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Globales
Zur Diskussion gestellt
China–USA: Das Thukydides-Problem
Von Eva Maria Cardoso Maciel und Frank Siol

Wird es China gelingen, sich dem drohenden Angriff aus den USA zu entziehen? Ist 2018 für China das Jahr, welches 1905 für Deutschland war? Seit einigen Monaten tobt ein Handelskrieg. Das neue daran: China weicht nicht mehr zurück sondern übt massive Vergeltung. Bei Handel, Zöllen, Währung. China versucht nun, dem Dollar den Boden zu entziehen. Und China verteidigt sich nun sogar militärisch, wie am 30. September 2018 im Südchinesischen Meer, als es versuchte, ein US-Kriegsschiff zu rammen, das in chinesisches oder zumindest in von China beanspruchtes Hoheitsgebiet eingedrungen war. Die bankrotten USA wollen ihren Haupthandelskonkurrenten China vernichten, wie es aussieht mit Krieg, als letzte Gelegenheit, ihre Weltherrschaft durchzusetzen. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass das aufstrebende China diesen Krieg um jeden Preis vermeiden will, da der Absturz der bankrotten USA unvermeidlich ist, und China dann siegt ohne zu kämpfen.
 
Warum aber übt China dann massive Vergeltung, im Handelsstreit sowie militärisch, wie jetzt im Südchinesischen Meer? Wenn das US-Schiff nicht vor den Chinesen geflohen wäre, könnten die USA das als Kriegsgrund nehmen, wenn sie denn wollen. Wie passt das zusammen?
 
Deutschlands Lage vor WK I

Ein Blick auf die parallele Lage Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg (WK I) hilft hier vielleicht. England wollte den Haupthandelskonkurrenten Deutschland mit einem Krieg vernichten, Frankreich wollte Revanche für die Niederlage von 1871. Russland wiederum war seit 1894 mit Frankreich verbündet, und ohne Russland als Kanonenfutter konnte England seine Absichten gegen Deutschland vergessen. Der Krieg Englands mithilfe Frankreichs und Russlands gegen Deutschland war absehbar, und Deutschland konnte nur abwarten, bis die Einkreisung komplett und diese drei bereit waren. Da erlitt Russland 1905 eine schwere Niederlage gegen Japan, was die Revolution von 1905 in Russland zu Folge hatte. Kaiser Wilhelm II, die Gelegenheit erkennend, sich aus der Einkreisung zu befreien, bot Russland daraufhin einen Bündnisvertrag an. Doch Russland lehnte ab.

Da Deutschland den kommenden Krieg nicht vermeiden konnte, und Russland wegen der Revolution im Innern für einige Zeit ausfiel, sah der Chef des deutschen Generalstabs General von Schlieffen daher 1905 die Zeit gekommen, einen Präventivschlag gegen Frankreich zu führen, um der drohenden Vernichtung zuvorzukommen. Doch der Kaiser, dessen Absicht es war, unbedingt den Frieden zu erhalten, lehnte ab.
 
Deutschland ergriff die ihm unverhofft zugefallene Gelegenheit nicht: Es gab weder ein Bündnis mit Russland noch einen Befreiungsschlag gegen Frankreich. Sun Tsu: „Rechne nicht damit, dass der Feind nicht kommt.“

Von da an nahm das Verhängnis seinen Lauf. 1907 einigten sich England und Russland über die Aufteilung ihrer Einflusssphären in Asien, Russland trat dem englisch-französischen Bündnis bei, und als 1914 alle drei bereit waren, kam der erwartete Überfall gegen Deutschland. Es war zu spät, Deutschland hatte seine Chance auf Souveränität einstweilen vertan.
 
Die chinesische Führung kennt ihren Sun Tsu

Mit den USA geht es weiter bergab, und derzeit haben sie außer England und Polen kein Kanonenfutter. Aber sie sind immer noch in der Lage, ihrem Vasallen Japan die Bewaffnung zu erlauben. Russland könnte sich irgendwann zur Neutralität entschließen, und Indien sich dann sogar gegen China wenden. China hat bis jetzt noch Glück, dass es derzeit ein Bündnis mit Russland hat, und Russland wiederum mit Indien eng verbunden ist, so dass Indien, wenn es jetzt zum Krieg käme, wenigstens neutral bliebe. China ist mit Pakistan verbündet: aber theoretisch könnte sogar Pakistan sich irgendwann auch mit Indien einigen. Im schlimmsten Falle entzweien sich Russland und China wieder, zum Beispiel wegen der sibirischen Gebiete. Wenn auch nur einer dieser Faktoren sich ändert, könnte es für China zu spät sein.
 
Der Verfall der USA setzt sich fort

In ein paar Jahren werden die USA ihr Ziel der Weltherrschaft wohl nicht mehr erreichen können. Entscheidend ist hier die die USA beherrschende Finanzoligarchie, welche ihren Sturz fürchten muss, sobald der von ihr verursachte Bankrott der USA erklärt werden muss: für diese Oligarchie wäre ein siegreicher Krieg an der Spitze einer großen Koalition vieler Länder gegen den Hauptgläubiger China zumindest ein Ausweg aus ihrem selbst geschaffenen Dilemma, selbst bei einem Pyrrhus-Sieg. Wie in WK I und WK II - wobei die US-Siege in WK I und WK II genau genommen auch nur Pyrrhus-Siege waren, wie man am heutigen Niedergang und Bankrott der USA sieht.
 
USA versuchen China einzukreisen

Und es gibt auch schon Anzeichen, dass die USA genau darauf hinarbeiten, sich die fehlenden Verbündeten, sprich das fehlende Kanonenfutter zu verschaffen. Sehr gut zu sehen am Beispiel der Philippinen. Als der philippinische Präsident Duterte 2016 gewählt wurde, wandte er sich China zu und von den USA ab. Und auf einmal, jetzt 2018, stehen die Philippinen wieder fest an der Seite der USA: Duterte fährt sogar nach Israel, lobt dieses und verspricht, seine Waffen künftig dort zu kaufen. Die Philippinen fordern sogar Japan, welches die Philippinen bis 1945 besetzt hatte, auf, wieder eine stärkere militärische Rolle zu spielen. Oder Vietnam: die USA haben bereits begonnen, Vietnam als US-Verbündeten gegen China aufzubauen. Brasilien, Oktober 2018: Mit dem Projekt „Bolsonaro“ bringen die USA ihren Hinterhof auf Linie, um ihn auch in den kommenden Stürmen bzw. während des geplanten Krieges unter Kontrolle zu halten. Am Tag nach seiner Wahl kündigt Brasiliens neuer Präsident einen Handelskrieg gegen China an, m.a.W. Brasilien jetzt auf Seiten der USA gegen China, fürs erste jedenfalls. Die USA versuchen derzeit, Verbündete gegen China zu gewinnen, um China einzukreisen. Um es dann zu vernichten und zu unterwerfen, so wie sie (die Angelsachsen) es zuvor mit Deutschland gemacht haben.

Das Thukydides-Problem (1)

Eine absteigende Macht (hier die USA) will den Aufstieg einer anderen Macht (heute China) verhindern. Die Konkurrenz zwischen einer absteigenden mit einer aufsteigenden Macht führt historisch erwiesen meistens zum Krieg. In China wird derzeit diskutiert, wie man dieser Thukidides-Falle entkommen könnte. Es wird vorgeschlagen, dass “China und USA eine neue Identität bräuchten.” Was man im Falle der USA und ihrer oligarchischen Verfasstheit allerdings ausschließen kann. M.a.W. China hat keine Lösung für dieses Problem.
 
China will überleben

China will keinen Krieg. Deutschland vor 1914 auch nicht. Nichtsdestoweniger muss China versuchen, die Einkreisungsstrategie der USA zu durchkreuzen, ihr zuvorzukommen. Es könnte dahin kommen, dass China, durch die US-Politik, gezwungen sein wird, das Zeitfenster zu seiner Verteidigung auszunutzen, welches vielleicht die einzige Chance bietet, dem Verhängnis zu entgehen. Und welches sich auch wieder schließen kann. Um souveräne Macht zu bleiben, um zu überleben, scheint nun der Zeitpunkt gekommen zu sein, ab dem China sich verteidigt. Wie am 30. September 2018 im Südchinesischen Meer geschehen. Um den Fehler Deutschlands nicht zu wiederholen. Denn trotz des Niedergangs der USA besteht die Gefahr, dass das Kräfteverhältnis sich ab jetzt zu ungunsten Chinas verschieben könnte. Für Deutschland war dies das Jahr 1905 und einige wenige Folgejahre. Danach war es zu spät. Ist 2018 das Jahr für China, welches das Jahr 1905 für Deutschland war? Es spricht einiges für diese Annahme.
 
Sun Tsu: „Sei unendlich subtil.“

„Willst du den Kampf vermeiden, dann kann der Feind nicht mit dir kämpfen, selbst wenn du zur Verteidigung nur eine Linie auf dem Boden ziehst, denn du führst ihn in die Irre.“

Es gibt natürlich noch eine gewisse Chance, dass es China gelingt, sich den USA zu entziehen. Und die USA ihren nächsten Großen Krieg mit einem Angriff gegen Iran, in Syrien, in der Ukraine am Donez oder vielleicht auf dem Balkan beginnen. In dem Fall wäre China nicht unmittelbar betroffen, wäre nicht erstes US-Angriffsziel, und könnte seine Ressourcen schonen. Das ist möglich, aber auch hier zeigt ein Vergleich mit Deutschland um 1905, dass man auf soviel Glück nicht unbedingt rechnen kann: In Deutschland ging man um 1905 davon aus, dass der nächste große Konflikt zwischen England und Russland stattfinden würde. Langfristig hatte man damit sogar Recht, wie der Kalte Krieg zwischen den Angelsachsen und Russland nach 1945 gezeigt hat. Aber der Haupthandelskonkurrent war vor 1914 nun einmal Deutschland, und den wollten England und USA zuerst vernichten. Und der US-Haupthandelskonkurrent heißt heute China.
 
Resümee:

Den bankrotten USA bleibt nicht mehr viel Zeit, ihre Weltherrschafts-Ambitionen durchzusetzen, bzw., die US-Finanzoligarchie muss ihren Sturz fürchten. Die USA versuchen derzeit noch, Verbündete gegen China zu gewinnen und China einzukreisen, bevor sie losschlagen.

China will keinen Krieg, aber China will überleben und die Einkreisung vermeiden. China sucht nach einem Ausweg aus der Thukydides-Falle, bisher erfolglos. Drei mögliche Szenarien:
  1. Es gelingt China, sich den USA zu entziehen, und die USA beginnen ihren Großen Krieg in einem anderen Weltteil.

  2. China durchkreuzt die Einkreisungsstrategie der USA. China verteidigt sich ab jetzt massiv sowohl auf seinem eigenen Territorium als auch in seiner Umgebung, wie am 30.9.2018 im Südchinesischen Meer. Schon das kann den USA als Kriegsvorwand dienen. Aber China kommt so der Einkreisung zuvor.

  3. Es gelingt China nicht, die US-Einkreisungsstrategie zu durchkreuzen. Die USA bringen andere Staaten als Verbündete und Kanonenfutter gegen China in Stellung. Und die USA schlagen dann zu, wenn es für sie am günstigsten ist, um dann China zu vernichten und zu unterwerfen. So wie die Angelsachsen es 1914 mit Deutschland gemacht haben.
Wir wissen nicht welches der drei oder mehr möglichen Szenarien eintritt. Aus chinesischer Sicht ist natürlich Möglichkeit Eins die beste. Drei wäre die schlechteste. Es sieht nach Szenario Zwei aus: Chinas Präsident Xi Jinping und das russische Außenministerium haben Ende Okt. 2018 offen gesagt, dass sie sich auf Krieg vorbereiten. Sowohl aus deutscher wie aus chinesischer Sicht sehen wir: Die Zeichen stehen auf Krieg. Der wieder von den USA ausgeht.


Fußnote:

1 Thukydides beschrieb um 400 v.Chr. am Beispiel des Peloponnesischen Krieges den Konflikt zwischen Athen und Sparta.

Online-Flyer Nr. 686  vom 12.12.2018

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