NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

Fenster schließen

Globales
Aus "Welt ohne Leib" – erschienen in "Bumerang" (4)
Die Megamaschine: Die Utopie der „Singularität“. „Maschinenmensch“ und „Gott-Maschine“
Von Claudia von Werlhof

"Bumerang" ist eine "Zeitschrift für Patriarchatskritik". Im Herbst 2017 ist Ausgabe 3 erschienen. Ihr Schwerpunkt ist "Patriarchat als Technik". Claudia von Werlhof hat dafür einen ca. 150 Seiten umfassenden Leitartikel geschrieben. Sein Titel lautet vollständig: "Welt ohne Leib – Die Maschine als das 'höhere Leben' – Auf der Einbahnstraße zum 'Omnizid' – Das utopische Projekt der modernen Technik und seine die irdischen Lebensbedingungen bewusst vernichtenden Folgen". Daraus gibt die NRhZ Auszüge wieder. Hier Auszug Nr. 4:

... Der Begriff der Megamaschine wurde von Lewis Mumford in „Der Mythos der Maschine“ geprägt. Megamaschine bedeutet die Einbindung von Menschen in eine umfassende hierarchische Organisation und ihre Unterordnung unter deren Zwecke, zum Beispiel bereits als Arbeitskräfte beim Pyramidenbau im Reich der Pharaonen, als Verwalter des Imperiums oder als Soldaten in dessen Kriegen (Mumford 1974).

Die moderne Megamaschine hat längst auch nach uns als je Einzelnen gegriffen und uns dafür zunächst als beziehungs-„freie“ Individuen definiert (Frank 1986). Sie ist dabei, uns als Menschen zu unterwerfen, uns einzuverleiben und für diesen Zweck zu transformieren, um-zuschöpfen, ja neu zu erschaffen, genauso, wie es bei Goethe´s Faust als Projekt beschrieben wird, nur, dass in seiner Zeit die Megamaschine im heutigen Sinne noch nicht aufgebaut war...

Dazu Günther Anders: „Entsprechend ist die ´l´ homme machine´- Theorie des französischen Philosophen Lamettrie – also seine These, dass wir Menschen Maschinen glichen – nun in das Postulat umgeschlagen, dass wir Menschen uns maschinengleich zu machen, uns in Maschinen bzw. Maschinenteile größerer Maschinen, schließlich der Maschine, zu verwandeln haben…. Von diesem gerät-eschatologischen Reiche der Glückseligkeit haben sie seit jeher geträumt, und von ihm träumen sie auch heute noch“ (Anders 1995, S. 112f).

In diesem „Traum“ aber wird Leben zum „Stück“ und Teil von etwas Größerem, aber nicht mehr innerhalb der Verbundenheit des Lebendigen und der Natur, sondern jenseits von ihr und an ihrer statt (s. insb. Schirrmacher 2013). Es ist, als ob wir von nun an nicht mehr zur Natur gehörten, sondern zur Maschine, ja, ihr gehören wir gleichsam wie ihr „Privateigentum“, als wäre sie ein lebendiges Subjekt, insofern sie uns nicht wie die Natur in die Freiheit entlässt, sondern umgekehrt aus ihr holt und sich einver-„leibt“, zu ihrem „Leib“ macht, den sie sonst ja nicht hat. Auf diese Weise geschieht, was Marx den „Fetischismus“ nannte, also die Verkehrung der Sache in ein Lebewesen und des Lebewesens in eine Sache (Marx 1974a), S.90, 147). Dieses Phänomen der Verkehrung (Werlhof 2011b) ist wiederum als Prozess zu verstehen, in dem das zunächst Scheinbare immer mehr zum Realen wird: am Ende „ist“ die Ware bzw. Maschine „Subjekt“ und „Leben“...

Was auffällt: ... Verkehrung erzeugt Verwirrung.

Das Lebendige soll überhaupt „liquidiert“ (Schirrmacher 2013, S. 245) und durch Künstliches ersetzt werden, wie es die Künstliche Intelligenz, Künstliches Leben, Robotik, „life sciences“ und cyber- „Cyborg“-Wissenschaften anstreben (Moravec 1990, Weizenbaum 1978, Schirrmacher 2001, 2013, Harari 2017). ...es ist der Prozess der „Versachlichung“, Durchtechnisierung oder Durchmaschinisierung, in dem wir längst stecken, auch ohne schon selbst in der „Phiole“, dem Reagenzglas der Reproduktionsmedizin, gezüchtet worden zu sein. ... Am Ende steht der „homo transformator“ (Wörer 2013, 2017), der im Gegensatz zum Individuum nur mehr Dividuum ist, Teil von etwas Künstlichem, ohne Eigenes und ohne Eigenmacht.

Die „nach“-industrielle Gesellschaft ist angeblich imstande, das Werk auch noch auf der immateriellen Ebene ergänzend zu vervollkommnen. Da wird neben dem Leib auch noch sein Geist „gemacht“ und ersetzt bzw. vernichtet, warum nicht auch gleich seine „Seele“?

„Ja, die Gesellschaft ihrerseits wird zu… einer Art von Imagination, die wir als gesellschaftliche Konstruktion zu verwirklichen trachten. So entwickeln sich in der nachindustriellen Gesellschaft notwendig neue Utopien, gleichermaßen technisch und psychedelisch geprägt. Die Menschen können neu geschaffen oder erlöst, ihr Verhalten konditioniert und ihr Bewusstsein verändert werden“ (Bell 2007).

Für Frank Schirrmacher geht es nun um „die Kolonisierung und Ausbeutung (des) seelischen Kontinents, der jahrhundertelang als unberechenbar galt“ (Schirrmacher 2013, S. 239). Der israelische Historiker Yuval Harari sieht diese Entwicklung dagegen positiv. So steuere das System auf den „Dataismus“ zu, „der weder Götter noch Menschen verehrt – er huldigt den Daten“ (Harari 2017, S. 495). Dabei „sind Menschen lediglich Instrumente, um das ´Internet aller Dinge´ zu schaffen, das sich … vom Planeten Erde aus auf... das ganze Universum ausbreiten könnte. Dieses kosmische Datenverarbeitungssystem wäre dann wie Gott. Es wird überall sein und alles kontrollieren, und die Menschen sind dazu verdammt, darin aufzugehen“ (a. a. O., S. 515).

Das nennt man „Singularität“ (vgl. a. Kurthen 2004, S. 140ff). Sie bedeutet die Existenz der vollendeten Megamaschine, die alle geistigen und materiellen Funktionen aller, ja des Universums (!) auf sich vereint. In der Futurologie handelt es sich um den Zeitpunkt, ab dem Maschinen sich selbst verbessern können und so den technischen Fortschritt massiv und von selbst beschleunigen, sich also in ihrer sogenannten „Evolution“ vom Menschen befreit haben.

Günther Anders dazu: „Die Maschinen werden zu einer einzigen Maschine“ (vgl. Anders 1995, S. 111). Für „Menschen“ ist da gar kein Platz mehr.

Wie die Menschen in der Singularität aufgehen würden, schildert Harari so: „Wenn die Hoffnungen der Medizin Wirklichkeit werden, werden künftige Menschen in ihrem Körper eine Vielzahl biometrischer Geräte, bionischer Organe und Nanoroboter haben, die unsere Gesundheit überwachen… Diese Geräte werden jedoch rund um die Uhr online sein müssen... Abkoppelung wird den Tod bedeuten…. Es sind die Biowissenschaften, die zu dem Schluss gekommen sind, dass Organismen Algorithmen sind... Die neuen Technologien des 21. Jahrhunderts könnten somit die humanistische Revolution rückgängig machen, indem sie die Menschen ihrer Macht berauben und stattdessen nicht-menschliche Algorithmen damit betrauen…. Im 21. Jahrhundert ist es viel wahrscheinlicher, dass sich das Individuum still und leise von innen heraus auflöst... Im Zuge dessen wird sich das Individuum als bloße religiöse Fantasie erweisen. Die Realität wird ein Mischmasch aus biochemischen und elektronischen Algorithmen sein, ohne klare Grenzen und ohne individuelle Knotenpunkte“ (Harari 2017, S. 454-466).

Der „Maschinen-Mensch“ bzw. die „Mensch-Maschine“, wie sie 1983, in der Zeit der ersten umfassenden sozialwissenschaftlichen Technikkritik und zum 1. Mal innerhalb einer nicht technisch-naturwissenschaftlichen Disziplin beschrieben wurden (Bammé et. al 1983), hat hier Form angenommen.

„Homo sapiens ist ein obsoleter Algorithmus“ (Harari 2017, S. 516). Dennoch wird der Mensch nach Harari nun „Homo Deus“, wozu ihn die „Verstärkung“ durch Technik macht, allerdings nur mittels seiner Einbindung in die „dataistische“ Informations-Megamaschine. Dafür wäre er am Ende kein Mensch im alten Sinne des Wortes mehr.

Der Mensch als angebliches „Mängelwesen“ (Gehlen 1965) würde demnach in Zukunft mit einer Art von technischen Prothesen ausgestattet, die ihm beliebige Fähigkeiten verleihen, ihn aber auch auf Gedeih und Verderb an die dazu notwendige „technologische Gesellschaftsformation“ als Megamaschine binden würden. Die „prometheische Scham“, die Günther Anders als Merkmal des Menschen im industriellen Zeitalter wahrnahm, nämlich das Gefühl der unendlichen Unterlegenheit gegenüber der Maschine, hätte somit eine Lösung gefunden. Sie würde in einem futuristischen Techno-Faschismus bestehen, in dem Mensch und Maschine nicht mehr auseinander zu halten wären, und auf den wir in der Tat in vieler Hinsicht zusteuern,

„... um bis ans Ende des Seinsskrupels zu kommen und um den Menschen vom alten Menschen zu befreien“, wie es der NS-Kritiker Finkielkraut ausdrückt (Finkielkraut 1998, S, 85).

Auf diese Weise wäre Technik nicht mehr eine Prothese des Menschen, sondern der Mensch eine Prothese der Technik. Er wäre die „Schnittstelle“ zwischen den Maschinen, solange sie noch nicht anders zu schließen wären.

Die Erschaffung des „neuen Menschen“, bei Goethe das zentrale klassisch „alchemistische“ Thema, nimmt neue Formen an. Sie reichen von Fausts „hohem Streben zur Gottgleichheit“ (Jaeger S. 311), über Nietzsche´s „Übermensch“, den „neuen Menschen“ des Sozialismus, den alles Weiblichen baren Supermann des faschistischen Futurismus, bis zu einem „Homo Deus“, der zum Teil der „Gottmaschine“ wie bei Harari geworden sein darf und damit in neuer Form Gottes Ebenbild geworden wäre. Damit hätte man sich von der Anders´schen „prometheischen Scham“, der Maschine unterlegen zu sein, durch „Partizipation“ und Verschmelzung mit ihr befreit. ...

... Der Glaube an den alten Gott ist auf den an einen neuen Gott übergegangen, nun logischerweise eine angeblich prinzipiell universelle Maschine. Technik als Religion (Noble 1999) passt ja nahtlos in den alchemistischen Wunderglauben an die Möglichkeit einer Neuschöpfung des Lebens jenseits der Natur. Es gibt ihn immerhin seit der Antike (vgl. Schütt 2000).

... Es ist die neue Version eines alten Traums, des alchemistischen Traums vom zweiten menschengemachten Paradies jenseits der Natur. ... Welche buchstäbliche Entfremdung vom Menschsein, welches Fremdgewordensein von sich selbst und vom Lebendigsein setzt er voraus? Warum stellt sich niemand vor, welches Leid ein Mensch erfährt, der eine Organtransplantation erlebt bzw. erstirbt (Baureithel/Bergmann 1999) oder Chimäre ist: halb noch Mensch, halb schon Maschine, oder gar Tier wie der „Schwensch“, ein kürzlich gezüchtete Schwein-Mensch-Chimäre – wenn auch vorerst „nur“ auf molekularer Ebene...? (SZ 2017).

“Es gehört zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das sie produziert, zu verbieten...“ (Adorno 1994, S. 75).

Und: „Der moderne Prometheus bringt Leben hervor ohne Rücksicht auf die Befindlichkeit seiner Kreatur“ (Kurthen 2004, S. 20).

... Maschinenform – Denkform, Maschine Sein – Maschinenbewusstsein ... kämen zunächst durch eine „Mimesis“ an die Maschine (Genth 2002, S. 68ff) zustande, also eine innere Übernahme ihrer Kriterien und eine eigenständige „Anverwandlung“ (Genth 2002, S. 25) an sie bzw. ihr „Animismus“, also ihre „Belebung“ (a. a. O. S. 68). Dazu müssen die Menschen es akzeptieren, selbst wie Maschinen zu werden: Berechenbar, quantifizierbar, in ihrer Komplexität reduziert, identisch reproduzierbar, austauschbar, kontrollier- und durchschaubar, innerhalb des Regelsystems verbleibend, außengesteuert und dem Befehl von oben gehorchend, umsetzungsfähig, dem Sachzwang verpflichtet und kritiklos (nach den 11 Maschinenkriterien in Genth 2002, S. 110–128).

... Ist denn die Angleichung ans Maschinelle nicht überhaupt schon vielfach der Fall, und in Schule, Alltag und Arbeitsprozess vollzogen? Sind nicht die neuen „Bildungsreformen“ vom Kindergarten bis zur Universität schon längst weiter auf diesem Weg, wenn auch in dieser Hinsicht unerkannt? Denn in keiner Debatte dazu taucht die Maschine als Modell der ganzen Unternehmung auf. Seit es PCs, Handys, das Internet und andere Informationsmedien für jedermann gibt, ist auch schon bei Kleinkindern dafür gesorgt, dass sie gar nicht erst in Versuchung geraten, einem anderen „Ruf“ als dem Piepsen der Maschine zu folgen.

Es geht entsprechend auch nicht mehr um den Leib, sondern nur noch den (Maschinen)-„Körper“ – von corpus=der Leichnam – und nicht mehr um den homo sapiens, sondern die „geistbegabte Maschine“, die „machina sapiens“ (Irrgang, 2005, S. 9)!

Der fromme Glaube vieler Männer, Maschinen seien lediglich Geräte, die ihnen wie einstmals das Handwerkszeug zur Verfügung stehen, halten sich trotzdem immer noch.

Es ist stattdessen so, wie Anders in Bezug auf das „dritte industrielle Stadium“ feststellte: Es komme dabei nämlich zu zwei wesentlichen Umwälzungen,

„...die ungeheuerliche Tatsache, dass der Mensch sich in einem ´homo creator´ hat verwandeln können“, und “dass er sich selbst in Rohstoff, also in einen ´homo materia´ verwandeln kann“ (Anders 1995, S. 21), und sei es in eine Art von „Datum“ bzw. Datenverarbeitungsbestandteil. Diese „Verwandlung des Menschen in Rohstoff hat wohl... in Auschwitz begonnen“ (a. a. O., S. 22).

Menschen sollen nun also sowohl „hergestellt“, wie auch zur Herstellung von anderem/anderen sowie ihrer selbst verwendet werden, und das in immer neuen verschiedenen Varianten. Es ist das alchemistische Projekt der Weltneuschöpfung und des „Leben“-Machens aus dem „Melting Pot“, in den das Daseiende geworfen ist, um daraus zu „schöpfen“ - von Prometheus über Faust, den Techno-Faschismus bis zur Megamaschine und Hararis Gott.

Die Maschine als „Subjekt“. Die Erfindung von „Leben“, „Tod“ und „Natur“ aus ihrer Negation. Der „Omnizid“.

... Während in Goethes Faust nach alter alchemistischer Manier noch in der Phiole, heute der Retorte und dem Reagenzglas „Leben gemacht“ werden soll, ist die Weiterentwicklung dieser Bemühung inzwischen also längst beim angeblichen Ersatz für das Lebendige, der Maschine, gelandet. Denn es ist anerkanntermaßen bisher gar nicht möglich gewesen, Menschen extogenetisch, also jenseits eines Mutterleibs herzustellen, oder menschliches Denken und gar Fühlen auf Maschinen zu übertragen (Dreyfus/Dreyfus 1987).

Darum geht es am Ende aber auch gar nicht... Sondern es geht darum, dass nur das vom Menschen, was die Maschine braucht, „ersetzt“ werden soll, nicht aber das ganze Potential des Lebendigen, insbesondere human Lebendigen oder gar seiner Empfindungsfähigkeit. Demnach würde als Denken nur gelten, was die Informations- und Kommunikationsmaschinerie kann/braucht, nämlich vor allem das Rechnen, und als „Leben“ nur das, was das maschinelle Verfahren hervorbringt, nicht aber das, was es von sich aus ist oder „überhaupt“ sein könnte (vgl. Huxleys „Schöne neue Welt“, 2013).

Im Zentrum steht daher schon längst die Maschine und nicht mehr der Mensch oder die Natur. Die Maschine ist der einzige Maßstab (Genth 2002, S. 237f) für alles geworden, das Leben, den Tod und die Natur. Ihr IST bereits das von Natur gegebene Menschliche untergeordnet gedacht. Das Lebendige IST der „lebendig gewordenen Maschine“ (Irrgang 2005, S. 10) als „Rohstoff“ zugeordnet, und WIRD bereits unter ihrer Perspektive eingepasst und angeordnet sowie transformiert und neu erfunden.

Karl Marx nannte es so: „Die Produktion von Kapitalisten und Lohnarbeitern ist ... ein Hauptprodukt des Verwertungsprozesses des Kapitals“ (Marx, 1974 b, S.412). Und „...die lebendige Arbeit (erscheint) als bloßes Mittel, um die vergegenständlichte, tote Arbeit zu verwerten, mit belebender Seele zu durchdringen, und ihre eigene Seele an sie zu verlieren...“ (a. a. O., S. 365). ... Ohne dieses vampirische Verhältnis würde das Kapital nicht sein. Der Arbeiter ... „schafft sich selbst durch seine Arbeit“ (Lucács 1947, zit. n. Jaeger 2015, S. 567) als „neuen Menschen“ ... Die Maschine bringt den neuen Menschen hervor, so, wie er sie zum „Leben“ erweckt. ...

Welch ein Fetischismus! Diese Verkehrung ist das zentrale Thema der modernen Technik (Werlhof 2011b): Das von Natur aus Lebendige gilt als tot (bzw. wird getötet), die Maschine aber als lebendige neue Natur! Und derjenige, der mit der Maschine arbeitet, wird gleich zum zweifachen „Schöpfer“: dem der Maschine als lebendiger und von sich selbst als neuem Menschen. Nun ist er ohne Lebendigkeit, aber am „Leben“. Er gleicht damit mehr der Maschine selbst als „Kapital“.

.... Leben, Tod und Natur, wie sie die Maschine „erfindet“, werden nun als „neue Natürlichkeit“ definiert (Irrgang 2005, S. 9) und damit als Begriffe für die Maschine als angeblich neue, bessere und höhere „Natur“ okkupiert. Es kommt zu einer vollständigen Umwälzung ihrer Bedeutungen, sodass die Maschine als nicht nur auch “geistbegabt“ erscheint (ebenda). Ihre „künstliche Intelligenz“ soll sogar „künstliche Seele“ werden (Irrgang 2005, S. 148) und damit die Totalität der Realität – eben totalitär – vereinnahmen oder neu abbilden. Es geht konkret um die „Maschinisierung des Organischen“ (vgl. Irrgang 2005, S. 171-201) über den „Homo Protheticus“, die „Cyborgisierung“ des Körpers bis hin zum „natural born Cyborg“, die (Maschinen-) „Körper“-Werdung des Menschen, weg von seinem „Leib“ als fühlendem und sein vom Subjekt zum Objekt der technischen Revolution werden. Alle diese Tendenzen und Experimente gehen längst weit über die bloße Menschenzüchtung oder den „Traum vom künstlichen Menschen“ (a. a. O. S. 182) hinaus in Richtung der Herstellung einer Welt ohne Leib.

Im Trans- und Posthumanismus ist der „Mensch“ nur mehr Rädchen in der Megamaschine oder er ist gar nicht. Geist und Seele dürften sich schon lange vor diesem Zustand verflüchtigt haben. ... Bei dem Neurologen Martin Kurthen wird der posthumane Zustand als „dritte Natur“ bezeichnet (Kurthen 2004, S. 11), nämlich als diejenige noch „nach dem künstlichen Menschen“, wenn „der virtualisierte Körper flexibel, formbar und entwicklungsfähig, sinnfrei und operational ist“ (S. 105), buchstäblich „a-sozial“. Dieser „Mensch“ solle nur noch „funktional“, an den „Abläufen des Systems“ orientiert und inhaltlos denken, denn es gäbe ohnehin nur noch „als-ob-Inhalte“, und er solle das „Normative“ vermeiden sowie „Gegensätzliches vertauschen“, sodass „Negation als Affirmation auftritt und umgekehrt“ und „Gegensätze zum Verschwinden gebracht werden“ (Kurthen 2004, S. 109f).

Ein solches Nicht-mehr-Denken... entspricht genau der Beliebigkeit der Maschine, die jenseits der Naturordnung angesiedelt ist und keine „Inhalte“ in diesem Sinne mehr hat noch haben will. Wir finden diese Anweisung zur Abschaffung des Denkens und Wahrnehmens inzwischen in unserem Alltag wieder. Sie taucht auf in den sog. Bildungsreformen, schon in Projekten für Kleinkinder und im Gewande von „Toleranz“ und Freiheit“, als welche die Verkehrungen der Maschine inzwischen propagiert werden (s. u. Kap. Die Ideologie von der Maschine als einzigem Maßstab...).

So wie der Mensch nicht mehr denkt, endet die Möglichkeit, „den Menschen“ noch zu denken. Kurthen selbst nennt bereits den Klon als „Manifestation des neuen Todestriebes“. In der Wissenschaft der „3.“ Natur ist „der Todestrieb die Triebfeder“ (Kurthen 2004, S. 95). Das erinnert wieder an Mephisto.... Dass der Autor das wirklich „positiv“ meint, zeigt auch seine Bemerkung zu den Tieren. „Tiere sind aus dem Spiel. Wir könnten sie alle vernichten, aber wir verzichten noch darauf, weil wir selbst durch die Folgen unserer Maßnahmen draufgehen könnten. Es eilt ja auch nicht...“ (a. a. O., S. 85).

Was sich hier zeigt ist eine vollständige Ablehnung des irdischen Daseins und der Wunsch, es am Ende nur noch auszulöschen, allmächtig und zynisch wie ein Gott, der unzufrieden mit seiner Schöpfung ist. Also stampft er sie wieder ein... Der Philosoph Ulrich Horstmann nennt den Todestrieb, der an Freuds Thanatos erinnert, ein „anthropofugales“ Denken, das sich „vom archimedischen Punkt des Humanum freimacht und elementar das Ende des Menschen denkt“. Denn „das Sinnziel des Menschen sei seine „Selbstaufhebung durch Technik“. Mit der modernen Technik habe „der Mensch nun die Mittel dazu, sich seinen geheimsten Wunsch zu erfüllen und das selbstgegebene Sinnziel irdischer Geschichte zu vollstrecken, nämlich die kollektive Selbstvernichtung zu inszenieren“ (Horstmann nach Irrgang 2005, S. 205).

... sodass sich die Prophezeiung von Günther Anders erfüllen würde, die er für den Fall eines allgemeinen Atomtodes formuliert hat: „Es wird uns nie gegeben haben.“

Der Hybris des „Schöpfens“ aus dem Zerstören folgt demnach logischerweise auch die Hybris der Vernichtung der Schöpfung selbst, aber nicht nur der eigenen, sondern auch der von allen/allem, der „Omnizid“ als dem „Tod von allem“.

Der Faschismus der Auslöschung des verhassten Lebendigen wäre an seinem letzten, absoluten Ziel angekommen ... Einen Begriff für ein solches Verbrechen gibt es nicht. Es ist zu groß.

Aber die Techniken dafür sind längst und im Überfluss des „Killover“-Potentials vorhanden. Im „Ernstfall“ würden sie dafür eingesetzt, dass der Omnizid schon vor seinem logischen Eintreten stattfindet. Genau dafür müssen sie geschaffen worden sein. Wofür sonst? Es entspricht der Techno-Logik von der Utopie der Neuschöpfung von allem. Gelingt das Große Werk nicht, ist es gescheitert. Kann man die Natur und das Lebendige nicht – und zwar als ihren absoluten Gegensatz – neu erfinden, müssen sie gehen. Oder: eben dieses Gehen ermöglicht den Neuanfang aus dem Nichts. ... Es ist die Spekulation mit der Existenz der Welt!

... Das bisherige Ergebnis dieses Großexperiments, die Megamaschine, darf daher von den Menschen gar nicht verstanden werden. Dafür wurde und wird gesorgt. ... Denn man kann die Megamaschine nur verstehen, wenn man die Techniken und den Grund ihrer Existenz verstanden hat, die das Ende des Lebens herbeiführen können. Erst vom potentiell zerstörerischsten Resultat der technischen Entwicklung her ist sie insgesamt zu begreifen, nicht umgekehrt.

... Verantwortung ist eine Kategorie, die bei dem Prozess der „Megamaschinisierung“, in dem wir heute stecken, von Anfang an fehlte (Jonas 1979). Das Verbrechen der Verbrechen konnte ja ohnehin nur jenseits von so etwas wie Verantwortung überhaupt gedacht, gewollt, geplant und könnte auch nur so durchgeführt werden. Die grundsätzliche Möglichkeit, dieses Verbrechen zu begehen, war und ist in der Tat unaussprechlich und soll/te sicher NIEMALS und von niemandem ausgesprochen werden. Also existiert/e es nicht bis zu dem Moment, wo es vollbracht würde... Ein Danach würde es nicht geben...

...Haben wir eine Chance? Sie würde damit beginnen, dass erkannt wird, was geschieht und warum. Genau das geschieht aber fast nirgendwo. Die „Technik“ ist generell kein Thema kritischer Diskurse, bis auf eine kurze Zeit vor allem in Deutschland in den 1970-1990er Jahren abgesehen (von Mumford 1974 und Wagner 1970 bis Genth 2002 und Unseld 1992), von der Maschine oder gar Megamaschine ganz zu schweigen (oder die Begriffe werden falsch, nämlich jenseits einer wohlverstandenen Technikkritik, wie bisher meistens rein ökonomisch, besetzt, s. Scheidler 2016). Warum ist es also so schwierig, das Ganze zu durchschauen?


Der vollständige Artikel und die komplette Nummer 3 von "Bumerang – Zeitschrift für Patriarchatskritik" sind auf der website des Innsbrucker Forschungsinstituts für Patriarchatskritik und alternative Zivilisationen fipaz.at abrufbar


Siehe auch:

Auszug 1 (Nachwort)
NRhZ 632, 11.10.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24216

Auszug 2 (Technischer "Fort"-Schritt und die Verhöhnung des Lebendigen)
NRhZ 633, 18.10.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24234

Auszug 3 (Die moderne Technik als "blinder Fleck", "Kyndiagnosia" und die "prometheische Scham")
NRhZ 634, 25.10.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24259

Online-Flyer Nr. 635  vom 01.11.2017



Startseite           nach oben