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Aktueller Online-Flyer vom 29. April 2024  

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Kommentar
Debatte: Stellungnahme zu Ernst Wolffs Artikel "Das Märchen von der multipolaren Welt"
Ergänzung durch global-politische Analyse vonnöten
Von Irene Eckert

"Die Entdollarisierung ist Teil der sich verändernden Wirtschaftsbeziehungen und wurde von den Vereinigten Staaten selbst beschleunigt, als sie ihre privilegierte Position missbraucht und den Dollar für politische Ziele zur Waffe gemacht haben. Heute sehen wir, wie viele Länder beginnen, in ihren nationalen Währungen zu handeln. Ein gewisser Verkauf von Öl an China wird nun in Yuan abgewickelt. Wenn Ölbörsen Barrel in Yuan oder in den Währungen des Mittleren Ostens notieren, dann wird der Anfang vom Ende des Dollars kommen." (Wladimir Putin am 16. Juni 2023 beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg) (1) Warum nun Ernst Wolff darauf besteht, dass China (und Russland) an der „Errichtung einer globalen Diktatur durch die Einführung von digitalen Zentralbankwährungen, englisch: Central Bank Digital Currencies oder CBDCs“ beteiligt seien, ist nicht nachvollziehbar.

Warum sollten die gegenwärtigen Hegemonialmächte daran interessiert sein, diese Staaten mit allen Mitteln zu bekriegen, wenn diese sozusagen „Partner in Crime“ wären. Viel gewichtiger als solche Spekulation aber sind die realwirtschaftlichen (politisch angestrebten) Erfolge der genannten Staaten im Sinne ihrer Bürger, die im Falle Chinas besonders frappierend sind. Die Umgruppierung des Weltgefüges durch die Gründung der von China angestoßenen BRICS-Liaison, der sich gegenwärtig noch 30 Staaten dazugesellen wollen, und der ebenfalls attraktiven Shanghai-Kooperation, sowie die Gründung der Internationalen Entwicklungsbank als Alternative zum IWF sind real beobachtbare Prozesse, die den die NATO beherrschenden Angelsachsen Panik einjagen. Den sich nach Frieden sehnenden Milliarden Erdbewohnern aber können diese Veränderungen Hoffnung vermitteln und damit Mut zum Engagement machen, sofern sie davon Kenntnis haben und über die Bedeutung der Vorgänge aufgeklärt werden. Die Umgruppierung der Kräfteverhältnisse in der Welt stärkt dem Globalen Süden bereits spürbar den Rücken. Afrikanische Staatenlenker wehren sich erstmals gegen den US-Druck. Sie treten mit einer Friedensinitiative in Sachen Ukraine auf den Plan, der von Moskau gewürdigt, von der US-gesteuerten Ukraine aber massiv behindert wird.

Die vor kurzem noch undenkbare Tatsache, dass die Saudis unter Mohammed bin Salman ihre Ölproduktion drosseln und ihren wertvollen Treibstoff demnächst in Yuan handeln werden und dass sie dem BRICS-Verbund beitreten, die Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga, das nicht NATO-konforme Agieren der Türkei unter Erdogan auf der globalen Arena, sein Treffen mit dem syrischen Staatschef Assad, die Verständigung der Saudis mit dem Iran, der in Arbeit befindliche Friedensplan für den Yemen, das alles sind konkrete Ergebnisse einer sich bereits abzeichnenden multipolaren Welt, die eben gerade im Begriff ist, sich der Diktatur des Dollarimperiums zu entziehen. Diese Prozesse brauchen natürlich Zeit, sind aber auch schon im Gange und waren spätestens seit der Enthaltung Russlands und Chinas im Weltsicherheitsrat 2011 zur Einrichtung einer Flugverbotszone in Libyen für jeden Interessierten nachvollziehbar. Das Verhalten Russlands und Chinas, das von vielen als doppeltes „Njet“ zur kriegerischen Intervention gesehen wurde, wurde vom Westen als „Blockadepolitik“ gedeutet.

Wenn nun China und Russland erfolgreich daran arbeiten, den Dollar vom Thron zu stürzen, so ist das gut und nicht schlecht aus friedenspolitischer Sicht. Wenn sie ebenfalls daran arbeiten, mit verschiedenen währungspolitischen Instrumenten zu experimentieren, so mögen sie ihre guten Gründe haben, vielleicht auch auf dem Holzweg sein. „Experten“ aus dem Westen sind in keiner guten Position, diesen Staaten schulmeisterlich zu begegnen und entsprechende Warnungen auszusprechen. Mögen wir auch manche Vorgänge, so etwa die starke Ausbreitung von BlackRock mit Sorge verfolgen, so scheint doch auch hier ein gewisses Vertrauen angebracht, dass die chinesische Staatsführung solchen Kräften die Zügel anlegen wird, wenn sie es für geboten hält, so wie sie es mit der Ausweisung von George Soros und seinesgleichen und der Bändigung des Schwab-Kandidaten Jack Ma bereits getan hat und wie sie es auch mit den von der Ex-Kolonialmacht geschürten Unruhen in Hongkong (und in Tibet und in Xinjiang) schon erfolgreich getan hat. Auch bezüglich Taiwan verhält sich die Zentralregierung mäßigend und zurückhaltend gegenüber den eskalierenden US-Provokationen. Wie auch die russische Diplomatie begegnet sie ruhig und gelassen den abenteuerlichen Eskalationsversuchen des kollektiven Westens. Diese Vertreter der anti-hegemonialen, multipolaren Ordnung wissen die Zeit auf ihrer Seite, daher ihre ruhige Gelassenheit. Und was genau so bedeutend ist, sie vertreten nationale am Gemeinwohl orientierte Interessen, wovon wir im Herrschaftsraum der Hegemonialmächte gegenwärtig nicht einmal träumen dürfen. Wir Bewohner des kollektiven Westens können im Großen und im Kleinen von diesen Nationen viel lernen.

Finanzmärkte und wirtschaftliche Prozesse zu beobachten ist friedenspolitisch von großer Wichtigkeit, muss aber durch geopolitisches Wissen und globale politische Analyse ergänzt werden, sonst landen wir alle miteinander im Aus.

Um ihren Lesern mehr Anregungen in diesem Sinne zu geben, möge die NRhZ künftig auch Beiträge von Autoren wie Pepe Escobar berücksichtigen (2) oder etwa vom US-amerikanischen Libertären Ron Paul zum Niedergang des US-Dollars (3)(4) oder Analysen von Matthew Ehret und Cynthia Chung oder Einschätzungen des linken indischen Autors Vijay Prashad, der vor wenigen Tagen schrieb: „From Bolivia to Sri Lanka, countries fed up with the IMF-driven debt-austerity cycle and bullying by the U.S.-led bloc are beginning to assert their own agendas“ (Von Bolivien bis Sri Lanka beginnen Länder, die den vom IWF betriebenen Schulden-Spar-Zyklus und die Schikanen des von den USA geführten Blocks satt haben, ihre eigene Agenda durchzusetzen) (5).

Am Rande sei vermerkt: Pepe Escobar warnte kürzlich vor der Zunahme anti-chinesischer Psy-ops vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Kriegspläne. Die kanadische Autorin Cynthia Chung hat gerade zusammen mit Alex Krainer den 2. Teil der sehr empfehlenswerten Broschüre „Breaking Free of Anti-China Psy-ops“ (Befreiung von den Anti-China-Psy-ops) herausgebracht.


Fußnoten:

1 Putin auf der Bühne
Bericht über das Internationale Wirtschaftsforum in St. Petersburg von Gilbert Doctorow in der Übersetzung von Andreas Mylaeus, 17.06.2023
https://www.seniora.org/politik-wirtschaft/hoehepunkt-des-internationalen-wirtschaftsforums-von-st-petersburg-putin-auf-der-buehne

2 Die USA werden einen vollständigen hybriden Krieg gegen die BRICS+ führen
Pepe Escobar, 13. Juni 2023
https://freeassange.rtde.life/nordamerika/172561-usa-werden-vollstaendigen-hybriden-krieg-gegen-brics-fuehren/

3 American Currency Collapse Has Already Started as BRICS Nations Prepare to Battle US Dollar (Der Zusammenbruch der amerikanischen Währung hat bereits begonnen, während sich die BRICS-Staaten auf den Kampf gegen den US Dollar vorbereiten)
Ron Paul, 1. Juni 2023
http://infobrics.org/post/38523/

4  Niedergang der US-Währung läuft – BRICS-Länder rüsten sich für Schlacht gegen US-Dollar
RTdeutsch zu Ron Paul, 7. Juni 2023
https://freeassange.rtde.life/international/171965-niedergang-us-waehrung-laeuft-brics/

5 The Emergence of a New Non-Alignment (Das Entstehen einer neuen Blockfreiheit)
The Twenty-Fourth Newsletter, 15. Juni 2023
https://thetricontinental.org/newsletterissue/new-non-alignment/


Artikel, auf den sich die Stellungnahme bezieht:

Zur Debatte um digitale Zentralbankwährungen
Das Märchen von der multipolaren Welt
Von Ernst Wolff
NRhZ 812 vom 31.05.2023
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28646

Online-Flyer Nr. 813  vom 22.06.2023

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