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Globales
Interview mit dem israelischen Friedensaktivisten Jeff Halper
Der kapitalistische Krieg gegen die Menschheit
Jeff Halper - interviewt von Anneliese Fikentscher

Noch bis zum 30. November 2017 ist der israelische Friedensaktivist und Prof. em. für Antropologie der Universitäten Haifa und Beerscheba, Jeff Halper, in Deutschland auf Vortragsreise. Am 1. Dezember gibt es auf seiner Europatour den letzten Termin in Wien. Sein Vortragsprogramm spannt sich über das Projekt der Häuserzerstörung (dessen Komitee-Gründungsmitglied ICAHD er im Jahr 1997 ist), das Projekt des Bi-nationalen Demokratischen Ein-Staat-Modells für eine aktuelle(!) Friedenslösung in Israel und Palästina bis zur wenig bekannten Waffenkooperation, wie der mit Deutschland weltweit führenden Nano-Waffentechnik bis hin zum Export des "Prinzips Besatzung" per "Sicherheits-"Kontrollen im Überwachungsstaat. Auf letzterem Gebiet ist Israel weltweit führend.


Jeff Halper (Foto: arbeiterfotografie.com)

Was sind Deine Erfahrungen mit Krieg?

Meine Erfahrungen mit Krieg beruhen vor allem auf Recherchen. Ich habe ein Buch "War against the People" (Krieg gegen die Menschheit) geschrieben, das davon handelt, wie Israel das System Besatzung exportiert: nach Europa und in die ganze Welt. Aber es geht nicht nur um Krieg, es geht um "Sicherheit", um Polizeieinsätze.

Das ist der neoliberale Krieg gegen die Menschen. Es geht nicht mehr um Krieg von Armeen gegen Armeen auf Schlachtfeldern. Es handelt sich um Krieg kapitalistischer Armeen gegen die Bevölkerung. Wir beobachten das in Afghanistan, in Palästina, wir sehen das in Europa mit den Flüchtlingen und so weiter.

Mein spezieller Fokus richtet sich darauf, dass Israel hier bedeutende Waffentechnik (DIME- und Nano-Waffen)(1)(2), Taktiken und Modelle der Bevölkerungskontrolle und Überwachungssysteme bereitstellt und entwickelt - und all das auf dem Rücken der Palästinenser. Wenn wir uns die besetzten Gebiete ansehen, die Israel seit 50 Jahren als Laboratorium zur Entwicklung von Waffentechnologie, Überwachungseinrichtungen benutzt und an der palästinensischen Bevölkerung testet, dann verstehen wir, warum das kleine Israel eine weltweite Führungsrolle in der Cutting Edge Technologie (hochmoderne Technologie) einnimmt, die schließlich zu unserer eigenen Kontrolle angewendet werden wird. Das sage ich auch den Deutschen und den Antideutschen: Ihr werdet selbst zu Palästinensern werden, denn Euer Militär und Eure Polizeikräfte werden "israelisiert". Ihr werdet die Opfer der Sicherheitskontrollen, Polizeimaßnahmen der kapitalistischen Streitkräfte, Ihr werdet zu Palästinensern.

Also auch die Deutschen?

Die Deutschen und alle, die sich dem Kapitalismus widersetzen, werden zu Palästinensern, die der Besetzung Widerstand leisten. So oder so - und das sage ich auch den Anti-Deutschen und den deutschen Linken, die Israel unterstützen: die Unterstützung Israels bedeutet nichts anderes, als die Unterstützung des kapitalistischen Systems. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit Antiimperialist und Antikapitalist sein zu wollen und gleichzeitig Pro-Israel zu sein.

Das ist ein schlimmer Weg, weil Israel ein mächtiger Verfechter des Kapitalismus ist mit seinen Waffen und der Beziehung zu den herrschenden Klassen der ganzen Welt. Es ist unmöglich, hier Israel zu unterstützen, und sonst wo auch immer gegen Kapitalismus aufzutreten. Israel ist eine der führenden militärischen Kräfte, die den Kapitalismus antreiben.

Wenn jetzt eine Bi-nationale Einstaatenlösung für Israel und Palästina angestrebt wird, wird das nicht auch ein kapitalistischer Staat sein?

Beim Kapitalismus handelt es sich um einen globalen Streit. Wenn wir effektiv gegen Imperialismus und Kapitalismus (Neoliberalismus) auftreten, müssen wir deren Macht begreifen. Wir müssen das militärische Vorgehen betrachten und auch, wie sie die Polizeikräfte gegen uns einsetzen. Das war gut zu beobachten bei den G7, G8 und den G20-Gipfeln, in Genua (2001) und an anderen Orten. Solange wir nicht begreifen, wie die kapitalistischen Mächte ihr Militär, ihre Polizei und ihre "Sicherheitskräfte" gegen uns einsetzen, können wir keinen Widerstand leisten und das System überwinden.

Ich behaupte, Israel ist eine der Hauptquellen für die entsprechende Strategie, Taktik und Waffen.

Wo liegt Deine Hoffnung in einem gemeinsamen Staat Israel-Palästina?

Israel hat immer nur einen Staat eingerichtet. Es kontrolliert das gesamte Gebiet vom Mittelmeer bis zum Jordan. Deshalb ist die Zwei-Staaten-Lösung vom Tisch, Israel hat sie gekillt. Also sagen wir zu Israel: Prima. Wir akzeptieren Euren "One-State", aber wir akzeptieren natürlich nicht die Apartheid. Was wir verlangen, ist, dass der "One-State", den Du, Israel, kreiert hast und der ein Apartheid-Staat ist, zurückgebaut wird und zu einem demokratischen Staat mit gleichen Rechten für all seine dort lebenden Bewohner. Ich kann mir nicht vorstellen, wie irgendein fortschrittlicher Mensch in der Welt glaubt, das sei ein politisches Problem.

... und weiterhin kapitalistisch?

Das ist ein Problem. Unglücklicherweise - muss ich sagen, auch wenn die Palästinenser einen eigenen Staat hätten oder sich anschliessen - sie ein solches neoliberales Modell bevorzugen, wie es in Israel vorherrscht. Nehmen wir Leute wie Salam Fayyad, Premierminister, der sich das ganze kapitalistische System zu nutze macht. Ein Grund, warum die Palästinenser heute domestiziert sind, besteht darin, dass er Kreditkarten einführte. Heute haben alle Palästinenser Kreditschulden, weil sie über ihre Verhältnisse leben. So machen sie sich Sorgen, wie sie am Ende des Monats auskommen. Meiner Meinung nach war das Absicht, damit die Leute sich mit ihrer individuellen Finanzsituation befassen, statt mit grundsätzlichen Folgen des Neoliberalismus. Bekanntlich baute Fayyad eine ganze Stadt für die reichen Upper Classes in Palästina. Er fördert regelrecht Klassenunterschiede. Ich kann mir vorstellen, dass Fayyad sogar das Apartheidregime akzeptiert, wenn er Zugang zur israelischen Wirtschaft erhält. Unglücklicherweise verhält sich die palästinensische Führung teilweise ähnlich feindlich gegenüber ihren eigenen Leuten, wie sich die israelische Führung gegenüber den Palästinensern verhält.

Was kann dann noch Hoffnung geben?

... dass Menschen grundsätzlich eine Abneigung gegen Ungerechtigkeit, kapitalistische Unterdrückung und Besatzung haben. Wenn sie erklärt bekommen oder damit konfrontiert werden, was alles passiert. Und das ist etwas, was wir Linke versäumt haben: eine Alternative zu bieten. Deshalb versuchen wir die Idee der Einstaatenlösung (weiter zu) entwickeln und den Palästinensern nahe zu bringen. Wir haben kein Endgame, wir sind nicht am Ende der Verhandlungen. Das ist unsere Idee (einer Gruppe von Israelis und Palästinensern, darunter Wissenschaftler, die sich in etwa drei Monaten in Großbritannien zusammen findet). Wir alle sind Gegner des Kapitalismus. Einen Teil, den die Linke jetzt bewältigen muss, ist die Überzeugung zu verbreiten, dass über Leiden zu klagen nicht schlecht ist, aber dass ein gangbarer Weg aus dem Übel gefunden werden muss. Das Positive ist doch: die meisten Menschen in der Welt sind Linke. Mag sein nicht ideologisch, aber die meisten Menschen wollen doch das, was die Linken wollen: gute Bildung, Sicherheit, ein Gemeinwohl, Freiheit. All das, was auch die Linken wollen. Unsere Herausforderung ist, wie wir diese Art von System benennen, um die Menschen an Bord zu bringen. Ich sehe darin eine Herausforderung. Wenn wir nicht denken, dass wir gewinnen können, wäre ich kein Aktivist. Also meine ich: Optimismus ist wichtig.


Jeff Halper (* 1946 in Minnesota) ist ein amerikanisch-israelischer Friedensaktivist und Autor. Er arbeitete als Professor für Anthropologie an den Universitäten von Haifa und Beerscheba. 1997 war er Mitbegründer des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD). Er ist einer der Hauptorganisatoren der Initiative Free Gaza und Mitglied des Gründungskomitees des Russell-Tribunals zu Palästina.


Seine Facebook-Adresse:
https://de-de.facebook.com/jeff.halper.5

Sein Buch:war against the people
erscheint 2018 auf deutsch




Fussnoten:

1 DIME-Munition (Dense Inert Metal Explosives)
Wenn DIME-Munition (Dense Inert Metal Explosives) explodiert, wird eine Sprengstoff- / Wolframladung mit einer Druck- und Schockwelle gezündet, die alles im Radius von vier bis zehn Metern verbrennt und zerstört. Die Gliedmaßen von Menschen, die sich in diesem engeren Bereich aufhalten, werden wie mit einer Säge komplett abgetrennt. Es kommt zu schwersten Bauchverletzungen und Verletzungen der inneren Organe, in die die mikroskopisch kleinen Staub-Partikel der Ladung förmlich hineingeschossen werden.
http://german.irib.ir/nachrichten/nahost/item/263330-medizinische-quellen-verurteilen-israelisches-regime-wegen-anwendung-illegaler-waffen-in-gaza

2 Nanowaffen
Jeff Halpers Ausführungen zu biologischen Nanobots als Zukunftswaffen möchte ich hier nicht versuchen wiederzugeben. Es könnte Albträume erzeugen. Befragungen unter Wissenschaftlern nach der Auslöschung der Menschheit bis zum Jahr 2100 seien von 19% bejaht worden. Von sechs Ursachen hingen fünf mit Nanowaffen zusammen. (Manfred Lotze, IPPNW, zu Jeff Halpers Vortrag am 22. November 2017 in Hamburg )


Weitere Termine der Tournee von Jeff Halper:

Mi. 29.11. Nürnberg – 19.30 Uhr bis 22.00 Uhr: Solidarität mit dem Palästinensischen Volk – Wohin geht die Entwicklung in Palästina und Israel?
Großer Saal in Lichtenhof, Gustav-Adolf-Gedächtniskirche, Eingang Annastraße Allersberger Straße 116, Straßenbahn 8, Hst.Wodanstraße,
http://www.evangelische-termine.de/veranstaltung_im_detail4251168.html?PHPSESSID=ci4a5lin8mtklnljl6sdfbkq53&popup=1&css=none

Do. 30.11. München – 19:00 Uhr: „Wohin geht die Entwicklung in Israel/Palästina?“
in der Landshuter Allee 11 (Haus des Stiftens im EG), adrian.paukstat@gmx.de

Fr. 1.12. Wien – 19:00 Uhr: Buchvorstellung: „Krieg gegen das Volk: Israel, die Palästinenser und die globale Befriedung“
Gusshausstrasse 14/3, 1040 Wien, Paula Abrams paula.abrams.hourani@gmail.com

Online-Flyer Nr. 639  vom 29.11.2017

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