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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Globales
Glaubwürdigkeit der gesamten internationalen Rechtsordnung steht zur Disposition
Zur Rolle der UN beim Völkermord im Jemen
Von Georg Meggle

Mit der Resolution 2216 legitimiert die UN den Völkermord. Die UN selber schafft damit ihr eigenes Fundament, das Völkerrecht, ab. Kein Mensch ist unfehlbar. Auch keine menschliche Institution. Nicht einmal eine der besten Institutionen, die die Menschheit bisher geschaffen hat: die UN. Ein besonders krasser Beleg dafür: die Rolle der UN beim Völkermord im Jemen. DIE UN ist an dem vorsätzlich herbeigeführten massenhaften Sterben im Jemen, insbesondere an den laut Save the Children [1] über 85.000 verhungerten Kindern, ohne Frage mit-schuldig. Diese Diagnose ist genau lokalisierbar. Der UN-Sicherheitsrat beschließt am 14. April 2015 ohne Gegenstimmen - allein Russland enthält sich - die Resolution 2216 [2], mit der ein Waffenembargo sowie weitere Sanktionen gegen die Huthi-Miliz verhängt werden. Und nur gegen diese.


Screenshot aus Video "...You can help" im youtube-Kanal "Save the Children USA"

Die direkten Folgen dieser Resolution bringt die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" exakt auf den Punkt [3]: Der SAC (der Saudi-Arabian guided Coalition) wird damit ein "Blankoscheck" ausgestellt, (i) "die gesamte Infrastruktur, die den Rebellen [den Huthis] einen militärischen Vorteil bieten könnte - wie Straßen, Flughäfen, Häfen und Tankstellen - zu bombardieren", und (ii) "Restriktionen über den Luft- und Seehandel zu verhängen, die in rapider Weise dazu führen, dass das ganze Land von der übrigen Welt isoliert wird".

Da die Versorgung des Jemen fast völlig Import-abhängig ist, bedeutet diese UN-Resolution insbesondere die Legitimierung einer totalen Versorgungsblockade. Kein Treibstoff; keine Lebensmittel; kein trinkbares Wasser; keine Medizin. Nahezu Null von all dem, was man selbst im Jemen zum bloßen Überleben braucht.

Die UN-Resolution 2216 – Beihilfe zum Völkermord

Nach dem üblichen Verständnis des Völkerrechts ist eine solche Blockade glasklar ein Kriegsverbrechen. Mit der Resolution 2216 legitimiert die UN einen Völkermord - den seit 2015 von der SAC mit massiver Unterstützung der USA, Großbritanniens und Frankreichs systematisch betriebenen Völkermord im Jemen. Was heißt: Die UN selber schafft ihr eigenes Fundament, das Völkerrecht, ab.

Es ist dieser Widerspruch, der den eigentlichen Skandal unseres Umgangs mit dem Jemenkrieg ausmacht - oder zumindest ausmachen sollte. Was es sonst noch über den Jemenkrieg zu sagen gibt, ist demgegenüber nahezu sekundär.

Zehntausende Tote durch Bomben, Sprengkörper, altmodische Kalaschnikows oder durch deren modernste westliche Zwillinge, durch richtig oder falsch programmierte Drohnen, ungezählte Kollateralschäden, die Lieferung von Bombern, Kriegsschiffen und Kriegsmaterial aller Art durch unsere eigenen Regierungen: Warum sich darüber eigentlich groß aufregen, wenn mit unserem eigenen - durch UN-Beschluss gedeckten, wohlgemerkt! - Einverständnis Abermillionen einfach dem Hungertod ausgeliefert werden dürfen und auch tatsächlich ausgeliefert werden, mit unfassbar mörderischem Erfolg!

Ich glaube nicht, dass wir uns die Dimension dieses Versagens der von uns bisher meist zu Recht so hoch geschätzten internationalen Rechts-Institution - eben der UN - bisher gebührend klar vor Augen geführt haben.

Die Hungerblockade gegen den Jemen - noch schlimmer als die Hölle des Krieges. Die Schuldfrage? Bisher ignoriert

Es hat immerhin mehr als 3 Jahre gebraucht, bis - in Reaktion auf einen saudi-arabischen Knochensäge-Mord in Istanbul - auch die NYT das Ausmaß des breiten Panoramas des Todes im Jemen ihren Leserinnen und Lesern nicht länger verheimlichen wollte und in diesem Kontext auch erstmals darauf hinwies [4], dass der überwiegende Teil dieser tödlichen Skala eben nicht durch direkte Kampf- oder Bombeneinsätze bewirkt wird, vielmehr durch die diversen Mittel der so genannten indirekten Kriegsführung, insbesondere durch "the war on the economy": durch einen Lohnstopp für alle nicht mit der SAC kooperierenden Bevölkerungsschichten, durch die gezielte Entwertung der Währung von Seiten der von Sanaa nach Aden verlegten Zentralbank; durch die absichtliche Zerstörung der Versorgungwege; durch den Einsatz von Drohnen gegen das weidende Vieh; und, last but not least, durch Luft-, See- und Land-Blockaden als der langfristig brutalsten Hauptkomponente dieser Strategie der Vernichtung aller Lebensgrundlagen.

Was die UN unternimmt, ist gut; zumindest besser als das, was der Rest der Welt so zustande bringt. So das übliche positive Bild von der UN. Auch das meine. Ein Bild, das durch die genannte UN-Resolution, sofern deren Folgen tatsächlich als erst durch diese Resolution ermöglichte und somit mitbewirkte Folgen erkannt würden, einen radikalen Riss erfährt. Wie soll, so schreit unsere individuelle wie kollektive kognitive Dissonanz-Psyche auf - wie soll, was von einer einzigen UN-Resolution mit-bewirkt wird, schlimmer sein können als die uns ja auch aus anderen Ländern inzwischen nur allzu gut bekannte Hölle, in der die Bombenlast der modernsten und teuersten US-Hi-Tech-F-15-Bomber ganze Schulklassen und Hochzeits- wie Trauergesellschaften zerfetzt?

Und doch, es ist so: Das Vernichtungsspektrum einer Hungerblockade ist, wie man sich speziell in Europa im Rückblick auf die englische Seeblockade im I. Weltkrieg erinnern könnte, weitaus wirksamer als die übliche Hölle des Krieges. Zudem noch effizienter. Mit weitaus weniger direkten Gewalteinsätzen verbunden. Auch ohne jedes Opferrisiko für die eigene Seite. Zudem nicht so unmittelbar sichtbar. Nicht so ansprechend und zugleich abstoßend schrecklich wie die zerfetzten Leiber oder die verbrannten Körperreste fotografierbarer Opfer. Nun: Ich kann die Leser dieses Beitrags jetzt nur noch einmal bitten, sich "in aller Ruhe" erneut dem schon mehrfach genannten NYT-Artikel zu widmen.

Der Völkermord im Jemen - eine Tatsache

Die Lage im Jemen nennt die UN inzwischen selbst "the world’s worst humanitarian crisis", eine "Krise", in der nach Lise Grande, der UN-Koordinatorin für Humanitäre Angelegenheiten, "in den nächsten Monaten 14 Millionen Jemeniten vom Hungertod bedroht sind".1 [5] Ein weiterer Aspekt eben dieser Krise ist, wiederum nach Angaben der UN selbst: "the worst cholera epidemic in history".

Mit schuld an dieser Lage ist die UN selbst. Dank der Petition 2216 von 2015.

Wie weiter?

Wie sollte das im Kontext des Völkerrechts so gern beschworene "Gewissen der Menschheit" auf diese Lage reagieren? Mit einem "Weiter wie bisher!"? Wer das empfiehlt, sollte von Menschenrechten und einem an diesen Rechten orientierten Völkerrecht fürderhin schweigen.

Notwendig: Revision der Petition 2216

Ich sehe hier nur einen klaren Weg: Die UN-Petition 2216, die dem von Seiten der SAC und ihrer westlichen Mentoren praktizierten Völkermord im Jemen erst Tür und Tor geöffnet hat, muss von der UN selbst widerrufen werden.

Wie das geschehen könnte? Nun, 2019 ist Deutschland im Sicherheitsrat vertreten. Und so kann die Außenpolitik Deutschlands auch dort zeigen, was von ihren Friedensbeteuerungen wirklich zu halten ist. Eine Glaubwürdigkeits-Herausforderung, die ausnahmsweise mal nicht als Argument für einen weiteren Militäreinsatz tauglich ist. Und dieser Glaubwürdigkeitstest betrifft nicht nur Deutschland; die Glaubwürdigkeit der gesamten internationalen Rechtsordnung - bzw. eben das, was von dieser noch übrig geblieben ist - steht im Jemen nunmehr zur Disposition.

Gilt das Verursacher-Prinzip auch für die UN?

Wer einen Schaden mit verursacht hat, haftet für diesen mit - ist also auch für die Beendigung der betreffenden Schädigung bzw. für deren Wiedergutmachung mit verantwortlich. Gilt dieses im Alltag unstrittige Verursacher-Prinzip auch im internationalen Bereich? Auch dann, wenn die UN selber Mit-Täter ist?

Den Feinheiten dieser zentralen Frage nachzugehen, ist Aufgabe der Völkerrechtler und der Internationalen Rechtsphilosophie. Also: An die Arbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Und die Friedensgespräche?

Sehr konkret wird diese Frage im Rahmen der im Dezember 2018 in Stockholm begonnenen und ab Ende Januar in dem schwedischen Provinz-Örtchen Rimbo fortzuführenden Friedensgespräche unter dem Dach der UN. Die Bezeichnung "Friedensgespräche" verdienen diese Treffen erst dann, wenn der hier formulierte fundamentale Widerspruch zwischen der auf den Weltfrieden abhebenden UN-Charta einerseits und der einen Völkermord gut heißenden UN-Petition 2216 andererseits aufgelöst ist.

Eine solche Lösung ist bisher aber nirgends in Sicht. In der gegebenen Konstellation der Stockholmer und Rimboer Treffen schon gar nicht. (Aber das wäre schon wieder eine neue Geschichte.) Selbst wenn in Hodeyda die Waffen schweigen sollten - der schleichende Tod als Folge der durch die UN gebilligten SAC-Hungerblockaden steht für die bevorstehenden Reden über einen Frieden noch nicht einmal auf deren Agenda.

Nachtrag: Hommage an Jamal Benomar - in der Nachfolge von Hans-Christof von Sponeck

Wir Menschen sind fehlbar. Was nicht so schlimm ist, solange es Menschen gibt, die unsere Fehler auch klar als Fehler benennen; und solche, die sich, solange die Anderen auf ihren Fehlern beharren, sich von diesen - den Fehlern - mit einem klaren Not in My Name distanzieren. Auf ihnen beruht der inzwischen sehr klein gewordene Rest unserer ehemals großen Hoffnung auf eine humanitäre Zukunft. Solche Mitmenschen gibt es nicht allzu viele.

An zwei sei hier erinnert. An Hans-Christof von Sponeck [6], der im Jahre 2000 als Verantwortlicher für das UN-Programm "Oil for Food" Im Vorfeld des Irakkrieges von diesem Posten zurücktrat, und zwar aus Protest gegen die für das Sterben von Hunderttausenden irakischer Kinder verantwortlichen Sanktionspolitik des UN-Sicherheitsrates (Interview mit Hans-Christof von Sponeck [7]). Und an Jamal Benomar [8], der wenige Tage nach dem Beschluss der Petition 2216 im April 2015 von seinem Posten als UN-Sondergesandter im Jemen zurücktrat - und in seiner Presseerklärung explizit davor warnt, dass durch das beschlossene Embargo gegen den Jemen die dort ohnehin schon bestehende humanitäre Krise nur noch weiter verschlimmert werden wird.


Fußnoten:

[1] https://yemen.savethechildren.net/
[2] https://www.un.org/press/en/2015/sc11859.doc.htm
[3] https://www.google.com/search?q=Kritik+an+der+Resolution+2216+des+UN-Sicherheitsrates&oq=Kritik+an+der+Resolution+2216+des+UN-Sicherheitsrates&aqs=chrome..69i57.26672j1j7&sourceid=chrome&ie=UTF-8
[4] https://www.nytimes.com/interactive/2018/10/26/world/middleeast/saudi-arabia-war-yemen.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Zur-Rolle-der-UN-beim-Voelkermord-im-Jemen-4260392.html?view=fussnoten#f_1
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Christof_von_Sponeck
[7] https://www.heise.de/tp/features/Dieses-Tribunal-wird-nicht-unbeachtet-bleiben-3401594.html
[8] https://en.wikipedia.org/wiki/Jamal_Benomar
[9] https://www.heise.de/tp/features/Warum-Krieg-gegen-den-Jemen-jetzt-3371174.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/Nasrallahs-Abrechnung-mit-den-Saudis-3371265.html
[11] https://www.heise.de/tp/features/Der-wahre-Grund-des-Jemen-Kriegs-4205930.html
[12] https://www.heise.de/tp/features/Jemens-Reichtum-als-Kriegsgrund-Zweiter-Versuch-4218943.html
[13] https://www.heise.de/tp/features/Der-Jemenkrieg-ein-imperialer-Krieg-der-USA-4245116.html


Siehe auch:

Was steckt wirklich hinter diesem Krieg: gewaltige Öl-Reserven
Der wahre Grund des Jemen-Kriegs?
Von Georg Meggle
NRhZ 680 vom 31.10.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25341

Zweiter Versuch
Jemens Reichtum als Kriegsgrund?
Von Georg Meggle
NRhZ 682 vom 14.11.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25378

Dritter Anlauf auf der Suche nach den Kriegsgründen
Der Jemenkrieg – Ein imperialer Krieg der USA?
Von Georg Meggle
NRhZ 686 vom 12.12.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25469

Online-Flyer Nr. 690  vom 30.01.2019

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