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Globales
Debatte zur Frage:
Läuft in Nicaragua eine Regime-Change-Operation?
Von Jürgen Steidinger sowie Markus und Eva Heizmann

In der Debatte um die Frage, ob in Nicaragua eine Regime-Change-Operation läuft, ist von Markus und Eva Heizmann vom "Bündnis gegen den imperialistischen Krieg, Basel, Hamburg, Wien" in NRhZ-Ausgabe 665 vom 27.06.2018 der Artikel "Es gibt nichts Neues unter der Sonne" veröffentlicht. Darauf hat Jürgen Steidinger, der in Nicaragua tätig war, reagiert und sein Erstaunen zum Ausdruck gebracht – vor allem hinsichtlich der von Markus und Eva Heizmann gestellten Fragen. Darauf haben sie geantwortet. Die NRhZ gibt die Ausführungen von Jürgen Steidinger sowie Markus und Eva Heizmann nachfolgend wieder.


Jürgen Steidinger:

Estimadas y estimados - mit Erstaunen hab ich den Artikel "Es gibt nichts Neues unter der Sonne" von Markus und Eva Heizmann (Bündnis gegen den imperialistischen Krieg, Basel, Hamburg, Wien) gelesen - vor allem die Fragen:
  • Geostrategisch: Der geplante Kanal von Ozean zu Ozean (als Konkurrenz zum Panama Kanal) scheint im Moment zwar vom Tisch zu sein, doch bleibt das auch in Zukunft so?
  • Wie sind die Beziehungen Nicaraguas zu den Nachbarländern?
  • Ist die Regierung US/NATO-hörig?
  • Gibt es fremde Militärbasen im Land, falls ja:
  • Woher kommen diese Basen?
  • Wie viele sind es?
  • Ist die Regierung sozialistisch? (Freie Bildung, freies Gesundheitssystem u.a.m.)
  • Geht das Land einen eigenen Weg?
  • Gibt es ausländische Konzerne im Land?
  • Falls ja: in welchem Umfang?
  • Zu welchen Bedingungen, ist die Bevölkerung am Gewinn beteiligt und falls ja, in welchem Ausmaß?
  • Medien: Erfolgt eine (im weitesten Sinn) objektive Berichterstattung anhand von Fakten oder sind die Berichte Dämonisierungen und kommen dabei ausschließlich Stimmen gegen die Regierung zu Wort?
Nach über 25 Jahren Arbeit in Nicaragua (1992 bis 2016) und immer noch "online" mit vielen nicaraguanischen FreundInnen verbunden, frage ich mich aber: wann waren diese "Beiden" zuletzt in Nicaragua - einmal von Nord nach Süd durchs Land "gejettet" - und die meisten der Fragen sind beantwortet!
 
Bleibt allerdings die Frage bzw. das Problem, das seit Wochen bei Linken und vor allem bei "linken Betonköpfen" sehr beliebt und hoch im Kurs steht: "ES KANN NICHT SEIN, WAS NICHT SEIN DARF".
 
Oder auf einen etwas volkstümlicheren Nenner gebracht: Herr Ortega hat mit Sandino soviel gemeinsam, wie Frau Merkel mit Mutter Teresa oder Herrn Spahn mit Albert Schweitzer!
 
In diesem Sinne - saludos cordiales - Jürgen Steidinger


Text aus einem von Jürgen Steidinger als Anhang mitgeschickten Flugblatt "NICARAGUA – ein Volk versucht sich zu befreien":


1979 In Nicaragua stürzt eine breite Widerstandsbewegung mit der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) an der Spitze die Diktatur des Somoza-Clans. Weltweit entwickelte sich eine breite Solidaritätsbewegung mit den "Befreiern", auch in Deutschland. 1989 wurde eine Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und León unterzeichnet.

Von 1980 bis 1990 tobte in Nicaragua ein von den USA finanzierter Krieg der so genannten Kontras gegen das Land. Seit 2007 stellt die FSLN erneut den Präsidenten Nicaraguas.

2018 Seit Mitte April 2018 ist in Hamburgs Partnerstadt León nichts mehr, wie es mal war. Was ist passiert? Welche Perspektive hat das kleine mittelamerikanische Land?

Am 17. April 2018 Jahres wurde nach einer von der Regierung Ortega/Murillo erlassenen Rentenreform "zum Sieden" gebracht, was schon lange gärte. Seitdem wehrt sich ein großer Teil der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft gegen die Politik des "Revolutionshelden" Ortega und seines Clans. Er verwandelt das befreite Nicaragua erneut in eine Diktatur. Längst wird sie mit der Diktatur Somozas verglichen - in Bezug auf den Reichtum der führenden Familie und der Elite sowie auf die blutigen Repression.

In 200 Tagen des Widerstandes, wurden über 500 Menschen ermordet, z.T. von Scharfschützen hingerichtet, über 3000 verletzt, viele schwer. Hunderte wurden entführt, verschleppt, verhaftet, gefoltert. Dutzende erhielten hohe Freiheitsstrafen: Sie waren an Aktionen für Demokratie, Meinungsfreiheit und Gerechtigkeit beteiligt. Ein Gesetz zum "Schutz vor Terrorismus" wertet selbst die medizinische Versorgung verletzter DemonstrantInnen als terroristischen Akt. Die staatlichen Krankenhäuser wurden angewiesen, keine Personen zu behandeln, die an Demonstrationen beteiligt waren.

Durch die Vorbereitung eines neuen Gesetzes will die Regierung Ortega/Murillo den dringend anstehenden Versöhnungsprozess in die Hände der Polizei legen. Die dafür am besten geeignete Institution, die katholische Kirche, wird von der Regierung als „Puschisten“ beschimpft und verfolgt.

Auch die Bevölkerung von Hamburgs Partnerstadt León leidet. Wir wollen informieren und diskutieren, wie wir ihnen helfen können. LEÓN braucht dringend weiter Unterstützung aus Hamburg. Wie kann diese aussehen? -Können staatliche Institutionen oder Verwaltungen noch "unsere Partner" sein? - Gibt es zuverlässige gemeinnützige Organisation in León?

Wir laden ein am Mittwoch, 28.11.2018 - 19.00 Uhr ins KULTURSCHLOSS WANDSBEK, 22041 Hamburg, Königsreihe 4, S-Friedrichsberg.

Dazu nehmen der Reihe nach Stellung und möchten mit Ihnen/Euch diskutieren: Dr. Jürgen Steidinger (Kinderarzt, früher Leiter der Neugeborenenintensivstation im AK Wandsbek. Er lebte und arbeitete 1992 bis 2016 als Entwicklungshelfer in Nicaragua), Rolf Becker (Schauspieler, Aktivist der "Ersten Tage", "Radio Venceremos" León), Dr. Francisco Amaya (Arzt aus León, 1990 bis 2007 Mitglied der FSLN, in der DDR lange Zeit Vertreter der nicaraguanischen Studenten - lebt und arbeitet als Arzt in Halle)


Markus und Eva Heizmann:

Diese „Beiden“ wie Herr Steidinger uns nennt, waren noch nie in Nicaragua, schon gar nicht jetten wir von Nord nach Süd durch irgend ein Land. Noch nie in Nicaragua gewesen zu sein, disqualifiziert uns also von vornherein? Dieses „Argument“ erinnert uns an die anti-AKW-Debatten von damals: Wer nicht genau erklären kann, wie ein Atommeiler funktioniert, ist nicht befugt, mit zu diskutieren.

Wir haben uns zum Beispiel intensiv mit Syrien befasst, Syrien auch mehrmals, auch während des Angriffskrieges bereist und ein Buch sowie zahlreiche Artikel darüber veröffentlicht. Trotzdem würde es uns nicht einfallen, jemandem, der noch nie in Syrien war, mit dieser Arroganz gegenüber zu treten, wie dies Herr Steidinger tut.

Es fällt auf, dass er sich nicht dazu bequemt, auch nur eine der Fragen, die wir in unserem Artikel zur Diskussion stellen, schlüssig und konstruktiv zu beantworten.

Stattdessen das Totschlagargument schlechthin: Wir seien linke Betonköpfe und ganz fett: Es kann nicht sein was nicht sein darf.

Auf dem gesamten südamerikanischen Kontinent droht ein reaktionärer backslash, die Wahl des Faschisten Bolsonaro in Brasilien ist dafür nur ein weiteres Indiz. Vor diesem Hintergrund, der sich schon zurzeit, als wir den Artikel abfassten, abzeichnete, analysieren wir die Lage. Herrn Steidingers Polemik ist da wenig hilfreich. Es geht nicht um eine Regierung Ortega in Nicaragua, es geht auch nicht um eine Regierung Maduro in Venezuela. Ein Land nach dem anderen im „Hinterhof“ der Yankees soll gemäß der niemals außer Kraft gesetzten Monroe-Doktrin in den Einflussbereich der USA „geführt“ oder „zurück geführt“ werden. Wo dies nicht mit „Wahlen“ erreicht werden kann, wie im Fall Brasiliens, wenden die USA eben das bewährte Mittel eines „Regime Changes“ an. Darum geht es! Wir werden Regierungen in dieser Region in dem Moment kritisch oder ablehnend gegenüber stehen, wenn sie sich als Vasallen der USA zeigen sollten. So viel wir wissen, tun dies weder Daniel Ortega noch Rosario Murillo.

Die Veranstaltung, für die im Anhang geworben wird, können wir leider nicht besuchen, da Hamburg für uns nicht grad um die Ecke liegt. Auch zu dieser Veranstaltung haben wir jedoch noch einige offene Fragen:
  • Die Rentenreform, an der sich die Proteste entzündeten, wurde unseres Wissens schon längst rückgängig gemacht. Warum wird das nicht erwähnt?
  • Warum wird trotzdem weiter protestiert?
  • Wem nützt ein allfälliger Sturz des Duos Ortega / Murillo?
  • Wer steht zur Nachfolge bereit?
  • 500 Tote und 3000 Verletzte durch Scharfschützen! Wer sind die Opfer? Woher kommen die Scharfschützen?
  • Ist bewiesen, dass diese von der Regierung kommen oder von ihr beauftragt wurden?
  • Wenn ja: Woher kommen diese Beweise?
  • Warum soll die katholische Kirche für einen Versöhnungsprozess am besten geeignet sein?
  • Nicaraguas Präsident Daniel Ortega hat der katholischen Kirche des Landes vorgeworfen, Mitveranlasserin eines Staatsstreichs gegen seine Regierung zu sein. Sind das Lügen?
  • Was ist falsch daran, diesen Versöhnungsprozess in die Hände des Staates zu legen?
Für uns, die wir die Situation aus der Ferne beobachten, sehen diese Aufstände sehr nach einer Instrumentalisierung und einer Inszenierung aus, so wie wir dies von Syrien, von der Ukraine und von anderen „Farbrevolutionen“ kennen.

Von europäischen Volontarios, welche die Escuela de la Comedia y el Mimo in Granada besucht haben, erfahren wir: Sie (die Volantarios) wurden von den „Rebellen“ in Granada gefragt, ob sie für oder gegen die Regierung seien. Die Antwort war, sie seien weder für noch gegen die Regierung. Darauf hin wurde ihnen gesagt, sie sollen besser verschwinden und sich nicht mehr blicken lassen, anderenfalls könne man für nichts mehr garantieren. Ob dies nun die geeigneten Versuche sind, um ein Volk zu befreien, darf zum Mindesten hinterfragt werden.

Auf einer anti-imperialistischen und solidarischen Basis sind wir gerne bereit, diese Fragen, die unserer Meinung nach universell und nicht allein auf Nicaragua bezogen gestellt werden müssen, zu diskutieren.


Artikel, auf den sich die Auseinandersetzung bezieht:

Debatte zur Frage: Läuft in Nicaragua eine Regime-Change-Operation?
Es gibt nichts Neues unter der Sonne
Von Markus und Eva Heizmann (Bündnis gegen den imperialistischen Krieg, Basel, Hamburg, Wien)
NRhZ 665 vom 27.06.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24990

Online-Flyer Nr. 684  vom 28.11.2018

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