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Aktueller Online-Flyer vom 10. Oktober 2024  

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Krieg und Frieden
Hetze gegen den Neuen Krefelder Appell, ein Leserbrief, eine "Richtigstellung" und eine zornige Replik
Eine Tragödie des "pazifistischen" Bellizismus
Zusammengestellt von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Im Folgenden geht es um Frieden, Gewerkschaft und einen Aufruf. Was die Gewerkschaft betrifft, handelt es sich um die für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Bremen. Was den Frieden betrifft, um das "Bremer Friedensforum". Und der Aufruf ist der "Neue Krefelder Appell", der fordert, den Kriegstreibern in den Arm zu fallen. Nichts besonders Aufsehenerregendes, könnte man oder frau denken! Denn es liegt nahe, davon auszugehen, dass Gewerkschaften und Friedensforen sich gegen Kriege aussprechen und Kriegstreiber an ihrem Tun hindern wollen. Doch weit gefehlt! Im "fortschrittlichen" Bremen wird etwas sichtbar, was von überregionaler Bedeutung ist. Es hat den Anschein, als würden Gewerkschaften und Friedensforen neuerdings gegen Friedensaktivisten bellizistisch zu Felde ziehen - als würde die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft antimilitaristisch-demokratisches Engagement verleumden und das Bremer Friedensforum sich daran beteiligen.

Im Februar 2022 ist die Januar/Februar-Ausgabe des Bremer GEW-Bildungsmagazins erschienen. Auf Seite 35 gibt es einen Artikel mit dem Titel "Wolf im Taubengewand" zu lesen. Der "Neue Krefelder Appell" verkaufe "krude Verschwörungstheorien als Friedenspolitik", ist darin zu erfahren. Und weiter: "Verbreitet wird die Behauptung, Lockdown und Impfung seien Massenvernichtungswaffen und dahinter stecke eine Verschwörung des Davoser Weltwirtschaftsforums... Die illustre Querfront der Coronaleugnenden versammelt Leute aus der anthroposophischen Szene ebenso wie einen bekannten Islamisten..." In Zusammenhang mit den "esoterischen Waldorfern" findet das Buch "Covid-19: The Great Reset" von Klaus Schwab und Thierry Malleret Erwähnung. Und dann werden Russland und China jenseits der Aussagen des Appells ins Spiel gebracht: "Das Davoser Weltwirtschaftsforum beherrscht offenbar die Welt, auch Russland und China stehen unter seiner Knute." Zu guter letzt werden ErstunterzeichnerInnen aus dem Raum Bremen an den Pranger gestellt. Eine Unterzeichnerin wird der BDS-Kampagne zugerechnet. Einem Unterzeichner wird vorgehalten, bei "bei Querdenkern gesprochen" zu haben. Und ein anderer wird als "der treueste Verteidiger der iranischen Islamisten" bezeichnet, der Israel vernichten wolle. Zwei werden mit dem Bremer Friedensforum in Verbindung gebracht.

Einer der angeprangerten ErstunterzeichnerInnen ist der Sozial- und Politikwissenschaftler Prof. Rudolph Bauer. Der schreibt am 10. Februar an K.K., den geschäftsführenden Redakteur des GEW-Bildungsmagazins:
    Sehr geehrter Kollege K.K., als geschäftsführender Redakteur des GEW-Bildungsmagazins verantwortest Du zusammen mit dem übrigen Redaktionskollegium die dort veröffentlichten Beiträge. Ich gehe davon aus, dass Du Deiner redaktionellen Tätigkeit stets die nötige Sorgfalt angedeihen lässt. Daher bin ich überrascht, dass Dir offenbar entgangen ist, wie unsensibel auf Seite 35 der Ausgabe 01/2022 vom Leder gezogen und Hetze verbreitet wird. Der Beitrag sticht umso mehr auf negative Weise hervor, weil auf den folgenden Seiten über das Elend der Berufsverbote in der Bundesrepublik – nicht zuletzt auch in Bremen – berichtet wird. Ich frage mich: Soll denn einer neuen Art der Gesinnungsschnüffelei Tür und Tor geöffnet werden? Die Überschrift des Beitrags besagt: "Wolf im Taubengewand / 'Neuer Krefelder Appell' verkauft krude Verschwörungstheorien als Friedenspolitik".

    In einem geifernden Rundumschlag werden der Appell, die "Bremer Anthroposophen", das Bremer Friedensforum sowie Erstunterzeichner/innen des Appells – darunter vier Bremer/innen – auf eine Art und Weise angegangen, wie sie meines Erachtens einer Zeitschrift der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft unwürdig ist. Der Beitrag dient weder einheitsgewerkschaftlicher Verbundenheit, noch ist er ein vorbildliches Beispiel pädagogischer Intervention, noch bemüht er sich um eine wissenschaftliche Objektivität. Der Verfasser des Pamphlets outet sich als gehässiger, politisch unreifer und daher gefährlicher Antidemokrat. Ich sage dies als Gewerkschaftskollege, organisiert bei ver.di, als Bremer Uni-Professor der Sozialpädagogik im Ruhestand sowie als Sozial- und Politikwissenschaftler.

    Die in besagtem Artikel zum Ausdruck kommende Gehässigkeit darf nicht geduldet werden und sich zügellos ausbreiten. Sie ist gewerkschaftsmitgliederschädigend, schwarzpädagogisch und wissenschaftlich unqualifiziert. Ich erwarte, dass in der nächsten Ausgabe eine Distanzierung durch die Redaktion erfolgt – eine Distanzierung, die deutlich macht, dass dies nicht der künftige Stil innergewerkschaftlichen Gedankenaustausches sein darf. Die Distanzierung vom Verfasser des Pamphlets sollte eine Entschuldigung bei denjenigen enthalten, die in ungebührlicher Weise als Zielscheibe einer Denkweise herzuhalten haben, welche sich in letzter Konsequenz als totalitär erweist, sofern sie sich unwidersprochen weiter ausbreiten darf.
Danach ist viele Wochen Funkstille. Eine Antwort scheint K.K. nicht für nötig zu halten. Erst zwei Monate später in der März/April-Ausgabe des GEW-Bildungsmagazins kommt der Artikel "Wolf im Taubengewand" wieder zur Sprache – in Form eines Leserbriefs. Aber es ist nicht der von Rudolph Bauer, sondern einer von E.L., seines Zeichens Sprecher des Bremer Friedensforums.
    E.L. hat um folgende Richtigstellung gebeten: Der Sprecher:innenrat des Bremer Friedensforums distanziert sich von dem im Artikel erwähnten "Neuen Krefelder Appell", den er für "falsch" und "spalterisch" hält. Zugleich habe "dieser Aufruf es nicht auf die Tagesordnung der Präsenz- und Zoom-Sitzungen des Bremer Friedensforums geschafft, so dass eine umfassendere Diskussion nicht stattgefunden hat."
Dieser Leserbrief veranlasst Rudolph Bauer zu folgendem Schreiben an E.L.:
    Hallo E.L., Deine Distanzierung vom Neuen Krefelder Appell ist erbärmlich. Du gehst mit keiner einzigen Silbe Deiner "Richtigstellung" darauf ein, um welche Art von Schweineartikel es sich handelt, auf den Du Dich beziehst. Wenn die in der Bremer GEW-Broschüre auf unterirdisch-hinterhältige Weise angegriffenen Freundinnen und Freunde es Dir und dem Bremer Friedensforum nicht wert sind, auf solidarische Weise in Schutz genommen zu werden, sind wir allesamt da angekommen, wo uns der Gegner haben will: in zwei Lagern, von denen das eine sich einen feuchten Dreck darum kümmert, wie man mit Menschen des anderen Lagers umgeht, wenn diese nicht total(itär) gleicher Meinung sind.

    So stellte und stelle ich mir den Kampf gegen imperialistische Kriege und für den Weltfrieden nicht vor: als Zugehörigkeit zu einem Zusammenschluss von angeblich friedensbewegten und antimilitaristischen Menschen, bei dem die eine Seite die Angriffe eines widerwärtigen Schmierfinks gegen die andere nicht nur ignoriert, sondern gleichsam noch bestätigt in der Weise, dass die infame Hetze gegen die Unterzeichner/innen des Neuen Krefelder Appells hinterrücks auch noch gut geheißen wird. Wo sind wir hingekommen? Wo ist das eigenständige (!) politische Profil des Bremer Friedensforums abgeblieben? Soll Deine "Richtigstellung" dazu dienen, lieber klammheimlich die eigenen Leute zu verraten als der Redaktion der GEW-Zeitschrift mit angemessener und dringender Kritik zu begegnen? Besteht der antimilitaristische Kampf darin, den Kriegstreibern und Militaristen vorzuführen, dass uns die gegenseitige Abgrenzung (z.B. zwischen Alt-Krefeldern und Neu-Krefeldern) wichtiger ist als die Gemeinsamkeiten einer pazifistischen Grundhaltung?

    Ich erinnere mich noch (und Du solltest Dich auch erinnern), dass das Friedensforum zwei Broschüren mit Arbeiten von mir veröffentlicht hat: 2014 "Wir befinden uns mitten im Krieg. Militarisierung im Digitalen Zeitalter" und 2016 "Rüste-Wüste. Militarismuskritische Bild-Montagen". Erinnert sei auch an die von mir initiierten Berliner und Bremer Anti-Kriegs-Konferenzen 2014 und 2015 sowie an die Veröffentlichung "Kriege im 21. Jahrhundert: Neue Herausforderungen der Friedensbewegung" (Friedenspolitische Reihe Sonnenberg 2015). – Ist das inzwischen alles bedeutungslos, nicht auf Linie? Distanziert Ihr Euch davon? Soll mit der Distanzierung von jemandem wie mir den Militaristen angedeutet werden, dass das Friedensforum endgültig im blau-gelben Schoß der kriegstreiberischen Verlogenheiten angekommen ist?

    Ich bin entsetzt, dass meine Befürchtung hinsichtlich des Hinübergleitens des Friedensforums in das bellizistische Lager der Staatsparteien (einschließlich Die Linke), der Gewerkschaften und der Kirchen der Wahrheit immer näher rückt. Merkst Du denn nicht, dass sich die Kriegstreiber inzwischen mit der weißen Taube schmücken und problemlos die Regenbogen- und Pacefahnen schwenken? Nein, Du merkst es offensichtlich nicht, sondern meinst in irrwitziger Vermessenheit, dass die anti-russischen "Friedens"beteuerungen den gesamtgesellschaftlichen Durchbruch der Friedensbewegung zur Folge haben werden. (Sarkastische Frage: Sind letztlich nicht auch die 100 Milliarden für die Aufrüstung der Armee eine Art generöses Friedensgeschenk – "gegen Putin"?)

    Ich wende mich von dieser Art falscher, schädlicher und uns zutiefst entzweiender Politik ab, weil sie nichts anderes bezweckt als die Interessen des Militärisch-Industriellen Komplexes zu teilen, ihnen Tür und Tor zu öffnen. Ich hoffe zwar, die Erkenntnis der Wahrheit lässt bei Dir nicht mehr allzu lange auf sich warten, fördert ernsthafte Selbstkritik zu Tage ... und WIR – dazu zähle ich auch die Demokratiebewegung – finden zusammen zum gemeinsamen antimilitaristischen und demokratischen Kampf ... falls es nicht längst schon zu spät ist.
Das alles in Betracht ziehend drängt sich der Eindruck auf, dass es bis zum Frieden noch weit ist. Das lehrt uns das Verhalten so mancher Funktionäre in Gewerkschaft oder Friedensbewegung. Von Engagement für den Frieden zeugen die Attacken gegen den Neuen Krefelder Appell nicht. Rudolph Bauer fühlt sich eher an die Gesinnungsschnüffelei in Zeiten der Berufsverbote, an Dolchstoß-Praxis und Solidaritätsverweigerung erinnert.


Veröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 40 (März 2022) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.



Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/



Siehe auch:

"Neuer Krefelder Appell – Den Kriegstreibern in den Arm fallen"
Initiiert von Mitgleidern der Kampagne "NATO raus - raus aus der NATO"
Veröffentlicht am 16. November 2021 (Jahrestag des Krefelder Appells von 1980)
https://peaceappeal21.de

Attacken von Soros über ND, Attac und GEW bis hin zur Marienstraße
Kampf des Imperiums gegen "Neuen Krefelder Appell"
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 786 vom 16.02.2022
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27931

Online-Flyer Nr. 789  vom 20.04.2022

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