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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Kommentar
Aus dem Wissenschaftlichen Beirat einer globalisierungskritischen Organisation
"Gesten der Ermächtigung": Merkel und/oder Hitler
Von Rudolph Bauer

Der Autor des folgenden Beitrags ist Rudolph Bauer. Er ist Sozialwissenschaftler, Publizist und Bildender Künstler. Von 1972 bis 2002 war er Professor für Wohlfahrtspolitik und Soziale Dienstleistungen an der Universität Bremen. Viele Jahre war er Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von "attac". Doch nun ist er wegen seiner kritischen Haltung in der Corona-Frage "exkommuniziert" worden. Es ist ein trauriger Zustand einer in großen Teilen vom Imperium gekaperten "Linken", der sich hier zeigt. Aber nun der Beitrag von Rudolph Bauer, der das, was ihm widerfahren ist, ein "kunstfeindliches und undemokratisch-autoritäres Ausschlussverfahren" nennt:


Vor kurzem interviewte die Frankfurter Allgemeine Zeitung Stephan Lessenich, den neu berufenen Direktor des von Adorno und Horkheimer gegründeten Instituts für Sozialforschung. Die Interviewfragen nahmen u. a. Bezug auf frühere politische Verbindungen und Engagements des Befragten: auf seine Mitgliedschaft im Kuratorium des "Institut Solidarische Moderne" (mitgegründet von der früheren hessischen SPD-Vorsitzenden Ypsilanti): auf seinen Anteil bei der Gründung einer Partei namens "mut", die 2018 für den Bayrischen Landtag kandidierte; und auf seine Mitgliedschaft im Wissenschaftlichen Beirat einer globalisierungskritischen Organisation.
 
Alle drei Politzusammenhänge hat der neu gekürte Institutschef Lessenich inzwischen hinter sich gelassen: das "Institut Solidarische Moderne", weil es den "strategischen Zweck" verfehlt habe, nämlich "die infrastrukturellen und atmosphärischen Voraussetzungen für rot-rot-grüne Koalitionen zu schaffen"; die "mut"-Partei wegen mangelnder Breitenwirkung; und den globalisierungskritischen Beirat, "weil einige Beiratsmitglieder Positionen vertreten haben, die man eher im Corona-Leugner-Milieu vermuten würde".
 
Es handle sich, so Lessenich, zwar "um Einzelpersonen, die aber sehr meinungsstark sind und genug Zeit haben, um Mail-Verteiler und Diskussionen zu dominieren". Die zitierte Interview-Passage löste im globalisierungskritischen Gesamtverband verständlicher Weise Unruhe und Unmut aus. Letzterer fand das Objekt der Gegen-Attacke jedoch nicht in der üblen Beleumundung durch den ausgetretenen Lessenich, sondern in Gestalt eines der Beiratsmitglieder. Über dieses Mitglied sagte der Interviewte, dass es "auf seiner persönlichen Homepage Merkel und Hitler nebeneinander abbildet".
 
"Merkel und Hitler nebeneinander"? - Ein Skandal!
 
Ein organisationsinterner Sturm der Entrüstung brach los in den Reihen jenes Beirats, von dem in den letzten Jahren zwar wenig und seit Corona nichts Nennenswertes zu vermelden war. Aber hier bot sich ein Anlass, endlich Flagge zu zeigen. Die Pressereferentin sprach von einem "Hitler-Merkel-Vergleich" und kündigte an, dass die zuständige Pressegruppe ein "Wording" abstimmen werde. In einer der zahlreichen, emotional aufgebrachten Mitglieder-Mails war die Rede von einer "Collage, in der Merkel neben Hitler platziert ist". Weitere Mails machten aus dem Hörensagen einen "Hitler-Merkel-Vergleich", einen "Hitler-Merkel-Bezug" und schließlich eine "Gleichsetzung von Merkel und Hitler".
 
Um das Ergebnis jener Aufregung und Entrüstung vorwegzunehmen, die Lessenich mit seinem Interview in der FAZ ausgelöst hatte: Nicht auf die in der FAZ abgegebene personalisierende und abstruse Begründung des (längst vorher angekündigten) Austritts wurde reagiert, sondern von nun an beherrschte der angebliche "Hitler-Merkel-Vergleich" die erhitzte Debatte. Sie führte letztlich zum faktischen Ausschluss des damit in Verbindung gebrachten Mitglieds. Es wurde aus der Mitgliederliste getilgt, und es wurde aus dem Online-Verteiler entfernt. Den Beschluss hierzu fasste ein Gremium von drei Personen, die sog. Steuerungsgruppe, deren eigentliche Augabe es ist zwar, Sitzungen vorzubereiten und die organisationsinterne Kommunikation zu ermöglichen. Aber denkste.
 
Was war vorgefallen? Eines der Mitglieder des globalisierungskritischen Beirats ist nicht nur wissenschaftlich tätig, sondern auch künstlerisch aktiv. Der Betreffende unterhält einen Account auf Instagram, wo er seine politischen Bildmontagen ausstellt - darunter auch eine Collage mit dem Titel "Gesten der Ermächtigung".


Montage von Rudolph Bauer: "Gesten der Ermächtigung"

Das Bild montiert zwei Elemente: die fanatische Rednergeste des Gröfaz und die bekannte Merkel-Raute. Mit dieser Collagetechnik wird ein Denkanstoß gegeben, der aber aus dem Blickwinkel der Mehrheit des Wissenschaftlichen Beirats zur Majestätsbeleidigung bzw. zu einer Verharmlosung des Nazifaschismus hochstilisiert wurde. U. a. die in das Bild hinein interpretierte "Gleichsetzung" diente dazu, von Lessenichs unfreundlicher Abschiedsgeste abzulenken und den Ausschluss des Bildmonteurs zu rechtfertigen: eine Maßnahme, die kein gutes Zeichen ist für die Achtung der Kunst- und Meinungsfreiheit durch die Mehrheit der Mitglieder einer Organisation, die sich als links verstehen.
 
Das kunstfeindliche und undemokratisch-autoritäre Ausschlussverfahren des globalisierungskritischen Beirats (bzw. seiner sog. Steuerungsgruppe) gegenüber einem seiner Mitglieder, weil es sich nicht in das Corona-Corps der Maßnahmen-Affirmativen einreiht, widerlegt auf kuriose, fast schon satirische Weise die Aussage Lessenichs, welche die FAZ-Redaktion zum Titel des mit ihm geführten Interviews angeregt hatte: "Ich bestreite, dass es eine Cancel Culture gibt".

Online-Flyer Nr. 769  vom 19.05.2021

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