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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Zum Artikel "Den Augenblick durch Tränen nicht verschleiern" von Hartmut Barth-Engelbart zu den Morden von Hanau am 19. Februar 2020
Das Hirn nicht vernebeln lassen
Von Wolfram Elsner

"Wir sollten uns bei aller Trauer, den Augenblick durch Tränen nicht verschleiern & die Hirne nicht durch Heuchlertränen-Werfer vernebeln lassen. Verwandelt Eure Trauer & Wut in Energie & eigenes Fühlen & selbständiges Denken. Wir werden das noch sehr, sehr lange brauchen." Das schreibt Hartmut Barth-Engelbart (HaBE)  anlässlich der Morde von Hanau am 19. Februar 2020. Dazu schreibt Wolfram Elsner: "Da kann man HaBE nur zustimmen. Bei aller Trauer und aller Wut das Hirn nicht vernebeln lassen, auch nicht von der jetzigen scheinbaren 'breiten Einheit der Nation' gegen die Hasstäter." Und weiter merkt Wolfram Elsner an:

Das bedeutet mehrerlei:

  • Nicht zu vergessen, dass es inzwischen mehr als vier Jahrzehnte Veränderung der Republik von oben gibt: Vier Jahrzehnte brutaler Herrschaft des neoliberalen Regimes, der Austerität, der Umverteilung nach oben zu den 1%, der Verarmung für die einfachen Menschen, zunehmender Kinderarmut und zunehmender Ungerechtigkeit überall, zunehmenden autoritären und unterdrückenden Staatshandelns gegen „unten“ haben ein Riesenpotenzial der Empörung, Frustration und des Hasses produziert.

  • Dieses Potential ist immer als weiterer Anlass für den Umbau der Republik zu etwas anderem, zu mehr autoritärer Herrschaft, zu autoritäreren Gesellschaftsbildern, mehr Minderheiten- und Fremdenfeindlichkeit, mehr Kampf aller gegen alle ge- und missbraucht worden, zu mehr Herrschaftsabsicherung, zu mehr Aggressivität nach innen und nach außen, mehr Aufrüstung nach innen und außen, zum mehr Krieg nach innen und nach außen.

  • Die Linke (PDS/PdL) war viele Jahre lang Haupt-Hoffnungsträger für viele Menschen und wurde von Millionen gewählt, hatte von ihnen die Chance bekommen, zu einer großen alternativen Kraft zu werden, hat aber die frustrierten, abgehängten, die mit der Wut im Bauch zur Seite geschoben, ignoriert, links und rechts liegen lassen, immer selber nur nach oben gestrebt, in die weichen Parlamentssitze und die Minister-, Staatssekretärs-, Abteilungsleiter- und Dezernenten-Pöstchen in Bund, Ländern und Kommunen, ein große Selbstbedienungs-Partei. Die Millionen, die die parlamentarische/Kultur-Linke hat links liegen lassen, konnten in deutscher historischer Tradition leicht von der aufstrebenden, sich sozialpolitisch und als Gerechtigkeitspartei verkleidenden, in Wirklichkeit sozialdarwinistisch-neoliberalen Rechten eingesammelt und weiter missbraucht werden. Diese produziert auch systematisch jene „Einzeltäter“ und kleineren und größeren Tätergruppen und -netzwerke, die den Terror ins Land tragen, damit die Krisen soweit zugespitzt werden, dass diktatorische Formen irgendwann möglich werden.

  • Dabei nützt es gemäß historischer Erfahrung fast nichts, als humanitäre, empörte, linke und linksliberale Bewegung für ein paar Tage oder Wochen die Straßen und vielleicht sogar einige Massenmedien zu beherrschen, selbst wenn jetzt vielleicht sogar alle herrschenden Parteien hinter einem stehen sollten. Am Ende der Weimarer Republik waren Millionen Menschen auf der Strasse, aber die Machtinstrumente Polizei, Justiz, Geheimdienste, Militär und bürokratischer Staatsapparat waren zunehmend fest in der Hand der Rechtsextremen. Die Inthronisierung der Nazis fand statt zu einer Zeit als deren Wählerzahlen schon wieder rückläufig waren – und vielleicht gerade deshalb, weil es dann eilig wurde. Militär, Justiz, Polizei, Geheimdienste und rechter SA/SS-Terror haben dann schnell die Macht übernommen und einen anderen Staat und eine andere Gesellschaft errichten können.

  • Vergessen wir nicht, wie in der Berliner Republik seit Jahrzehnten die Rechten von Polizei, Justiz, Geheimdiensten und im Militär geschützt, vernetzt, gepampert und mit Waffen versorgt werden, wie BND und MAD die Machtzentren und Brutstätten von Nazi-Terroristen geworden sind und dort geschützt werden, und wie bisher keine Regierung bereit oder in der Lage war, die Nazi-Netzwerke aufzudecken, aufzulösen und der rechten Blutspur Einhalt zu gebieten. Es gibt eine andere logische Konsequenz: Wesentliche Teile der herrschenden Machtapparate halten sich heute wie damals die rechten Terroristen als fünfte Kolonne bereit für die dann zu erledigende Drecksarbeit auf den Straßen, wenn die nächsten größeren Wirtschaftskrisen, Systemkrisen und Legitimationskrisen wegen immer größerer, schreiender Ungerechtigkeit. „Kapitalismus führt zu Faschismus“ wurde jahrzehntelang auf der Strasse gerufen angesichts von NPD, Reps usw. Der Abendroth-Schüler und Marburger Politologie-Professor Reinhard Kühnl drückte es so aus: Der Faschismus ist immer eine Herrschaftsreserve des Kapitalismus für die Fälle, in denen seine Wirtschaftskrisen, Sozialkrisen und Legitimationskrisen sich zuspitzen.

Das alles wird leider nicht erwähnt bei den Reden auf den Demos gegen „Hanau“, auch nicht von SprecherInnen der Linken.


Siehe den Artikel "Den Augenblick durch Tränen nicht verschleiern" von Hartmut Barth-Engelbart hier:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26603



Online-Flyer Nr. 737  vom 26.02.2020

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