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Literatur
"Breaking News: Die Welt im Ausnahmezustand - Wie uns die Medien regieren" von Michael Meyen
Im Zerrspiegel
Buchtipp von Harry Popow
Jeder schaut wohl morgens in einen Spiegel im Badezimmer, ob alles okay ist. Jeden Abend schaut man ins Fernsehen und will wissen, ob die Welt noch okay ist. Die einen finden alles normal, die anderen schalten bald wieder empört ab, weil sie sich verarscht vorkommen. Oberfläche statt Inhalte. „Nur nicht langweilen“, so lautet ein allabendlich gesendeter Slogan im rbb. So kommt das Fernsehen – und nicht nur dieses Medium – den banalsten und oft weitgehend unbedarften Hörern und Lesern entgegen. Nee, da verzichtet man halt ganz auf die Veräppelung. Was ist los mit den Medien? Tiefer gedacht: Was ist los mit der Welt? Welche Informationen bekommen wir, das Volk? Wollen wir überhaupt mehr wissen? Der Autor Michael Meyen will in seinem Buch „BREAKING NEWS: Die Welt im Ausnahmezustand“ darüber aufklären. Und tatsächlich. Herr xy, würde er bereits die ersten Seiten lesen, hätte Grund zur Freude: „Ja so isses!“
Grell, schrill, laut...
In sechs Kapiteln auf insgesamt 208 untersucht er die spezifischen Merkmale für die gezielte Einflussnahme auf die Hirne und Handlungen der Rezipienten. Dabei lässt der Autor keinen Bereich des gesellschaftlichen Lebens aus. Angefangen bei Sportveranstaltungen, Berichte über Parteien und deren Konflikte, Schulen sowie im politischen Bereich – ohne Ausnahme geht es da um mehr Aufmerksamkeit für die einzelnen Akteure als auch für die Organisationen und Parteien. Man will herausstechen, etwas Besonderes sein: Grell. Schrill. Laut. Gewalt. Unter dem geht so gut wie nichts. Nicht nur des Geldes wegen, sondern um des Ehrgeizes willen, im Mittelpunkt zu stehen und um in der Anerkennungsphase einige Stufen weiter nach oben zu klettern. Der Autor wehrt sich dagegen, diesen Drang, besser als der andere zu sein, nur unter dem Aspekt der Ökonomie zu sehen. Denn, so schreibt er, es gehe nicht mehr so darum, satt zu essen zu haben, sondern als wohlhabend und einflussreich zu gelten. Das gehöre zur Lebensmotivation.
Da purzeln dem Herrn xy hunderte Namen, neue Begriffe und Fremdwörter sowie unzählige Zitate entgegen, die den Schluss zulassen: Ja, so ist es. Es geht gar nicht um Inhalte, schon gar nicht um Politik oder Wirtschaft, sondern darum, beim Konsumenten ein AHA! zu erzeugen. Der Ausnahmezustand als Ausdruck des Imperativs der Aufmerksamkeit. Der Autor schreibt von Medialisierung und von Resilienz. Beide Begriffe bezeichnen einerseits den Einfluss der Medien auf die Gesellschaft als auch die Notwendigkeit, diesem Druck psychologisch widerstehen zu können. Womit er auch die Gesellschaft insgesamt meint.
Konkreter: Man solle unbefangen in die Welt schauen. (S. 10) Es gehe um Konflikte statt um Streit und Inhalte. (S.11) Es gebe keine Alternativen. (S. 167) Auf Seite 33 zitiert der Autor den Soziologen Armin Nassehi: „Schluss mit einfachen Kausalitäten. Weg von Wahrheiten und Lösungen, (…) Hin zu der Einsicht, dass es keine Ursachen gibt, keine Strategie, die sicheren Erfolg verspricht, und folglich auch kein lineares Narrativ. Alles passiert gleichzeitig (…). Warum also an die Vernunft appellieren (…), warum auf irgendeine Form der Einsicht hoffen (…). Die Schule: Ernsthaft Stoff beibringen? Nein, Spaß haben, die Disko nehme die Ruhe, um Vokabeln zu lernen. Dann auch die perfekte Hochzeit. Und das Design ist wichtiger als Funktionalität.
Nein, sagt der Autor. Mit dem Imperativ der Aufmerksamkeit gehe der eigentliche Auftrag der Medien flöten und sei damit auch eine Bedrohung für die Gesellschaft. Er verweist zum Beispiel auf den Auftrag des Gesetzgebers, Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu sein, einen umfassenden Überblick zu liefern und so zur internationalen Verständigung beizutragen. (S. 49)
Dieser – in den Augen des Autors vermeintliche echte demokratische Auftrag, ohne die Machtverhältnisse im kapitalistischen System näher zu beleuchten - , sei eine Bedrohung dafür, „was soziale Funktionssystem wie die Massenmedien für die Gesellschaft leisten sollen“. (S. 177) Journalisten würden nur noch Bruchstücke liefern und unter dem Zwang des Imperativs der Aufmerksamkeit dem Publikum keine Orientierung mehr geben können.
Inhalte? Fehlanzeige
Spätestens ist hier zu fragen: Haben die westlichen bürgerlichen Medien seit Gründung der BRD je politische Inhalte im Sinne des Fortschritts angestrebt? Haben sie – besonders auch heutzutage in einem neuen Kalten Krieg – jemals nach den Ursachen gesellschaftlicher Verwerfungen gefragt und Lösungen, echte Alternativen angeboten. Das werden sie tunlichst vermeiden – bei Strafe des eigenen Untergangs.
Wenn der Autor Michael Meyen mit seinem interessanten Buch gesellschaftliche Veränderungen ansteuern will, dann darf er bei der Kritik an den Wirkungsfaktoren der Medien nicht stehen bleiben. Tiefer ausloten bedeutet, bei seinen Lösungsvorschlägen nicht nur an der Oberfläche zu kratzen. Damit rennt er, was er auch gar nicht will, nicht jene Mauern ein, die die Machteliten und ihren Besitz nach wie vor umgeben. Illusorisch z.B. seine Mahnung auf Seite 184, „in sich zu gehen“. Natürlich, Aufklärung und Orientierungshilfen sind viel Wert. Aber in welche Richtung? Mit welchem Inhalt? „Genauer hinsehen“, fordert er seine Leser auf Seite 173 auf, das, was er auch mit seinem Buch erreichen wollte.
Unterliegen die bürgerlichen Medien doch – das ist eine alte, von Marx festgestellte und allen bekannte wissenschaftliche Erkenntnis, dass sie im Kapitalismus an Freiheit einbüßen, solange sie als Gewerbe betrieben werden. Sie unterliegen dem Zwang, höhere Einschaltquoten anzusteuern. Und wenn der Druck, der auf den Privatmedien liegt, nicht dem gesellschaftlichen Eigentum weichen kann, dann ändert sich auch nichts am Drang nach Breaking News. Und eine Bedrohung, wie der Autor schreibt, ist das für die Funktion, die Öffentlichkeit allseitig zu informieren, ebenso wenig wie für die Adressaten, also das Publikum, stets wahrheitsgemäß informiert zu werden. Alles bleibt beim Alten. Eine echte Veränderung – und darüber fällt kein Wort in diesem Buch – ist nach dieser Darstellung nicht in Sicht. Der Rezipient sieht sich nach wie vor im Zerrspiegel. Auch Herr xy mag nach dem Lesen dieser faktenreichen und sehr lesenswerten Lektüre nach wie vor hilflos den Kopf schütteln. Er sieht nach wie vor in einen die Realität verzerrenden Spiegel. Nichts Neues. Nur ein detailliertes Abbild des Zustandes. Aber er mag sich gut unterhalten haben...
Michael Meyen: „BREAKING NEWS: DIE WELT IM AUSNAHMEZUSTAND. WIE UNS DIE MEDIEN REGIEREN“
Taschenbuch: 208 Seiten, Verlag: Westend; Auflage: 1 (1. März 2018), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3864892066, ISBN-13: 978-3864892066, Größe: 13,6 x 2 x 21,4 cm, Preis: 18 Euro
Michael Meyen, Jahrgang 1967, hat als Journalist bei der Leipziger Volkszeitung und beim Radio begonnen. Seit 2002 ist er Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU München und arbeitet dort mit angehenden Journalisten, PR-Profis und Medienforschern. Was dabei herauskommt, wird im Blog Medienrealität dokumentiert. Zuletzt erschien von ihm „Breaking News: Die Welt im Ausnahmezustand. Wie uns die Medien regieren“.
Online-Flyer Nr. 651 vom 21.03.2018
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"Breaking News: Die Welt im Ausnahmezustand - Wie uns die Medien regieren" von Michael Meyen
Im Zerrspiegel
Buchtipp von Harry Popow
Jeder schaut wohl morgens in einen Spiegel im Badezimmer, ob alles okay ist. Jeden Abend schaut man ins Fernsehen und will wissen, ob die Welt noch okay ist. Die einen finden alles normal, die anderen schalten bald wieder empört ab, weil sie sich verarscht vorkommen. Oberfläche statt Inhalte. „Nur nicht langweilen“, so lautet ein allabendlich gesendeter Slogan im rbb. So kommt das Fernsehen – und nicht nur dieses Medium – den banalsten und oft weitgehend unbedarften Hörern und Lesern entgegen. Nee, da verzichtet man halt ganz auf die Veräppelung. Was ist los mit den Medien? Tiefer gedacht: Was ist los mit der Welt? Welche Informationen bekommen wir, das Volk? Wollen wir überhaupt mehr wissen? Der Autor Michael Meyen will in seinem Buch „BREAKING NEWS: Die Welt im Ausnahmezustand“ darüber aufklären. Und tatsächlich. Herr xy, würde er bereits die ersten Seiten lesen, hätte Grund zur Freude: „Ja so isses!“
Grell, schrill, laut...
In sechs Kapiteln auf insgesamt 208 untersucht er die spezifischen Merkmale für die gezielte Einflussnahme auf die Hirne und Handlungen der Rezipienten. Dabei lässt der Autor keinen Bereich des gesellschaftlichen Lebens aus. Angefangen bei Sportveranstaltungen, Berichte über Parteien und deren Konflikte, Schulen sowie im politischen Bereich – ohne Ausnahme geht es da um mehr Aufmerksamkeit für die einzelnen Akteure als auch für die Organisationen und Parteien. Man will herausstechen, etwas Besonderes sein: Grell. Schrill. Laut. Gewalt. Unter dem geht so gut wie nichts. Nicht nur des Geldes wegen, sondern um des Ehrgeizes willen, im Mittelpunkt zu stehen und um in der Anerkennungsphase einige Stufen weiter nach oben zu klettern. Der Autor wehrt sich dagegen, diesen Drang, besser als der andere zu sein, nur unter dem Aspekt der Ökonomie zu sehen. Denn, so schreibt er, es gehe nicht mehr so darum, satt zu essen zu haben, sondern als wohlhabend und einflussreich zu gelten. Das gehöre zur Lebensmotivation.
Da purzeln dem Herrn xy hunderte Namen, neue Begriffe und Fremdwörter sowie unzählige Zitate entgegen, die den Schluss zulassen: Ja, so ist es. Es geht gar nicht um Inhalte, schon gar nicht um Politik oder Wirtschaft, sondern darum, beim Konsumenten ein AHA! zu erzeugen. Der Ausnahmezustand als Ausdruck des Imperativs der Aufmerksamkeit. Der Autor schreibt von Medialisierung und von Resilienz. Beide Begriffe bezeichnen einerseits den Einfluss der Medien auf die Gesellschaft als auch die Notwendigkeit, diesem Druck psychologisch widerstehen zu können. Womit er auch die Gesellschaft insgesamt meint.
Konkreter: Man solle unbefangen in die Welt schauen. (S. 10) Es gehe um Konflikte statt um Streit und Inhalte. (S.11) Es gebe keine Alternativen. (S. 167) Auf Seite 33 zitiert der Autor den Soziologen Armin Nassehi: „Schluss mit einfachen Kausalitäten. Weg von Wahrheiten und Lösungen, (…) Hin zu der Einsicht, dass es keine Ursachen gibt, keine Strategie, die sicheren Erfolg verspricht, und folglich auch kein lineares Narrativ. Alles passiert gleichzeitig (…). Warum also an die Vernunft appellieren (…), warum auf irgendeine Form der Einsicht hoffen (…). Die Schule: Ernsthaft Stoff beibringen? Nein, Spaß haben, die Disko nehme die Ruhe, um Vokabeln zu lernen. Dann auch die perfekte Hochzeit. Und das Design ist wichtiger als Funktionalität.
Nein, sagt der Autor. Mit dem Imperativ der Aufmerksamkeit gehe der eigentliche Auftrag der Medien flöten und sei damit auch eine Bedrohung für die Gesellschaft. Er verweist zum Beispiel auf den Auftrag des Gesetzgebers, Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu sein, einen umfassenden Überblick zu liefern und so zur internationalen Verständigung beizutragen. (S. 49)
Dieser – in den Augen des Autors vermeintliche echte demokratische Auftrag, ohne die Machtverhältnisse im kapitalistischen System näher zu beleuchten - , sei eine Bedrohung dafür, „was soziale Funktionssystem wie die Massenmedien für die Gesellschaft leisten sollen“. (S. 177) Journalisten würden nur noch Bruchstücke liefern und unter dem Zwang des Imperativs der Aufmerksamkeit dem Publikum keine Orientierung mehr geben können.
Inhalte? Fehlanzeige
Spätestens ist hier zu fragen: Haben die westlichen bürgerlichen Medien seit Gründung der BRD je politische Inhalte im Sinne des Fortschritts angestrebt? Haben sie – besonders auch heutzutage in einem neuen Kalten Krieg – jemals nach den Ursachen gesellschaftlicher Verwerfungen gefragt und Lösungen, echte Alternativen angeboten. Das werden sie tunlichst vermeiden – bei Strafe des eigenen Untergangs.
Wenn der Autor Michael Meyen mit seinem interessanten Buch gesellschaftliche Veränderungen ansteuern will, dann darf er bei der Kritik an den Wirkungsfaktoren der Medien nicht stehen bleiben. Tiefer ausloten bedeutet, bei seinen Lösungsvorschlägen nicht nur an der Oberfläche zu kratzen. Damit rennt er, was er auch gar nicht will, nicht jene Mauern ein, die die Machteliten und ihren Besitz nach wie vor umgeben. Illusorisch z.B. seine Mahnung auf Seite 184, „in sich zu gehen“. Natürlich, Aufklärung und Orientierungshilfen sind viel Wert. Aber in welche Richtung? Mit welchem Inhalt? „Genauer hinsehen“, fordert er seine Leser auf Seite 173 auf, das, was er auch mit seinem Buch erreichen wollte.
Unterliegen die bürgerlichen Medien doch – das ist eine alte, von Marx festgestellte und allen bekannte wissenschaftliche Erkenntnis, dass sie im Kapitalismus an Freiheit einbüßen, solange sie als Gewerbe betrieben werden. Sie unterliegen dem Zwang, höhere Einschaltquoten anzusteuern. Und wenn der Druck, der auf den Privatmedien liegt, nicht dem gesellschaftlichen Eigentum weichen kann, dann ändert sich auch nichts am Drang nach Breaking News. Und eine Bedrohung, wie der Autor schreibt, ist das für die Funktion, die Öffentlichkeit allseitig zu informieren, ebenso wenig wie für die Adressaten, also das Publikum, stets wahrheitsgemäß informiert zu werden. Alles bleibt beim Alten. Eine echte Veränderung – und darüber fällt kein Wort in diesem Buch – ist nach dieser Darstellung nicht in Sicht. Der Rezipient sieht sich nach wie vor im Zerrspiegel. Auch Herr xy mag nach dem Lesen dieser faktenreichen und sehr lesenswerten Lektüre nach wie vor hilflos den Kopf schütteln. Er sieht nach wie vor in einen die Realität verzerrenden Spiegel. Nichts Neues. Nur ein detailliertes Abbild des Zustandes. Aber er mag sich gut unterhalten haben...
Michael Meyen: „BREAKING NEWS: DIE WELT IM AUSNAHMEZUSTAND. WIE UNS DIE MEDIEN REGIEREN“
Taschenbuch: 208 Seiten, Verlag: Westend; Auflage: 1 (1. März 2018), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3864892066, ISBN-13: 978-3864892066, Größe: 13,6 x 2 x 21,4 cm, Preis: 18 Euro
Michael Meyen, Jahrgang 1967, hat als Journalist bei der Leipziger Volkszeitung und beim Radio begonnen. Seit 2002 ist er Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU München und arbeitet dort mit angehenden Journalisten, PR-Profis und Medienforschern. Was dabei herauskommt, wird im Blog Medienrealität dokumentiert. Zuletzt erschien von ihm „Breaking News: Die Welt im Ausnahmezustand. Wie uns die Medien regieren“.
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