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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Krieg und Frieden
Ukraine
Der verhinderte Frieden
Von Wolfgang Effenberger

Mit einer gegen das ukrainische Polit-Establishment gerichteten Kampagne trat in der Stichwahl am 21. April 2019 der Schauspieler Wolodymyr Selenskyj gegen den vom Westen nach dem Maidan-Putsch in das Präsidentenamt gehievten einflussreichen Oligarchen Petro Poroschenko an. Selenskyi gewann die Wahl deutlich mit 73,22 Prozent der Stimmen (die Wahlbeteiligung lag bei 61,37 Prozent). Er hatte versprochen, den Krieg in der Ost¬ukraine zu beenden und vor allem die wirtschaftliche Erholung voranzutreiben sowie die Korruption zu bekämpfen. Diese Pläne sprachen die "schweigende Mehrheit" an, also diejenigen Ukrainer, die sich mit der Losung "Armee, Sprache, Glaube" des damaligen Präsidenten Petro Poroschenko nicht identifizieren konnten. (1) Selenskyis Bestrebungen, den Krieg in der Ostukraine friedlich beizulegen, zeigten anfangs Erfolge – sichtbar in den Gefangenenaustauschen im Dezember 2019 und April 2020 und in einer 2020 vereinbarten Waffenruhe – fanden aber in den westlichen Medien wenig Beachtung.

Ab Herbst 2020 stockte dann der Prozess und Anfang März 2021 wurden die ersten Bilder von ukrainischen Militärübungen im Westen veröffentlicht und die ukrainische Bevölkerung zielgerichtet auf einen Konflikt mit Russland eingestimmt. (2) Am 14. März titelte die FAZ: "Klitschko trainiert bei Schießübung Panzerabwehr". (3) Zehn Tage später setzte Selenskyi die neue Militärdoktrin mit dem Ziel in Kraft, die Krim gewaltsam zurückzuerobern und den Konflikt im Donbass gewaltsam zu entscheiden.

Am 7. Juni 2022 bekräftigte der ukrainische Präsident Volodimir Selenskyi gegenüber der "Financial Times", dass „der Sieg auf dem Schlachtfeld errungen werden muss". (4) Was waren die Ursachen für die Kehrtwende Selenskyis?

Die Abkommen von Minsk

Nach dem letzten Normandie-Gipfel Anfang Dezember 2019 in Paris schien Selenkyi klar geworden zu sein, dass auf Seiten des Westens kein Interesse an der Umsetzung des Abkommens von Minsk besteht. Damit war ein Krieg mit Russland unvermeidbar geworden. Ende 2020 ließ Kiew die Kämpfe im Donbass wieder eskalieren, die NATO erhöhte ihre Truppenpräsenz in der Ukraine und forcierte Ausbildungsmissionen und NATO-Manöver, während Russland die Truppen an der Grenze zur Ukraine aufzustocken begann. Am 21. Juli 2021 kam mit der von US-Präsident Joe Biden und der deutsche Kanzlerin Angela Merkel unterschriebenen gemeinsamen Erklärung „zur Unterstützung der Ukraine, der europäischen Energiesicherheit und unserer Klimaziele“ Hoffnung auf. Darin versicherten die Vereinigten Staaten „ihre Unterstützung für die Bemühungen Deutschlands und Frankreichs, Frieden in der Ostukraine im Rahmen des Normandie-Formats zu erreichen. Deutschland wird seine Anstrengungen innerhalb des Normandie-Formats intensivieren, um die Umsetzung der "Minsker Vereinbarungen" zu ermöglichen.“ (5) Diese Vereinbarungen (auch: Minsker Abkommen (6)) waren das Ergebnis internationaler Friedensbemühungen zu Beginn des Ostukraine-Konflikt.

Das Abkommen besteht aus mehreren Dokumenten, die im September 2014 und im Februar 2015 im Rahmen der "Trilateralen Kontaktgruppe" (OSZE, Russland, Ukraine) und mit Unterstützung des sog. "Normandie-Formats" (7) in Minsk ausgehandelt wurden und sollte dem Einfrieren der Kampfhandlungen und einer Entflechtung der Frontlinien dienen. (8)

In der UN-Resolution 2202 vom 17. Februar 2015 wurde die ernste Besorgnis über die tragischen Ereignisse und die Gewalt in den östlichen Regionen der Ukraine zum Ausdruck gebracht, und die feste Überzeugung geäußert, dass der Konflikt in den östlichen Regionen der Ukraine nur durch eine friedliche Regelung der derzeitigen Krise beigelegt werden kann. Also wurden in der Resolution alle Parteien – Russische Föderation, Ukraine, Frankreich und Deutschland – aufgefordert, das Maßnahmenpaket, einschließlich der darin vorgesehenen umfassenden Waffenruhe, vollständig umzusetzen. (9)

Im Herbst 2021 drängten zwar Frankreich und Deutschland nach einem Treffen der Außenminister des Normandie-Formats. Nachdem es seit 2015 kaum Fortschritte gegeben hatte, wollte der russische Außenminister Lawrow jedoch erst nach der Umsetzung der bisher getroffenen Vereinbarungen und einer umfassenden Vorbereitung einem Treffen zustimmen. Am 4. November teilten Berlin und Paris in einer gemeinsamen Antwort mit, dass der russische Vorschlag für eine Abschlusserklärung im Normandie-Format nicht angenommen werden könne, weil Russland darin einen direkten Dialog zwischen Kiew und dem Donbass fordert.

Zwei Tage später schickte Lawrow seine Antwort an die Kollegen Le Drian und Maas: „In diesem Zusammenhang möchte ich Sie noch einmal daran erinnern, dass die Voraussetzungen für eine Einigung mit Donezk und Luhansk über das gesamte Spektrum der Fragen im Zusammenhang mit dem Sonderstatus dieser Gebiete, der Verfassungsreform in der Ukraine (mit der Dezentralisierung als Schlüsselelement) und der Vorbereitung von Kommunalwahlen direkt in den Absätzen 9, 11 und 12 des Minsker Maßnahmenpakets aufgeführt sind. (…) Ihre Erklärung über die Ablehnung eines direkten Dialogs zwischen Kiew, Donezk und Luhansk diskreditiert daher die Mitautorenschaft der deutschen und französischen Staats- und Regierungschefs an dem Dokument vom 12. Februar 2015.“ Er rief ihnen den rechtlichen Status der Minsker Vereinbarungen ins Gedächtnis: „Da Sie sich auf das Gesetz berufen, möchte ich Sie daran erinnern, dass dieses Maßnahmenpaket vom UN-Sicherheitsrat gebilligt wurde und den Status eines rechtsverbindlichen Dokuments erhalten hat.

Ihre kategorische Aussage, dass ein direkter Dialog inakzeptabel sei, könnte (ich will es nicht glauben) bedeuten, dass Sie mit der Vorlage einer solchen Agenda die Minsker Vereinbarungen umschreiben wollen.“ (10)

Mit der Ablehnung des Dialogs beerdigten Berlin und Paris das Minsker Abkommen. Moskau lehnte wegen fehlender Antwort auf seine Vorschläge für den Text der Abschlusserklärung das Treffen am 15. November ab, worauf Russland vorgeworfen wurde, sich „zum wiederholten Male“ einem Ministertreffen im Normandie-Format verweigert zu haben. Daraufhin platzte Lawrow der Kragen, und er kündigte an, die gesamte Korrespondenz am nächsten Tag öffentlich zu machen. (11)

Russland macht Sicherheitsgarantien an USA und Nato öffentlich


Am 15. Dezember 2021 übergab die Russische Föderation einen Vertragsentwurf zwischen Russland und den USA über Sicherheitsgarantien sowie über ein Abkommen zwischen Russland und der NATO (12). Beide Vertragsentwürfe, die nach offizieller Sichtweise die Interessen Russlands und die Interessen der russischen staatlichen Souveränität schützen sollten, wurden zwei Tage später auf der Website des russischen Außenministeriums für die russische Bevölkerung veröffentlicht. Das ist in der Anfangsphase von Vertragsverhandlungen ungewöhnlich. Damit konnten die russischen Staatsorgane nicht mehr zurückrudern.

Was wurde zum Schutz russischer Interessen und russischer Souveränität gefordert? (13)

Die NATO sollte zum Stand vom 17. Mai 1997 zurückkehren, als die NATO-Russland-Grundakte unterzeichnet wurde. Darin wurden militärischen Aktivitäten der NATO in Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes ausgeschlossen. Weiter hatte sich die NATO in der Grundakte dazu verpflichtet, keine größeren Kampfverbände dauerhaft in den neuen Mitgliedstaaten zu stationieren. Die Aufstellung von Atomraketen dort sollte komplett tabu sein. Nach dem Referendum auf der Krim 2014 entsandte die Allianz multinationale Gefechtsverbände in die baltischen Staaten und nach Polen. Das Stationierungsverbot wird durch ein Rotationsprinzip umgangen. (14) Weiter verlangte Russland, dass keine neuen Staaten in die NATO aufgenommen werden.

Die erste Einsatzreise der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht führte am 19. Dezember 2021nach Litauen, wo sie deutsche Soldaten des NATO-Gefechtsverbandes (eFP) besuchte. Dort verkündete sie ihre Doppelstrategie mit Moskau: Diplomatie und "glaubhafte Abschreckung (15).

Wenige Tage später, am 25. Dezember 2021, erklärte Präsident Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow die Sicherheitsgarantien als "eine Frage von Leben und Tod"; sie müssten unverzüglich, rechtsverbindlich und bedingungslos gegeben werden. „Sollten sie nicht erfüllt werden“, so die Tagesschau vom 10. Januar 2022, drohe „Putin mit einer "militärisch-technischen Antwort"“ (16).

Ende Januar 2022 übermittelten die USA und die NATO ihre schriftlichen Antworten auf die Sicherheitsforderungen Moskaus. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bot Russland konkret an, zwei nach einem Spionage-Streit geschlossene Vertretungen in Moskau und Brüssel wieder zu öffnen und die bestehenden militärischen Kommunikationskanäle zur Erhöhung der Transparenz voll zu nutzen. Moskaus US-Botschafter John Sullivan übergab das Schreiben Vize-Außenminister Alexander Gruschko. US-Außenminister Antony Blinken machte deutlich, „dass es Kernprinzipien gibt, zu deren Wahrung und Verteidigung wir uns verpflichtet haben“. Dazu gehörten die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine sowie das Recht von Staaten, ihre eigenen Bündnisse zu wählen. (17)

Dagegen erklärte sich Washington bereit, über andere "Fragen der gegenseitigen Sicherheit" mit Moskau zu verhandeln, zum Beispiel beim Thema Rüstungskontrolle.

Am 19. Januar 2022 wurde im US-Repräsentantenhaus das das Land-Lease-Gesetz für die Ukraine eingebracht, über das bei seiner Einreichung in den Kongress geschrieben wurde:

„Mit diesem Gesetzentwurf wird vorübergehend auf bestimmte Anforderungen im Zusammenhang mit der Befugnis des Präsidenten, Verteidigungsgüter zu verleihen oder zu leasen, verzichtet, wenn die Verteidigungsgüter für die ukrainische Regierung bestimmt sind und zum Schutz der Zivilbevölkerung in der Ukraine vor der russischen Militärinvasion erforderlich sind“. (18)

Parallel zur Einreichung des Gesetzes lehnten die USA und die NATO die von Russland vorgeschlagenen Verhandlungen über gegenseitige Sicherheitsgarantien ab. Über die Reaktion Moskau dürfte sich Washington wohl im Klaren gewesen sein.

Wie konnte die Entwicklung in der Ukraine sich nach der Washingtoner Erklärung vom 15. Juli 2021 so dramatisch zuspitzen?

In dieser Erklärung bekräftigten der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland „ihr Bekenntnis zu enger bilateraler Zusammenarbeit bei der Förderung von Frieden, Sicherheit und Wohlstand auf der ganzen Welt“. (19)

Waren da nur leere Worthülsen? Wenn man den Ausführungen der früheren deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Interview mit Tina Hildebrand und Giovanni di Lorenzo vom 7. Dezember 2022 in der ZEIT glauben darf, dann kann die Frage nur mit einem uneingeschränkten Ja beantwortet werden.

Darin hat sie nämlich nach Interpretation von Paul Craig Roberts, ehemaliger stellvertretenden Finanzminister des US-Präsidenten Ronald Reagan, zugegeben, „dass der Westen Putin leicht getäuscht hat, indem er vorgab, dem Minsker Abkommen zuzustimmen, und es als Trick benutzte, um jede russische Reaktion auf die Ermordung der Russen im Donbass zu verhindern, bis der Westen das ukrainische Militär aufgebaut hatte. Diese 8 Jahre, in denen Putin getäuscht wurde, haben dazu geführt, dass der Konflikt in der Ukraine heute ganz anders aussieht“ (20), Frau Merkel sagte im Wortlaut: „… das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben. Sie hat diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute. Wie man am Kampf um Debalzewe (21) Anfang 2015 gesehen hat, hätte Putin sie damals leicht überrennen können. Und ich bezweifle sehr, dass die Nato-Staaten damals so viel hätten tun können wie heute, um der Ukraine zu helfen.“ (22)

Merkels Eingeständnis hatte bereits der von den USA eingesetzte ukrainische Präsident Pjotr Poroschenko. Er sagte im August 2015 vor einem einheimischen Publikum, „dass Minsk ein Trick sei, um Zeit für eine militärische Aufrüstung zu gewinnen“ (23).

Beide Aussagen lassen nur einen Schluss zu: Der gesamte Werte-Westen hatte nie die Absicht, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, und hatte ab dem Maidan-Putsch 2014 begonnen, die Ukraine militärisch aufzurüsten und dem NATO-Standard anzupassen. Dieser Stellvertreterkrieg in der Ukraine ist zielstrebig geplant und umgesetzt worden.

Unverständlich bleibt, wie sich Russland trotz dieser eindeutigen Sachlage in eine derart prekäre Situation hat manövrieren lassen. Oder hat Russland die Zeit ebenfalls zur Aufrüstung genutzt? Schließlich braucht man im Kreml nur das US-Langzeitstrategiepapier TRADOC 525-3-1 „Win in a Complex World 2020-2040“ (24) vom September 2014 und der „Kongressresolution 758“ (25) vom November 2014 zu lesen, um zu wissen, dass Frieden in der Ukraine nie im Interesse des Westens war.

Das in der deutsch-US-amerikanischen Erklärung vom 21. Juli 2021 formulierte Ziel, „Frieden in der Ostukraine im Rahmen des Normandie-Formats zu erreichen“, (26) wurde dann auch weder von der Regierung Merkel noch von der Regierung Scholz umgesetzt, ja nicht einmal angestrebt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der auf seiner Kiew-Visite Ende Oktober 2022 Selenskyi die Lieferung schwerer Waffen versprach, hätte hier seiner im Grundgesetz verankerten Pflicht nachkommen müssen, die Umsetzung eines derartigen dem Frieden dienenden Staatsvertrages anzumahnen.

Ein möglicher Frieden wurde aus nicht nachvollziehbaren Gründen – zumindest für die Sicherheit Europas und das Wohlergehen der Menschen in Europa – für hochfliegende geopolitische Ziele aufgegeben. Für einen Sieg über Russland? Für eine Ukraine in den Grenzen von 2013? Für den Sieg der USA in eine komplexen Welt 2040?

Die menschenverachtende Verlängerung des Kriegs mit ihren unnötigen Opfern auf beiden Seiten ermöglicht Washington, die westliche Beteiligung am Ukraine-Konflikt auszuweiten und gleichzeitig NATO-Verbände an den Grenzen zu Russland aufzustocken. Seit der 2. Dezemberwoche 2022 nehmen dank der vom Westen gelieferten weitreichen Präzisionsartillerie die Angriffe auf Donzek horrende Formen an. Wo bleibt das Mitgefühl für die seit 2014 unter dem Beschuss leidende Zivilbevölkerung?

Am 7. Dezember 2022 wies Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin darauf hin, dass „die Ukraine nicht verpflichtet sei, die Verteidigungsanstrengungen auf das eigene Staatsgebiet zu beschränken.“ (27) Meldungen über Explosionen auf russischen Luftwaffenstützpunkten wollte er ansonsten aber nicht bewerten. Nach russischen Angaben wurden Anfang Dezember bei Drohnenangriffen auf drei Stützpunkte in Zentralrussland drei Menschen getötet und zwei Flugzeuge beschädigt. (28) Dieser Hinweis von Hebestreit ist eine indirekte Aufforderung der deutschen Regierung, diesen unsäglichen Krieg noch weiter auszudehnen.

Der acht Jahre währende Krieg der Ukraine gegen die eigenen Landsleute im Donbass wird eine Versöhnung in nächster Zeit kaum möglich machen, und für die unvorstellbaren Opfer in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 wird man wohl den Menschen in den abtrünnigen Oblasten Luhansk und Donezk und Russland die Schuld geben. Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird sich die Versöhnung gestalten. Aktuell aber besteht die Gefahr, dass der Krieg in der Ukraine noch gefährlich eskalieren und zu einem nuklearen Gau – in der neuen US-Verteidigungsstrategie vom Oktober 20022 wird der nukleare Erstschlag explizit nicht ausgeschlossen (!) – führt, der die Gefahren des Klimawandels noch weit übertreffen würde.

Am 2. Dezember 2022 hat Papst Franziskus erkannt und öffentlich gemacht, dass „die vom Krieg bedrohte Menschheitsfamilie ein noch gefährlicheres Risiko eingeht: den fehlenden Willen, Frieden zu schaffen“.

Seiner Meinung nach ist der Einsatz von Waffen zur Lösung von Konflikten ein Zeichen von Schwäche und Zerbrechlichkeit, während Verhandlungen, Vermittlungsverfahren und Schlichtung Mut erfordern. „Den Mut, sich den anderen nicht überlegen zu fühlen; den Mut, sich den Ursachen des Konflikts zu stellen und auf Interessen und Hegemoniepläne zu verzichten; den Mut, die Kategorie des Feindes zu überwinden, um zu Erbauern einer universellen Brüderlichkeit zu werden, die in der Vielfalt und der Einheit als gemeinsamen Bestrebungen aller Menschen Kraft findet.“ (29)

Auch Jeffrey D. Sachs, US-Universitätsprofessor und Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University, wo er von 2002 bis 2016 das Earth Institute leitete, plädiert für einen Frieden in der Ukraine. Für eine erfolgreiche Vermittlung müsste anerkannt werden: „dass alle Parteien legitime Interessen haben und berechtigte Missstände zu beklagen haben. Russland ist zu Unrecht und gewaltsam in die Ukraine eingedrungen. Die USA haben unrechtmäßig den Sturz Janukowitschs im Jahr 2014 konspirativ gepusht und die Ukraine anschließend schwer bewaffnet, während sie die Nato-Erweiterung vorantrieben, um Russland im Schwarzen Meer einzukreisen. Nach dem Sturz Janukowitschs weigerten sich die ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Wolodymyr Selenskyj, das Minsk-II-Abkommen umzusetzen.“ (30)

Für Sachs wird der Frieden dann eintreten, „wenn die USA von einer weiteren Nato-Erweiterung in Richtung der russischen Grenzen Abstand nehmen, Russland seine Streitkräfte aus der Ukraine abzieht und von der einseitigen Annexion ukrainischen Territoriums Abstand nimmt. Ebenso muss die Ukraine ihre Versuche beenden, die Krim zurückzuerobern, und den Minsk-II-Rahmen akzeptieren.“ Der Ukraine-Krieg ist für Sachs ein „äußerst gefährlicher Krieg zwischen atomaren Supermächten in einer Welt, die dringend Frieden und Zusammenarbeit braucht. Es ist an der Zeit, dass die USA und Russland, zwei Großmächte der Vergangenheit und der Zukunft, ihre Größe durch gegenseitigen Respekt, Diplomatie und gemeinsame Anstrengungen unter Beweis stellen, um eine nachhaltige Entwicklung für alle zu gewährleisten – auch für das ukrainische Volk, das Frieden und Wiederaufbau am dringendsten benötigt.“ (31)

Mögen die Appelle von Papst Franziskus und von Jeffrey D. Sachs – er war Berater von drei Generalsekretären der Vereinten Nationen und ist derzeit Beauftragter von Generalsekretär Antonio Guterres für globale Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) – bald auf fruchtbaren Boden fallen!


Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie "Die unterschätzte Macht" (2022).



Amerkungen

1) https://www.swp-berlin.org/publikation/die-ukraine-unter-praesident-selenskyj
2) https://www.rosalux.de/news/id/46007
3) Klitschko trainiert bei Schießübung Panzerabwehr unter https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/bei-bedarf-kiew-verteidigen-klitschko-trainiert-bei-schiessuebung-panzerabwehr-17244659.html vom 14.3.2021
4) https://article.wn.com/view/2022/06/07/selenskyj_x201eder_sieg_muss_auf_dem_schlachtfeld_errungen_w
5) https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/gemeinsame-erklaerung-usa-und-deutschland/2472074
6) Vollständiger Text unter https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/201881/dokumentation-das-minsker-abkommen-vom-12-februar-2015/
7) Das sog. Normandie-Format entstand anlässlich des Treffens der Staats- und Regierungschefs von der Ukraine, Russland, Frankreich und Deutschland im Juni 2014 während des 70. Jahrestages der Landung der Alliierten in der Normandie.
8) https://www.bundestag.de/resource/blob/880828/23b6372347d72f843cb197002f229887/WD-2-081-21-pdf-data.pdf
9) https://www.un.org/depts/german/sr/sr_14-15/sr2202.pdf
10) https://linkezeitung.de/2021/11/20/maas-le-drian-ein-briefwechsel-mit-lawrow-und-die-wahrheit/
11) https://linkezeitung.de/2021/11/22/kein-wort-in-den-medien-der-westen-hat-das-minsker-abkommen-beerdigt/
12) Am 16. Dezember 2021 veröffentlichte die NATO ihr Credo: „Die Beziehungen der NATO zur Ukraine sind eine Angelegenheit, die nur die Ukraine und die 30 NATO-Bündnispartner betrifft.  Wir weisen alle Versuche, die Sicherheit der Alliierten zu spalten, entschieden zurück“ (NATO’s relationship with Ukraine is a matter only for Ukraine and the 30 NATO Allies.  We firmly reject any attempts to divide Allied security), unter rhttps://www.nato.int/cps/en/natohq/news_190373.htm?selectedLocale=en
13) https://www.spiegel.de/ausland/russland-veroeffentlicht-liste-mit-geforderten-sicherheitsgarantien-an-nato-staaten-a-0a293205-54ad-44b3-b574-3f508f1743bf
14) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-nato-sicherheitsgarantien-101.html
15) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/lambrecht-reise-litauen-105.html
16) Russland veröffentlicht Liste mit geforderten Sicherheitsgarantien:
 https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-nato-sicherheitsgarantien-101.html
17) https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-979341.html
18) https://www.congress.gov/bill/117th-congress/senate-bill/3522/all-info
19) https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv/erklaerung-von-washington-1942704
20) https://www.paulcraigroberts.org/2022/12/08/expect-more-widening-of-the-ukraine-conflict/
21) Im Kampf um die strategisch wichtige Eisenbahnerstadt Debalzewe im Donbass, Oblast Donezk fügten die Milizen der Donbass-Volksrepubliken Anfang 2015 Kiew eine heftige Niederlage zu.(http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Ukraine1/debalzewe.html)
22) https://www.zeit.de/2022/51/angela-merkel-russland-fluechtlingskrise-bundeskanzler/komplettansicht
23) Zitiert aus https://www.paulcraigroberts.org/2022/12/08/expect-more-widening-of-the-ukraine-conflict/
24) Im Herbst 2014 stellte der Befehlshaber des "U.S. Army Training and Doctrine Command" (TRADOC), Vier-Sterne-General David. G. Perkins, das Nachfolgepapier "TRADOC 525-3-1 Win in a Complex World 2020-2040" vor. In diesem Papier erhielten die US-Streitkräfte den Auftrag, die von Russland und China ausgehende Bedrohung "abzubauen".
25) Der ehemalige stellvertretende Finanzminister der Regierung Reagan, Paul Craig Roberts, sieht in der gegen Russland gerichteten Resolution 758 ein Paket von Lügen, und der kanadische Ökonom Michel Chossudovsky sorgt sich um die weltweite Sicherheit. Für ihn hat das Abgeordnetenhaus dem amerikanischen Präsidenten und Oberkommandierenden der Streitkräfte praktisch "grünes Licht" gegeben, ohne weitere Zustimmung des Kongresses in einen Prozess der militärischen Konfrontation mit Russland einzutreten. „Diese historische Abstimmung“, so Chossudovsky, „die möglicherweise das Leben von hunderten Millionen Menschen weltweit beeinflusst, wurde in den Medien praktisch völlig ausgeblendet – und dieser Zustand hält an.“
26) https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/gemeinsame-erklaerung-usa-und-deutschland/2472074
27) https://www.deutschlandfunk.de/bundesregierung-ukraine-darf-sich-auch-ausserhalb-ihres-staatsgebiets-verteidigen-100.html
28) https://www.deutschlandfunk.de/bundesregierung-ukraine-darf-sich-auch-ausserhalb-ihres-staatsgebiets-verteidigen-100.html
29) https://www.vatican.va/content/francesco/en/speeches/2022/december/documents/20221202-leaders-pourlapaix.html
30) https://www.heise.de/tp/features/Frieden-in-der-Ukraine-ist-moeglich-So-koennte-er-aussehen-7370912.html?seite=all
31) Ebd.

Online-Flyer Nr. 804  vom 30.12.2022

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