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Lokales
Veranstaltung "Keine Auslieferung von Julian Assange an die USA! Free the press, stop the war!", Köln, 29.11.2019
Krieg gegen Journalisten
Von Felicitas Rabe

Am Freitag, den 29. November 2019 fand in der Universität Köln eine Podiumsdiskussion mit John Shipton, dem Vater von Julian Assange, und der linken Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen statt. Vor ungefähr 150 interessierten Zuhörern berichteten sie über die Hintergründe der Inhaftierung von Assange. Dabei kam auch zur Sprache, was ihn motiviert hat, sich für die Veröffentlichung von unbequemen Wahrheiten einzusetzen. Mit seiner Inhaftierung und Verfolgung würde vor allem ein Exempel gesetzt. Wer sich mit denjenigen anlege, die meinen, die Wahrheit gepachtet zu haben, solle gewarnt sein.

    In Zeiten der Lüge ist das Berichten der Wahrheit
    ein revolutionärer Akt
    George Orwell

Im Jahr 2010 wurde auf der Wikileaks-Plattform ein Video veröffentlicht, in dem gezeigt wurde, wie das US-Militär im Irak aus einem Hubschrauber absichtlich auf Zivilisten schießt – dabei starben zwölf Menschen, darunter zwei Kriegsberichterstatter von Reuters. Die Veröffentlichung dieses Videos wurde dem Wikileaks-Gründer Julian Assange zum Verhängnis. Nachdem die Redaktionen der New York Times, des Guardian und des Spiegel zunächst gerne mit ihm zusammen gearbeitet hatten und die Veröffentlichungen der Wikileaks-Dokumente sogar gemeinsam bei Arbeitstreffen koordinierten, setzte nach dieser Veröffentlichung die Verfolgung aufgrund von Geheimnisverrat ein. Die Wahrheit über US-Kriegsverbrechen darf nicht ungestraft verbreitet werden.


Veranstaltung im Hörsaal der Kölner Uni (alle Fotos: arbeiterfotografie.com)

Nachdem kein Land bereit war, Assange Asyl zu gewähren, flüchtete er 2010 in die ecuadorianische Botschaft in London, wo er neun Jahre lang auf engstem Raum festsaß. Ihm wurde der Zugang zu adäquater medizinischer Behandlung verweigert, er wurde dauerüberwacht, abgehört und selbst seine Toilette war mit Mikrofonen verwanzt. Im April dieses Jahres holte ihn die britische Polizei aus der Botschaft. Unter dem Vorwand der Missachtung von Kautionsauflagen wurde er in einem Schnellverfahren zu 50 Wochen Haft verurteilt. Seitdem sitzt Assange in Isolationshaft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Der UN-Sonderbeauftragte für Folter, Nils Melzer, hat nach seinem Besuch festgestellt, dass Assange im Gefängnis der Folter ausgesetzt ist und dass es ihm psychisch und physisch sehr schlecht geht. Am 24. Februar 2020 soll das Gerichtsverfahren beginnen, bei dem ein britisches Gericht über den US-Auslieferungsantrag für Assange entscheiden wird, den die USA inzwischen gestellt haben. Bei Auslieferung drohen ihm 175 Jahre Haft oder die Todesstrafe.

Assanges Unterstützer setzen sich dafür ein, dass er vor Beginn des Gerichtsverfahrens im Februar freigelassen wird, oder zumindest seine Haftbedingungen soweit verbessert werden, dass er sich auf den Prozess vorbereiten kann. In Deutschland engagiert sich vor allem die Abgeordnete der Linkspartei, Sevim Dagdelen, für Julian Assange. In Veranstaltungen informieren sie und Assanges Vater John Shipton über die aktuelle Situation und mobilisieren weitere Unterstützung.

So fand am vergangenen Mittwoch eine Anhörung zur Situation von Julian Assange in den Räumen des Bundestags in Berlin statt. Neben John Shipton und Sevim Dagdelen nahmen dabei unter anderem auch Nils Melzer, UN-Sonderbeauftragter für Folter, Assanges Rechtsanwältin Renata Avila, Christian Mir von "Reporter ohne Grenzen", der Wikileaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson und Cornelia Berger von der Deutschen Journalisten-Union bei ver.di teil. John Shipton ist der Auffassung, dass die öffentliche Meinung in Deutschland entscheidend sein könnte für die Freilassung und rechtsstaatliche Behandlung seines Sohnes. Auf der Kölner Veranstaltung sagte er dazu: „Deutschland ist das Machtzentrum von Europa – was hier konstruktiv passiert, beeinflusst alle.“ Daher sucht Shipton als australischer Staatsbürger auch in Deutschland nach Unterstützung für seinen Sohn.

An der Uni Köln wurde die Veranstaltung organisiert von den linken Hochschulgruppen, "die Linke SDS Köln", "Der Wendepunkt – Sozialisten und weitere Aktive an der Uni Köln", "Kölner Friedensforum", DIDF, "Aufstehen – Ortsgruppe Köln", der "Evangelische Gemeinde Lutherkirche Köln" und DFG-VK.

Der Moderator Peter Förster von den linken Hochschulgruppe "Wendepunkt – Sozialisten und weitere Aktive" stellte in seiner Begrüßung fest, dass es bei der Unterstützung von Julian Assange um weit mehr ginge als um sein Schicksal – es ginge vielmehr um die grundsätzliche Verteidigung von Werten und Menschenrechten. Es ginge um die Verwirklichung der Würde aller Menschen und insbesondere um die Rechte von Kriegsopfern.


John Shipton, Vater von Julian Assange

Als erstes fragte Förster den Vater von Assange nach der besonderen Bedeutung von Wikileaks. Laut Shipton sind wahrheitsgemäße Fakten die Grundlage für richtige Entscheidungen und Voraussetzung für die Analyse von Ereignissen. Für unser Verhältnis zur Realität sind wahrheitsgemäße Fakten der entscheidende Faktor. Darin bestünde die Bedeutung von Wikileaks. Es stelle ungefiltert Dokumente zur Verfügung, deren Echtheit zuvor von Wikileaks geprüft würde. Anhand dieser Dokumente bekämen wir ein echtes, unverfälschtes Bild von den Ereignissen – und eine realistische Grundlage für Analyse, Diskussion und Entscheidungen. Aktuell könne man zum Beispiel anhand der von Wikileaks veröffentlichten Dokumente zu Bolivien nachvollziehen, wer in den Putsch involviert ist, welche Personen aus den USA Gelder investiert haben und wer an der Korruption beteiligt ist – alles Grundlagen für eine korrekte Analyse der Ereignisse in Bolivien.

Grundsätzlich habe Wikileaks zu einem Wandel im Journalismus geführt. Mittlerweile könne man bei allen bedeutenden Nachrichtenagenturen Dokumente anonym an eine sichere Dropbox schicken. Im Unterschied zu Wikileaks würden diese Agenturen aber nur Bruchteile der eingesandten Dokumente veröffentlichen.

Auf die Frage, was Julian Assange motiviert und überzeugte hätte, sich mit den Mächtigen dieser Welt anzulegen, berichtete Shipton, Julians Hauptmotiv sei immer die soziale Ungerechtigkeit gewesen. Er nutze die Kraft seines Intellekts, um die Wahrheit für alle zugänglich zu machen. Schon als das Internet noch für viele Menschen unbezahlbar war, richtete er eine Reihe von Servern ein, damit auch ärmere Menschen Zugang zum Internet bekamen. Er engagierte sich in sozialen Bewegungen und beim Weltsozialforum.

Laut Shipton resultiere die intensive Verfolgung von Julian Assange aus der Bloßstellung des US-Militärs und seiner illegalen Kriegshandlungen. Was zuvor als so genannter Kollateralschaden bezeichnet worden war, präsentierte sich in Wikileaks-Dokumenten als absichtlicher Terror gegenüber Zivilisten.

An dieser Stelle appellierte Shipton an das Publikum: Die Ziele der Verfolgung von Julian Assange beträfen uns alle: Jeder, der es wagen sollte, unerwünschte Wahrheiten in die Öffentlichkeit zu bringen, soll gewarnt werden. Es ginge vor allem darum, investigative Journalisten und Verlage einzuschüchtern und jedem, der sich gegen den Mainstream stelle, einen Maulkorb zu verpassen.

Auch die menschenunwürdige Behandlung und die Inhaftierung von Julian würden uns alle betreffen. So habe die UN-Arbeitsgruppe zu Folter festgestellt, dass die Inhaftierung durch die britische Justiz willkürlich und illegal sei. Entsprechend ihres Berichts und des internationalen Rechts müsse Julian sofort freigelassen werden und Asylrecht erhalten. Sowohl die britische Regierung als auch die deutsche Regierung hätten international vereinbarte Menschenrechtskonventionen ratifiziert, auf deren Durchsetzung wir uns im Falle von Menschenrechtsverletzungen verlassen wollen. Wenn sich zeigt, dass sie im Fall von Julian Assange außer Kraft gesetzt werden, können sie bei jedem von uns missachtet werden.


Veranstaltung im Hörsaal der Kölner Uni (von links: Übersetzer, Übersetzerin, John Shipton, Sevim Dagdelen und Peter Förster)

Sevim Dagdelen hat Julian Assange zuletzt im Dezember 2018 in der ecuadorianischen Botschaft besucht. Von ihr wollte Förster wissen, aus welchem Grund die Bundesregierung sich im Fall der Menschenrechtsverletzung gegenüber Julian Assange so zögerlich verhält.

Laut Dagdelen habe sich die Bundesregierung bewusst entschieden, sich nicht für Julian Assange einzusetzen. Nach ihrer Meinung würden in der Politik Entscheidungen nicht auf der Grundlage von Sachverhalten getroffen, sondern aufgrund politischen Willens. Dies würde besonders bei der Arbeit in politischen Ausschüssen deutlich. Eingeladene Experten würden dort regelmäßig über Sachverhalte referieren, deren Inhalte aber bei den anschließenden Entscheidungen keine Rolle spielen würden, weil eben der politische Wille vorrangig sei.

Der UN-Sonderbeauftragte für Folter, ein Experte auf dem Gebiet der Menschenrechtsverletzungen habe dem Auswärtigen Amt einen Bericht über die physische und psychische Misshandlung von Julian Assange vorgelegt. Bei seinem Termin im Auswärtigen Amt musste er erfahren, dass dieser Bericht nicht gelesen worden war.

Was Menschenrechte und internationale Konventionen im Fall von Whistleblowern bedeuten, hätte man beim skandalösen Entzug der Überflugsrechte für die Präsidentenmaschine von Evo Morales im Jahr 2013 vorgeführt bekommen. Aufgrund des bloßen Verdachts, dass im Flugzeug des bolivianischen Staatspräsidenten der Whistleblower Edward Snowden mitfliegen würde, wurden internationale Immunitätsrechte für den Präsidenten umstandslos außer Kraft gesetzt.

Mit dem Fall Assange würde nach Einschätzung von Sevim Dagdelen ein Exempel für exterritoriale US-Verfolgung von Journalisten statuiert. Es handele sich um einen Krieg gegen Journalisten. Und dann fragt sie ins Publikum: „Wo bleibt denn hier die Solidarität der Journalisten? Glauben sie, sie würden zukünftig von exterritorialer Verfolgung verschont?“ „Julian erwarten 175 Jahre Gefängnis oder die Todesstrafe in den USA. Meinen sie, das könne ihnen nicht passieren?“


John Shipton, Vater von Julian Assange, und die linke Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen

Wie könne es sein, dass ein Mensch, der weder US-Bürger ist noch sich jemals in den USA aufgehalten hat, von US-Behörden in die USA geholt werden, um dort nach US-Recht verurteilt zu werden? Man stelle sich vor, ein anderes Land oder unsere Behörden würden dies umgekehrt mit Menschen in den USA machen, deren Auslieferung verlangen, um sie nach deutschem Recht verurteilen zu können.
 
Obwohl die Journalisten der New York Times, des Guardian, von Le Monde, El Pais und vom Spiegel die umstrittenen Dokumente über Kriegsverbrechen aufgrund einer verspäteten Freischaltung noch vor Wikileaks veröffentlicht und eng mit Wikileaks zusammengearbeitet hätten, würden sie sich jetzt komplett von Assange distanzieren.

Sevim Dagdelen setzt sich für Julian Assange ein, weil er uns gezeigt habe, dass man sich für die Aufklärung der Wahrheit einsetzen kann, und weil er uns die Augen dafür geöffnet hat, wie dreckig Kriege sind. Sie vergleicht ihn mit Carl von Ossietzky, dem Herausgeber der Weltbühne, der vor 90 Jahren für seine antimilitaristische Aufklärungsarbeit wegen Geheimnisverrat für 18 Monate inhaftiert wurde.

Im Vorfeld des Prozesses sollte der Druck auf diejenigen erhöht werden, die Einfluss auf die Lage von Julian haben. Entgegen aller Rechtsvorschriften wurde ihm bisher nicht einmal die Anklageschrift bekannt gemacht. Julian müsse aus der Haft entlassen werden und sich auf seinen Prozess vorbereiten dürfen.

In der anschließenden Diskussion wollten die Zuschauer wissen, welche Chancen in der Gerichtsverhandlung für Julian Assange bestehen, dass er nicht ausgeliefert wird, und welche öffentliche Unterstützung es für ihn gibt. John Shipton berichtete dazu über ein überparteiliches Abgeordnetenkomitee, das in Australien gegründet wurde. Es übt kontinuierlich Druck auf die australische Regierung aus, sich für die Freilassung von Julian Assange einzusetzen. Zwei Abgeordnete dieses Komitees werden am 24.Februar 2020 an der Gerichtsverhandlung in Belmarsh teilnehmen. Eine australische Journalistenorganisation übt über ihre Pressearbeit Druck auf die australische Regierung aus. Auch in England gäbe es soziale Bewegungen, die Assange unterstützen. So würde sich der Sänger Roger Waters von Pink Floyd auf Demonstrationen öffentlich für die Freilassung von Julian einsetzen. (1)

Zur Frage der Haltung von Journalisten und Medien wurde aus dem Publikum angemerkt, dass die öffentliche Anhörung für die Freilassung von Julian Assange am vergangenen Mittwoch in Berlin nur von RT-deutsch/Ruptly per Livestream übertragen wurde. Doch ausgerechnet die Redaktion, die sich für die Unterstützung von Julian Assange und den investigativen Journalismus einsetzen würde, werde vom Vorsitzenden des deutschen Journalistenverbands (djv), Frank Überall, als Propaganda-Instrument diskreditiert, dem keine Rundfunklizenz erteilt werden dürfe.

Ein Zuschauer empörte sich, dass ein Menschenhändler und Sexualverbrecher wie Jeffrey Epstein während seines Gefängnisaufenthaltes 12 Stunden Freigang genießen durfte, während jemand, der sich für die Opfer von Kriegsverbrechen einsetze, 22 Stunden am Tag in Isolationshaft verbringen müsse.

Ein Zuschauer aus Afghanistan bedankte sich mit bewegenden Worten beim Vater von Julian Assange dafür, dass er sich als betroffener Vater mit soviel Kraft und Geduld für seinen Sohn einsetzen würde. Er wolle sich stellvertretend für die Menschen in Afghanistan bei ihm und bei seinem Sohn Julian bedanken. Julian Assange hätte die Kriegsverbrechen in seinem Land aufgedeckt und veröffentlicht, was den afghanischen Menschen von den westlichen Militärs im Namen der so genannten Demokratie angetan wurde. Er hätte den Menschen in seinem Land mit seinen Leaks eine Stimme gegeben.

Es wurden auch Vorschläge zur Unterstützung von Julian Assange eingebracht. dazu müssten Verbündete in der Politik, bei zivilgesellschaftlichen Organisationen und bei den Kirchen gesucht werden. Engagierte Menschen sollten sich an ihre jeweiligen Abgeordneten wenden. Für die hohen Verteidigungskosten könne man sich mit Spenden beteiligen. Infos dazu und regelmäßige aktualisierte Informationen gibt es auf der Webseite defend.wikileaks.org. In Deutschland kann man sich auch an den Aktionen des "Free Assange Komitee Germany" beteiligen, das in mehreren Städten regelmäßig Mahnwachen für Julian Assange organisiert. (2) Aufgrund seiner Isolation ist es ganz besonders wichtig Unterstützungsbriefe an Julian Assange zu senden. Seine Adresse lautet:

Mr. Julian Assange
A 9379 AY
HMP Belmarsh
Western Way
London
SE 28 DEB
United Kingdom

Zum Abschluss der Veranstaltung trug der Musiker Guy Dawson sein Lied „We will always stand by Julian Assange“ vor. Besonders beeindruckend war es, den vielen Unterstützern von Julian Assange zu begegnen und von ihren Aktionen zu erfahren. Aufgrund der fehlenden Berichterstattung, ist kaum bekannt, wie viele Menschen sich für seine Freilassung engagieren – so wie generell das Engagement für Anliegen, die den Mächtigen nicht gefallen, in den meisten Medien nicht vorkommen, damit Kennenlernen, Vernetzung und Solidarisierung verhindert werden.


Aktion für Julian Assange im Anschluss an die Veranstaltung


Fußnoten:

1 „How I wish you were here, Julian“ (ab Minute 15:50)
https://www.youtube.com/watch?v=DwPgIbnyX5s

2 Infos zum "Free Assange Komitee Germany":
https://www.facebook.com/pages/category/Cause/Free-Assange-Committee-Germany-296800261268837


Grußwort von John Shipton:



Online-Flyer Nr. 728  vom 04.12.2019

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