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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Kommentar
Gedanken zur Zeit
Wie steht es um unsere Gesellschaft?
Von Lutz Weber

Die Corona-Epoche wurde mit einer Reihe von Todesfällen eingeläutet. Zwei betrafen gleich zu Beginn das hessische Finanzministerium. Anfang April 2020 wird ein ranghoher Mitarbeiter des Finanzministeriums tot in seinem Büro entdeckt, und nur wenige Tage davor am 28. März wurde der Finanzminister Thomas Schäfer tot an der ICE Strecke aufgefunden. Die FAZ berichtet von einem Abschiedsbrief, in dem Herr Schäfer Bezug auf die Coronakrise und eine aussichtslose finanzielle, wirtschaftliche und Gesellschaftliche Lage in Deutschland nimmt. Mittlerweile hat die FAZ diese Begründung wieder aus dem Netz genommen.

Die Frage um die finanzielle und wirtschaftliche Lage von Deutschland wurde und wird stark thematisiert und steht wie lange nicht mehr im öffentlichen Interesse. Der dritte von Herrn Schäfer angesprochene Punkt ist aber auch von besonderer Bedeutung. Die gesellschaftliche Situation hat sich dramatisch verändert und sollte hier zumindest in Teilbereichen betrachtet werden.

Hannah Arendt sagte, eine Revolution sei für sie erst dann vollständig, wenn danach ein "öffentlicher Raum der Freiheit" errichtet wird, in dem jeder als Gleicher unter Gleichen am politischen Leben teilhaben und die neue Gesellschaft mit gestalten kann.

Wie gut wäre es, eine Frau wie Hannah Arendt an der Spitze einer Regierung zu sehen. Deutschland würde Hannah Ahrend heute sicher wieder Angst machen. Der Debattenraum wurde, nachdem er durch umfangreiche Umbauarbeiten immer weiter verkleinert wurde, irgendwann zwischen 2020 und 2023 komplett geschlossen. Ob in den Staats- und Einheitsmedien oder in der Öffentlichkeit. Sachfragen werden nicht mehr diskutiert, und mit der Beschuldigung, zu dem einen oder anderem Lager zu gehören, wird jede Kritik im Keim erstickt. Menschen, die sich selbst als Antifaschisten bezeichnen, beanspruchen die Wahrheit für sich allein, und jede zweifelnde Frage wird mit der Keule „Bist du etwa ein rechter?“ abgewehrt. Verängstigt ziehen sich die Zweifler zurück, und Kritik wird mit Antisemitismus, Rechtsradikalismus oder Verschwörungstheorie gleichgesetzt. Dabei ist es überhaupt nicht mehr verdächtig, dass die selbsternannten Antifaschisten die Nähe zu den Machtorganen suchen und einen ausgesprochenen Gehorsam zelebrieren. Die daraus erwachsene Formel lautet:
  • Kritik an den herrschenden Machtverhältnissen = Rechts
  • Rechts = Böse
  • Gegen das Böse darf alles eingesetzt werden - auch das Böse!
So beobachten wir heute, dass man über die Ziele und Programme von Randparteien gar nicht mehr informiert wird und das öffentliche Interesse mit dem Hinweis „rechtsradikal“ unterbunden wird. Antifaschismus ist das Schutzschild der Machthaber geworden, mit dem Kritiker zum Schweigen gebracht werden.

Ich muß zwangsläufig an Ignazio Silone denken, der sagte: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: 'Ich bin der Faschismus', nein, er wird sagen: 'Ich bin der Antifaschismus'.“

Bei der Allensbach-Umfrage aus dem Jahre 2021 geben nur noch 45 Prozent der Befragten an, in Deutschland ihre politische Meinung ohne Folgen sagen zu können. Das ist der niedrigste Wert, den diese Umfrage seit 1953 erreicht hat.

Auf dem Kölner Heumarkt werden sonntags Tafeln aufgestellt, auf denen mit Bild und Namen Regierungskritiker als rechtsnahe Verschwörungstheoretiker diffamiert und an den Pranger gestellt werden. In jahrhundertealter Tradition wird so klar gemacht: seht her, das passiert, wenn ihr euch beschwert!

Der Gebrauch des Wortes "Leugner" läßt den muffigen Geruch des Mittelalters wieder aufkommen. Demokratische Rechte werden somit jedem abgesprochen, der nicht öbrigkeitshörig ist und sich erdreistet, Kritik zu üben. Er wird als Feind der Demokratie bezeichnet, gegen den man mit antidemokratischen Mitteln vorgeht. Politische Probleme werden durch Ausschalten der Kritik gelöst. Man darf das, weil man auf der guten (richtigen) Seite steht. Dieses neue Demokratieverständnis klammert das Recht auf Mitbestimmung, Meinungsfreiheit und Mitsprache aus.

Es wird wohl nie geklärt werden, ob Thomas Schäfer etwas ahnte, oder er es sogar wusste. Fest steht, dass er ein grundlegendes Problem erkannt hat und wir alles daran setzen sollten, dieses Problem zu beseitigen. Wir sind es Thomas Schäfer, Hannah Arendt und vielen, vielen anderen schuldig.


Quellen:

https://www.hessenschau.de/politik/hessischer-finanzminister-thomas-schaefer-tot---offenbar-suizid,finanzminister-schaefer-tot-100.html
https://taz.de/Berichte-ueber-Suizid-von-Thomas-Schaefer/!5672668/
https://www.n-tv.de/politik/Zweiter-Suizid-in-hessischem-Ministerium-article21719971.html
https://www.manager-magazin.de/politik/artikel/finanzministerium-hessen-nach-thomas-schaefer-wohl-zweiter-suizid-a-1306336.html
https://www.deutschlandfunkkultur.de/allensbach-umfrage-zur-meinungsfreiheit-heute-gibt-es-100.html

Online-Flyer Nr. 812  vom 31.05.2023

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