutung spricht, Post geschickt hat.

10. Es ergeben sich noch weitere Fragen, z. B. warum mein Brief „beschlagnahmt“ und nicht an Herrn Ballweg weitergeleitet wurde – auch nicht nach dessen inzwischen erfolgten Entlassung aus der Untersuchungshaft.

Online-Flyer Nr. 815  vom 19.07.2023

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