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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Hamburger Hafen
Die Chinesen kommen!
Von Rolf Geffken

Der Hamburger Hafen ist ein besonderer Ort und eine besondere Institution in Hamburg. Er ist ein Heiligtum. Man darf in Hamburg (fast) alles, aber man muß den Hafen als ein besonderes Territorium betrachten und respektieren. Wer diese Grenze überschreitet, wird mindestens mit Nichtachtung bestraft. Jedenfalls ging es dem Verfasser so, als er die Witwe eines in einer Containerbrücke verstorbenen Kranführers vertrat: Dieser hatte in seiner 40 Meter hohen Kanzel einen Herzinfarkt erlitten. Bei der Obduktion befanden die Ärzte, daß er die Tätigkeit gar nicht hätte ausüben dürfen und daß die erste Hilfe viel zu spät kam. Die Kanzel schaukelte führerlos im Hafenwind als Kollegen den Vorfall bemerkten. Die Hafenfirma geriet in Erklärungsnot. Doch merkwürdig: Nach einer Pressekonferenz zum Vorfall riefen die beiden dort anwesenden Lokaljournalisten den Verfasser an und berichteten, sie würden über den Fall „lieber nicht berichten“. Gut eine Woche später fand sich im Hamburger Abendblatt eine ganzseitige Reportage über den „schönsten Arbeitsplatz Hamburgs“: Es war der Arbeitsplatz eines Containerbrückenkranfahrers. Der Verfasser hat an anderer Stelle darüber berichtet (1).

Der Vorfall zeigt, daß der Hafen eine eigene Welt ist, mit zahlreichen Tabus, an denen nicht gerührt werden darf. Im Hafen kulminiert nicht nur wirtschaftliche Macht sondern politische. Der Hafen ist Hamburg. Hamburg ist der Hafen. Zwei Lokaljournalisten hatten das für einen Moment vergessen, aber dann fiel es ihnen wieder ein, und sie machten die Wahrheit über einen tödlichen und vermeidbaren Arbeitsunfall wieder „gut“ durch eine falsche Arbeitsplatz-Romantik. Und schon war die angeblich heile Welt des Hafens wieder im Lot.

Nun ist der Hafen wieder im Gespräch. Dieses Mal aber ist es nicht der Tod eines Kranführers, der die Gemüter bewegt, sondern die Absicht der chinesischen Staatsreederei COSCO einen Anteil an einem Containerterminal im Hamburger Hafen zu erwerben. Die Grünen (aber auch DIE LINKE Hamburg in Gestalt ihres Hafenexperten) laufen Sturm. Die Chinesen kommen. Der Hamburger Hafen wird gestürmt. Das Heiligtum. Doch es scheint ein Sturm in Wasserglas zu sein, und selbst der Bundeskanzler, ehemaliger Hamburger Bürgermeister, scheint an den Sturm nicht zu glauben.

Tatsächlich brauchen die Chinesen den Hafen nicht zu stürmen. Sie sind nämlich längst da. Ja, ohne sie wäre der Hamburger Hafen mausetot. Das weiß auch der Bundeskanzler.

Es geht um einen Anteil (!) an einem Containerterminal, nicht um eine "Privatisierung" oder Veräußerung des Hafens, wie in Piräus oder Zeebrügge. Nie wurde sich früher beschwert, als es um flächendeckende Privatisierungen von deutschen Häfen, deutscher Hafeninfrastruktur und deutscher Hafenunternehmen ging. Im Gegenteil: Wie die Gralshüter achteten deutsche Politiker darauf, daß keine "Einengung" der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit auch in den Häfen stattfand. Nun aber, wo die Weltmacht China als angeblicher Freund Putins vor der Tür steht, ist alles anders, und die unternehmerische Entscheidungsfreiheit gilt nicht mehr?

Gibt es die also doch noch: "Deutsche" Häfen? Gar eine "deutsche Seeschifffahrt"? Wer sich in den Häfen umsieht, weiß, daß das eine Chimäre ist. Längst ist die deutsche Flagge am Heck eines Schiffes zur Ausnahme geworden, und wenn sie weht, dann ist es die des „Internationalen Schiffsregisters“. Ausflaggungen, Billig-Flaggen, Fremdflaggen gehören zum Alltag in den Häfen. Wer wie die ÖTV noch in den 1980er für eine deutsche Staatsreederei eintritt, würde heute des „Kommunismus“ verdächtigt. Stattdessen hat die gleiche chinesische Staatsreederei, die in Hamburg nur einen Anteil an einem Terminal erwerben will, 2017 den ganzen Hafen von Piräus gekauft und zwar zur vollen Zufriedenheit der griechischen Regierung und der griechischen maritimen Wirtschaft. Dem krisengeschüttelten Griechenland kam das chinesische Unternehmen Griechenland zur Hilfe. Heute wird Piräus gern als der „Kopf des Drachens“ auf der neuen Seidenstrasse bezeichnet (2).

Daß der Hamburger Hafen- und Lagerhausgesellschaft (HHLA) auch und gerade in China strategische Vorteile durch eine Beteiligung der Reederei Cosco erwachsen würden, weiß jeder. Was ist nun die Alternative? Hat die "Politik" einen anderen "steuerbaren" Investor an der Hand? Vielleicht eine Staatsreederei aus Deutschland? Die müßte erst gegründet werden, und das verlangt eine grundlegend andere Hafen- und Wirtschaftspolitik. Die will offenbar niemand. Und so richten die Grünen mit ihrer „Politik“ des Tretens gegen das chinesische Schienbein möglicherweise unübersehbaren Schaden an. VW plant Milliarden-Investitionen beim autonomen Fahren in China. China könnte diese Investitionen auch durch Konkurrenten der deutschen Automobilindustrie aufbringen lassen. Das wäre dann die „Reduzierung der Abhängigkeit“ Chinas von ausländischen Investoren, so wie sie Xi Xing Ping immer wieder gefordert hat. Was also bringt dieses effektheischende „Trouble-Making“ gegen China? Eine politische Strategie ist das nicht. Und was reitet die (Hamburger) Linke, wenn sie ebenfalls die Beteiligung Coscos ablehnt? Welche Alternativen hat sie? Keine nennenswerten. Und so wird der Kanzler vielleicht eine „Sicherung“ gegen den Zugang Coscos zu angeblich „sensiblen“ Daten einbauen (obwohl der Investor über den Aufsichtsrat und seine Auskunftsrechte einen Zugang haben wird) und es wird wieder Ruhe einkehren im Hamburger Hafen – bis zu einem späteren Zeitpunkt, an dem vielleicht die Übernahme des ganzen Hafens durch die Chinesen zur Debatte steht. Dann wird die Schienbein-Treterei der Grünen und der Hamburger Linken nur eine kleine Episode in der Hamburger Hafengeschichte gewesen sein...


Fußnoten

1 Arbeit und Arbeitskampf im Hafen, Rotenburg 2015, S. 106 ff.; Einspruch – Geschichten aus dem Anwaltsleben
eines 1968ers, Arnstadt 2021, S. 294 ff.

2 https://www.handelsblatt.com/politik/international/neue-seidenstrasse-china-hat-grosse-plaene-mit-dem-hafen-vonpiraeus/
24136646.html


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